Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Annette fragt… Carmen Wettig

Carmen begegnete mir das erste Mal auf Facebook, als sie mich zu ihrer Brustkrebs-Gruppe einlud. Sie ist verheiratet, kinderlos und lebt mit Hund, Katze und ein paar Zwerghühnern auf dem Land und zeitweise in der Documenta-Stadt Kassel.

Beruflich ist Carmen Yoga-Lehrerin (BDY/EYU), zertifizierte Yoga und Krebs-Trainerin, Meditations-Lehrerin, Coach für Ayurveda Gesundheit und Lifestyle (VEAT) sowie Moderatorin für den Berufsverband der Yoga-Lehrenden in Deutschland (BDYoga). Sie betreibt eine eigene Praxis mit Yogaschule.

Vor sieben Jahren hatte sie selbst Brustkrebs und bildet mittlerweile andere Coaches, Quereinsteiger und Betroffene zum „Holistic Cancer Care Coach“ aus.

Ich freue mich sehr, dass sie mich und euch heute eine Weile mit auf ihre Yogamatte nimmt. Deshalb sage ich jetzt: Oooom…” und überlasse Carmen das Wort!

Annette: Liebe Carmen, im Jahr 2015 bekamst du die Diagnose „Brustkrebs“. Wie war dein Therapieweg und mit welchen Neben- und Nachwirkungen hattest und hast du zu tun?

Carmen: Nun, mit 41 Jahren einen triple negativen Brustkrebs diagnostiziert zu bekommen, ist schon eine  Hausnummer! Viel zu überlegen gab es nicht, denn hier heißt es: Chemotherapie, OP, Bestrahlung. Da ich viele Jahre als examinierte Pflegefachkraft gearbeitet habe, ein Fan der heutigen, modernen Medizin und Wissenschaft bin, stand es für mich persönlich auch nie im Raum, diesen klassischen Weg der Therapie nicht zu gehen.

Im Gegenteil: So richtig einen auf die Mütze sollte „mein Krebs“ bekommen. Hat er auch!

Da ich seit 2007 das älteste Medizin System der Welt, den Ayurveda, und seit 2010 den Yogaweg studiere, zudem 2013/2014 im Fernstudium zur Heilpraktikerin in Ausbildung war, ja deswegen war es auch selbstverständlich, dass ich mich während der Krebstherapie auch naturheilkundlich begleiten ließ.

Eine Ayurveda Ärztin, ein Homöopath und die Yoga-Therapie waren zunächst meine großen Katalysatoren auf dem Weg zum Wieder-gesund-werden. Später habe ich auch verschiedene Ansätze der Anthroposophie in mein Leben eingeladen, wie z.B. die Misteltherapie.

Annette: Wie geht es dir heute?

Carmen: Heute, nach etwa sieben Jahren bin ich Gott sei Dank immer noch frei von Krebs! Viele der o.g. naturheilkundlichen Ergänzungen unterstützen mich jeden Tag. Wenn man mit Yoga lebt, dann lernt man automatisch, sich mit den Begebenheiten des Lebens auseinanderzusetzen. Und mit den alltagstauglichen Methoden des Ayurveda wird alles rund und sogar leicht zu verstehen.

Und wie geht es mir heute? Während eines Persönlichkeits-Coachings, welches ich für ein ganzes Jahr gebucht hatte, erlernte ich noch die großartige Möglichkeit des Mindsets, wie wir es heute nennen. Ich nenne es: „Das Denken lenken“. Und all das zusammen, Ayurveda, Yoga, meine gelebte Spiritualität sowie das Mindset, sind mein Königsweg oder noch besser: mein Königinnenweg! Mir geht es sehr gut damit!

Und wie es mir noch geht, darf ich auch berichten, oder? Ich habe oft Gelenkschmerzen, bin nicht mehr so belastbar wie früher (weder körperlich noch geistig), bin viel zu früh in die Wechseljahre gerutscht, manchmal glaube ich, dass ich hochsensibel geworden bin, feinfühliger, eine Polyneuropathie habe ich, knackende Gelenke, … reicht.

Zudem kam in der Kapelle des Krankenhauses, in dem ich damals einige Zeit verbringen musste, kam Gott in mein Leben. Aber das ist eine zusätzliche Geschichte (lacht).

Aber weißt du was, liebe Annette, ich mag mein Leben, so wie es jetzt ist. Ich lebe mein Leben – mir geht es wirklich gut!

Annette: Du machst schon seit mehr als zehn Jahren Yoga und hast, wie ich gelesen habe, kurz nach deiner Brustkrebsdiagnose deine Yogalehrerinnenprüfung gemacht. Würdest du sagen, dass dir Yoga beim Meistern deiner Krebserfahrung geholfen hat?

Carmen: Ja, unbedingt! Das mit dem Yogaweg hatte ich oben schon angedeutet.

Wenn ich sterbe, dann als Yoga-Lehrerin“, das habe ich damals gesagt. Und so bin ich nach einer Nasen-Wechsel-Atmung auf dem Parkplatz (das ist eine besondere Atemtechnik im Yoga) zur Prüfung gegangen und habe schließlich nicht nur souverän, sondern auch mit Bravour bestanden.

Ich liebe Yoga! Auch wenn ich selbst keinen Kopfstand kann und nach acht Sonnengrüßen an mein Limit komme. Und das ist es: Man muss im Leben nicht alles können, man bekommt mit Yoga seine Grenzen aufgezeigt. Yoga deckt auf, was ist – zeigt dir, was gerade los ist.  Yoga ist eine Lebenseinstellung, Köperarbeit, Atmen und ganz viel Philosophie. Und ich denke gern (lacht).

So habe ich Yoga immer in meinem persönlichen Alltag praktiziert und habe (bis meine Kräfte mich vorübergehend verlassen hatten) auch mit meiner wunderschönen Chemo-Glatze meine großartigen Yogagruppen unterrichtet. Das war eine sehr heilsame Zeit für mich. Yoga mit Glatze. Die meisten Teilnehmer*innen kommen noch heute zum Yogaunterricht. Dafür bin ich unendlich dankbar!

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Carmen mit Glatze

Annette: Ich jogge, schwimme, mountainbike, liebe den Crosstrainer im Fitnessstudio. Aber auf dem Gebiet des Yoga bin ich absoluter Laie. Aber immer wieder lese ich, dass es für mich als Brustkrebspatientin absolut empfehlenswert wäre.  Würdest du mir – und anderen Frauen mit oder nach Brustkrebs – dazu raten und wenn ja: Welchen Nutzwert hätte ich dadurch?

Carmen: Yoga zu üben ist immer einen Versuch wert! Zu unterscheiden ist natürlich, ob du gerade erkrankt bist und dich in einer Akuttherapie befindets. Oder ob du wieder gesund bist. Und auch hier gibt es gravierende Unterschiede. Ich kenne Frauen nach Brustkrebs, die fast keinerlei Einschränkungen haben und ihr Leben fast genauso weiterführen wie vor der Erkrankung. Ich kenne auch die Frauen mit den massiven Einschränkungen, die die komplexen Therapieverläufe oftmals mit sich bringen. Es macht sicherlich einen Unterschied, ob Frau eine Chemo und auch welche Art von Chemotherapie erhalten hat (Nebenwirkungen und Langzeit-, oder Spätfolgen). Wurde sie Brust erhaltend operiert, welche Beschwerden liegen aktuell vor? Wurde sie bestrahlt? Gibt es Narben usw.? Bist du eher ein hibbeliges Wesen und leidest unter Schlafstörungen? Oder bist du erschöpft, hast vielleicht das Fatigue-Syndrom oder Depressionen? Lagerst du Wasser ein (Lymphödeme) und, und, und?

Die Liste der Beschwerden oder Gründe, Yoga auszuprobieren ist lang – die Möglichkeiten und Einsatzbereiche, wie Yoga helfen und unterstützen kann, ist glücklicherweise ebenso lang.

Ich empfehle zunächst, sich erst einmal schlau zu machen, wer welche Art von Yoga anbietet, um zu schauen, was einen überhaupt anspricht. Braucht es einen „normalen“ Yogakurs oder lieber einen gezielten, onkologisch ausgerichteten Kurs? Braucht es einen Kurs / eine Gruppe oder besser die gezielte und persönliche Privatstunde im Einzelunterricht? Yoga ist so umfangreich und individuell – selbst die Lehrperson und die Räumlichkeiten müssen einem doch willkommen sein, stimmt‘s?

Welchen Nutzwert hättest du also von Yoga? Du kannst dir gezielt aussuchen, welchen Nutzen du erreichen möchtest. Yoga tut immer gut, versprochen! Und Yoga stärkt nachweislich das Immunsystem – der beste Nutzen als Krebsprophylaxe.

Annette: Du hast eine Ausbildung ins Leben gerufen: Holistischer Cancer Care Coach. Für wen ist diese Ausbildung gedacht und was verbirgt sich dahinter?

Carmen: Die Ausbildung „Holistischer Cancer Care Coach“ richtet sich an Menschen, die ggf. schon als Coach arbeiten, an Therapeuten, Yogalehrer*innen, die ein USP erlangen möchten, an Quereinsteiger*innen und auch an die Frauen, die den Krebs selbst erfahren haben. In dieser Ausbildung kommen über 25 Jahre meiner Berufserfahrung zusammen aus: staatlich anerkannter medizinischer Grundausbildung, Yoga- und Meditationslehre, Ayurvedawissen aus Ernährung, Detox und Massagetherapie, gelebte Spiritualität und dem Basiswissen eines weltweit erfolgreichen Mindset-Programms.

Annette: Ein Zitat von dir ist: „Ich lege mein Leben in Gottes Hände – und ganz viel liegt in meiner eigenen Kraft.“ Dieser Gedanke gefällt mir sehr gut. Woher kommt deine Zuversicht? Wie kann ich, können andere Frauen, es schaffen, auch so sicher zu werden/sein?

Carmen: Dass das Leben kein Ponyhof ist, habe ich spätestens mit meiner Krebserfahrung erkannt. Als Jugendliche hatte ich ein Pferd, um das ich mich schließlich nicht ausreichend gekümmert habe. Dann wurde es wieder verkauft und ich hadere manchmal immer noch mit dieser Entscheidung. Die Entscheidung, ein Pferd erst gekauft und dann wieder verkauft zu haben. Heute weiß ich, dass ich Pferde zwar unglaublich liebe, ich aber nicht die erforderliche Disziplin hatte, solch ein wunderbares Wesen auch zu versorgen.

Ich glaube, dass wir im Leben eine Aufgabe haben – im Yoga nennen wir es Dharma – die Lebensbestimmung. Seit meiner Krebserkrankung lese ich fast täglich in der Bibel. Diese Schrift gibt mir unglaublich viel Halt im Alltag. Die Bibel ist für mich das Buch der Bücher. Lebensweisheit pur! Auch die Philosophien von Ayurveda und Yoga lehren es, die individuellen Potentiale zu erkennen, um sie dann adäquat umsetzen und leben zu können. Gott (oder die universelle Kraft) hat einen Plan für mich. Ich vertraue diesem Lebensplan so unglaublich – ich vertraue darauf, dass das Leben es gut mit mir meint.

Und ich beschäftige mich auch mit der eigenen Vergänglichkeit. Ich würde gerne sehr alt werden, an Weisheit gewinnen und gesund bleiben. Durch die o.g. Methoden habe ich sehr viel Potenzial, meine Lebenszeit „gesund“ selbst zu gestalten. Dass mein Leben endlich ist, ich es bis dahin wertvoll leben möchte – dass ist mein Vertrauen in Gott.

Annette: Du bietest Meditationen an. Auf deiner Homepage schreibst du, dass sie mich zu meinem „heilen inneren Anker“ führen? Was soll das sein?

Carmen: Oh, ich vermute, dass könnte Thema für ein weiteres Interview werden.

Beim Lesen meiner Zeilen erahnst du vielleicht, dass du eine ganz individuelle Persönlichkeit hast. Niemand ist genauso wie du. Im Üben von Mediation lernen wir, dieses individuelle ICH zu erkennen, es zu schätzen, pflegen, zu lieben und zu leben. Sei du, finde es, es wartet auf dich und ist schon da. Es wird sich lohnen. Es macht stark und fördert die eigene Resilienz!

Annette: Ich gestehe, noch nie meditiert zu haben. Gibt es eine Art Meditier-Einstiegsübung, die ich einfach mal zu Hause ausprobieren kann?

Carmen: Meditation wird zu oft mit dem Sitzen auf einem Meditationskissen gleichgesetzt. Das ist das, was ich als Meditationslehrerin in meinen Kursen lehre. Meditieren heißt so viel wie: Innehalten, sich besinnen, schauen, lauschen, das Außen leiser und die innere Stimme hörbarer werden lassen, Antworten finden. Ich vermute stark, dass du solche Momente auch schon erlebt hast: beim Joggen, Mountainbiken, auf dem Crosstrainer oder einfach beim Kartoffelschälen.

Annette: Hast du sonst einen Tipp, wie ich – quirliges, viel sprechendes, aufgewecktes Wesen – eine Art meditatives Ritual in meinen wuseligen Alltag etablieren könnte?

Carmen: Vielleicht magst du neben dem Sprechen auch das Hören von Musik und kannst dir vorstellen mitzusingen? Dann könntest du zu einer bestimmten Tageszeit ein ätherisches Lieblingsöl duften lassen, oder eine Kerze anzünden, ein Musikstück laufen lassen und den Text mitsingen. Es sollte ein Lied sein, welches dir gute Laune bereitet, weil es dir Ruhe, Kraft und Zuversicht schenkt. Ich mache das sehr gerne mit einem Mantra, welches in wunderschöne Musik eingebettet ist. Mantras mit Musik und Text findest du bei den gängigen Musikanbietern im Netz.

Es muss kein Mantra sein, es ist das Lied, auf das du dich für diesen Moment ganz einlässt, um das Außen mal draußen zu lassen.

Annette: Ich war noch nicht auf Reha. Aber ich würde gern mal ein paar Tage für mich allein irgendwo hinfahren. Ich habe von deinen Retreats gelesen. Was hat es damit auf sich? Für wen sind diese gedacht?

Carmen: Ein Retreat ist eben dieser Rückzug aus dem Alltag. Mal alles hinter sich lassen. Eine bewusste Auszeit. Das kann ein halber Tag oder eine ganze Woche und mehr sein. Meine Retreats sind Themen bezogen. Manchmal nur raus aus dem Alltag, mit viel Yoga. Manchmal um zu Chanten (das Singen der o.g. Mantras) oder verschieden Meditationswege zu erfahren. In Zukunft möchte ich auch gerne Retreats für Menschen nach einer Krebserfahrung anbieten. Und gerne auch für die Absolventen meiner neuen Ausbildung zum Holistischen Cancer Care Coach. Das wird ein Fest!

Vielleicht sehen wir uns dann, ich würde mich sehr freuen!

Danke für die Einladung, liebe Annette, mich hier mitteilen zu dürfen, es sind tolle Fragen! Herzlichen Dank für das Mitlesen.

Ich wünsche allen Leser*innen gute Gesundheit und Gottes Segen. Namsasté.

Eure Carmen Wettig

Annette: Liebe Carmen, hab vielen Dank für deine offenen und so bereichernden Antworten auf meine Fragen. Alles Gute für dich und deine Projekte!

 

Mehr über Carmen könnt ihr hier erfahren:

Auf Carmens Website findet ihr sämtliche Infos zur Ausbildung „Holistischer Cancer Care Coach“, Yogastunden / Seminare sowie die Termine für Yoga-Retreats:

https://go.carmen-wettig.de/

https://www.carmen-wettig.de/das-bin-ich/

Kontakt: mail@carmen-wettig.de

Hier geht´s zu den anderen Interviews aus der Reihe “Annette fragt.”

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