Erleichterung vs. Belastung
Annette fragt… Alu Kitzerow
Stell dir vor, du bist preisgekrönte und sehr bekannte Elternbloggerin. Bis zu 250 000 Leser*innen pro Monat begleiten dich, deinen Mann und eure drei Kinder durch euren Berliner Familienalltag. Und dann bekommst du eines Tages -zack! – eine Krebsdiagnose. Teilst du auch diesen Lebensmoment mit deiner Community?
Alu Kitzerow entschied sich dafür, ihre Krebserkrankung öffentlich zu machen. Aber auf einem zweiten Profil. Ihr erster Post, in dem sie zu einem Foto in goldenen Schuhen von sechs Schüssen in ihre Brust erzählt, ist mir bis heute in Erinnerung. Ebenso der Profilname “@danachdertag”, über dessen Bedeutung ich hin und her und her und hin grübelte.
Ich freue mich, dass ich Alu Kitzerow, Mutter, Bloggerin, Autorin und Zukunftsforscherin für ein Interview gewinnen konnte.
Wenn auch du wissen magst, was hinter Alus Profilnamen steckt, was Knautschbälle und Kohlrabi mit Alus Krebsdiagnose zu tun haben und überhaupt wie es ihr so geht in ihrem Leben zwischen Therapienebenwirkungen, Familie und Beruf, dann bleib auf ein paar Fragen und Antworten mit schnodderig-berlinerischen Einschlag hier auf meinem Blog.
Annette: Liebe Alu, in deinem ersten Instagrampost erzählst du zu einem Foto in goldenen Schuhen davon, dass man dir „sechs Mal in die Brust geschossen“ hat und benennst ein „seltsames Gefühl“ und eine „schmerzende Brust“. Das trifft auch ziemlich genau meine Erinnerung an den Tag meiner Biopsie…. Irgendwie fühlte ich damals auch, dass irgendwie was komisch war, als ich wegen einer vermeintlichen Zyste zur Abklärung weitergeschickt wurde und dann ein Stanzgerät mit einer Hohlnadel mit meiner Brust verbunden war.
Wie kam es bei dir zur Biopsie?
Alu: Ich war zur Mammographie im Brustzentrum, nachdem die Ärztin mich dorthin geschickt hat. Das Gefühl der Biopsie, vor allem der Lymphknoten war am Anfang für mich sehr schlimm. Ich habe geweint und wusste gar nicht was da gerade passiert.
Annette: Warum bist du damals eigentlich beim Arzt gewesen?
Alu: Ich war beim Frauenarzt, da ich im März einen Knubbel unter der Dusche gefunden habe. Leider fand der Arzttermin erst im Mai statt, da ich wegen der Kinder nicht gleich einen Termin wahrnehmen konnte. Anfang Juni war ich dann im Brustzentrum.
Annette: Ich war gerade kurz vorm 42. Geburtstag als die Diagnose kam, meine Jüngste war 2, mein Mittlerer 9, die Älteste 11. Bei dir war das ganz ähnlich, du warst 40, hast auch drei Kinder. Wie bist du, wie seid ihr als Eltern, damals vorgegangen, um den Kindern von deiner Erkrankung zu berichten?
Ich war gerade 40 geworden, als ich die Diagnose erhalten habe. Wahrscheinlich hätte ich sie auch schon mit 39 bekommen können, da mein Tumor über 5 cm groß war. Ich war aber einfach recht lange nicht bei der Vorsorge wegen Corona.
Bereits nach der Biopsie haben wir mit den großen Kindern darüber gesprochen, dass einige Untersuchungen anstehen. Wir haben ihnen dann von Anfang gesagt, was Sache ist und was das alles bedeutet. Meine großen Kindern kannten das Prozedere bereits von meiner Mutter, also ihrer Oma.
Annette: Du warst mir als Alu vom Blog „Große Köpfe“ schon vor deiner Erkrankung ein paarmal untergekommen. Denn du bloggst zusammen mit deinem Mann Konstantin (Konsti) auf dem Blog „Große Köpfe“ über eurer Leben mit drei Kindern in Berlin. Sehr ehrlich, sehr offen, sogar preisgekrönt (Goldener Blogger 2023).
Du hast dich dazu entschieden auf einem Zweitprofil über deine Krebserkrankung zu berichten. Dieser Account heißt „danachdertag“. In deinen Texten konnte ich keine schlüssige Antwort darauf finden, was genau hinter diesem Titel, den ich spannend finde, steckt. Ich stieß ich auf Filme, die diesen Titel tragen. Einer handelt vom Ausbruch eines Atomkriegs, einer von der Landung der Allierten in der Normandie. Auch gibt es ein Bild von Edward Munch mit diesem Titel. Eine Frau liegt nach augenscheinlich durchzechter Nacht schlafend auf ihrem Bett. Hm… Irgendwie kann ich das alles mit zerstörerischen Krebs, Chemo und so in Verbindung bringen.
Aber irgendwie glaub ich, dass du etwas anderes damit meinst… Kannst du mir auf die Sprünge helfen?
Alu: Als ich die gesicherte Diagnose Brustkrebs erhielt, habe ich lange überlegt, wie und ob ich damit öffentlich umgehe. Unser Blog hat eine große Reichweite, teilweise lesen ihn bis zu 250.000 Menschen pro Monat. Wir sind in der Elternblog- Szene gut vernetzt und bekannt.
Das zweite Profil ist aus dem Wunsch heraus entstanden, dass dieser Abschnitt Krebs nicht eine zentrale Rolle auf unserem Familienprofil sein soll. Neben der Krebspatientin bin ich Mutter, Zukunftsforscherin und Autorin. Der Krebs sollte das Profil von Konsti und mir nicht überschwemmen.
Und der Name war einfach eine Eingebung. Ich habe weder recherchiert oder irgendwas. Es war einfach ein Gefühl. Das Gefühl, dass am Tag danach, also “DanachderTag”, nach der Diagnose, nach jeder Chemo, nach jedem Eingriff sich nichts mehr wie vorher anfühlt.
Meine Leichtigkeit, meine Unbedarftheit, ja vielleicht meine Unschuld ist verloren gegangen.
Für mich ist “der Tag danach”, also “Danach der Tag” ein Prozess, der durch meine Krebserkrankung eingetreten ist. Ein Weg, auf dem ich bin und der oft schmerzt, mich an Grenzen bringt und mich auch weiterbringt.
Annette: Alu, was ich an deinen Texten, deinen Stories, an dir und deinem Profil, sehr mag ist deine absolute Ehrlichkeit. Du beschönigst nichts. Du bringst es auf den Punkt: Krebs ist scheiße. Eine Krebsdiagnose ist Pech, kein Karma, kein Wink des Schicksals. Ich denke, ich spreche im Namen vieler Betroffener, wenn ich sage, dass es genau das ist, was Mut macht, und Kraft gibt! An dieser Stelle kommt keine Frage… Einfach ein dickes Danke dir dafür!!
Meine Kinder und ich haben seit Jahren ein Ritual, und zwar notiere ich am Abend vorm Schlafengehen die drei Glücksmomente der Kinder in einem Heft. So gehen diese mit dem Gefühl, dass auch an einem miesen Tag voller Streit, Schulfrust und schlechtem Wetter irgendetwas schön war, ins Du postest in deiner Instagramstory täglich drei schöne Dinge deines Tages. Wie kamst du auf diese Idee? Was bezweckst du damit für dich (und vielleicht auch für andere?)?
Alu: Ich habe lange überlegt, wie ich die vielen schönen kleinen Dinge festhalten kann und na ja, das einfachste waren drei schöne Dinge am Tag. Mögen sie auch noch so klein sein, sie helfen mir, den Tag in einem besseren Licht zu sehen.
Seitdem ich das mache, haben immer mehr Menschen mir ihre Sachen zugeschickt. Ich habe dann den Sticker in meine Story eingebaut und nun machen jeden Tag ca. 10 Leute mit, wie schön ist das!
Annette: In einem Post erzählst du, dass du eigentlich schon dein ganzes Leben lang mit Krebs lebst. Deine Oma hatte Krebs. Deine Mutter auch. Du hast untersuchen lassen, ob ein genetischer Krebs dahintersteckt. Wie geht es dir mit der vorhandenen Wahrscheinlichkeit, dass auch deine Töchter davon betroffen sein könnten?
Alu: Die Wahrscheinlichkeit, betroffen zu sein, ist relativ hoch, ja, da unser Krebs genetisch ist. Nun ja, wie geht es einem als Mutter damit? Nicht gut! Ich möchte meine Kinder (chek2 ist nicht rein weiblich) beschützen und werde sie testen lassen, wenn sie 18 Jahre alt sind, wenn sie das möchten!
Vorsorge gibt es ja nicht, aber Früherkennung wäre wahrscheinlich hilfreich.
Annette: Ich durchlief brav meine Therapien und kam mit einem blauen Auge bzw. jahrelangen Schluckens von Tamoxifen aus meiner Krebserkrankung raus. Mir geht es drei Jahre nach der Diagnose körperlich sehr gut. Ich komme mit den Anforderungen zwischen Beruf, Famiie, Partnerschaft und Haushalt gut klar.
Bei dir hingegen kam durch einen überraschenden Fund eines zweiten hormonellen Tumors sowie der Diagnose einer Niereninsuffizienz noch Erkrankungen hinzu. Du nimmst Medikamente, die dich ziemlich beuteln.
Wie bekommst du, wie bekommt ihr als Familie, den Alltag auf die Reihe?
Alu: Derzeit nicht gut. Ich bin gerade wieder krankgeschrieben und kämpf mich so durch. Die vielen Medikamente sind hart und ich habe ordentlich zu tun.
Der Krebs ist weg, aber darf eben nicht zurückkommen. Dafür nehme ich die Verzenios Therapie für zwei Jahre, mache eine 10-jährige Antihormontherapie und nehme eben leider noch durch meine Nebenniereninsuffienz viele Medikamente, um den täglichen Alltag zu schaffen.
Annette: Müssen deine Kinder mehr helfen, habt ihr eine Haushaltshilfe oder ist dein Mann gefordert?
Alu: Mein Mann und ich teilen schon immer 50/50, das war uns von Anfang an wichtig. Daher ist er mehr gefordert als sonst, aber das Leben funktioniert in Wellen und es gab auch Phasen, da war ich mehr gefordert. In guten und in schlechten Zeiten, nicht wahr?
Wir haben über einen Pflegegrad eine Haushaltshilfe für 2 Stunden die Woche, das hilft auch sehr.
Annette: Und was hat es mit der „Familienzeit“ auf sich, von der du mal berichtet hast?
Alu: Die Familienzeit der Berliner Krebsgesellschaft ist ein Angebot für Familien. Sie können dort einen Antrag für eine Unternehmung stellen für die ganze Familie. Die Krebsgesellschaft übernimmt die Kosten. Das Ganze funktioniert über Spenden und ist eine tolle Möglichkeit für erkrankte Familien.
Für uns war das nach langer Zeit mal eine Auszeit vom Alltag mit den Nebenwirkungen der ganzen Therapien.
Annette: Ich hab einen Blogtext über Musik während meiner Erkrankung geschrieben und eine Spotify-Playlist zu meiner Krebsreise erstellt. Auch du schreibst in einem Post über das Singen. Wenn du deine Krebserkrankung mit drei Songs untermalen müsstest, welche wären das bei dir?
Alu: Ich habe einige Lieder, die mich begleitet haben, aber ich möchte keine reinen Lieder haben, die ich damit so krass verbinde. Aber Nina Chupa zum Beispiel st schon ein Teil davon, weil sie so viel Kraft in ihre Lieder packt.
Generell singe ich oft, wenn ich Angst habe. Man kann nämlich keine Angst empfinden, wenn man singt, das ist bewiesen. Also immer schön trällern vor Nachsorgeterminen!
Annette: Ich bin nach meiner Erkrankung von der Low-Carberin zur Vegetariererin mit sehr, sehr wenig Brotmahlzeiten geworden. Ich würde sagen, ich esse“ etwas verpleent“. Auch bei dir ist die „gesunde, andere Ernährung bei Krebs“ ein wichtiges Thema. Was hast du geändert?
Alu: Ich habe meinen Milchkonsum sehr stark reduziert. Ich koche viel glutenfrei und mit weniger normalem Zucker. Ich koche fast immer frisch und weniger mit fertigen Sachen. Geholfen haben wir dabei das Buch von den Ernährungsdocs und auch die Bücher von Carolin Kotke.
Annette: Hast du ein Lieblingsgericht, das du seit der Erkrankung nicht mehr in deinem Speiseplan missen möchtest?
Alu: Ofengemüse liebe ich schon immer, aber jetzt auch mit Kohlrabi. Außerdem stehe ich seit der Erkrankung sehr auf Shashuka.
Annette: Du bist studierte Zukunftsforscherin. Ich hatte nach meiner Erkrankung zunächst große Schwierigkeiten damit, Pläne zu schmieden, Termine oder Urlaube Monate im Voraus zu planen. Ich hatte Angst vor der Zukunft, wie ich nicht wusste, ob mir viel Zukunft bevorsteht, weil der Krebs möglicherweise erneut zuschlägt. Mittlerweile bin ich etwas gelassener geworden und plane wieder in größeren zeitlichen Abständen.
Wie ist das bei dir? Kennst du solche Ängste? Wenn ja, wie gehst du damit um?
Alu: Als Zukunftsforscherin gibt es für mich immer mehrere Szenarien und mehrere Zukünfte. Dies war auch während der Erkrankung so und ist geblieben. Szenarien sind Zukunftsoptionen. Wenn man weiß, dass es mehrere Optionen gibt, dann kann man sich seine Zukunft gestalten, denn man hat immer die Wahl. So habe ich es auch während der Therapien gehandhabt und mache es noch immer.
Rückschläge oder Angst machen mir also etwas aus, sie bestimmen mich aber nicht. Denn ich weiß ja: Es gibt immer mehrere Optionen! Also ich kann meine Zukunft, die ich haben möchte und in der ich lebe, aktiv gestalten und das gibt mir ein großes Gefühl von Ermächtigung für mein eigenes Leben.
Ängste kenne ich trotzdem, aber ich sehe trotzdem eben immer mehrere Wege.
Annette: Ganz spontan… wie gehen diese Sätze für dich weiter?
Den größten Lacher während meiner Erkrankung hatte ich, … als ich die Implantate das erste Mal in der Hand gehalten habe…ich musste die ganze Zeit an Knautschbälle denken und grinsen.
Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte…hätte ich auf den Gentest bestanden.
Ein Learning aus den letzten beiden Jahren ist… mehr zu sagen, was ich NICHT mag und mir weniger gefallen zu lassen. Ich lerne gerade “NEIN” zu sagen, das ist hart und sehr lehrreich.
Annette: Alu, ich bedanke mich vielmals für deine Bereitschaft, dich meinen neugierigen Fragen zu stellen. Ich wünsche dir von ganzem Herzen alles, alles Gute für deinen weiteren Leben. Möge es lange sein. Möge es bunt sein. Möge es rocken.
Alu: Das wünsche ich dir auch!
Mehr über Alu findet ihr hier:
Alus Instagramprofil “Danachdertag
Ihr Facebookprofil
Artikel über den Blog-Award “Goldene Blogger 2023″
Alus Profil als Zukunftsforscherin
Alu zu Gast im AHA-Podcast “Wir alle streben nach Sicherheit, deshalb ist Ungewissheit so ein unangenehmes Gefühl”
Hier geht’s direkt zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”