Erleichterung vs. Belastung
Kann ich meinem Krebs eigentlich dankbar sein?
Dankbar sein über eine Krebserkrankung ist vermutlich nicht der richtige Ausdruck. Einen Tumor in sich zu tragen, eine Chemotherapie und/oder Antikörperbehandlungen zu benötigen und mit dem Wissen zu leben, nicht zu wissen, wohin die Erkrankung führen wird ist nichts, worüber man dankbar im gewohnten Sinne sein wird. Aber vielleicht geht es hier auch gar nicht um die Dankbarkeit per se für etwas, das geschehen ist oder man eben bekommen hat. Vielleicht sind es vielmehr die Veränderungen die geschehen und seien sie noch so schmerzhaft, die uns andere Denkmodelle, neue Sichtweisen ermöglichen. Vielleicht ist es plötzlich der Faktor Zeit, den wir anders nutzen und wir plötzlich noch nie dagewesene Erlebnisse erfahren, für die wir dann wiederum dankbar sind. Eine Krebserkrankung verändert, sie hat auch mich verändert. Besonders während der Chemotherapie musste ich mit einem Körper zurechtkommen, der mir nicht mehr gehorchte, wie ich es gewohnt war. Meine Psyche spielte mir Streiche und ich war plötzlich weniger gesellschaftsfähig als früher. Treffen mit Freundinnen genauso wie berufliche Termine mussten auf den Verlauf der Chemo abgestimmt werden und immer öfter kurzfristig verschoben werden. Da sieht man dann schnell, wer da noch mitmacht. Besonders im Freundeskreis. Wenn man plötzlich den Status „nur temporär gesellschaftsfähig“ hat, teilt sich die berühmte Spreu vom Weizen rasch. Die eigene Attraktivität für private Events ist bei mir sehr schnell drastisch gesunken. Ich war optisch nicht mehr herzeigbar, interessierte mich im Laufe meines 3-Wochen-Chemo-Zyklus nur zeitweise für Themen außerhalb meiner Krebs-Welt (sofern ich mir überhaupt gemerkt hatte, welches Thema schon angesprochen worden war und welches nicht) und ich war gezwungen, plötzlich und ganz spontan alles Vereinbarte abzusagen. Begründung: ich war heute im Supermarkt und habe 2 Telefonate geführt, mehr geht einfach nicht mehr. Schwer vorstellbar für die gesunden Mitmenschen, dass allein die Überlegung ein Glas Wasser aus der Küche zu holen, an Komplexität nicht zu überbieten war und wirklich lange und gut vorbereitet werden musste. Der Akt des Wasser holens danach….Holla, die Waldfee!
Aber ich habe die Chance bekommen, viel differenzierter in der Wahl meiner Freunde zu werden. Auch sehr nachhaltig gesprochen. Denn wer hat schon große Lust, ständig ein Treffen abgesagt zu bekommen? Und wem macht es schon Spaß, den Schatten meiner früheren Persönlichkeit alle 3 Wochen aus dem Krankenhaus abzuholen und nach Hause zu begleiten, mitten an einem Montag Nachmittag? Wer hört sich denn schon zum x-ten Mal die immer wieder gleiche Leier über die Auswirkungen der Chemotherapie an? Mir hat sich da recht bald gezeigt, wer tatsächliche Freunde sind und in meinem Leben bleiben dürfen. Denn was mir die Krebserkrankung mitgegeben hat, ist darauf zu achten, dass ich mich immer weniger mit belanglosen Themen, nicht gefühlsbetonten Menschen beschäftigen und umgeben möchte. Ich bin schneller mit Entscheidungen, wenn mir mein Bauch sagt, dass mir etwas nicht gut tut. Ich möchte keine Zeit mehr verschwenden für Dinge oder Personen, die mich nicht weiterbringen. Vielleicht bin ich strikter geworden, prinzipientreuer. Natürlich geht das nicht immer und überall, und ich kann auch nicht jedem, den ich nicht mag ins Gesicht spucken. Aber ich kann mir genauer überlegen, ob ich mich mit Energieräubern umgeben möchte oder nicht. Letztlich ist es immer unsere Entscheidung, wie wir unser Leben verbringen und vor allem auch mit wem. Das Leben ist jedenfalls zu kurz für später oder irgendwann. Und da darf man schon mal genauer sein, aussortieren und gute Energien um sich sammeln. Denn wir selbst sind es, die Krebs hatten oder haben, wir haben gelernt mit der Diagnose umzugehen und wir leben unser eigenes Leben mit Krebs. Nicht die anderen. Darauf gilt es zu achten, mit allem Respekt und der größten Wertschätzung – vor allem uns selbst gegenüber!