Erleichterung vs. Belastung
Die Zukunftskonferenz
eine Methode für den Start ins (berufliche?) Leben nach der Krebsbehandlung
Hallo liebe Leser_innen bei Kurvenkratzer / Influcancer,
Manchmal schreibe ich für meinen Blog ziemlich direkt einen Beitrag zu etwas, das mich aktuell beschäftigt. Und manchmal kommt mir etwas wieder in Gedanken, das schon lange zurück liegt, ich aber noch nie aufgeschrieben habe. Dieser Artikel beschreibt eine Idee, die ich vor über drei Jahren umgesetzt hatte, nämlich meine eigene Zukunftskonferenz zu veranstalten.
Was war das und wie kam ich auf die Idee?
Ich bin ja von meinem Grundberuf Sozialarbeiter und da ist es in manchen Bereichen üblich eine sogenannte Helfer*innenkonferenz einzuberufen. Wenn es z.B. in einer Familie Gewalt gibt, und mehrere Stellen beteiligt sind, dann können z.B. die erwachsenen Familienmitglieder, die Sozialarbeiter_in des Jugendamts/ Schule/ Kindergarten/ Gewaltschutzeinrichtung/ Männerberatung usw. an einen Tisch zusammen kommen, um gemeinsam zu überlegen, was in dieser Krisensituation getan werden kann. Es geht darum, dass alle Beteiligten am „Fall“ zusammenkommen und gemeinsam überlegen, ob und wie die Familie /Kinder, um die es geht, unterstützt werden kann, um beispielsweise das Kindeswohl zu sichern und eine Abnahme zu verhindern.
Die Praxis wurde in Neuseeland weiterentwickelt. Neuseeland ist ja ein interessantes Beispiel, auch in diesen Zeiten von blacklivesmatter und der Diskussion um strukturellen Rassismus und weiße Vorherrschaft. Während in Australien, den USA und Kanada, indigene Menschen oft sehr gewaltsam unterdrückt und strukturell benachteiligt wurden, lief es in Neuseeland etwas anders, da sich die indigene Bevölkerung der Maori, auch sehr erfolgreich gegen die englischen Kolonisator_innen wehrten. Es gibt dort infolge dessen eher eine Kultur der Wertschätzung. Spannend für mich war, dass auch in der Sozialen Arbeit dies dazu führte, dass diese Praxis der Helferkonferenz adaptiert wurde, um die kulturellen Besonderheiten der Maori zu respektieren.
Es wurde dort zur allgemeinen Praxis bei Fragen und Unsicherheit bezogen auf den Kinderschutz, das ganze Familiäre und erweiterte System eines Kindes oder Jugendlichen zu einer „Familienkonferenz“ einzuladen, also auch Freund_innen, Tanten & Onkel, Personen aus der Gemeinschaft oder wer auch immer für das betroffene Kind wichtig ist.
Dies funktionierte so gut, dass das Jugendamt diese Praxis auch für weiße / eingewanderte europäische Menschen übernommen hat, da sich zeigte, dass die Gemeinschaft so viele Ressourcen verfügt und „Probleme“ einer einzelnen Person oder Familie, immer in einem sozialen Kontext eingebettet sind, und die Lösung deswegen auch immer dort liegt.
So dachte ich mir etwa 1 ½ Jahre nach Ende meiner Chemotherapie, in einer Zeit, als ich mich langsam wieder fitter fühlte und fragte, was ich denn nun mit meinem Leben weitermachen kann/soll/will, doch auch eine Konferenz einberufen kann, nur halt für mich selber und auf die Frage bezogen, was ich beruflich nach der Berufsunfähigkeitspension/ Erwerbsunfähigkeitsrente denn machen möchte.
Lukas erste Zukunftskonferenz – Was (beruflich) tun mit meiner Krebserfahrung?
Ich habe also circa 15 meiner engen Freund_innen und Menschen, die wie ich, im Sozialbereich tätig sind mit einer E-Mail eingeladen an einem Freitag Nachmittag für zwei Stunden zu mir auf Besuch zu kommen, um gemeinsam zu überlegen, was mir denn jetzt helfen könnte.
Schon allein so eine offizielle Einladung zu schreiben und zu formulieren hat in mir einen Prozess der Reflexion ausgelöst. Ich dacht viel darüber nach, wie hospitalisiert ich nach einem Jahr im Krankenhaus und nun mehr als zwei Jahren Pause vom Arbeitsleben war. Ich merkte, dass wieder arbeiten zu gehen, bei mir doch einiges an Nervosität auslöste. Ich fragte mich, ob ich wieder in die Soziale Arbeit zurückgehen wollte, oder mich nach anderen Optionen umsehen sollte. Ich wusste, dass ich schreiben will, da ich auch schon an Texten für meinen Blog begonnen hatte und jedenfalls Ressourcen haben wollte, dies weiterzumachen.
Emotional war bei mir also eine wilde Mischung aus Zuversicht, Neugierde, Tatendrang, Ideen, und Ängsten, Stress und Unsicherheit vorhanden.
Jedenfalls war es dann tatsächlich neun Menschen möglich zu mir zu kommen und als ich meine „Konferenz“ offiziell eröffnete und alle bei mir im Wohnzimmer im Kreis saßen und mich gespannt und neugierig ansahen, kam ich dann sogar richtig ins Schwitzen und wurde nervös. Ich erzählte von meinen Gefühlen, den krassen Erfahrungen und Unsicherheiten bezüglich meiner Zukunft.
Dann habe ich einfach in die Runde gefragt, was denn für Gedanken dazu da sind und ein paar Leute haben ihre Impulse mit mir geteilt. Eine Freundin hat dann vorgeschlagen, zu moderieren und die Gedanken zu sammeln und auf einem Plakat festzuhalten. Es war dann ein bisschen so, wie ein Coaching. Wir haben gesammelt, was ich denn aus dieser Erfahrung Krebs zu überleben für Qualifikationen, Werte und Kompetenzen, aber auch für Bedürfnisse mitgenommen habe. Ich habe erkannt, dass ich mir große Sorgen, um meinen Energiehaushalt mache, und unsicher bin, wie ich mit den Belastungen und Anforderungen in einem Job umgehen können werde. Ich habe ganz klar erkannt, dass ich Schreiben möchte, und genug Energie und Zeit dafür übrig sein soll. Ich habe erkannt, dass es mir nicht so wichtig ist,in welcher „Branche“ mein neuer Job ist, aber dass ich mit meiner Erfahrung und Geschichte offen umgehen möchte, und die Krebserfahrung nicht als Manko verstecken will.
Wir haben viele Ideen gesammelt und am Ende kam noch der Vorschlag,dass ich doch zu den eingeladenen Menschen in die Arbeit vorbeikommen könnte, auf Besuch quasi und sie mir von ihrem Feld und Organisation Einblick geben können, damit ich verschiedene Eindrücke zum Vergleich hatte. Das war eine super Idee, und ich habe dann tatsächlich in den nächsten Wochen auch ein paar Menschen besucht.
Gegen Ende hat meine liebe Freundin Emine, dann noch ein Kartenset mitgebracht, dass sie aus dem Coaching Bereich kennt. Darauf sind Symbole und Wörter abgebildet, die Fähigkeiten, positive Eigenschaften und Kompetenzen darstellen.Sie bat dann alle Anwesenden zwei Karten zu ziehen, die auf mich zutrafen, vorzustellen und kurz etwas dazu zu sagen, warum diese Karte gewählt wurde. Die Karten haben wir dann in die Mitte des Raums gelegt, und so ist auch das Photo für diesen Beitrag entstanden.
Ich war sehr berührt von den vielen positiven Rückmeldungen zu meiner Person. Es ist natürlich total stärkend so Feedback zu bekommen, zumal so auch klar wurde, was ich durch das Überstehen der Erkrankung für Ressourcen mitbringe, die ich auch in der psychosozialen Arbeit einsetzen kann.Ebenso kam mehrmals, dass ich gut sprechen, erklären, präsentieren und so weiter kann und das motivierte mich auch an meiner Blogidee zu arbeiten.
Wiedermal die Erkenntnis: Gemeinschaft ist heilsam
An einigen anderen Stellen meines Blogs healingwithlukas, habe ich schon zu der Bedeutung von Gemeinschaft und Heilung geschrieben. Es gibt auch gar nicht wenige Untersuchungen, die eine starke Korrelation zwischen Langzeit-überleben bei Krebs und dem Ausmaß eines unterstützenden sozialen Umfeldes festgestellt haben. Ich habe es zu diesem Zeitpunkt mit der Frage, was ich beruflich nach der Arbeitsunfähigkeit machen will. Aber natürlich könnte man so eine Runde auch einberufen, für ganz andere Fragen.
Wenn ich diese Konferenz nochmal machen würde, würde ich von Anfang an eine Person bitten, die Begrüßung und Moderation zu übernehmen, da ich anfangs etwas in einer Doppelrolle war und das bisschen stressig empfand, aber sonst war es echt gelungen. Es war einfach schon allein heilsam, dass sich Menschen Zeit für mich genommen haben, meine Ängste und Verunsicherungen ernst nahmen und einfach bereit waren, sich auf diese Situation einzulassen.
- Was denkst ihr dazu?
- Wie habt ihr Unterstützung von Eurem Umfeld erfahren?
- (Wenn du „geheilt“ oder in Nachsorge bist) Wie geht es dir mit Gedanken um Wiedereinstieg in den Beruf, oder wie lief das?
Für mehr Texte zu meiner Erfahrung, besuch’ gern meine Webseite www.healingwithlukas.com!
Lukas