Erleichterung vs. Belastung
Poetry der Remission
In der Zeit der Remission angekommen, ist das Ziel noch ziemlich verschwommen. Der Lebensfrühling nach der Chemo habe ich genossen und mitgenommen, nun aber heißt es im nächsten Kapitel des Lebenskarussells, anzukommen.
Vorsichtig gehe ich Schritt für Schritt weiter und mache dabei einen emotionalen Spagat zwischen bewölkt und heiter. Auch wenn die Ärzte sagen, dass sie bekämpft sind – die Krebsverbreiter, braucht es Zeit daran zu glauben, dass es nun immer weiter geht, ohne die gefürchteten Begleiter.
Angetrieben sich im Job neu zu profilieren, mein Äußeres aufzupolieren und dabei den alltäglichen Wahnsinn zu jonglieren, plätschert nebenbei die Frage nach der nächsten Nachsorge herbei.
Mit dieser Spezifikation befasst sich das Leben in Remission und abgelenkt von Job, Haushalt und manch Inspiration – fühlt sich es manchmal an wie ein Halbmarathon.
Heilen lässt sich der Krebs mit Glück, jedoch lässt er eine Narbe auf der Seele zurück.
Es ist so viel und doch zu wenig, so intensiv und abenteuerlich – das Maß der Dinge, zu erkennen fällt manchmal schwer – offensichtlich. Auf der Überholspur meldet sich das Gewissen und ich fühle mich zerrissen – doch worauf warten, die Gelegenheit möchte ich nicht missen.
Im Wechsel der Gefühle auf dem Weg zu neuen Zielen, wünsche ich mir immer wieder die Genesung durch Ärzte bewiesen. Ein Rezidiv würde mich dabei kalt erwischen und mir meine Träume vermiesen.
Nur das Schicksal bestimmt was uns gewährt und bei der Frage nach der optimalen Lebens-Navigation bin ich selbst die Strengste auf der Suche nach der Fehlfunktion. Mögliche Folgen davon wären eine Stammzellentransplantation und damit verbunden eine völlige Isolation – keine schöne Situation.
Mein ganzes Herz und meine Seele sind auf Leben eingestellt, doch ich will mich nicht verbiegen, will mein Inneres in Einklang mit dem Außen kriegen. Darum möchte ich das Gespräch über diese Krankheit forcieren und auch Gesunde mit dem Thema konfrontieren.
Helfen dabei kann auf beiden Seiten Ruhe und Gelassenheit, doch die zu besitzen ist keine Selbstverständlichkeit.
Also lasst uns weiter daran arbeiten und glauben, dass wir schon richtig an der Lebensmutter schrauben.
©Sandra Polli Holstein
Leben in Remission
Jetzt, wo das Leben um mich herum wieder seinen alten Lauf aufnimmt, passiert es schon mal, dass ich mich orientierungslos und verloren fühle.
Das Umfeld versteht das oftmals nicht und wundert sich, warum ich „jetzt, wo ich den Krebs überstanden habe“, nicht mit einem Dauerlächeln durch die Welt gehe. Doch auch wenn der Krebs weg ist, hat die Seele ihren eigenen Weg, die Wunden heilen zu lassen. Für viele Betroffene ist deshalb, auch nach der Akuttherapie, trotzdem nicht alles vorüber.
Seit Ende Sommer 2018 befinde ich mich in Remission. Doch was versteht man unter einer Remission?Die Erläuterung der Deutschen Krebshilfe dazu lautet: „Das Nachlassen chronischer Krankheitszeichen; eine Remission ist aber nicht zwingend mit Heilung gleichzusetzen. Die klinische Terminologie unterscheidet darüber hinaus zwischen Voll- und Teilremission (partielle Remission). Im ersten Fall sind sämtliche Krankheitszeichen verschwunden, Blutbild und Knochenmark weisen normale Werte auf. Bei einer Teilremission sind diese Anzeichen lediglich verbessert.“ (https://www.krebshilfe.de/informieren/ueber-krebs/lexikon/r/)
Das Vertrauen in den eigenen Körper ist gerade in der Anfangszeit noch sensibel und so können auch andere Ereignisse, wie der Tod eines uns bekannten Krebspatienten, eine Erkrankung eines Familienmitgliedes oder eine Krise, wie die Pandemie, die Erinnerung an unseren Schicksalsschlag wieder an die Oberfläche kommen lassen.
Wenn das neu gewonnene Leben aus den Fugen gerät
Jeder Mensch geht im Leben bestimmten Zielen und Wünschen nach – vielleicht einer großartigen Karriere, auf lange Reisen zu gehen oder einfach glücklich zu sein. Ziele sind ein gutes Mittel, um sich zu orientieren und um nicht vom geplanten Weg abzukommen. Nur, wer sich Ziele setzt, sie konstant verfolgt, kann diese auch erreichen.
Kurz bevor Corona über Deutschland hereinbrach, erreichte ich mit meinem Sohn das Urlaubsziel Madeira. Am Abend der Anreise bebte plötzlich die Erde, die Wände wackelten und wir erlebten mit einer 5,4 eines der stärksten Erdbeben dieser Region. Was wohl das jemals stärkste, gemessene Erdbeben der Welt war? Die Frage beantwortete mir eine große Suchmaschine: 1960 gab es in Chile ein Megathrust-Erdbeben mit einer 9,5 auf der Richterskala. Wenn die Welt erschüttert wird, auf welche Art auch immer, können wir nicht immer alles beeinflussen, doch manche Entscheidung, die intuitiv und ohne die Möglichkeit, lange darüber nachzudenken, gefällt werden muss, kann ein Leben verändern.
Schon in den ersten Tagen nach unserem „bewegten“ Urlaub braut sich etwas zusammen, wovon wir uns lange nicht erholen. Die Stimme der Ärztin klingt noch in meinen Ohren: „Wir müssen sofort operieren, diese entzündete Fistel ist so groß, dass wir vermutlich bis auf den Knochen schneiden müssen. Das haben wir hier sehr oft, das wird schon wieder.“ Ungläubig frage ich: „Was ist eine Fistel und woher kommt so eine Fistel überhaupt?“, und kurz darauf schiebe ich wie in Trance mein Kind im Krankenbett Richtung Operationssaal. Nach einer nicht enden wollenden Stunde erklärt die Ärztin endlich, dass die Operation gut verlaufen sei und es unserem Sohn den Umständen entsprechend gut gehe. Jedoch gäbe es leider keine Garantie dafür, dass so eine Fistel nicht wieder auftreten könnte. Weiter erfahren wir, dass bei einer Fistel anatomische Bereiche, die normalerweise voneinander getrennt sein sollten, durch einen Fistelkanal miteinander verbunden sind. Dabei kann dieser Kanal zwei Hohlräume im Inneren des Körpers oder einen inneren Hohlraum mit der Körperoberfläche, also der Haut, verbinden (äußere Fistel). Das ist entweder angeboren oder entsteht im Laufe des Lebens. Von einer Steißbeinfistel, wie unser Sohn sie hat, sind besonders junge, stark behaarte Männer betroffen. Dabei gibt es symptomlose Fisteln und welche, die einen Abszess bilden.
Die Ärztin informiert uns, dass durch die Größe und Tiefe der Wunde eine offene Wundheilung mit täglich mehrfachem Ausspülen unter der Dusche erfolgen muss und uns in den nächsten Tagen der Ablauf des Verbandwechsels beigebracht wird.
Wieder erlebe ich eine Zeit des Schocks, in der das Unausweichliche angenommen werden muss. Eltern sind für ihre Kinder in der Regel einfach so stark, wie es die Situation in diesem Augenblick erfordert, um ihnen die Angst so gut wie möglich zu nehmen und um Sicherheit zu geben. Wozu wir dabei in der Lage sind, ist erstaunlich, denn wir wachsen manchmal dabei über uns hinaus. Gerade habe ich angefangen, mein neues „Ich“ als Krebsüberlebende besser kennenzulernen, und will mir weiter genügend Zeit dafür nehmen, und schon kommt das Leben dazwischen.
Wenn das Leben aller plötzlich Kopf steht
„Und plötzlich war der Weg, auf dem ich ging, zu Ende und nichts mehr so, wie es vorher war.“ Ein Satz, der den Augenblick meiner Krebsdiagnose Ende Februar 2018 deutlich beschreibt. Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen erinnern mich sehr an meine damalige Situation. Damals wusste ich nichts darüber und hatte nur ein großes Fragezeichen im Kopf. „Was ist dieses Corona-Virus und was ist eine Pandemie?“ Damals und heute weiß ich genau, wie es sich anfühlt, wenn das Leben von heute auf morgen auf dem Kopf steht. Wie es ist, wenn der Nebel in dieser „Parallelwelt“ des Nicht-Wahrhaben-Wollens sich langsam lichtet und man erkennt, dass dieses Ungebetene nun irgendwie in das Leben integriert werden muss. Wieder ist sie da, diese Erdbebensituation des Lebens, die wir nicht direkt beeinflussen können. Diese lähmende und anhaltende Unsicherheit begleitete von da an nicht nur mich und meine Familie – nein, für die ganze Welt ist plötzlich alles anders. Es ist eine Situation, in der es keine bequeme Lösung gibt, in der es nur mit Anstrengung, Verzicht und teilweise schwerer Verluste die Hoffnung gibt, mit „nur“ einem blauen Auge davonzukommen.
Weil ich weiß, wie es ist, schwer krank zu sein und um das eigene Leben zu kämpfen, wie es sich anfühlt, genesen und doch noch nicht geheilt zu sein, weil die Erkrankung und die Therapien den Körper einmal auf Links gedreht und dabei Spuren hinterlassen haben, habe ich Respekt vor der Covid-Erkrankung. Die Zahl der Todesfälle und die der schweren Verläufe ist besorgniserregend. Das sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden, denn mit Spätfolgen einer Erkrankung zu leben, wie das Krebserkrankte oft kennen, ist das Risiko nicht wert. Es lohnt sich durchzuhalten und sich trotz Einschränkungen auf das zu konzentrieren, was das Leben zu bieten hat.
Und was macht man an den langen Abenden im Lockdown? Beispielsweise die Fortsetzung zu meinem ersten Buch „rumgeKREBSt – mit Chemo, Charme und Schabernack“ schreiben. Für viele erfolgreiche Menschen sind und waren die täglich niedergeschriebenen Ideen der Schlüssel zum Erfolg. Eine Notiz ist die Basis für Problemlösungen, Entscheidungen und Kreativität gleichermaßen. Heute ist das Schreiben für mich ein wichtiger Bestandteil für ein achtsames Leben geworden, und während der Lockdown vieles lahmlegte, erarbeitete ich das Manuskript für „ausgeKREBSt – mit Chancen, Checks und Corona“ und nahm kurz darauf das Hörbuch „Fantasiereisen – Träumen, Entspannen und Glücklich sein“ auf.
Hilft Kreativität durch Krisen wie Krebs und Corona?
Meiner Erfahrung nach ja! Kreativität kann auf jeden Fall dabei helfen, einschneidende Erlebnisse und neue Situationen besser zu verarbeiten. Niedergeschrieben brauche ich meine Gedanken nicht weiter mit den neuen und teilweise unbeliebten Momenten zu belasten. Die persönlichen Gedanken, Gefühle und Ideen zu notieren, ist darum ein wesentlicher Teil der Verarbeitung. Auch beim Singen oder Malen verbinden wir uns mit unserem Inneren. Ich beschäftige mich mit meinen Emotionen, Gedanken, Wünschen und Ideen, ohne durch digitale Medien abgelenkt zu sein. Dieses visuell und gestalterisch wiederzugeben, ist Achtsamkeit und pure Entspannung.
Wer das einmal erlebt hat, wird immer wieder darauf zurückkommen. Denn Kreativität hilft, neue Lebenssituationen zu verarbeiten, und ist darum ein wirksames Mittel, um Krisen, Krankheiten und Stress zu bewältigen. Und da Not bekanntlich erfinderisch macht, ist auch hier oft unsere Kreativität gefragt. Wenn wegen Corona unsere Freunde und Familie an Feiertagen nicht zu Besuch kommen können, sehen und hören wir sie eben online. Und wenn ich mich haarlos unwohl fühle, helfen Mützen, Perücken, Tücher und etwas Make-up dabei, dass es mir mental wieder etwas besser geht. Kreativität als persönlicher Ausdruck spricht dabei auch eine tiefe emotionale Ebene an, die nachhaltig eine wichtige Rolle spielen kann. Oft werden plötzlich teils traumatische Erlebnisse später verarbeitet und erst hinterher wird bemerkt, dass daran noch „geknabbert“ wird. Dann kreativ tätig zu sein, hilft schneller, auf eine tiefe Ebene zu gelangen, die Unbewusstes an die Oberfläche bringen kann, um es dann verarbeiten zu können.
Wir können nicht alles beeinflussen, aber vieles
Ab und an macht es Sinn, die privaten und beruflichen Ziele zu überprüfen, denn auch diese können sich im Laufe der Zeit verändern, weil sich die Lebensumstände verändern. Darum frage ich mich zwischendurch, ob ich glücklich bin, oder warum ich es nicht bin und welche lang-, mittel- sowie kurzfristigen Ziele ich habe.
Denn manchmal müssen wir neue Pläne entwickeln und unerwartete Hindernisse überwinden, um unseren Zielen näher zu kommen. Schließlich entwickeln wir uns, lernen dazu und erlangen neue Erkenntnisse. Und wie ich schon schmerzhaft erfahren musste, schlägt das Schicksal manchmal auch wie ein blödes A… zu. Oft wird uns erst dann bewusst, dass es an der Zeit für eine Veränderung ist.
Das Schwierige dabei ist, dass ohne so ein „Wachrütteln“ viele Menschen sich nicht eingestehen, dass sie eventuell unglücklich und unzufrieden sind. Sie merken es, können oder wollen jedoch die Gründe dafür nicht finden. Es wird auf die „Gesamtsituation“ geschoben und fertig. Vermutlich weil Veränderung bedeutet, unbekanntes Terrain zu betreten und die Komfortzone zu verlassen. Hinzusehen, anzunehmen und die ersten Schritte zur notwendigen Verbesserung zu wagen, das braucht Mut – mal mehr, mal weniger. Zusätzlich grenzen uns Redensarten wie „je höher du fliegst, desto tiefer fällst du“ seit Kindertagen in unseren Zielen ein. Ständig gibt es vermeintliche Gründe dafür, warum wir große Wünsche und Träume nicht erreichen können, bis wir irgendwann selbst daran glauben. ABER wir können alles erreichen, was wir wollen.
Mit dem Heranwachsen unseres Pubertiers wuchs auch mein Wunsch nach einer räumlichen Veränderung. Doch mit den gewünschten Parametern und dem aktuell utopischen Immobilienmarkt schien dieses Ziel kaum erreichbar. Erst als ich mich gezwungen sah, einen kreativen Kompromiss zu finden, öffnete ich meinen Fokus, und mit der Verknüpfung einiger Zufälle zogen wir vor gut einem Jahr in unser Traumhaus. „Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg.“ – Laozi (Es gibt auch gute Redensarten.)
©Sandra Polli Holstein