Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Wenn Ingwertee Übelkeit erzeugt – Warum Korrelation keine Kausalität mit sich bringt

“Also bei mir hat’s geholfen.” Das höre und lese ich sehr oft. Jeder scheint beurteilen zu können ob Medikamente, Bewegung, positive Gedanken oder was auch immer hilft, weil es ihm vermeintlich geholfen hat. Genauso auch das Gegenbeispiel “Ne, das hilft nicht, ich hab’s probiert”.

Das treibt mich jedes Mal fast in den Wahnsinn.
Es liegt mir nicht vieles weniger nah, als einer krebskranken Person, die der Überzeugung ist ein Hausmittel gefunden zu haben, das ihr hilft, zu wiedersprechen. Deswegen halte ich mich in der Regel zurück.

Nun möchte ich aber Mal etwas kurz erklären. Viele werden sich denken, das wussten sie schon, andere werden nicht verstehen was ich sagen will, aber ich muss es Mal loswerden.

Wenn ich sehr krank bin und mir geht es nicht gut, dann suche ich nach Ideen, greife nach Strohhalmen. Nichts liegt näher als das.
Wenn ich nun also eine Krebserkrankung habe und mir sagt jemand “wenn du auf Zucker verzichtest, dann verhungert der Krebs”, dann kann das noch so unlogisch sein, wenn ich auf Zucker verzichte und der Krebs verschwindet, dann sehe ich einen Zusammenhang.
Jedoch besteht zwischen diesen Beiden Ereignissen lediglich eine Korrelation.
Es besteht keine (bewiesene) Kausalität.
Vielleicht wäre der Krebs genauso weggegangen und weggeblieben, wenn ich den ganzen Tag nur Schokolade gegessen hätte. Ich werde es nie erfahren.
Meine individuelle Wahrnehmung sagt mir aber, dass mein Verhalten meine Genesung bedingt hat.
In vielen Fällen kann das sehr heilsam sein. In anderen kann es großen Schaden anrichten.

Ich erinnere mich an eine Frau, die mit mir in der Chemo saß letzten Sommer. Wir sind uns hin und wieder begegnet, nicht jedes Mal.
Eine ältere Dame, schon mehrere Jahre erkrankt. Sie bekam eine Immuntherapie.
Jedes Mal, wenn neue Patientinnen in die Chemo kamen, die aus Gründen, die naheliegend sein dürften, Angstgefühle, Sorgen und viel Nervosität mitbrachten, ließ besagte Dame es sich nicht nehmen einige Dinge klarzustellen.
Da sie ja nun eine Chemotherapie hinter sich hatte glaubte sie nämlich zu wissen, was gegen eventuelle Nebenwirkungen hilft, und was nicht.

Häufig war die Kühlung unter Paclitaxel Thema. Dazu eine kurze Erklärung:
Paclitaxel ist ein Zytostatikum, also ein Chemotherapeutikum, das häufig allergische Reaktionen auslöst und bei einer beträchtlichen Zahl Patientinnen zu sogenannten PNP (Polyneuropathien) führt. Gegen etwaige allergische Reaktionen bekommt man Cortison und Fenistil, gegen die PNP wird oft die Kühlung der Hände und Füße, oder auch die Kompression dergleichen empfohlen.
PNP äußern sich durch Lähmungserscheinungen, wie kribbeln und tauben Stellen, primär in den Fingerspitzen und in den Zehen und Fußsohlen.
PNP sind nicht gefährlich, bei vielen gehen sie mit der Zeit, nach der Chemo, wieder weg. Bei einigen aber auch nicht.
Bei manchen muss die Chemotherapie mit Paclitaxel abgebrochen werden, weil die PNP so heftig werden, dass die Betroffene nicht mehr problemlos laufen kann, keinen Stift führen kann oder einfach aufgrund des Gefühls permanent eingeschlafener, kribbelnder Hände oder Füße schier wahnsinnig wird.
Um dieses Problem zu vermeiden kühlen also viele Patientinnen während der Infusion ihre Hände und Füße. Die Idee ist die, dass die schlechter durchbluteten, gekühlten Hände und Füße weniger von dem giftigen Mittel abbekommen und folglich weniger Nervenschäden entstehen.
Wirklich nachgewiesen ist der Nutzen des Kühlens nicht, es gibt aber Studien die nahelegen, dass das konsequente Kühlung,  eine halbe Stunde vor Infusionsbeginn bis eine halbe Stunde nach Infusionsende, PNP verhindern oder zumindest verringern können.

Zurück zu besagter Dame in der Chemo. Sie erklärte jeder neuen Patientin mit Hingabe, dass man unbedingt kühlen müsse, das hätte es damals, als sie ihre Chemo bekam noch nicht gegeben, aber sie sei ja jetzt schon ein paar Jahre dabei und würde sehen wie viel besser alles mit Kühlung sei. Generell könne man PNP nicht verhindern, sie kenne keine Frau, die keine bekommen hätte, aber zumindest wäre es mit Kühlung nicht so schlimm. Sie erklärte auch, und das führte zu einer der ganz seltenen Situationen in denen ich mich in solche Gespräche einmischte, dass PNP nicht wieder weg gehen.
Woher weiß sie das? Weil sie welche hat und die eben nicht weg gehen.
Warum behaupten die Ärzte, dass es durchaus möglich ist, dass PNP einfach wieder verschwinden?
Nun, wenn man eben diese Dame fragt, ist das reine Taktik, damit die Frauen die Therapie durchziehen und nicht verzweifeln.

Generell finde ich es furchtbar, Frauen mit neuer Diagnose und den entsprechenden Ängsten, derartige Vorträge zu halten, aber vor allem ist es einfach Blödsinn.
Die Schlussfolgerung, die Kühlung müsse helfen, weil XY, die gekühlt hat, weniger PNP hat, als man selbst und auch die Schlussfolgerungen PNP könnten nicht wieder verschwinden, weil die eigenen nicht verschwinden sind absolut haltlos.

Ich treibe mich auch in einigen Facebookgruppen zum Thema Brustkrebs rum. Auch dort ist das Thema Kühlung unter Paclitaxel immer wieder präsent.
Interessant finde ich dann die zwei Arten Kommentare, die sich meist häufen: 1. Kühlen ist wichtig, mir hat es geholfen, ich habe (fast) keine Polyneuropathien. Und 2. Kühlen ist wichtig, bei mir wurde das nicht angeboten und ich habe Polyneuropathien.
Dazu kommen immer wieder vereinzelte Kommentare wie “ich bin froh, dass ich gekühlt habe, ich habe schlimmer PNP und möchte gar nicht wissen wie es mir ohne Kühlung ergangen wäre” und “mein Onkologe hat gesagt Kühlen bringt nix, man bekommt die PNP sowieso, jetzt habe ich PNP – hätte ich doch nur gekühlt.”

Ganz selten, und vor allem immer seltener, teile ich dann mit, dass ich nicht gekühlt habe und keine PNP habe. Meist geht dieser Kommentar unter. Er passt einfach nicht ins Schema.
Würde ich mich der Logik der anderen Kommentare anschließen müsste ich schreiben “Kühlen bringt nichts, ich hab nicht gekühlt und hab trotzdem keine PNP.” Sowas schreibe ich natürlich nicht.

Das war jetzt eine sehr lange Ausführung zu einem simplen Beispiel. Es betrifft viele anderen Themen genauso. Wenn man jeden Tag einen Liter Ingwertee trinkt um Chemoübelkeit zu vermeiden und keine Chemoübelkeit bekommt besagt das nicht mehr über den Trinkenden und den Ingwertee, als dass der Trinkenden ihn getrunken hat, vielleicht auch, dass der Trinkenden Ingwertee mag, oder zumindest keine, mit meiner vergleichbare, Abneigung gegen Ingwertee hat.
Über den Zusammenhang zwischen dem Trinken von Ingwertee und dem Ausbleiben von Chemoübelkeit sagt das überhaupt nichts.

Um solche Zusammenhänge zu ergründen braucht es einfach immer einen Vergleich. Und da eine andere Person, die keinen Ingwertee trinkt, vielleicht einfach so anders ist, dass sie auch mit Ingwertee an Chemoübelkeit gelitten hätte, braucht man große Probandengruppen, viel Zeit, einiges an Geld und vor allem jemanden, dem die Frage, ob Ingwertee einen nachweisbaren Effekt auf Chemoübelkeit haben kann, so sehr auf der Seele brennt, dass er bereit ist diesen Aufwand zu betreiben.

Also, was auch immer ihr tut um Nebenwirkungen in den Griff zu bekommen: wenn es euch hilft, wenn ihr das Gefühl habt, dass es hilft (und es mir den behandelnden Ärzten abgestimmt ist) tut es! Aber schlussfolgert nicht aus eurer Erfahrung, dass sie auch nur einen Hinweis auf die Wirksamkeit dieser Mittel gibt. Denkt daran, egal wie es euch nach einem Liter Ingwertee geht, ihr wisst nicht wie es euch ohne gehen würde. Und ganz vielleicht, würde es euch ohne sogar besser gehen.

Zum Abschluss eine kleine Anekdote, die, wie ich finde, ganz gut zum Thema passt:
Beim Plaudern mit einer Ärztin merkte ich einmal an, dass ich Vomex nicht vertrage. Mir wird davon schlecht (was echt blöd ist, weil es gegen Übelkeit helfen soll) und dass das als Nebenwirkung ja sogar im Beipackzettel steht. Ich tat meine Verwunderung darüber kund, dass man ein Medikament gegen Übelkeit verkauft und dann darauf hinweist, dass das bei einigen zu Übelkeit führt.
Die Ärztin lachte und sagte das sei den Zulassungsbestimmungen für Medikamente verschuldet. Um ein Medikament gegen Übelkeit auf den Markt bringen zu dürfen müsse man sowohl die Wirksamkeit, als auch die generelle Verträglichkeit nachweisen. Alle Probanden in diesen Studien würden aufgefordert ihren Gesundheitszustand genau zu beobachten und zu dokumentieren. Daraus ergebe sich dann die Liste der Nebenwirkungen, die im Beipackzettel abgedruckt wird (sie wird natürlich mit den Jahren unter Umständen ergänzt um weitere beobachtete Nebenwirkungen).
Um die Wirksamkeit eines Medikamentes gegen Übelkeit zu testen bräuchte man gezwungenermaßen Menschen mit Übelkeit als Probanden. Das reine nicht wirken, oder nicht ausreichend wirken eines Medikamentes in einzelnen Fällen würde also zwangsläufig dazu führen, dass Probanden Übelkeit als beobachteten Gesundheitszustand in ihrer Dokumentation angeben.
Sie meinte im Beipackzettel jedes Medikaments gegen Übelkeit stünde deshalb, dass es Übelkeit verursachen könne.

Ich hätte gedacht, dass man Nebenwirkungen, die Patienten ohne Beschwerden im Vorfeld der Einnahme, nicht hatten, nicht in eine solche Liste aufnehmen würde. Wäre es doch logisch zu sagen nur solche Nebenwirkungen, die das Medikament bei beschwerdefreien Menschen hervor ruft, sind logischer Weise überhaupt auf das Medikamt zurückzuführen, aber dem ist wohl nicht so.

Wenn ich also in meinem Leben jemals eine Tasse Ingwertee trinke und hinterher sage mir ist schlecht, dann bedeutet das nicht, dass der Ingwertee keine Wirkung gegen Übelkeit mit sich bringen kann, es bedeutet auch nicht, dass ich Ingwertee einfach furchtbar ekelig finde (was ich ohne Zweifel tue), vielleicht bedeutet es einfach nur, dass mir vorher schon schlecht war.

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