Erleichterung vs. Belastung
RUN TINA RUN
Stell dir vor du gehst zur Nachsorge und so weit ist, nicht ganz ein Jahr nach deiner ersten Krebsbehandlung, alles in Ordnung. Soweit, man in dieser Zeit von irgendeiner Art von Ordnung sprechen kann.
Ich werde mich nicht daran gewöhnen
Das Herz klopft vor jedem Nachsorgetermin und CT und alles was dazu gehört, sind und werden wohl nie zur gewohnten Routine. Dann kommt von rechts hinten ein kleiner, dennoch dringender Aufruf deines Arztes, doch bitte zum Hautarzt zu gehen. Der Fleck rechts oberhalb deines Auges, ist auffällig. Ihm fehlt das Wissen dazu, da braucht es fachärztlichen Rat, denn ihm gefällt das ganz und gar nicht.
So ist mir das ergangen und natürlich habe ich den Rat meines Urologen befolgt. Es wäre ja auch ein wenig blöd, das nicht zu tun. So saß ich keine Woche später in der nächsten Arztpraxis. Ein wenig in die Jahre gekommen, dachte ich mir, als ich im Wartezimmer Platz genommen hatte. Das mit dem Putzen, müssten sie auch genauer nehmen, aber noch war ich vollkommen frei von jeglicher negativer Haltung – noch.
Die Arzthelferin bat mich ins Arztzimmer und erklärte mir Herr XY würde bald kommen. Er ist die aktuelle Vertretung und gleich bei mir. Na gut, wird schon gut gehen, ich habe ja nichts gegen flexible Mediziner, aber ein wenig unruhig wurde ich doch. Es ging ja um diesen Fleck an der Stirn, der seit einiger Zeit nicht mehr zuheilen wollte und sicher würde sich gleich alles als ganz harmlos herausstellen.
Das hatte ich nicht erwartet – eine seltsame Show
Und dann kam der nette Herr auch schon durch die Tür, fragte mich was mich zu ihm führt und bis zu diesem Punkt war meine Welt noch vollkommen in Ordnung. Ich erklärte ihm, meine medizinische Geschichte und die Empfehlung meines Arztes, sich doch bitte diese Stelle genauer anzusehen. Hielt ihm zur Info meinen Tumorpass hin und dann begann eine Show, die ich so definitiv nicht erwartet hatte.
Er machte vor mir ausladende Handbewegungen, ob ich denn tatsächlich glaubte, dass Tumorzellen von hier unten (meine Niere) nach hier oben (oberhalb des Auges) wandern könnten. So einen Unsinn hätte er doch noch nie gehört und immer diese Krebspatienten, die mit dem Tumorpass rumwedeln, das wäre so lächerlich. Er geht jetzt mal und holt das Stanzgerät und dann sehen wir schon, was das ist.
Während er sich aus dem Raum entfernte, erfasste ich mit einer ganz eigenen Art von Röntgenblick das Arztzimmer, es war schmuddelig, um nicht zu sagen schmutzig. Ein Typ von Mensch, mit dem ich die Sitzbank im Bus nicht teilen würde, war gerade auf dem Weg ein Loch in meine Stirn zu stanzen und der Stress und die Angst, die ich in mir trug, war ihm eine seltsame Aufführung, die an einen Slapstick erinnerte, wert?
So schnell mich irgendwie bewegen konnte griff ich nach meinen Unterlagen, stopfte alles in die Handtasche und schlüpfte an der Anmeldung vorbei zur Garderobe. Schnappte mir die Jacke und war innerhalb von 10 Sekunden aus dieser Praxis verschwunden. Mir schlug als ich in meinem Auto saß, das Herz bis zum Hals und mein Entsetzen trieb mir die Tränen in die Augen. Doch gleichzeitig war ich unglaublich stolz. Hätte ich diesen Mut, für mich so einzutreten bereits vor dieser unsäglichen Diagnose gehabt? Ich weiß es nicht, ich tendiere eher zu einem Nein, aber dieses Mal war ich tapfer genug, um mich so einer Attacke auf meine körperliche uns seelische Gesundheit keine Sekunde länger auszuliefern. Ich denke heute noch mit Schaudern an diese Arztpraxis zurück.
Doch es gibt immer eine Lösung
Ich habe Gott sei Dank eine hervorragende Alternative gefunden, eine Ärztin, die den zweiten Tumor in meinem Leben schnell lokalisiert hat UND mich zu einem Spezialisten für Gesichtschirurgie, mit der Aussage: „An dieser Stelle fummelt man nicht einfach so rum.“, überwiesen hat.
Dafür bin ich ihr zutiefst dankbar und es zeigt, es gibt immer solche und solche Gesprächspartner und ich habe gelernt immer mehr auf mich zu achten und auch Menschen, die in dieser Beziehung Unterstützung brauchen Mut zu machen. Es lohnt sich sehr, wenn wir über unseren Schatten aus Erziehung, Gewohnheiten und Ängsten springen, um für uns selbst da zu sein. So wurde auf den Tag genau ein Jahr nach meiner großen Operation eine kleinere zweite in einem ähnlichen Kontext nötig. Für mich ein zusätzlicher Hinweis für die vielen kleinen Dinge im Leben dankbar zu sein, denn nichts ist selbstverständlich.
Alles Liebe
Deine LebenskräfTigerin
Martina