Erleichterung vs. Belastung
(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 05.04. BIS 10.04.2020: Es ist geschafft, Freiheit, Freizeit und Ostervorbereitungen.
Der 05.04. startet ob der Geschehnisse der vorherigen Nacht erstmal ungewohnt. Ich bleibe bis ca. 8:30 Uhr in meinem Übergangszimmer. Danach werde ich auf Zimmer 20 „umgebucht“. Ich hab wahrscheinlich mehr Zimmer der Onkologiestation 3B bewohnt als andersherum. Ich versuche im Geiste die Zimmer abzuhaken. Die Station erstreckt sich von Zimmer 19 bis 36:
- 19
- 20
- 21
- 22
- 23
- 24
- 25
- 26
- 27
- 28
- 29
- 30
- 31
- 32
- 33
- 34
- 35
- 36
Es sind tatsächlich mehr Zimmer, die ich von innen kenne als umgekehrt. Ich bin aber jetzt auch nicht sonderlich scharf drauf, die restlichen auch noch kennenzulernen.
In der Nacht auf den 06.04. schlafe ich schlecht. Ich hatte gehofft, etwas mehr Ruhe zu bekommen. Aber statt äußerer Zwischenfälle tobt der Krieg dieses Mal in mir. Ich habe Schmerzen im unteren Rückenbereich. Es begann schon am Abend. Ich tippe auf die Nieren. Wehren die sich jetzt, weil sie so viele Giftstoffe verarbeiten müssen? Um 2:00 Uhr geht es nicht mehr. Ich drücke meinen kleinen Conciergeknopf (keine Ahnung wie das Teil offiziell heißt. Notfallknopf?). Die Schwester kommt und fragt: „Was ist hier los?! “. Ich erzähle ihr von den Rückenschmerzen und das Schmerztabletten jetzt ganz praktisch wären. Sie sagt: „Schau mal, hab ich schon dabei. Ich hab mir schon gedacht, dass was ist, wenn du nachts klingelst. Das kommt ja sonst nie vor.“. Danach schlafe ich recht gut. Herr Dr. erklärt mir bei der Visite was da heute Nacht los war. Das, was ich für Nierenschmerzen gehalten habe, war ein Überdruck im Rückenmark. Meins hat letzte Nacht scheinbar im großen Stil neue weiße Blutkörperchen produziert, wodurch eben dieser Überdruck entsteht.
Eigentlich war es mein Ziel am 06.04.2020 entlassen zu werden. Die vergangenen 3 Zyklen habe ich jeweils einen Tag früher gehen dürfen:
Zyklus 1 war mit 14 Tagen angesetzt, nach 13 Tagen war ich durch, Zyklus 2 war mit 14 Tagen angesetzt und nach 12 Tagen absolviert. Zyklus 3 habe ich dann nach 11 Tagen schon gehen dürfen, weil die Blutwerte da schon gut waren. Aber in Zyklus 4 war ich wohl zu optimistisch. Am Montag hatte ich „vom Feeling her ein gutes Gefühl“, um den Fußballphilosophen Andreas Möller zu zitieren. Die weißen Blutkörperchen waren auch in der Tat in Ordnung, also jene Zellen, die sich gefräßig jetzt auf das Coronavirus und alle anderen körperfremden Eindringlinge stürzen würden. Die Blutplättchen hingegen waren noch zu niedrig. Also die kleinen Kumpels im Blut, die dafür sorgen, dass das Blut gerinnt, wenn ich mir beim Müllentsorgen wieder den halben Körper am Altpapier aufschlitze. Das war wohl auch Herrn Dr. wohl zu gefährlich. Auf jeden Fall behält er mich noch bis Dienstag (07.04.2020) stationär. Also ein weiterer Tag Marvel-Filme, -Serien, schlecht schmeckendes Brot, leckere Säfte und chillen. Ich hoffe nun also, dass mein Rückenmark heute nochmal eine Nachtschicht einlegt und Blutplättchen nachschiebt.
Am Dienstag bin ich früh morgens in einer Art Schwebezustand. In der Nacht vor einer potentiellen Entlassung schlafe ich ohnehin eher immer schlecht. Dieses Mal muss ich mich aber 3x umziehen, weil ich so derb geschwitzt habe. Ich weiß nicht, ob es an irgendeinem Medikament liegt, oder ob das vielleicht auch eine Reaktion auf Neubildung von Körperzellen ist.
Morgens kommt jedenfalls die Schwester zur Vitalwertkontrolle und liefert einen ganzen Haufen Pillen gleich mit ab. Mit den Worten: „Geht heute nach Hause!“ legt sie sie mir auf den Tisch. Ich sage: „Geht es?“. Sie fragt, ob ich das noch nicht wisse. Ich sage, dass noch kein Arzt zur Visite da gewesen sei. In dem Moment geht die Tür auf und Herr Dr. steht in der Tür. Ich sage zu ihm: „Sie brauchen eigentlich gar nicht mehr vorbeikommen. Die Schwester hat alles schon gespoilert. Ich kann heute gehen?! Ist ja gut, dass ich 90% meiner Sachen schon gepackt habe!“. Kurze Zeit später halte ich meinen Entlassbrief in den Händen und mache mich auf den Weg zum Ausgang. Unterwegs fragen mich einige des Stationspersonals, ob es für mich nach Hause ginge. Alle freuen sich für mich, machen aber auch einen traurigen Eindruck. Ich hab mich immer sehr wohl gefühlt bei meinen Aufenthalten. Ich werde bestimmt nochmal zurückkehren, wenn die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden. Ein paar Süßigkeiten abliefern.
Um 10:30 Uhr rollen meine Mädels auf den Vorplatz der Klinik. Jetzt aber nix wie ab nach Hause. Ab in die Freiheit.
Am ersten Tag in Freiheit verschaffe ich mir erstmal einen Überblick über alles was so liegen geblieben ist. Nachmittags grillen wir im Garten. Unser alter Holzkohlegrill mit seinem verborgenen Rost in Kombination mit meinen Zitterpfötchen geht mir auf den Keks. Bei jedem Grillen landet mindestens ein Würstchen in der Kohle oder im Dreck. Da muss mal was neues her. Abends schauen wir alle zusammen die neue Realverfilmung von Disney‘s Aladdin. Wir kommen bis zur Hälfte, dann sind die Mädels müde. Es ist 22:30 Uhr und wir treten alle unseren Matratzenhorchdienst an. Ich bin immernoch im Klinikmodus. Zwischen 2:00 und 4:00 Uhr ging da immer mal die Tür auf und jemand kontrollierte ob alles in Ordnung ist. Das ist bei mir noch drin. Zwischen 23:30 Uhr und 3:00 Uhr bin ich wach. Ich schau eine Dokumentation über die Titanic und Atlantis. Danach lege ich mich wieder hin.
Der Mittwoch hat keinen festen Ablauf. Ich lasse mich etwas treiben. Die Mädels machen Hausaufgaben, Alex ist im Homeoffice beschäftigt.
Nachmittags mache ich mich mit Maxima auf den Weg vor die Tore Hamburgs. Ich habe auf eBay Kleinanzeigen einen Gasgrill entdeckt, der einen leichten Brandschaden hat, technisch aber top in Schuss ist. Ich wollte ja schon lange einen Gasgrill haben, die Anschaffungskosten waren mir aber immer zu hoch. Jetzt wollte ich mir aber doch auch selbst mal eine Freude machen. Und gebracht und mit optischen Mängeln sind die Teile dann auch echt erschwinglich.
Gegen 20:00 Uhr sind wir zurück und schauen den Rest von Aladdin. Danach schlafe ich dieses Mal bei Lara mit im Zimmer.
Der Donnerstag startet auch eher entspannt ohne Großsegeln To-Dos. Ich erledige einige Einkäufe und bin erneut enttäuscht über meine schlechte Kondition. Es sind nur 200m bis zum Penny. Aber mit zwei Einkaufstüten beladen sind sie eine ganz schöne Herausforderung.
Nachmittags geht es noch kurz zu Bauhaus, eine Gasflasche für den Grill besorgt und dann ab in den Garten. Den Abend lassen wir dann bei Pets 2 ausklingen. Dieses Mal darf Maxima bei mir schlafen. Ich schlafe eigentlich gut, wache aber 3x schweißgebadet auf und muss Bettlaken und Shirt wechseln. Ich nehme an, mein Körper treibt jetzt das vom Cortison eingelagerte Wasser aus. Denn ich muss auch 3x „aufs Töpfchen“.
Wir werden den Tag wieder im Garten verbringen.