Erleichterung vs. Belastung
(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 03.02.2020: Alanis Morissette.
Die Nacht hatte es wieder in sich. Zwar gewöhne ich mich an das brummende Bett und die Kakophonie der nächtlichen Atemgeräusche meines Zimmergenossen, dafür hatten mich aber ab 3:00 Uhr massive Nierenschmerzen sowohl im Griff als auch gleichsam vom Schlaf abgehalten.
Um 4:00 Uhr ging nix mehr. Ein kleiner Snack aus Novaminsulfon musste her. Danach ging es tatsächlich noch einmal 3 Stündchen recht gut mit dem Schlafen. Wenn das so weiter geht, werde ich noch richtig gut im Bett.
Um kurz nach 7:00 Uhr dann wieder Blutentnahme und Vitalwertcheck. An die genauen Werte erinnere ich mich nicht mehr. Waren aber im grünen Bereich.
Sauerstoffsättigung: 98 %, Blutdruck: 127/83 (glaub ich), Ruhepuls: 73 (bisschen erhöht, im Vergleich zum Normalpuls). Temperatur konnte der Pfleger vorerst nicht messen, da das Thermometer abhanden gekommen ist. Ich hab es auf jeden Fall nicht.
Ich werde heute jedenfalls versuchen, so viel wie möglich zu trinken und werde dafür auch auf Multivitaminschorle zurückgreifen. Denn Wasser pur und Tees in allen Varianten kann ich alleinig langsam nicht mehr sehen.
9:26 Uhr: Stippvisite von Fr. Dr. Blutwerte sind soweit sehr gut. Ich spreche die kleine Nierenproblematik von heute Nacht an. Sie meint, es könne gut sein, dass das durch die höhere Nierentätigkeit kommen kann, weil die ersten Tumoren jetzt wohl zerfallen und durch die Nieren abgespült werden. Ich darf trotz meiner tollen Blutwerte noch nicht nach Hause und werde offensichtlich die 14 Tage hier voll machen. Der alte Mann auf meinem Zimmer geht heute nach Hause. Ironisch, wie ich finde. Muss er zurück in seine Wohnung, allein, lediglich begleitet durch Pflegedienste, die ab und an zu Hilfe kommen, als alleinstehender Witwer, der hier in der Klinik bei geschultem Fachpersonal hervorragend aufgehoben ist – während bei mir zuhause meine Süße und die Kids warten und Ablenkung. Mir dafür hier noch drei weitere Tage die Decke auf den Kopf fallen wird. In meinem Kopf dudelt Alanis Morissette – Ironic:
„A traffic jam when you’re already late
A „no smoking“ sign on your cigarette break
It’s like ten thousand spoons when all you need is a knife
It’s meeting the man of my dreams
And then meeting his beautiful wife
And isn’t it ironic, don’t you think?
A little too ironic, and yeah I really do think.“
Trotz allem bin ich nach wie vor positiv gestimmt und immer noch begeistert, wie freundlich das gesamte Pflegeteam hier ist. Mein Dialog mit Frau Dr. bei der Kurzvisite klang in etwa so:
Frau Dr.: „Na? Wie geht’s? Blutwerte sehen ja gut aus soweit. Ich hab zwar jetzt noch nicht die von heute gesehen, aber die vom Wochenende gingen doch gut wieder hoch!“
Ich: „Na, ist doch super. Dann kann ich ja schonmal packen!“.
Frau Dr.: „Nee nee. 14 Tage! Heute ist Tag 12. Ich weiß, dass das nervig ist. Ich könnte mir auch besseres vorstellen, als hier 14 Tage in der Klinik rumzuhängen.“
Ich: „Na gut. Dann Mittwoch. Dann bin ich ja wenigstens pünktlich zum Bachelor wieder zuhause!“
Frau Dr.: „Genau. Und das ist das Wichtige. Wir gucken das hier auch immer im Team!“.
Was soll’s. Frühstück ist angesagt. Mein Körper giert nach tierischem Eiweiß. Eine Scheibe Wurst habe ich auf meinem Tablett. Der Rest ist Süßkram. Wäre früher das Paradies für mich gewesen. Heute hätte ich lieber noch zwei weitere Scheiben Wurst. Aber auch das ist nicht schlimm. Die Bäckerei Junge im Erdgeschoss wird das nachher noch regeln. Erstmal einen Pfefferminztee und ein Brötchen. Danach die Pillen.
Danach passiert nicht viel nennenswertes bis zum Mittagessen, außer, dass mein Zimmergenosse, der ältere Herr, entlassen und abgeholt wird. Das Mittagsmenü ist heute ein Kohlrabieintopf mit Kartoffelstückchen und Hackklößchen. Dabei kommt der kleine Junge in mir wieder durch. Als erstes teile ich sämtliche Hackbällchen in kleinere, um bei jedem Löffel ein bisschen davon mit auf letzterem zu haben.
Als sich das Süppchen dem Ende zu neigt, hebe ich mir die restlichen Klößchen für ganz zum Schluss auf. Das hab ich als Kind schon immer gemacht. Ich war verrückt nach Suppenklößchen. Die hatten immer ihren ganz eigenen Geschmack. Komplett anders als normale Frikadellen. Da kam es auch schon mal vor, dass ich nach dem Essen nochmal heimlich in die Küche gewackelt bin und habe ein paar Klöße aus der Suppe gefischt und so weggesnackt.
Nach dem Essen dann der Schock! NIE WIEDER KOHLRABI-EINTOPF. Irgendwas war da schlecht dran. Ich kraule mir durch den Bart und habe direkt 20 bis 30 Barthaare in der Hand. Ich stürze ins Bad und kämme mir den Bart durch. Und obwohl noch nicht Weihnachten ist… leise rieselt das Haar.
Also Obacht Männer: Von Salat schrumpft der Bizeps, von Kohlrabi der Bart!
In Anbetracht der aktuellen Situation und in tiefer Trauer, dass mein Bart mich dann demnächst wohl verlassen wird, hier noch einmal mein „Best of Beard“. Farewell beardy buddy. We’ll see us again soon!
Zum Abschluss des Tages gebe ich mir auf Netflix heute „13 Hours: the secret soldiers of Benghazi“.
Gute Nacht, liebes Tagebuch.