Erleichterung vs. Belastung
Annette fragt…Sandra Röpe
Während des Lockdowns mit drei Kindern eine Chemotherapie zu durchleben, ist kein Spaziergang wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Aber eine Chemotherapie während der Schwangerschaft mit seinem Kleinkind im Nacken ist nochmal eine ganz andere Hausnummer. Sandra hat genau das erlebt und wurde zudem noch mit der Diagnose “metastasierter Brustkrebs” überfallen.
Ich freue mich sehr, dass diese starke Frau mir ein Interview gegeben hat. Freut euch auf ihre Worte, die eine wundervolle Message für uns bereithalten: Habt Respekt vor dem Wichtigsten – dem eigenen Leben. Lebe – liebe – lache, ebenso wie lebe – weine – schreie. Solange es geht.
Annette: Schwanger mit dem zweiten Kind… Statt Glückseligkeit und Freude hieß es für dich Schock und Angst, denn im 5. Monat bekamst du die Diagnose Brustkrebs. Nimm uns mal mit… Wie wurde deine Erkrankung entdeckt, welche Gedanken hattest du, welche ersten Schritte bist du gegangen?
Sandra: Ich ertastete keinen Knoten, sondern meine Brust verbeulte sich so seltsam. Ich dachte, es sei eine Milchdrüsenentzündung und schob es somit bis zur nächsten Vorsorgeuntersuchung vor mir her. Und während der Vorsorge vergaß ich sogar fast zu fragen, was das sein könnte. Ich wollte grad schon das Ärztezimmer verlassen, da fiel es mir ein. „Ach, eine Frage hätte ich da noch…“. Mein Arzt untersuchte mich und sagte, ich solle das bitte in der gynäkologischen Ambulanz im Krankenhaus abklären lassen. Mein Gedanke dazu „Och nö, da hab ich weder Zeit noch Lust zu. Aber muss ja sein…“.
Die Untersuchung im Krankenhaus folge innerhalb kürzester Zeit. Ich habe nicht einmal gedacht, dass es Krebs sein könnte. Nach Ultraschall und abtasten folge eine Gewebeprobenentnahme. Danach wurde ich wieder nach Hause geschickt, man würde mich die Tage dazu telefonisch kontaktieren.
Ich saß auf der Arbeit, als der Anruf kam… und es klang angsteinflößend. „Bitte kommen Sie am 4.2. nochmal zu uns, damit wir das Ergebnis in Ruhe mit Ihnen besprechen können.“ „Können wir das nicht am Telefon klären?“ Ich wollte nicht schon wieder 50 km fahren, um ein Ergebnis persönlich zu besprechen. Darauf ging die Sprechstundenhilfe nicht ein. Sie meinte nur „Wir sehen uns dann zum Termin.“ Und plötzlich musste ich weinen. Es kam mir tatsächlich immer noch nicht in den Sinn, dass es Krebs sein könnte. Ich hab mit allem möglichen gerechnet. Aber als ich dann zum Termin zusammen mit meinem Mann erschien und ich Taschentücher auf dem Schreibtisch der Ärztin liegen sah, wusste ich, dass das nichts Gutes heißt. Und dann fiel der Satz: „Sie haben Krebs.“ Ich wartete auf die versteckte Kamera. Aber da war keine… Und dann ging der Untersuchungsmarathon los. Da ich schwanger war, konnte man nur bedingt untersuchen. Und drei Wochen später kam die nächste Hiobsbotschaft: Der Krebs hat bereits in die Leber gestreut.
Annette: Meine Chemotherapie hat mich tageweise komplett ausgeknockt und ich war als Mama nicht gut zu gebrauchen. Du erlebtest deine Chemotherapie in der Schwangerschaft und hattest noch dazu ein Kleinkind. Ich verneige mich vor dir und dem, was du geschafft hast! Was waren deine Kraftspender, wer oder was hat dir geholfen?
Sandra: Ich glaube inzwischen, dass ich mir selber geholfen habe. Natürlich hangelte ich mich an meinem 2 ½ Jahre altem Sohn genauso entlang wie an meinem ungeborenem Baby. Sätze wie „Du muss es für die Kinder schaffen“ ließen mich stutzen. Denn ein Kind kann (auch wenn es furchtbar und nicht schön ist) auch ohne Mutter leben und aufwachsen. Ich merkte aber, dass ICH es sehen wollte, wie sie aufwachsen. Wie sie eingeschult werden. Wie sie ihre erste Freundin oder Freund haben, wie sie den Schulabschluss machen und wie sie vielleicht heiraten. Natürlich sollen die Kinder mich als Mama haben, ich wollte nicht sterben. Ich wollte, dass sie mich um sich haben. Aber genauso wollte ich, dass ich um sie sein kann, weil ich einfach leben wollte!
Ich holte mir Hilfe, ging zu einer Heilpraktikerin (in Verbindung mit der Schulmedizin, unterstützend eben) und sie gab mir Kraft, sie baute mich auf, sie kümmerte sich um mich und das war so toll! Auch meine Familie kümmerte sich um mich, keine Frage, aber mit meiner Heilpraktikerin arbeitete ich Traumas auf, löste sie auf usw. Das komplett hier zu erzählen würde den Rahmen sprengen. Aber am Ende hatte ich das Gefühl „Nun geht’s vorwärts. Ich werde das schaffen.“ Und ich glaubte mir meine eigenen Worte selber. Ich sagte sie nicht nur, ich fühlte sie!
Annette: Dein Sohn wog bei seiner Geburt sogar etwas mehr als meine älteste Tochter, die mit 2350g nach einer normalen Schwangerschaft auf die Welt kam. Die Chemomedikamente haben ihm also anscheinend nichts ausgemacht. Stimmt das? Kam es im Nachhinein noch zu Beeinträchtigungen?
Sandra: Nein, die Chemomedikamente haben meinem Sohn nichts ausgemacht. Die Plazenta wurde nach der Geburt untersucht und es wurde festgestellt, dass die Chemo nicht an ihn herangekommen sein kann. Schon verrückt, wenn man bedenkt, dass man in der Schwangerschaft auf so vieles eigentlich verzichten sollte… Es kam auch im Nachhinein zu keinerlei Beeinträchtigungen. Er ist ein ganz normales, gesundes und aufgewecktes Kind, welchen das Leben liebt! Ganz wie die Mutter…
Annette: Neben Schwangerschaft, Chemotherapie und Co. hast du begonnen, ein Buch zu schreiben. Für mancheine*n mag das komisch klingen… Wie entstand bei dir die Idee? Welches Ziel hast du damit verfolgt?
Sandra: Mein Buch war anfangs ein Tagebuch, in dem ich verarbeitete. Irgendwann ging ich aber auf die Suche nach Gleichgesinnten. Ich traute mich damals noch nicht an die sozialen Medien, daher suchte ich Bücher. Und ich fand kaum welche zu dem Thema. Schlussendlich habe ich eins gelesen, das aus der Sicht des Mannes verfasst worden war. Und da fehlten mir als Frau viele Details. Und somit entschloss ich kurzerhand, aus meinem Tagebuch ein Buch zu machen. Um aufzuklären, um zu helfen, um Menschen zu erreichen, denen es gleich ging. Um das Thema nicht totzuschweigen, sondern in die Öffentlichkeit zu bringen. Was mir schlussendlich zumindest zum Teil auch gelungen ist.
Annette: In deinem Buch erzählst du, dass du immer mit Perücke unterwegs warst, dennoch zeigst du dich auf dem Titelbild mit Glatze. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Sandra: Sehr spannende Frage 😊. Ja, in der Schwangerschaft war ich mit Perücke unterwegs. Ich konnte es nicht ertragen, wenn ich Menschen begegnete, die erst den Babybauch sahen und lächelten, dann zu mir hochsahen und das Lächeln fror ein und es entstand ein Ausdruck der Erschütterung. Ich konnte live damit nicht umgehen. Wenn aber jemand das Cover sah stand derjenige mir ja nicht direkt gegenüber. Da war es überhaupt kein Problem für mich. Ich zeigte mich so, wie ich eben zu der Zeit war. Schwanger und todkrank. Das mag schockierend klingen… aber es sollte wachrütteln. Das war mein Ziel. Es fühlte sich richtig an. Ich wollte mich auf dem Cover nicht hinter der Perücke verstecken. Das war ich uns so war es eben. Ich bin damals sehr an dem Ganzen gewachsen. Heute würde ich mit Babybauch und Glatze sogar auf ein Konzert gehen…
Annette: Du spendest einen Teil deiner Erlöse aus deinen Buchverkäufen. Hut ab! Nach welchen Kriterien suchst du die Begünstigten aus? An wen hast du schon gespendet?
Sandra: Genau, ich spende einen Teil der Einnahmen. Immer, wenn ich 100 € zusammen habe, suche ich mir einen Verein o.ä. raus, der mich anspricht und den ich gern unterstützen möchte. Da entscheide ich immer spontan, an wen es gehen soll. Auf jeden Fall an Vereine und Organisationen, die sich für Krebskranke einsetzen, wie z.B. „Leben nach Krebs! e.V.“. Oder an Leute, die für Vorsorge und Aufklärung in Krebssachen unterwegs sind. Oder auch an Hospize. Oder die Krebsforschung.
Annette: Gleich nach deiner Diagnose wurden Metastasen in deiner Leber entdeckt. Mittlerweile sind fast 8 Jahre vergangen und du bezeichnest dich als Langzeitüberlebende. Welche Prognose gaben dir die Ärzt*innen damals, welche Therapien hast du durchlaufen und wie wirst du behandelt?
Sandra: Mir wurde anfangs nie eine Prognose genannt. Erst, als ich mal mit RTL im Krankenhaus gedreht habe und mein Onkologe befragt wurde, bekam ich mit, wie schlecht es anfangs um mich wirklich stand. Ich höre immer noch seine Worte „Wir gaben Frau Röpe ca. ein ¾ Jahr Überlebenschance“. Mein Gesichtsausdruck musste Bände gesprochen haben, denn die Reporterin sah mich an und meinte „Davon wusstest du nichts?“ und ich schüttelte nur sprachlos den Kopf. Der Teil ist aber nicht im Beitrag zu sehen. Schade eigentlich…
Therapie war an Chemo: 4x EC, 2x Paclitaxel, Entbindung, dann war angesetzt ich mein 16x Docetaxel alle drei Wochen und nach dem 14. Zyklus brach ich ab, da mich die Nebenwirkungen fast zur Strecke brachten. Im Anschluss alle drei Wochen die Antikörpertherapie (Doppelblockade) mit Herceptin und Perjeta (Trastuzumab und Pertuzumab). Und die erhalte ich bis heute, ich befinde mich derzeit im 124. Antikörpertherapie-Zyklus.
Annette: Ich bin kein Fan von Bucket Listen. Ich weiß aber, dass du dir jedes Jahr eine Liste schreibst. Welches Ziel verfolgst du damit? Inwiefern empfindest du das als Bereicherung für dein Leben?
Sandra: Ach ja, die gute alte Bucket-List. Anfangs war ich da sehr akribisch. Ich schrieb alles auf, was ich das Jahr noch so erleben wollte. Kurzfristig gedacht. Inzwischen denke ich langfristig, wie z.B. „auf den Hochzeiten meiner Söhne tanzen“. Die Sicht ändert sich. Ich brauche aber immer Ziele vor Augen, ich finde das unfassbar wichtig und es macht Spaß, die Ziele dann umzusetzen und abzuhaken. Oder zu wiederholen 😊. Diese Freude bereichert mein Leben. Denn freigesetzte Glückshormone halten (davon bin ich fest von überzeugt, ist aber wissenschaftlich nicht erwiesen) einen genauso am Leben wie ne medikamentöse Therapie.
Annette: Dein Insta-Account heißt “Sandra liebt dieses Leben“. Wie kamst du auf diesen wundervollen Titel und was möchtest du deinen Follower*innen damit sagen?
Sandra: Am Anfang war es einfach nur ein Name. Ich habe mir über die Bedeutung keine großen Gedanken gemacht. Erst im Laufe der Jahre bemerkte ich, dass der Name absolut zu mir passt und das schrei ich ja auch immer wieder in meinen Posts in die Welt. Nämlich: das ich mein Leben liebe. Und ich wünsche mir, dass jede/r (ob erkrankt oder nicht) das von sich selbst auch einmal sagen kann. Denn das Leben ist toll, solange man es lebt 😊
Annette: Ich habe für meine Schwiegermutter einen Meta-Ribbon bei dir bestellt. Erzähl mal, um was es sich dabei handelt und wie man über dich an einen herankommen kann!
Sandra: Hier muss ich kurz auf die wundervolle Claudia (claudiascancerchallenge) verweisen. Sie schrieb in einem Post (Zitat): „Mir war Pink immer zu wenig, um alle Dimensionen einer Brustkrebserkrankung zu zeigen. Deshalb die Idee zum Meta-Ribbon, der dreifarbigen Schleife“. Die Krebshilfe Österreich hat aus dieser Idee eine große, glänzende Schleife für den guten Zweck gezaubert. Ich war völlig hin und weg, als ich das las und ich hatte mich direkt in diesen Ribbon verliebt. Ich finde die Idee dahinter großartig, weil eben auch eine Farbreihe für die Metastasierung steht.
Und genau diese Mädels werden oft vergessen. Entweder man hat Krebs oder eben nicht. Häufig ist dazwischen wenig Platz. Aber es gibt uns! Und wir leben! Wir sind unheilbar, aber lebendig (ebenfalls ein Zitat von Claudia). Claudia war schon immer meine persönliche Mutmacherin. Danke dafür an dieser Stelle 😊.
Mit dem Erwerb des Ribbon tut man auch noch was Gutes, denn der Erlös geht an metastasierte Brustkrebspatientinnen in Not.
Ich schrieb die Krebshilfe an, weil ich auch so einen Ribbon erwerben wollte. Leider versendet die Krebshilfe aber nicht mehr nach Deutschland. Und somit suchte ich mir jemanden in Österreich, der für mich zur Krebshilfe geht, die bestimmte Anzahl Ribbons, die benötigt werden, holt (natürlich dann auch dort direkt die Spende zahlt), mir sendet und ich leite diese dann innerhalb von Deutschland weiter. Ich finde, dass jede Frau so einen Ribbon braucht und ich bin begeistert, dass der Erlös gespendet wird.
Annette: Liebe Sandra, ich danke dir von ganzem Herzen für dieses wunderbare Interview. Es ging mir stellenweise echt ans Herz und ich werde nun erstmal meine drei Goldschätze feste in den Arm nehmen. Dir wünsche ich alles, alles Gute!
Mehr Infos über Sandra findest du hier:
Auf ihrer Homepage: http://www.babybauchundchemoglatze.de findest du Leseproben aus ihrem Buch und viele weiterführende Informationen.
Sandras Buch “Mit Babybauch und Chemoglatze”
Sandra in der Brigitte: http://buc.bplaced.net/wp-content/uploads/2017/10/Brigitte_22-2017.pdf
Sandras Geschichte im Flensburger Tageblatt: https://www.shz.de/deutschland-welt/panorama/artikel/schwangere-kaempft-gegen-brustkrebs-und-gewinnt-41649215
Sandra im Interview bei den Krautreportern: https://krautreporter.de/3363-die-angst-dass-der-krebs-zuruckkommen-konnte-verschwindet-nie-ganz
Sandra im Videointerview mit Gisi von madamemama.de: https://vimeo.com/194253110
Sandra auf dem Blog „Oh wunderbar“: https://oh-wunderbar.de/schlagwort/sandra-roepe/
Sandra in der Süddeutschen: https://www.sueddeutsche.de/leben/wie-koennen-aerzte-helfen-andere-umstaende-1.3647768?reduced=true
Sandra bei RTL aktuell: https://www.facebook.com/watch/?v=2149923488607047
Sandra in der Basler Zeitung: https://www.bazonline.ch/andere-umstaende-961957020643
Hier geht’s zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”.