Erleichterung vs. Belastung
Annette fragt… Gabriele Schwede
Bei den Recherchen zu einem Blogtext zum Thema „Psychoonkologie“ stieß ich auf die Homepage der lieben Gabi (https://es-ist-brustkrebs.de).
Sie ist verheiratet, hat einen erwachsenen Sohn und einen Hund. Sie liebt den Sommer, Farben, Wasser, Blumen, schwedische Krimis, leckeres Essen, Rad fahren, Spieleabende, Reisen, aufgeräumte Wohnungen, Schokolade, Karneval, die Vorweihnachtszeit, Sauna ….. und KÖLN.
2019 bekam sie die Diagnose Brustkrebs, hormonpositiv. Sie durchlief Operation, Chemotherapie und Bestrahlung und befindet sich noch in der Antihormontherapie. Sie ist systemische Familientherapeutin, Supervisorin und Mediatorin für Familienrecht und hat sich mittlerweile auf das Coaching von Brustkrebspatientinnen spezialisiert. Außerdem gründete sie die Facebook-Gruppe “Es-ist-Brustkrebs” und nimmt regelmäßig Podcasts auf.
Annette: Liebe Gabriele, nimm uns zunächst kurz mit ins Jahr 2019. Wie hast du deinen Krebs entdeckt? Wie bist du mit der Diagnose umgegangen?
Gabriele: Silvester 2018/2019 stand ich mit meinem Mann auf der Dachterrasse und sagte: „So wie es ist, darf es gerne im nächsten Jahr weiter gehen.“ Tja, aber das Schicksal hatte andere Pläne.
Es war Ende Februar. Ich stand nach dem Duschen nackt vor dem Spiegel, föhnte mir die Haare und sah eine eingezogene Hautstelle an der Brust. Eigentlich habe ich mir keine Sorgen gemacht, denn ich war sechs Wochen vorher noch bei meiner Gynäkologin und eine blinde Frau hat mir die Brust abgetastet. Außerdem fühlte auch ich keinen Knoten. Also, kein Gedanke an Brustkrebs. Als in der folgenden Woche ein beruflicher Termin, ganz in der Nähe der Gynäkologischen Praxis, ausfiel, bin ich mal rein und habe gefragt, ob sich das mal eben jemand ansehen kann. Mal eben – tja. Alles ging ganz schnell. Ultraschall, Biopsie…Diagnose: „Es-ist-Brustkrebs.” Jede betroffene Frau weiß, das ist der Satz, der ALLES verändert.
Annette: Du hast deine Krebserkrankung gut hinter dich gebracht und giltst als krebsfrei. Anstatt damit abzuschließen und wieder in dein altes Leben zurückzukehren, beschäftigst du dich von Berufswegen weiterhin mit diesem Thema. Wie kam es dazu?
Gabriele: Auch als Therapeutin ist man ja nicht vor psychischen Tiefpunkten geschützt. Und ich fühlte mich nach der Diagnose und in der Akutbehandlung ziemlich alleine auf weiter Flur. Freunde und Familie sprachen mir Mut zu, mit Sätzen, die wir alle kennen: „Du bist stark, du musst kämpfen, alles wird gut…“ Nichts davon konnte ich fühlen. Die mich behandelnden Ärzte kümmerten sich gut um meinen Körper, aber wie es mir psychisch mit der Diagnose ging, blieb unberücksichtigt. Der Wunsch, mich mit Betroffenen auszutauschen, denen man nicht alles erklären muss und die wissen, was man meint und fühlt, kam schnell auf.
Ich glaube, es geht vielen Frauen wie mir. Heute bin ich gesund und da ich Therapeutin bin und selbst die vielen Etappen der Therapie durchlebt und teilweise durchlitten habe, lag es nahe, mich auf das Thema Brustkrebs und die damit verbundene psychische Herausforderung zu fokussieren.
Annette: Du versprichst Frauen, die dich über das Kontaktformular auf deiner Homepage anschreiben, eine Antwort binnen 24 Stunden. Das finde ich sehr löblich. Warum glaubst du, dass das für Betroffene wichtig sein könnte?
Gabriele: Probleme interessieren keine Warteliste. Sie sind genau so plötzlich da wie die Diagnose. Und wenn die Achterbahnfahrt der Gefühle erst einmal Fahrt aufnimmt und sich Angst und Sorgen dazugesellen, braucht man schnelle und professionelle Unterstützung. Warten auf Untersuchungsergebnisse ist doch eh während der ganzen Therapie schon eine riesige Belastung. Jetzt kann man doch nicht noch seinen Sorgen sagen: „Ihr müsst warten, bis ich in irgendwo einen Termin bekomme!”
Annette: Auf deiner Homepage benennst du dein Lebensmotto „Das Leben bleibt bunt“. Wie schaffst du es, nach einer lebensbedrohlichen Erkrankung diesen positiven Blick zu bewahren? Hast du ein paar Tipps, wie auch andere Betroffene dies schaffen können?
Gabriele: Die Diagnose überrollt einen. Meist ist man ja nicht darauf vorbereitet. Sie kommt aus dem Nichts. Da kommt auch ganz schnell die Fragen auf: „Wo stehe ich? Werde ich nach fünf Jahren zu den 80% der Überlebenden gehören, oder zu denen, die an den Folgen des Brustkrebses versterben?” Solche Gedanken hatte ich auch. Und beantworten konnte und kann mir das bisher keiner. Die Prognose ist gut, aber…
Aber sich Sorgen sozusagen auf Vorrat zu machen, macht das Leben ja eher traurig und schwer. Jetzt bin ich krebsfrei und hoffe, dass es so bleibt. Wenn nicht, werde ich dann weiter sehen. Corona hat uns zusätzlich gelehrt, nichts zu verschieben: „Lebe im Hier und im Jetzt!“ Keiner von uns weiß, was die Zukunft bringt. Vielleicht wird ja auch alles gut.
Ein paar Tipps habe ich trotzdem: „Denke in kleinen Etappen, auch so erreicht man große Ziele. Und freue dich auch über kleine Erfolge. Schenke dir und deinen Liebsten Glücksmomente und Erinnerungen. Das kann dir keiner nehmen.“
Annette: Hand aufs Herz: Obwohl du Profi bist und andere Betroffene berätst, gibt es bei dir persönlich doch auch mal Tage, an denen du traurig, an denen du ängstlich bist oder an denen es dir nicht so gut geht. Wie gehst du damit um? Woraus kannst du Kraft schöpfen?
Gabriele: Klar! Du müsstest mich mal vor den Nachsorgeuntersuchungen sehen. Da schlafe ich zwei bis drei Tage echt schlecht. Die Ängste, die während dieser Krankheit auftreten, sind ja keine Angststörungen, sondern haben ihre Berechtigung. Es geht um unser Leben und unsere Zukunft, da darf man ja wohl Angst haben oder traurig sein.
Ich habe übrigens schon immer so einen Notfallplan. Was ich mache, wenn ich merke, es geht mir nicht gut:
Schokolade essen. Wenn das nicht hilft, baden. Wenn das nicht hilft, ein Tag Sauna. Wenn das nicht hilft, Urlaub mit meinem Mann und meinem Sohn….Das hilft immer!
Tatsächlich ist es wirklich wichtig, Menschen um sich zu haben, die einem gut tun. Da hilft auch schon ein Telefonat mit der besten Freundin oder mit jemand anderem, die oder der einen unterstützt. Aber wenn dann der Satz kommt: „Du musst stark sein!“, dann häng am besten gleich wieder ein!
Annette: Du bist Ehefrau und Mutter genau wie ich. Wie hast du deinem Mann und deinem Sohn oder auch anderen Verwandten von deiner Erkrankung erzählt? Kannst du Frauen, die in derselben Situation sind und nicht wissen, wie sie sich ihrer Familie öffnen sollen/können, ein paar Hinweise geben?
Gabriele: Oh, das war schwierig. Ich hatte es ja selbst noch nicht begriffen und konnte auch auf Fragen nicht antworten. Und ich wollte auch nicht ständig darüber reden und die Betroffenheit der Anderen erleben und dann wohlmöglich sie noch trösten. Ich habe meinen Mann zum Außenminister und Pressesprecher benannt. Er hat für mich die Telefonate geführt, eingehende, wie ausgehende.
Das Schlimmste aber war, es meinem Sohn zu sagen. Der hat aber sehr gut reagiert. Er fragte mich, ob ich vor hätte alle empfohlenen Therapien zu machen. Als ich das bejahte, sagte er: „Dann haben wir alle eine gute Chance, dass es gut ausgeht.“ Er zwang mir dann aber noch das Versprechen ab, mit zum Abiball meiner Enkelin zu gehen. Ja, das ist mein Ziel. (Übrigens ist das Enkelkind noch nicht geboren!)
Annette: Auf deiner Homepage gibt es einen Menüpunkt „Familie und Angehörige“. Warum ist es aus deiner Sicht so wichtig, dass nicht nur die Patientin selbst, sondern auch die Menschen um sie herum Unterstützung erhalten?
Gabriele: Sie sind doch genau so betroffen und hilflos wie wir. Sie haben die gleichen Gedanken, Fragen und Ängste und die Diagnose hat auch auf ihr Leben große Auswirkungen.
Annette: Du hast einige Podcasts aufgenommen. Manche bestreitest du komplett allein, in anderen unterhältst du dich mit Krebspatientinnen (Ich hatte auch schon die Ehre). Wie bist du auf die Idee gekommen? Wie ist das Feedback darauf?
Gabriele: Ich mache mit dem Podcast ein bleibendes Angebot an Betroffene. Er soll Impulse geben, Fragen beantworten und vielleicht kann er sogar helfen, Gedanken zu sortieren. Die Reichweite ist ziemlich klein. Das steht eigentlich nicht im Verhältnis zum Aufwand. Egal! Wenn es ein paar Frauen weiter hilft, dann hat er doch seinen Zweck erfüllt. Und Spaß macht es auch.
Ich interessiere mich einfach dafür, wie andere Frauen mit den Herausforderungen dieser Diagnose umgehen.
Annette: Coaching, Podcast, Instagram-Livegespräche. Also ob das noch nicht genug wäre, hast du auch noch eine Facebook-Gruppe für Brustkrebspatientinnen ins Leben gerufen. Vielleicht hat die eine der andere Leserin hier ja Lust, sich die mal anzuschauen (Ich bin selbst Mitglied und kann es nur empfehlen!). Berichte doch mal: Wie funktioniert die Aufnahme? Was hat man als Mitglied zu tun? Was ist bei euch so los?
Gabriele: Die Facbook-Gruppe ist mein Herzensprojekt. Sie heißt – wie alles bei mir – „Es-ist- Brustkrebs“, weil dieser Satz eben alles verändert hat. Ich habe mich dafür entschieden, dass man sich anmelden muss, um den Mitgliederinnen einen halbwegs geschützten Rahmen anzubieten. Die Gruppe besteht jetzt seit 1,5 Jahren und hat 200 Mitgliederinnen. Viele sind schon lange dabei. Hier findet reger Austausch statt. Es ist ein Riesenvorteil einer relativ kleinen Gruppe, weil man sich kennt.
Ich poste täglich einen Impuls, aber auch viele Mitgliederinnen erzählen von sich oder stellen Fragen. Eine weiß immer einen Tipp. Man ist einfach nicht mehr alleine.
Alle zwei Wochen treffen wir uns online per Zoom. Hätte man mir vor 1,5 Jahren gesagt, auch online können Freundschaften entstehen, hätte ich die Stirn gerunzelt. Es sind ganz stabile, zuverlässige Freundschaften entstanden. Hier wird keiner alleine gelassen. Ich freue mich aber auch über jede, die die Gruppe verlässt, weil das Thema „Brustkrebs“ nicht mehr diese wichtige Position im Leben einnimmt.
Annette: Zum Abschluss, liebe Gabi möchte ich mich herzlich für deine offenen Antworten bedanken und dir alles, alles Gute für deinen weiteren Lebensweg wünschen. Ich hoffe, wir bleiben im Kontakt und stellen mal wieder was gemeinsam auf die Beine!
Mehr zu Gabi
Liebe Leserin, lieber Leser, schau unbedingt mal auf der Homepage von Gabi vorbei! Sie hat dort eine wahre Schatzkiste zum Thema „Brustkrebs“ zusammengestellt. Sie erklärt dort medizinische Fachbegriffe auf verständliche Art und Weise und stellt den konkreten Ablauf der Krebs-Therapien vor. Ihr findet dort auch Infos zum Ablauf eines Coachings sowie ein Kontaktformular.
Gabis Homepage: https://es-ist-brustkrebs.de/
Ihre Emailadresse: es-ist-brustkrebs@web.de
Gabis Podcast “Es ist Brustkrebs”: https://open.spotify.com/show/4MeNvSHWxv15m7xUJysr2c?si=7ce7d55321354943
Gabis Podcast-Folge mit mir: “Brustkrebs – wie sage ich es meinen Kindern?” https://open.spotify.com/episode/6OHGTZoTr0JRJgRxVIkGqF?si=9c18cea17f254930
Gabi ganz persönlich im Podcast: https://open.spotify.com/episode/7ycrZMMd29LE7S0S2HTviF?si=e086c983453747f4
Hier geht’s zu den anderen Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”.