Erleichterung vs. Belastung
Annette fragt… Marc Chapoutier alias @knochen_marc
Als Interviewgast und Mitautorin in seinem Buch durfte ich Marc Chapoutier meine Geschichte erzählen. In einem Interview durfte ich nun ganz tief in Marcs Leben hineinschauen. Er erzählt von der größten Herausforderung seines Lebens. Dieser begann, als er sich als erfolgreicher Manager eines großen Unternehmens mit der Diagnose „Vorstufe Leukämie“ konfrontiert sah. Er führte ihn über die endgültige Diagnose “Aplastische Anämie” über eine Knochenmarktransplantation hin zu seiner heutigen Tätigkeit als Coach, Keynote Speaker und Mentor.
Marc ist seiner Lebenskrise dankbar. Wieso und warum erzählt er dir, liebe Blogleserin und lieber Blogleser in einem äußerst offenen, ehrlichen, tiefgründigen und dennoch leichten Interview.
Annette: Lieber Marc, wie sah dein Leben aus, als deine Krankheit, eine seltene Autoimmunerkrankung (Vordiagnose Leukämie) in dein Leben kam?
Marc: Ich hatte zwei Jahre lang als Geschäftsführer einer großen Kapitalgesellschaft gearbeitet: Mit 24 Jahren war ich von meinem Onkel dazu ernannt worden und trug voller Stolz die Visitenkarte mit dem Logo “Privatkeller Michel Chapoutier” mit mir herum. Ich war tief geehrt, dass ich unser Familienternehmen, das schon in der achten Generation existierte, in Deutschland vertreten durfte. Ich tat alles, um die Erwartungen vollauf zu erfüllen und meine Familie nicht zu enttäuschen.
Ich gab von morgens 6 bis abends 22 Uhr Vollgas, um das Unternehmen in Deutschland erfolgreich zu leiten. Dabei vergaß ich mich selbst, setzte meine Beziehung aufs Spiel und ging über meine Grenzen hinaus und orientierte mich an Materiellem (mein Auto kam vor meiner Freundin!). Ich war völlig fremdgesteuert.
Ich war mir sicher, nur eine Wand würde mich aufhalten, ansonsten würde ich alles dafür geben, damit wir Multimillionäre werden würden!
Annette: Mitten hinein in diese Vollgas-Geschäftsführer-Zeit purzelte deine Diagnose: “Vorstufe Leukämie”. Du hast dann 24 Monate alles gegeben, um gesund zu werden. Was hat diese Zeit, die dich aus dem Arbeitsleben herauskatapultiert hat, mit dir gemacht?
Marc: Bis es zu dieser Diagnose kam, vergingen einige Tage. Die waren definitiv die schlimmsten Tage meines Lebens! Ich übergab mich zunächst in die Verantwortung meiner Ärzt*innen. Allerdings bemerkte ich, dass meine Ärzte*innen mit meiner Diagnose selbst überfordert waren und nicht recht wussten, wie sie mich therapieren sollten. Deshalb konnte ich mich nicht fallen lassen, sondern versuchte, Lösungen zu finden, um wieder gesund zu werden.
Ich begab mich zunächst in die Hände von Heilern. Ich bin zu Gurus nach Südfrankreich, Spanien, Italien geflogen, die Ugauga um mich herum gemacht haben mit Räucherstäbchen und allem Drum und Dran. Aber es hat alles nichts genutzt, ich wurde nicht gesund.
Ich war krank, hatte einen Grund, warum ich nicht arbeiten konnte. Das führte aber zunächst zum schlechten Gewissen bei mir, weil ich meine Familie enttäuschen musste. Gleichzeitig war ich erleichtert, weil ich eine Pause einlegen konnte.
In mir entstand die Idee, dass es vielleicht an meiner Vergangenheit lag, dass ich erkrankt bin. Ich begann, meine Psyche zu erkunden und mich selbst kennenzulernen. Hierzu las ich viele Bücher, ging zu einem Psychologen.
Außerdem begab ich mich ein paar Tage lang völlig allein in eine Ferienwohnung. Dort ließ ich mein Leben Revue passieren. Ich schrieb mein Leben von meiner Jugend an chronologisch auf. Bei wichtigen Entscheidungsmomenten hielt ich inne und fragte mich: „Warum habe ich diese Entscheidung getroffen? Was war mein Antrieb, meine Motivation? Was hat sich dadurch in meinem Leben verändert? Habe ich diese Entscheidung selbst getroffen?” Das hat sehr viel in mir bewirkt, es flossen sehr viele Tränen und mir wurde bewusst, dass ich jahrelang völlig in der Fremdsteuerung war und den Menschen draußen immer habe gefallen wollen.
Ich entschied mich, die Anteile an der Firma loszulassen und meine Hände frei zu haben, um völlig gesund zu werden. Danach wollte ich mein Leben wieder in die Hand nehmen und so gestalten, wie ich es für richtig hielt.
Annette: Dein Insta-Name ist Knochenmarc. Das ist ein Wortspiel ganz nach dem Geschmack meines Mannes ;). Was hat es denn damit auf sich?
Marc: Sehr cool, das freut mich – grüß deinen Mann von mir!
Ich habe den Versuch, mich selbst zu heilen, gefährlich weit getrieben. Ich habe alles Mögliche ausprobiert, zeitweise nichts mehr gegessen. Ein Arzt sagte dann zu mir, dass ich an einem Organversagen sterben würde, wenn ich so weitermache. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich mit meiner damaligen Freundin (jetzt Ehefrau) und meiner Mutter in der Arztpraxis saß, beide hatten Tränen in den Augen. Da wurde mir bewusst, dass ich völlig ego-kamikaze-mäßig unterwegs war und mein Umfeld verletzte mit meinem Wunsch, mich selbst von innen heraus gesund zu machen. Ich wollte mir irgendwas beweisen, obwohl ich gar nicht wusste, ob das funktionieren würde.
Es gab einen schulmedizinischen Weg: eine Knochenmarktransplantation. Und so willigte ich ein, dass wir einen Spender für mich suchen würden. Ich wollte mich hierzu auf YouTube schlaumachen, fand aber keine Video, in dem jemand zeigte, wie so eine Transplantation ablief und wie es einem Patienten dabei ging.
Annette: Ich selbst habe einen Krebsblog und damit andere offen an meiner Erkrankung, an meinen Gedanken, an meinen Ängsten und Sorgen teilhaben lassen. Du hast auf einem YouTube-Kanal dasselbe in mündlicher Form gemacht. Wie ist diese Idee entstanden?
Marc: Ich wusste, dass ich während der langen, schlimmen Zeit der Transplantation eine Aufgabe brauchen würde. Und so entstand in mir die Idee, dass ich selbst eine Video-Dokumentation machen würde. Ich nahm mir vor, im Krankenhaus jeden Tag ein Video aufzunehmen, in dem ich ehrlich, aber dennoch positiv und mutmachend zeigen wollte, wie es mir ging.
Da ich nicht wusste, wie es beruflich nach meiner Erkrankung für mich weitergehen würde, wollte ich meinen echten Namen “Marc Chapoutier” nicht preisgeben. Vielleicht würde ich mich später dafür schämen? Im Gespräch mit einem Freund kam dann der kreative Einfall mit dem Namen Knochenmarc und der Titel für meinen You-Tube-Kanal war da.
Da ich nicht wusste, ob ich die Transplantation überleben würde, wollte ich den Menschen etwas Positives und Schönes hinterlassen und in bleibender “lebender” Erinnerung bleiben.
Marc: Meine Vision, was ich unbedingt machen möchte im Leben, hat mich geistig gestärkt. Außerdem habe ich mir das Ziel gesetzt, nach Island zu fliegen. Dieser Wunsch entstand, da ich meine Familie um schöne Fotos, Kalender gebeten hatte, um die kahlen Wänden in meinem Isolationszimmer, auf die ich ja ständig schauen musste, etwas netter einzurichten….
Da hing z.B. ein Island-Kalender. Die Fotos flashten mich, ich begann im Internet über dieses Land zu recherchieren und noch vom Krankenbett aus begann ich, eine Reise dorthin zu planen.
Und als ich dann halbwegs stabil war und die Ärzt*innen mir das OK gaben, flog ich mit meiner Freundin dorthin. Ich bin noch immer dankbar und voller Ehrfurcht, dass ich 2 1/2 Wochen in diesem wunderschönen Land sein durfte
Ebenso hat mich das Feedback der Menschen gestärkt, die meinen You-Tube-Kanal abonnierten und/oder mir auf Instagram folgten, wo ich mir dann auch einen Account eingerichtet hatte. Zudem unterstützte mich meine Familie und meine Freund*innen.
Nicht zuletzt war da meine Freundin, meine jetzige Frau, die mich äußerst liebenvoll begleitete. Nach der Diagnose hatte ich ihr gesagt, dass sie gehen kann, aber sie blieb. Das ist Liebe!
Ebenso war es wunderbar, dass ich die Chance bekommen hatte, nochmal bei Null mit meinem Leben anfangen zu dürfen.
Annette: Du hast Sport- und Gesundheitswissenschaft studiert, hast als Fitnesstrainer und dann als Geschäftsführer einer weltweit bekannten Weinmarke gearbeitet. Mittlerweile machst du etwas ganz anderes. Erzähl doch mal, wo man Marc Chapoutier nun beruflich antrifft..
Marc: Der Wein war ein sehr wichtiger Umweg für mich, auf dem ich viel gelernt habe, und bin nun wieder auf meinem Ursprungsweg zurück. Ich habe eine Firma “Provenexpert” und arbeite viel mit Freelancer*innen und jungen Trainer*innen, die dann in Unternehmen gehen und Gesundheitsprävention machen. Ich bin bei Verkaufsgesprächen dabei, mache auch Vorträge.
Ich selbst habe ich mich auf das Coaching fokussiert, habe viele Fortbildungen gemacht, bin Resilienztrainer und mache im Moment eine Emotionscoachausbildung. Ich möchte Menschen auf der 1:1-Ebene unterstützen.
Annette: Recht provokativ sagst du „Ich bin dankbar, krank geworden zu sein.“ Was meinst du damit? Welche Erkenntnisse hast du aus deiner Krise gewonnen?
Marc: Rückblickend war die Krankheit war für mich eine Botschaft. Sie sagte mir: „Hey Junge, du bist auf dem falschen Weg, du musst wieder zurück auf deinen eigenen Weg, zurück zu dir!”
Hätte mir das aber jemand während meiner Krankheit gesagt, dann hätte ich diesem einen “Totalschaden” vorgeworfen. Im akuten Zustand war das auch bei mir nicht möglich. Aber nachdem ich es gemeistert hatte und weil ich währendessen in die Reflexion gegangen bin, kann ich die Krise für mich als Chance sehen.
Ich rate jeder/m, eine Krankheit oder Lebenskrise für einen Paradigmenwechsel zu nutzen. Schau dir dein privates und berufliches Umfeld an, ändere Gewohnheiten, verändere etwas. Ich bin mir sicher, dass die Krankheit wiederkommt, wenn man sich wieder ins alte System einnordet. Nur so können sich neue Nervenbahnen im Gehirn bilden, der Körper bekommt neue Impulse und es reift der Gedanke: „Ich bin wieder am Leben!”
Für mich war die Krankheit meine Chance, dass ich zu meiner Familie „Nein” sagte, um raus aus dem System zu kommen. Ich lernte, mich zu reflektieren, mich zu verstehen.
Annette: Mir dreht sich der Magen um, wenn man mir sagt: „Du hast den Krebs besiegt.“ Ich weiß, dass du anstelle von Kampfmethaphern fürs Akzeptieren plädierst. Geh doch mal etwas in die Tiefe.
Marc: Großartige Frage. Ich erinnere mich an meine erste Coachingklientin. Sie nannte sich damals “Cancerfighterin“. In der gemeinsamen Reflexion erkannte sie, dass ihr diese Kampfattitüde zunächst Kraft gegeben hat.
Ich riet ihr, in die Akzeptanz zu gehen. Denn die Krankheit war ja in ihr und sie wollte doch nicht sich selbst bekämpfen!
Ja, es ist Arbeit, sich mit sich auseinanderzusetzen. Aber es lohnt sich! Öffnet eure Schatztruhe und schaut genau hin. Ich rate meinen Klient*innen, sich die Fragen zu stellen:„Welche Botschaft versteckt sich hinter meiner Krankheit oder Krise?“
Es macht mir riesengroßen Spaß, Menschen auf ihrem Weg zu sich zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, Erkenntnisse für sich und ihr Leben zu bekommen.
Annette: Man kommt nicht am Stichwort „Mentale Stärke“ herum, wenn man nach Marc Chapoutier sucht. Was hat es damit auf sich?
Marc: Ich nutze lange Zeit den Spruch „Alles Kopfsache“, ließ mir sogar Bändchen damit bedrucken. Ich provozierte sehr gerne Leute damit, die sich in ihrem Selbstmitleid suhlten.
Intuitiv habe ich wohl von Anfang an, vieles richtig gemacht, indem ich anderen schon während meiner Erkrankung Kraft gegeben habe. So meldeten mir z.B. Freunde mit, dass ich immer so positiv lächelnd im Krankenbett lag. Abgemagert, ich konnte nicht raus. Aber ich freut mich, am Leben zu sein und darüber, dass ich die Sonne durchs Fenster hereinschauen sah und Besuch bekam.
Ich habe damals für mich erkannt, dass wir in allem die Wahl haben. Das machte und macht alles einfacher und leichter. Ich bin mir ganz sicher, dass dadurch die Energie leichter fließt, sich die Zellen schneller erneuern und der Heilungsprzess schneller vorangeht.
Ich erkannte, dass es an mir selbst ist, mich aus der Opferrolle hinauszubegeben. Oftmals gibt man sich dort hinein und suhlt sich im Selbstmitleid, wenn es einem schlecht geht. Auch das Umfeld steckt einen schnell dort hinein.
Ich habe mir z.B. den Satz „Es tut mir leid, dass es dir so schlecht geht.” verbeten. wenn mich jemand besuchte. Es musste niemand leid tun, wenn er mich sah. Es war schön, das derjenige da war, wir Spaß hatten, reden konnte.
So entstand der Begriff “Mentale Stärke”. Ich kann meinen Fokus dorthin steuern, wo ich ihn möchte. Den Kritiker in uns zwar sprechen zu lassen, aber ihn auch zu kontrollieren. Ich kann aus der negativen Spirale aussteigen, wann ich es möchte. Dadurch stärke ich meine Resillienz.
Annette: Ich bin total happy, dass ich bei deinem Buch „Das Geheimnis mentaler Stärke Bd. 2“ als Autorin mit dabei sein durfte. Erzähl doch mal, was es mit diesem Buchprojekt auf sich hat!
Marc: Ich bekam über YouTube viel Feedback von Menschen, die gar nichts mit Krebs zu tun hatten und die Fragen an mich hatten, wie sie mit ihrer Erkrankung umgehen könnten. Ich fühlte mich überfordert, weil ich mich ja “nur” mit meinem eigenen Fall auskannte. Daraus entstand die Idee, in Kontakt mit Menschen zu treten, die an Multipler Sklerose erkrankt waren, im Rollstuhl saßen oder andere Fälle. Somit konnte ich Leuten Gesprächsparnter*innen anbieten, wenn ich selbst ihnen eine Antwort schuldig blieb. Ich bot ihnen somit Orientierung im Informationsüberfluss von Dr. Google und dem Internet.
Daraus entstanden dann meine Podcastinterviews. Meine Oma war es dann, die mich schlussendlich dazu brachte, aus dem ein Buch zu machen. Sie konnte mit meinen Podcasts nichts anfangen, wollte etwas in der Hand haben und die Interviews in Ruhe lesen. Ja und dann fragte ich ein paar Leute, ob sie mitmachen wollten. Großartig, dass du liebe Annette, im zweiten Band mit dabei bist!
Der Zeit- und Kostenaufwand war immens und weitaus höher als geplant. Aber es ist ein absolutes Herzensprojekt von mir und ich möchte gerne noch viele weitere Bände machen. By the war: Der Erlös wird komplett gespendet.
Ein weiterer Anreiz für da Buch ist, dass es mir die Möglichkeit gibt, etwas von mir zu hinterlassen und so untersterblich zu bleiben. Vor einem Jahr wurde ich Papa und ich möchte meiner Tochter eine Erinnerung hinterlassen und ihr etwas in die Hand geben, das ihr in Krisensituationen – die ich ihr von Herzen wünsche – Mut und Kraft gibt.
Annette: Lieber Marc, ich danke dir von Herzen für dieses offene Interview, das sicherlich vielen Menschen den Blick auf ihre eigenen mentalen Ressourcen weiten wird. Danke an dich, dass du auch mir immer wieder ein Mini-Coaching per WhatsApp gibst und mich unterstützt, in meine mentale Stärke zu kommen. Ich freue mich, dass wir uns über den Insta-Weg gelaufen sind.
Mehr von Marc findet ihr hier:
Marcs Homepage: https://www.marcchapoutier.de
Marc auf Instagram: https://www.instagram.com/knochen_marc/
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Hier geht’s zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”