Teil 2: guck mal, wer da leuchtet
Ab dem Sommer 2017 hatte ich Ruhe. Ich litt offiziell unter dem CUP-Syndrom. Das heißt ausgeschrieben „Cancer with unknown Primary“, also „Krebs mit unbekanntem Primärtumor“. Googeln sollte man sowas schon mal gleich gar nicht. Die mittlere Lebenserwartung beträgt dann noch so zwei Jahre im Durchschnitt.
Die MRT-Kontrollen beruhigten von Mal zu Mal. Natürlich ist das eine trügerische Ruhe, denn man denkt ständig an die Krankheit. Wie oft ich in der Zeit meinen Hals nach Schwellungen abgetastet habe, kann ich nicht mehr zählen. Aber es blieb alles ruhig.
Man muss wissen, dass ich seit 1991 an Psoriasis (Schuppenflechte) leide, die auch einige Gelenke befallen hat. Meine Hautärztin verschrieb mir irgendwann ein recht neues Medikament aus der Gruppe der Biologics. Das Medikament setzt das Immunsystem herunter und damit hilft es gegen die Autoimmunkrankheit Psoriasis. Nachdem in 2017 die Metastasen gefunden wurden, setzte mein damaliger Hautarzt das Medikament ab. Mein Rheumatologe jedoch verschrieb mit ein ähnliches Medikament in 2018 wieder. Mein Immunsystem war also weiterhin heruntergefahren. Erstaunlich eigentlich, dass ich trotzdem vor Gesundheit nur so strotzte.
So wurde es Juni 2019. An einem schönen Sommertag auf den Liegen im Garten bemerkte meine Frau wiederum eine Beule an der rechten Halsseite. Es riss mir den Boden unter den Füßen weg. Ein Blick in den Spiegel bestätigte den Verdacht. Da war wieder etwas. Diesmal ließ ich keine Zeit vergehen. Ich machte sofort einen Termin im CVK zum PET-CT. Beim PET-CT bekommt man vor der Untersuchung eine radioaktive Substanz in die Vene gespritzt. Die Radioaktivität setzt sich in den Zellen mit erhöhtem Energiebedarf, z. B. Tumorzellen ab und leuchtet dann auf dem CT-Bild. So kann man genau sehen, wo der Tumor sitzt. Drei Wochen später lag ich also da und wurde gescannt. Und tatsächlich, in meinem Hals leuchtete etwas. Nur schwach, aber da war etwas. Ich setzte mich gleich mit dem mich schon 2017 behandelnden Chirurgen in Verbindung und wir machten einen Termin für die nun unvermeidliche Neck-Dissection. Die OP sollte vier Stunden dauern und vorher sollte wieder eine Panendoskopie gemacht werden. Ende Juli ging es also wieder ins Krankenhaus. Ich machte ein Upgrade auf ein Einzelzimmer, was ich bei Operationen im MKG-Bereich nur jedem empfehlen kann, wenn man sieht, was da so auf der Station rumkraucht. Diesmal ließ ich mir eine Beruhigungstablette geben und kurz darauf wurde ich auch schon im Krankenhauslaibchen im den OP-Trakt geschoben. Die Panendoskopie lief wie zwei Jahre zuvor auch. Ich habe keine großen Erinnerungen daran. Die OP dauerte tatsächlich viereinhalb Stunden und ließ mich mit einer großen t-förmigen Narbe vom Ohr zum Schlüsselbein und zum Kinn zurück. Nachmittags wurde mir bei der Visite das Ergebnis verkündet. 38 Lymphknoten entfernt und den Primärtumor gefunden. Ein Zungengrundkarzinom, recht klein und mit HPV16-Nachweis. Wer nicht weiß, was HPV16 ist: das sind Humane Pappilomavieren. Bei Frauen könnende Gebärmutterhalskrebs verursachen, bei Männern solche Dinge wie Zungengrundkarzinome.
Toll! Nie geraucht, nicht übermäßig getrunken und nun trotzdem ein Zungengrundkarzinom. Die Ärztin meinte aber, dass sei eine gute Nachricht bei all den schlechten, denn diese Zellen sprechen sehr gut auf Bestrahlung an. Also kein CUP-Syndrom mehr. Der Primarius ist gefunden. Nun weiß man wenigstens, gegen wen man kämpft.