Erleichterung vs. Belastung
Annette fragt… David
David lernte ich bei der Influcancer 2022, einem Online-Krebskongress, kennen. Beim Speeddating tauchte mir gegenüber auf dem Bildschirm ein sympathischer Kerl auf, der gerade in Quarantäne war. Nicht ungewöhnlich während einer Pandemie. Aber 119 Tage coronapositiv zu sein, ist wahrlich ein Knaller, oder?
Von diesem Knaller, der David nach zwei Jahren Krankenstand aufgrund eines Non-Hodgkin-Lymphoms ausgerechnet in seiner Wiedereingliederung traf und einigen andere Knallern aus seiner Kranken- und Lebensgeschichte werde ich euch hier berichten.
Freut euch auf ein Interview mit einem beeindruckenden Mann, dem es gelingt, im unschönen Wust von Krankheit und Bürokratie das Bewusstsein und die Dankbarkeit für das Schöne im Leben und den Glauben an die Liebe nicht zu verlieren.
Annette: Lieber David, ganz zu Beginn deiner Krebsreise war da ein Gähnen und dann nahm das Verhängnis seinen Lauf… Was war denn da los?
David: Ich saß eines Märzabends im Jahr 2019 auf der Couch und gähnte vor mich hin. Bei einem Gähner fühlte es sich plötzlich an, als bekäme ich einen Krampf in die Wange. Die linke Wange wurde taub und gefühlslos. Was los war, wusste niemand so genau.
Annette: Bei mir vergingen zwischen einem auffälligen Fund in meiner rechten Brust und dem Beginn der Therapien keine vier Wochen. Das sah bei dir leider komplett anders aus: Bis es bei dir zur Krebsdiagnose kam, hast du die Bekanntschaft von zig Ärzt*innen gemacht und viele Praxen und Kliniken von innen gesehen. Nimm uns doch mal ein bisschen mit auf deine Krankenodyssee!
David: Anfangs ging es zum Neurologen, Hausarzt und Zahnarzt. Sogar ins MRT für den Kopf wurde ich geschickt. Alles ohne Befund. Bis dann im September Zahnfleisch weg war und ich zu den Kolleg*innen aus der MKPG (Mund-, Kiefer-, plastische Gesichtschirurgie) in Heidelberg kam.
Der Geschmack und der Geruch von nekrotischem Gewebe waren meine Begleiter geworden. Regelmäßiges Spülen und Kontrollen standen auf dem Plan.
Bei der MKG in Heidelberg gab es dann mehrere Entnahmen und auch ein CT. Dort wurde das erste Mal das Wort „Lymphom“ in den Mund genommen. Also Krebs… Es kam bei einer Knochenprobenentnahme heraus, dass der Krebs in meinem Unterkiefer saß.
Mitte November wurde ich dann stationär aufgenommen. Allerdings in Mannheim, da in Heidelberg kein Zimmer für mich frei war. Zur weiteren Behandlung des Kiefers ging es dann noch nach Ludwigshafen weiter.
Annette: Wow, du bist also in vielen Krankenhäusern herumgekommen…
Du hattest ein Non-Hodgkin-Lymphom. Was ist das? Und wie wurdest du behandelt?
David: Non-Hodgkin-Lymphome sind eine heterogene Gruppe von Krebserkrankungen, die von Zellen des lymphatischen Systems, sogenannten Lymphozyten, ausgehen. Die verschiedenen Lymphome unterscheiden sich hinsichtlich Prognose und Therapiemöglichkeiten je nach Zelltyp sowie nach klinischen und molekularen Eigenschaften. (Text geklaut aus Google, hihi)
Die Behandlung verlief in meinem Fall mit 6x DA-EPOCH-R, einer angeblich hochaggressiven Chemotherapie als Infusion. Vier Beutel zu je 24 Stunden. Plus einen Beutel Cyclophosphamid über drei Stunden. Erster Tag (Mittwoch) ambulant Antikörper Rituximab. Dann stationärer Aufenthalt von Donnerstag bis Mittwoch.) und 20 geplanten Bestrahlungen des Unterkiefers.
Im Anschluss wurde ein Rezidiv auf dem Brustbein gefunden. Nochmal 25 Bestrahlungen des Brustbeins folgten (die letzten fünf mit Booster).
Dann die erste OP der Unterkieferrekonstruktion.
Das anschließende CT zeigte neue Herde auf der Lunge. Also wieder nach Mannheim, zwei Runden D-Hap (Chemo als Infusion) abholen. Stammzellen sollten abgenommen werden, aber es waren nicht genug im Beutel. Dafür kam eine weitere Läsion im Rachen ans Licht, das dritte Rezidiv sozusagen. Man entschloss dann, die CAR-T-Zellen in Heidelberg anzuwenden.
Annette: Wie geht es dir mittlerweile: Bist du – Stand heute – krebsfrei? Hast du noch an (chemo-)therapeutischen Nachwirkungen zu knabbern?
David: Seit dem 1.9.2021 bin ich in Remission. Ich bin müder und träger als noch in der Akuttherapie. Vielleicht ist es Fatique. Dazu kommt das fehlende Immunsystem, weshalb ich immer wieder mit Infekten kämpfe. Und die Nachwirkungen von Corona kommen weiterhin mit dazu.
Es geht mir nicht schlecht, aber ich bin auch noch nicht am Ziel meiner Leistungsfähigkeit angekommen. Es darf gerne wieder mehr sein.
Eine weitere Nachwirkung ist die verlorengegangene Sehstärke. Wobei ich nicht weiß, ob dies ausschließlich durch die Therapie kam oder am Alter liegt…
Annette: Hihi, mit dieser Nachwirkung schlage ich mich auch rum und frage mich exakt dasselbe…. Wer ist Schuld: Der Krebs oder das Alter?! Im Zweifelsfall ist es wohl eine ungute Kombination…
Annette: Ich selbst begann während meiner Chemotherapie auf meinem Kurvenkratzer-Blog zu schreiben. Nach und nach kamen dann Instagram-Aktivitäten dazu. Du hast dein Krebs-Tagebuch oder wie du es nennst „Davids Cancer Diary“ auf Facebook und Instagram. Wie kamst du auf die Idee und welche Intention verbirgt sich dahinter?
David: Tatsächlich kam die Idee durch meine Therapeutin: Ich sollte etwas für mich finden, was ich alleine machen kann. Malen, basteln oder anderes. Doch für all das bin ich nicht so der Typ.
Also kam die Idee mit dem Tagebuchschreiben. Meine Intension dabei ist: Verarbeiten, aufmerksam machen, verbreiten. Sowie alles zu zeigen, was damit verbunden ist: Mut machen, Hoffnung geben. Aber genauso auch mal die nicht so schönen Seiten zeigen wie die ganze aufwändige Bürokratie dahinter.
Aber immer wieder geht es mir darum, auch das Schöne oder noch Schönere ins Bewusstsein zu rücken: Urlaube, Dankbarkeit, Liebe.
Annette: Wegen der Pandemie konnte ich während meiner Erkrankung leider an keinem Schmink-Workshop der DKMS-life teilnehmen wie das so viele Krebsbetroffene tun. Ich habe einen Post von dir entdeckt, in dem du von einem solchen Seminar erzählst. Total cool, dass du als Mann sowas gemacht hast. Was wurde da gemacht, was hast du für dich daraus mitgenommen? Und: Wie können andere Interessierte auch in so einen Workshop kommen?
David: Tatsächlich war der Workshop online. Man bekam ein Paket mit diversen Pflegeprodukten. Es war eine Art „Get together“. Man erzählte kurz von sich in einer Vorstellungsrunde. Dann wurden die Produkte präsentiert. Dies übernahmen die Roth-Zwillinge (zwei ehemalige Handballspieler, die fast zeitgleich an Prostatakrebs erkrankten.
Es ist schön, dass es die Möglichkeit für solche Workshops gibt. Sie sind ein kleines Highlight im tristen Alltag einer Krebserkrankung.
Die Anmeldung erfolgt per Mail direkt bei der DKMS. Mein Tipp an Betroffene und Interessierte: Haltet immer wieder die Augen offen. Oft werden die Termine auch in Instagram- oder Facebook-Stories geteilt !
Einschub: Mehr zu den Workshops findet ihr hier.
Annette: Meine Diagnose war im November 2020 und schon im September 2021 ging ich mit ein paar Stündchen wieder zurück in die Schule und das hat eigentlich recht schnell wieder recht gut geklappt. Du hast nach zwei Jahren Krankenstand mit der Wiedereingliederung angefangen. Wie lief die ab? Konntest du dieselbe Leistung wie vor deiner Erkrankung bringen oder was signalisierten dir Körper und Geist?
David: Ich hatte eine stufenweise Wiedereingliederung. Angefangen mit zwei Stunden im 2-Wochen-Rhythmus bis zu sechs Stunden. Danach hab ich vier Monate Vollzeit gearbeitet.
Mein Körper sagte mir meist recht schnell, dass meine Konzentration weg war. Nach 30-45 Minuten brauchte ich Bildschirmpausen, musste mich ablenken. Außerdem konnte ich Gesprächen nicht mehr folgen. Es flossen dann zu viele Informationen auf einmal in mein Köpfchen ein.
Ein Nachteil bei meinem Wiedereinstig war zudem, dass ich nicht im Homeoffice arbeiten durfte. Dort wäre ich geschützter gewesen vor Infekten wie Corona. Und hätte zudem “zwischendurch” meine Arzttermine wahrnehmen können.
Aber somit war es mir nicht möglich, dieselbe Leistung wie vor der Erkrankung zu bringen.
Auch für die Zukunft rechne ich nicht damit, so schnell wieder zu meiner früheren Leistung zurückzukommen. Es wird seine Zeit brauchen, bis alles wieder im Einklang ist.
Annette: Deine Wiedereingliederung war noch nicht weit fortgeschritten, da machte eine Coronainfektion dir einen bzw. zwei Striche durch die Arbeits-Rechnung. An sich nichts Besonderes, hatte doch irgendwie jede*r von uns nun in den letzten zwei Jahren ein- oder mehrmals Corona (ich durfte es zweimal genießen). Allerdings gestaltete sich die Sache bei dir doch etwas anders… Denn du warst unglaubliche 119 Tage lang corona-positiv! Unter welchen Symptomen hast du gelitten? WelcheAuswirkungen hatte das alles auf dein Immunsystem, deine Blutwerte und nicht zuletzt auch auf dein Familien- und Berufsleben?
David: Mit großem Glück bei all den Defiziten hatte ich „nur“ eine laufende Nase und Husten. Die beiden Infektionen davor waren grippeähnlich mit Fieber und Co.
Wir haben schnell rausgefunden, dass ich das Virus zwar in mir habe, jedoch nicht weitergebe. Meine Freundin (jetzt Ehefrau), ihre Cousine, unsere Freunde und Familien haben sich nicht bei mir angesteckt.
Bei all der Abgeschlagenheit und den bis Oktober geltenden Regelungen war ich erneut isoliert. Danach kamen die Lockerungen, was für mich das Privatleben leichter gemacht hat. Arbeiten hätte ich erst ab einem CT von 30 dürfen. Den ich nie hatte.
Seit Januar 2023 bin ich jedoch wieder negativ.
Es folgten Reha und OP und dann noch die geplanten Urlaube. Danach startete ich dann mit der erneuten Wiedereingliederung.
Seit September 2023 bin ich nun wieder im regulären Angestelltenverhältnis. Mit Teilerwerbsrente.
Annette: Ich habe in einem Buch meine Geschichte erzählen dürfen. Auch du warst Co-Autor in einem Buch. Das interessiert mich sehr! Erzähl mal etwas genauer, was es damit auf sich hat!
David: Das Buch wurde zu Coronazeiten von der Freundin einer Freundin verfasst. Diese Freundin hat auch den Kontakt hergestellt und mich gebeten, eine kleine Geschichte zu schreiben. Wir stehen teilweise heute noch im Kontakt und haben beide enorme Entwicklungen durchgemacht. Es war eine schöne Sache bei dem Buch dabei zu sein.
Annette: Ich selbst hab nach einer Tattoo-Jugendsünde nach meiner Krebserkrankung die Liebe zu Tattoos (wieder)entdeckt und mittlerweile sieben Stück (und schon den nächsten Termin zum Stechen ;). Du selbst hast unter dem Titel „Kindheitstraum Teil 1“ ein Foto eines tollen Tattoos auf deinem Rücken gepostet. Hiermit hast du natürlich sofort meine Neugier geweckt. Hat dein Tattoo etwas mit deiner Erkrankung zu tun?
David: Ich habe schon seit Kindertagen den Traum eines Tattoos. Jedoch nie das passende Motiv oder den Antrieb gefunden. Nach längerem Überlegen und verschiedenen Entwürfen war das Ergebnis fertig. Der Löwe steht für mein Sternzeichen oder die Kämpfernatur gegen den Krebs. Das Logo für die Eishockeymannschaft, zu der ich seit 26 Jahren gehe. Die Schläger für mein Hobby (Inline Hockey). Die grüne Krebsschleife für das Lymphom (sie sollte jedoch nicht das Tattoo übertrumpfen). Der Lorbeerkranz als dezenter Abschluss und als Sieg über den Krebs.
Annette: Wow, da zeigt sich: Ein Tattoo hat sehr oft Tiefgang! Das wird nicht mal „einfach so in einer feuchtfröhlichen Laune“ gestochen, wie landläufig gern mal behaupten wird.
Annette: Ich bin seit über zwanzig Jahren mit meinem Mann zusammen. Du hast dich im Laufe deiner Erkrankung von deiner Partnerin getrennt. Du hattest aber das große Glück, das alles nicht komplett allein durchstehen zu müssen, da du eine neue Partnerin gefunden hast. Wie habt ihr es geschafft, trotz deiner Erkrankung unbeschwerte Momente zu genießen? Kannst du anderen Betroffenen Tipps geben, wie man sich Freiräume und Auszeiten schaffen kann.
David: Wir waren nicht verheiratet, aber sie ist die Mutter meiner Kinder. Und ja!!!! Ich habe das große Glück gehabt, aus dem Krankenbett heraus, eine wundervolle Partnerin zu finden.
Wir lernten uns online kennen und telefonierten recht schnell miteinander. Nach meinem Krankenhausaufenthalt haben wir uns dann auch nahezu täglich gesehen und waren spazieren. Nach einem Heiratsantrag hoch zu Ross haben wir dann am 18.03.2023 standesamtlich geheiratet. Im Juli 2024 dann heirateten wir kirchlich und feierten ein großes Fest. Es war wunderschön und unvergesslich.
Und als Krönung unserer wunderbaren Liebesgeschichte erwarten wir ein Kind.
Ich denke, man sollte machen, was einen glücklich macht.
Jeder Mensch ist anders. Jeder hat andere Interessen.
Wir beide lieben es, gemeinsam Zeit zu verbringen. Erschaffen uns aus jeder Situation schöne Momente. Ob im Sessellift, in der Gondel, auf der Alm. Es gibt so viele schöne Flecken auf der Erde, die es lohnt, gesehen und bestaunt zu werden.
Unsere gemeinsame Reisezeit ist noch längst nicht beendet. Wir planen schon die nächsten Aufenthalte. Ob allein oder mit den Kindern oder mit unseren Eltern.
Extrem wichtig für mich und uns ist der starke Rückhalt von Familie und Freund*innen. Ohne diese Stärkung im Hintergrund wäre all das nicht möglich. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle!
Annette: Ich war zum Zeitpunkt meiner Diagnose schon dreifache Mutter. Dieses Glück ist nicht allen gegönnt und so sehen sich viele Patient*innen nicht nur mit einer Krebsdiagnose, sondern auch mit einem möglichen Ende ihres Kinderwunsches durch Chemotherapie und Co konfrontiert. Du selbst hattest bei deiner Diagnose schon zwei Kinder aus deiner ersten Beziehung, aber deine neue Partnerin wünschte sich noch ein Kind. Ich weiß, dass dies nicht ganz so einfach war. Magst du uns heute von eurem Weg berichten?
David: Der Wunsch nach Nachwuchs war von meiner Frau und mir da. Meine Kinder lebten ja nicht mehr mit mir zusammen. Der Weg zum Nachwuchs war jedoch nicht leicht.
So kam als Nebenwirkung der Chemotherapie die Infertilität. Wir nahmen viele Gespräche, Recherchen und Behandlungen vor. Schließlich kam es im Mai zum Erfolg und wir erwarten im Januar 2025 (oder auch früher) Nachwuchs.
An dieser Stelle der Aufruf von mir an alle Männer oder Männer, die mal Väter werden wollen: Informiert euch über Möglichkeiten bezüglich Maßnahmen zum Erhalt der Fruchtbarkeit und trefft rechtzeitig eure Entscheidungen! Ihr werdet es sicher nicht bereuen. Vielmehr, wenn ihr es nicht getan habt!
Annette: An dieser Stelle möchte ich auf das Projekt “FEON – Fertilität und Ethik in der Onkologie” hinweisen, an dem ich über Jung und Krebs e.V. involviert bin. Du hast dich mit einem Interview an dieser Studie beteiligt. Vielen Dank dir nochmals dafür, dass du damals meinem Aufruf dazu gefolgt bist. Das wird helfen, dieses Thema immer mehr in die Öffentlichkeit zu bringen.
David: Ja, wer wer sich für dieses Thema interessiert, kann auf der Homepage der Uniklinik mal genauere Infos einholen. Und dort an einer anonymen Online-Befragung zum Thema Krebs und Kinderwunsch teilnehmen. Durch eure Antworten kann in Zukunft noch viel mehr Betroffenen geholfen werden.
Schön, dass ich dich kennenlernen durfte und wir mittlerweile in regem WhatsApp-Austausch sind.
Mehr über David findet ihr hier:
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David zu Gast im Podcast „Krebs als zweite Chance“
Davids Geschichte im Buch „Persönliche Geschichten aus dem Jahr 2020“ von Natascha Roth
Hier geht’s direkt zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”