Erleichterung vs. Belastung
Ein neues Leben beginnt, Stammzellentransplantation
Vor der Stammzellentransplantation wird man über all die Risiken aufgeklärt, die eine allogene Stammzellentransplantation mit sich bringt. Die Liste ist unendlich lang und man fragt sich, ob man die Transplantation überhaupt machen möchte. Die Aussicht tatsächlich gesund zu werden ist gering. Aber ich hatte keine Wahl, sonst wäre ich an meiner Leukämie binnen weniger Wochen verstorben.
Die Ärztin sagte mir damals, dass viele Patienten rauslaufen und sich der Transplantation erst gar nicht stellen. Und das man für neue Stammzellen einen hohen Preis bezahlen würde. Was sie damit meint, weiß ich erst heute, 3 Jahre später. Mit der Zeit lernt man, mit den Folgeschäden zu leben und man arrangiert sich damit. Für mich hat der Begriff “Gesund” eine völlig neue Bedeutung bekommen. Für mich zählt immer nur das große Ganze, nämlich, dass ich, als eine der Wenigen, überlebt habe!
Um neue Stammzellen transplantiert zu bekommen, muss das alte Knochenmark, das alte blutbildende System zuerst einmal vernichtet werden! Dazu erhält man eine Konditionierungstherapie.
Zitat meiner Ärztin: “Diese Chemo stellt alle bisherigen Chemos in den Schatten, Isabella! Es gibt nichts stärkeres mehr, nichts toxischeres mehr. Aber wenn ich eine Chance haben möchte, länger als 3 Jahre zu leben, dann ist dies die einzige Chance. Sofern ich nicht an Organversagen versterbe. Sie ist so hochtoxisch, dass man sich davon ohne gesunde Stammzellen eines Fremdspenders, nie mehr erholen würde. Doch wenn es funktioniert, Isabella, dann hast du 60% Chance, länger als 3 Jahre zu leben.”
Das erschien mir viel, also quasi 50:50. Leben oder Tod.
Das heißt, ohne Stammzellen eines fremdes Menschen, wäre ich an dieser Chemo verstorben. Ich muss erhrlich sagen, mir zitterten die Knie vor dieser Chemotherapie. Denn die davorigen die ich bekam, waren schon so heftig. Und dann dass auch noch. Aber ich wusste auch: Es ist die einzige Chance die ich habe. Also setzten wir alles auf eine Karte. LEBEN oder TOD.
Zeitgleich musste ich mir überlegen, ob ich eine Patientenverfügung machen möchte. Für den Fall, dass ich an der Chemotherapie oder an den Folgen der Transplantation versterbe.
Ein Außenstehender wird sich nie vorstellen können, wie es ist, allein im Isolierzimmer zu liegen und sich über all das Gedanken machen zu müssen. Ich weinte oft bitterlich, das Pflegepersonal hat mir immer wieder Mut zugesprochen und meine Hand gehalten. Ich wollte einfach nicht sterben und ich hatte wirklich Angst vor allem.
Kurz bevor es losging – und zu dem Zeitpunkt war ich körperlich durch den 2. Chemozyklus bereit am Ende – entschied ich mich bewusst keine Patientenverfügung zu machen. Denn ich glaubte mental daran, zu überleben. I.wie fühlte es sich so an, als würde ich bereits aufgeben und mich auf den Tod vorbereiten. Das wollte ich nicht.
Dann ging es schließlich los. Ich wurde auf die KMT-Station nach Graz verlegt, meine Zellen (mein Blutbild, mein Immunsystem) waren durch den 2. Chemozyklus noch beinahe auf Null. Ich wurde als Hochrisikopatientin eingewiesen. Die Zeit war gegen mich. Denn meine Leukämiezellen (Blasten) waren zwar durch den 2. Chemozyklus runtergedrückt worden, jedoch sind sie binnen weniger Tage wieder explodiert und es musste sofort weitergehen, denn sonst wäre es wieder zu spät gewesen.
Oft höre ich von Außenstehenden, dass eine Leukämie gut heilbar wäre. JA, wir haben eine Chance auf Heilung. Es kommt aber immer auf die LEUKÄMIEFORM an! Und davon gibt es UNZÄHLIGE! In meinem Fall waren die Chancen sehr gering. Ich hatte eine akute myeloische Leukämie FAB M1 mit 6 verschiedenen Mutationen. Zudem kommt, dass eine akute Leukämie, so schnell wächst, dass sie unbehandelt binnen weniger Wochen, oft nur TAGE zum Tod führt. Und dass die Chemotherapien zu den toxischsten gehören, die es gibt. Und für alle Esoteriker, die glauben, mit Weihrauch könne man so einen Krebs besiegen: EBEN NICHT, man würde binnen Tagen/Wochen sterben!
Binnen einer Woche habe ich alle Voruntersuchungen über mich ergehen lassen. Ganzkörper CT, Lungenfunktion, Herzecho, Zahnstatus, Gynäkologische Untersuchungen, MRT, Zentralvenenkatheter, Knochenmarkpunktion. Alles musste vorab untersucht werden um eventuelle Schwachstellen für Viren und Keime zu beseitigen. Denn durch die Konditionierungstherapie verliert man sein Immunsystem, da kann selbst ein Löchlein im Zahn gefährlich werden und eine Angriffsstelle für Viren sein.
Am 12.07.2017 ging es dann los. Das war der Tag Minus 7, Start der Konditionierungschemo. 6 Tage alle 4 Stunden eine Chemo. Dazwischen unzählige Medikamente wie z.B. Mittel gegen epileptische Anfälle oder Immunsuppressiva, damit es nicht zu einer akuten GVHD kommt.
Was bedeutet Konditionierungstherapie? Die Konditionierungstherapie ist die vorbereitende Chemotherapie zur Stammzellentransplantation. Sie vernichtet das Blutbild, das Knochenmark, das Immunsystem und die Stammzellen. Man wird also wie ein Computer auf NULL gesetzt.
Für die nächsten 5 Wochen hing ich 24 Stunden an meinen Infusionsständer. Für 15 bis 30 Minuten am Tag wurde ich abgehängt um mich waschen zu können. Schon beim reinlassen der Chemo, habe ich sie gespürt. Mein ganzer Körper zitterte und es “wurlete” überall. Die Chemo war wirklich anders, als die bisherigen. Gottseidank habe ich sie ohne Organausfälle überstanden. Zu dem Zeitpunkt war ich eigentlich nur noch “anwesend”. Ich bekam den Besuch oft gar nicht mehr mit. Ich versuchte trotz Mukositis jeden Tag etwas Brei zu essen, damit mein Darm was zu tun hat. Jetzt im Nachhinein, fühlt sich diese Zeit, wie ein Nebel in meinem Kopf an.
Zeitgleich wurde meine Schwester für die Spende vorbereitet. Sie musste sich Stammzellenaufbauende Spritzen geben. Und am Tag -1 musste sie zur Stammzellenspende.
Am Tag NULL, dem 19.07.2017 erhielt ich dann die lebensrettenden Stammzellen meiner Schwester.
Mein Leben wurde in Tagen gezählt. Von Minus 7 (Start der Konditionierungstherapie) bis zum Tag NULL (Tag der Stammzellentransplantation). Von da an PLUS 1 … etc.
Ein neues Leben begann. Ab diesen Zeitpunkt hieß es warten und hoffen, dass die transplantierten Stammzellen es schaffen. Ob die Transplantation gut ausgeht und meine Leukämie tatsächlich besiegt werden könne, und wenn Ja, welche Folgeschäden bleiben und welche Komplikationen noch kommen würden, dass konnte mir zu diesen Zeitpunkt niemand sagen. Es war ein Versuch damals. Hätte ich damals gewusst, was danach noch alles auf mich zukommt, hätte ich es wsl. nicht gemacht. Heute bin ich froh den Weg gegangen zu sein.