Erleichterung vs. Belastung
Guter Morgen
Was will das Leben von mir?, fragt ein Freund. Dieser Satz hat einen Fehler: die Perspektive. Richtig muss er heißen: Was will ich vom Leben? Das Leben will gar nichts von uns, außer dass wir atmen und Freude daran haben. Wir haben keine Schuld ihm gegenüber, etwas Besonderes damit anzustellen.
Eine Freundin, sie hat weit fortgeschrittenen Krebs, sagt: Ich schaffe es nicht, ich schaffe es nicht so wie du. Doch darauf kommt es nicht an. Wir dürfen uns nicht miteinander vergleichen. Egal, ob es Das Leben oder Der Krebs ist, alles passiert uns individuell, trifft uns mit unseren individuellen Voraussetzungen.
Diese Freundin sagt auch, ich sehe keinen Sinn mehr im Leben, ich sehe keinen Sinn mehr daran, am Leben zu bleiben. Ich erspare euch die Details, warum dem so ist, auch zum Schutz ihrer Privatsphäre. Ich kann ihre Sicht nachvollziehen. Vermutlich würde ich an ihrer Stelle genauso denken.
Das Traurige an der ganzen Sache ist: Im Gespräch mit ihr fehlen mir die Worte. Sonst weiß ich immer etwas zu sagen, Passendes und Unpassendes, irgendwas, das ich irgendwo gehört habe, wohlklingende und altkluge Sätze, nicht selten voll ins Fettnäpfchen rein, auch wenn es noch so klein im letzten Eck steht.
Aber im Gespräch mit ihr weiß ich nicht weiter. Vielleicht ist das Sterben und der Tod auch deshalb ein Tabu in unserer Gesellschaft, weil uns das Eingestehen zu sehr schmerzt, keine Worte zum Trösten eines geliebten Menschen zu haben. Die Reisebeschränkungen erschweren das Trösten zusätzlich.
Trotzdem ist heute ein guter Morgen. Die Sonne scheint und wirft Muster auf den Vorhang. Es geht weiter. Das ist das Leben. Für die meisten von uns geht es einfach weiter. Für viele geht es voran. Für andere bergab, für manche zu Ende. Es kommt darauf an, was wir daraus machen.