Erleichterung vs. Belastung
Zurück auf meinem Weg
Manchmal kann weniger die richtige Entscheidung, als die Tatsache allein, selbst die Entscheidung zu treffen, so befreiend sein, dass die Entscheidung schon durch das entscheiden zur richtigen Entscheidung wird.
Klar soweit?
Ich habe in den letzten Tagen und Wochen zeitweise sehr gelitten. Zunächst unter meinem neuen (von mir in den Raum gestellten und zunächst kaum gehörten) Rezidivverdacht und dann auch zunehmend unter meinem körperlichen, drastisch schlechter werdenden, Zustand.
Mit meinem R1 Befund lautete die Devise vor einigen Wochen so schnell wie möglich und so intensiv wie möglich bestrahlen. Hinter diesem Plan stand ich an und für sich. Zeitgleich spürte ich aber auch den ganz dringenden Wunsch die systemische Therapie nicht weiter auf die lange Bank zu schieben. Mein Plan die Bestrahlung in einer anderen Fraktionierung (höhere Einzeldosen oder mehrere Einzeldosen am Tag) um die gesamte Strahlentherapie in weniger Zeit hinter mich zu bringen scheiterte an der Überzeugung der Radioonkologen, welche die von ihnen geplante Hyperthermie für so wichtig und richtig hielten, dass sie sich trotz längerer Bestrahlungsdauer einen Profit davon versprachen.
Nachdem ich meine erste Strahlentherapie wirklich gut weggesteckt hatte (kaum allgemeine Beschwerden, Verbrennungen erst ganz am Schluss) war ich eigentlich guter Dinge, dass ich die Therapie körperlich gut überstehen würde. Dem war leider nicht so.
Bereits vor ca 3 Monaten hatte ich vorübergehend mit starkem, trockenen Husten zu kämpfen. Das damals gemachte Lungen-CT ergab eine strahlenbedingte Lungenfibrose, jedoch keinen Anhalt für Metastasen. Ein, in meiner Situation, erleichternder Befund. Nachdem eine starke Erkältung, die ich mir parallel zum Restaging eingefangen hatte, ganz allmählich verschwand wurde auch mein Husten weniger und ich wog mich vorsichtig in der Hoffnung auf Besserung.
Nun kam unter der neuen Strahlentherapie leider der Husten schnell und in unbekanntem Ausmaß zurück. Bereits in der zweiten Bestrahlungswoche konnte ich in Rückenlage nicht mehr tief atmen und musste immer wieder im Zuge eines Hustenanfalls spucken. Der Husten und die Atemnot raubten mir den Schlaf und gingen mir sehr schnell auch sehr an die psychische Substanz.
Als an ruhig liegen im Bestrahlungsgerät oder während der Hyperthermie nicht mehr zu denken war bekam ich vor Ort Codeintropfen.
Gegen den Hustenreiz zeigten die ihre Wirkung, halfen mir aber nicht über die Nacht und lindenrten auch nicht meine Atemnot.
Bei mir stieg die Sorge, dass die Strahlenfibrose schlimmer und meine Beschwerden von Dauer sein würden.
Ein geplantes Thorax-Abdomen-CT nächsten Dienstag wirkte auf einmal wieder sehr weit in der Zukunft.
In der Radioonkologie wurden die CT-Bilder vom Mai von verschiedenen Ärzten erneut beäugt. Man war überzeugt die deutlich sichtbare, aber nicht sehr räumlich ausgeprägte Fibrose sei nicht ursächlich für meine starken Beschwerden. Eine Lungenmetastasierung erschien allerdings auch nicht sehr wahrscheinlich. Lungenmetastasen führen meist erst spät zu deutlichen Symptomen und meine CT-Bilder vom Mai sind ja recht frisch und ohne Anhalt für eine Metastasierung.
Der Verdacht stand im Raum, dass die neuerliche Bestrahlung die Lungenfibrose drastisch verschlimmert und sich eine Strahlenpneumonitis (Lungenentzündung ohne Bakterienbefall, Überreaktion des Immunsystems) durch die Strahlenschäden eingestellt haben könnte.
Ende letzter Woche begann ich deshalb Kortison zu nehmen. Der Erfolg war erstaunlich. Mein Husten war innerhalb weniger Stunden weg, meine Atemnot deutlich gelindert. Da Kortison das Immunsystem unterdrückt ist es das Mittel der Wahl bei fehlgeleiteten Entzündungsreaktionen wie eben einer Strahlenpneumonitis.
Nach einem sehr schönen, aber auch sehr anstrengenden Wochenende verschlechterte sich mein Zustand allerdrings trotz Kortison im Verlauf des Sonntags deutlich. Das Atmen wurde immer schwieriger und ich bekam starke Hitzewallungen. Auch mein Husten machte sich wieder bemerkbar.
Trotz anderslautender Empfehlung der Radioonkologen (positive Befunde führen in der Regel zum Abbruch der derzeitigen Therapie) erbat ich mir am Montag früh eine Stanzbiopsie eines auffälligen Lymphknotens unter meinem linken Arm.
Meiner Ärztin fiel mein schlechter Allgemeinzustand deutlich auf und sie schickte mich kurzfristig ins Lungen-CT um eine Lungenembolie auszuschließen
Am Ende stand fest, dass ich keine Lungenembolie habe. Aber auch für eine Strahlenpneumonitis spricht anhand der neuen Bilder nichts. In der Lunge zeigt sich kein freies Wasser, kein Pleuraerguss. Es gibt keinen ernsthaften Verdacht auf Metastasen.
Dennoch sieht das CT nicht gut aus. Es zeigt sich eine deutliche Stauung von Flüssigkeit in den Blutgefäßen die die Lunge durchziehen.
Als würde mein Herz dir Kraft nicht aufbringen das zuvor in die Lunge gepumpte Blut vollständig wieder herauszupumpen. Kein allzu besorgniserregender Verdacht nach all dem Gift (insbesondere die Antrazykline, die in der neoadjuvanten Chemotherapie bei Brustkrebs Standart sind sind bekannt für ihre Kardiotoxizität) das mir im Rahmen meiner Krebstherapie verabreicht wurde.
Denkbar wäre allerdings auch eine Lungenfunktionseinschränkung aus anderen Gründen. Da kommt wieder die Lungenfibrose, also Narbengewebe das Gefäße blockiert und die natürliche Beweglichkeit der Lunge einschränkt ins Spiel, oder auch, mein Absolutes Angstszenario, eine Lymphangiosis Carcinomatosa in der Lunge. Das ist ein Krebsbefall der Lymphgefäße in der Lunge.
Eine Lymphangiosis Carcinomatosa der Lunge ist kaum überhaupt und in der Regel nur symptomlindernd behandelbar. Die Restlebenserwartung mit einer solchen Metastasierung ist gering.
Desweiteren zeigte mein Blutbild einen drastischen Anstieg in meinen Tumormarkern. Vor allem der CA-125, der eigentlich kaum mit Brustkrebs assoziiert wird, ist jenseits von Gut und Böse unterwegs. Ein solcher Anstieg kann während einer Krebstherapie völlig irrelevant sein, er kann sogar Therapieinduziert sein, er kann aber auch auf eine Bauchfell-, Lungen- oder Eierstockmetastasierung hindeuten.
Ich hoffe, dass wenigstens in diese Fragestellung, das CT nächsten Dienstag etwas mehr Klarheit bringt.
Ein, von mir vorsichtig positiv bewerteter, Faktor ist meine neue und deutliche Schilddrüsenunterfunktion. Die Schilddrüse befindet sich bereits zum zweiten Mal im Bestrahlungsgebiet. Schon nach meiner ersten Strahlentherapie hat sie zeitweise überhaupt nicht getan was sie hätte tun sollen. Nun wurden im Vorfeld der Kontrastmittelgabe für das CT die Werte gecheckt und es zeigte sich – auch dieses Mal arbeitet sie nicht wie sie sollte.
Das ist natürlich nicht schön, könnte aber eine Erklärung für meine Hitzewallungen und sogar eventuell für meine Atmennot darstellen.
Auch das Kortison kann eventuell Teile meiner Symptome erklären.
Ungeklärt ist wie das Kortison meine Symptome so effektiv lindern kann, wenn der Verdacht einer Strahlenpneumonitis offiziell vom Tisch ist. Fakt ist auf jeden Fall, dass mit weniger Kortison mein Husten wieder schlimmer wird.
Am Mittwoch bekam ich leider, aber ich hatte es gewusst und längst nicht mehr daran gezweifelt, den Befund aus der Pathologie: eine neue Lymphknotenmetastase unter meinem linken Arm.
Für mein Gefühl erübrigt sich dadurch die Bestrahlung der rechten Thoraxwand (mit all den Begleiterscheinungen zur Zeit) total.
Mein, schon länger formulierterer, Wunsch nach einem schnellstmöglichen Start in die Systemtherapie gewann durch den neuen Befund an Dringlichkeit.
Am Donnerstag verbrachte ich den ganzen Tag am UKT. Ich brach meinem Wunsch entsprechend, nach langen Gesprächen mit meinen behandelnden Ärzten, die Strahlentherapie ab.
Um Herzprobleme, auch in Anbetracht der geplanten neuen Systemtherapie, auszuschließen bekam ich noch am selben Tag ein Kardiokonsil.
Bereits auf dem Weg dorthin verbesserte sich meine Atemnot deutlich.
Der Befund in meiner Lunge ist keine psychosomatische Sache und mein Husten kein Angstsymptom. Und doch hat allein die Entscheidung die Strahlentherapie abzubrechen und mein Schicksal wieder etwas mehr in meine eigenen Hände zu nehmen einen für mich fast unglaublichen Effekt auf meine Psyche und meinen Körper. Das kann jeder, der mich kennt, seit Donnerstag Nachmittag wahrnehmen.
Kardiologisch gibt es bei mir übrigens keine nennenswerten Probleme. Jedenfalls nichts was den CT-Befund erklären würde. Ich versuche nicht zu viel in diesen, doch eigentlich positiven, Befund hineinzuinterptetieren.
Um mit der Systemtherapie starten zu dürfen brauche ich nun 14 Tage Therapiepause. Die erste Gabe ist für den 6. August geplant.
Ich setze sehr große Hoffnungen in dieses Medikament (Sacituzumab Govitecan).
Auch muss ich das Kortison nun absetzen. Parallel zu meiner Systemtherapie ist es nicht zulässig.
Ich werde in den nächsten Tagen erleben wie gut ich ohne klar komme.
Um meiner Lunge das Leben vorerst etwas leichter zu machen bekomme ich nun Entwässerungstabletten und soll nächste Woche noch zum Lungenfunktionstest. Ich bin gespannt.
Für das Thorax-Abdomen-CT am Dienstag kann ich jeden gedrückten Daumen gebrauchen.
Am 3. August bekomme ich meinen dritten Port. Ich freue mich drauf. Dann kann der Kampf wieder losgehen. Ich bin bereit.
Vor 10 Tagen habe ich mit einer Denosumabtherapie (Xgeva) begonnen. Falls die auffällige Stelle in meiner Lendenwirbelsäule eine Metastase sein sollte könnte das helfen. Jetzt habe ich einen Calciummangel. Dafür ist meine alkalische Phosphatase das erste Mal seit Beginn der Therapie im Normalbereich.
Das Leben ist seltsam. Das sind wirklich kleine Probleme und sie verlieren gegenüber der so aggresiven und schnell voranschreitenden Krebserkrankung irgendwie so sehr an Wichtigkeit, dass selbst die Ärzte oft fast schon irritiert sind, wenn man dann Mal so etwas einfaches wie “ein Rezept für Calcium” braucht.
Jetzt habe ich sehr viel geschrieben. Normalerweise versuche ich etwas mehr in Worten und Sätzen zu schreiben die auch für den Leihen problemlos zu verstehen sind, aber heute wollte ich einfach Mal wirklich erklären was los ist und auch aufzeigen, dass es sehr kompliziert ist.
Zur Zeit weiß ich vor allem, dass ich nicht sehr viel weiß. Aber ich habe noch Hoffnung und ich habe meinen Kampfgeist wieder.
In Bezug auf die Strahlentherapie gab es wohl kaum die eine richtige Entscheidung. Aber es gab meine richtige Entscheidung.
Ich bin wieder auf meinem Weg und es fühlt sich so gut an!