Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Alles ist jetzt: Vom Pläneschmieden, Abschied nehmen und dem puren Leben

Schon am Dienstag überlegen, was am Wochenende ansteht, einen Essensplan für die ganze nächste Woche aufstellen, vorm Schlafengehen im Kopf die Termine und Aufgaben für den nächsten Tag koordinieren, alles daran setzen, um irgendwo pünktlich zu sein …  So war sie, „die Annette vor dem Krebs“. In diesem Blogtext schreibt eine weniger organisierte, aber eindeutig ruhigere, weitaus geerdetere und aktuell auch recht nachdenkliche Annette über das Leben nach dem Krebs, das zeitweise mit Verlust, Trauer und dem Tod zu tun hat, aber dennoch eindeutig lebenswert ist.

(Wer multitaskingmäßig unterwegs ist, dem rate ich als Hintergrundmusik zu diesem Text Bosse mit „Alles ist jetzt” laufen zu lassen und es ggf. nach dem Lesen gaaaanz laut aufzudrehen. Es lohnt sich! https://www.youtube.com/watch?v=RWOE7_bRXSs)

Von der Königin der To-Do-Liste zur Kaiserin der Alternativen

In meinem Vor-Krebs-Leben hatte ich sie also, all die schönen Pläne aus der Einleitung und noch viele, viele mehr davon. Und dann? Regnete es das ganze Wochenende und sämtliche Ausflugsideen waren dahin, es flatterte ein Newsletter mit tollen Rezepten herein und plötzlich hatte ich so gar keine Lust mehr auf die geplanten Mahlzeiten oder es musste ein Kind fiebrig aus dem Kindergarten abgeholt werden und die gesamte Tagesplanung war dahin. Vor dem Krebs brachten mich solche Unvorhergesehenheiten aus dem Konzept, machten mich unruhig und oftmals sogar sehr aufgebracht und wütend.

Ich gestehe: Ich hüpfe auch jetzt nicht fröhlich durchs Zimmer, wenn ich anstatt den Wanderrucksack zu packen mit der allen hier im Haus herumsitze, ich sitze nicht glücksstrahlend auf dem Sofa, weil ich alle Termine absagen muss. Aber ich kann diesen Stilltand mittlerweile ertragen.

Jetzt sage ich: Das ist das Leben und freue mich über stressfreiere Wochenenden, an denen Besucherkinder da sind oder es spontan Raclette gibt, weil wir ja Zeit haben. Ich gehe einfach mehrmals die Woche in den Supermarkt, um auf spontane Essenswünsche oder -ideen eingehen zu können, sage Termine einfach ab und widme mich beherzt der Krankenpflege.

Vor dem Krebs war mein Glas am Ende eines Tages, an dem nicht die ganze To-Do-Liste abgearbeitet war, für mich halb leer und ich war mit mir unzufrieden. Heute hingegen gegen sehe ich das Glas eindeutig halb voll. Ich schaffe es sogar immer häufiger, es am Ende des Tages ohne schlechtes Gewissen, aber mit Hochgenuss, auszutrinken und mich zu loben: „Ich habe heute doch einiges geschafft und darauf kann ich stolz sein!” Die noch offenen Punkte bleiben einfach auf der Liste stehen und werden am nächsten Tag abgehakt. Immer wieder passiert es so ja auch, dass  siech die eine oder andere Aufgabe über Nacht hinfällig geworden ist und ich Platz für Neues habe.

Die liebe Shila, die Mutter aller Mutlöwinnen (@die_mutlöwin) würde sagen: „Hokus Fokus!“ oder für alle, die nicht zu ihren Followern zählen, übersetzt „Setze deinen Blickwinkel anders!“ Ja, fast jeder Tag beinhaltet stressige Momente, dreckiges Geschirr, eine Ladung Bügelwäsche, Kabbeleien mit den Kindern, aber ebenso beinhaltet er das Kuscheln mit dem Goldkind am Morgen, den vor Begeisterung über ein neues Thema im Erdkundeunterricht sprudelnden Mittelstürmer, die Sofaverabredung mit dem Göttergatten und einer Folge unserer aktuellen Lieblingsserie. Ja, Shila, du Chefin im Mutcamp, in dem ich gerade viel über mich lerne (https://shiladriesch.de/mutcamp),  du hast schon Recht, wenn du sagst:

Es macht einen Unterschied, ob du stets die Risiken und Gefahren einer Sache im Blick hast oder aber die unzähligen Möglichkeiten wahrnimmst, die uns jeder Tag aufs Neue bietet.
- Shila Driesch in einem Instagram-Post vom Februar 2022

Ein weiter Blick

Meine Diagnose hat mir die Augen geöffnet und zwar weit, weit, weit. Und: Ja, ich habe ihr tatsächlich schon ein paar Mal „Danke“ gesagt.

Ich sage das nicht, weil auf meiner Krebsreise alles „easypeasy“ war und ich die Chemotherapie „doch locker nebenher gewuppt“ habe. Ich habe meinen Krebs nicht mal einfach „Schnipp schnapp“ abgehakt und stehe nun wieder vor Kraft strotzend in meinem alten Leben. Nein, der Krebs hat auch bei mir Narben, Ängste und Sorgen hinterlassen. Er tat weh, er machte mich traurig, er machte mich hässlich. Er schlägt mir weiterhin auf die Psyche. Aber neben allem Leid, Hadern und Bangen war und ist die Diagnose auch eine Chance für mich, mein Leben nun anders anzupacken, anders auszurichten, anders zu leben.

Ich distanziere mich ausdrücklich davon zu sagen, dass ich vorher alles in meinem Leben falsch gemacht und zu stressig, zu schnell, zu ungesund, zu unlustig gelebt habe. Auf keinen Fall: Manches mache ich oder möchte ich genauso wieder machen. Auch hätte ich diese Erkrankung nicht gebraucht und ich wünsche keiner und keinem, dass er meine Erfahrung oder die einer anderen existentielle Lebenskrise erleben muss.

Aber vielleicht kann ich mit meinen Zeilen die eine oder andere Person dazu bringen, sich nicht stundenlang darüber den Kopf zu zerbrechen, ob nun die braunen oder die schwarzen Schuhe heute besser zum Outfit passen oder auszuflippen, weil der Lieblingskäse vorher nicht an der Käsetheke auslag.

Meine Diagnose veränderte meinen Blick auf die Welt. Sie beeinflusste die Herangehensweise an mein Leben, die weniger verkopft ist. Sie erleichtert mir mein Denken über andere Menschen, weil ich weniger urteile oder bewerte. Sie lehrte mich Demut dem Leben und Dankbarkeit der Gesundheit gegenüber. Sie ließ Selbstliebe und Achtsamkeit in mein Leben einziehen. Sie schärfte meine Wahrnehmung für die kleinen Dinge.

Ihr Lieben, ich bin durch meine Lebenskrise kein besser Mensch geworden und ich bin weit davon entfernt, andere irgendwie bekehren zu wollen! Ich werde noch immer ziemlich grummelig, wenn ich mit einem Schokoladenjiper am Süßigkeitenschrank stehe und die Lieblingsschokolade nicht da ist.

Und ja, ich habe überlegt, ob ich tatsächlich das Foto von mir als Titelbild zu diesem Text wählen soll, obwohl ich meine Haare im Moment alles andere als gut, aber die Message auf dem Shirt unsagbar wichtig finde (Eigentlich spricht schon der Markenname “deinherzgut” Bände, oder?) Kurz war ich versucht, nur das Shirt abzulichten. Aber dann dachte ich: „Hey, angesichts der Glatze, die ich vor einem Jahr hatte, kann sich das da auf meinen Kopf immerhin schon mal Frisur nennen.“

So sehe ich nun mal aktuell aus, so stehe ich derzeit im Leben, etwa zerzaust, etwas zwischen kurz oder lang, aber lebendig. Ich verbiege mich nicht mehr, weil es anders besser wäre oder hübscher oder sich gehört. Ich bin nicht jemand anders. Ich bin ich und das ist genau richtig.

Die stimmgewaltige Adele bringt genau das für mich auf den Punkt :„So I hope I learn to get over myself. Stop trying to be somebody else.” Beifahrerinnen und Beifahrer mögen es mir verzeihen, dass dieser Song quasi in Dauerschleife während Autofahrten läuft. Ich muss die Message einfach wieder und wieder hören.

Das Leben ist endlich

Ein Samstag vor 14 Jahren, ich saß gerade mit dem jetzigen Göttergatten im Auto. Wir waren unterwegs, um mir das Outfit für unsere Hochzeit zu kaufen. Die Einladungskarten zu diesem Fest waren am selben Morgen bei unseren Eltern und Geschwistern im Briefkasten gelandet. Da riss ein Anruf meiner Schwester mich aus meiner romantischen Schleier-Stöckelschuhe-Sekt-Laune. Mein Bruder war mit 28 Jahren ums Leben gekommen.

Wusch! Auf einmal war alles anders. Die Hochzeit sagten wir ab und mein Leben drehte sich erstmal um ganz andere Dinge. In meinem Denken und Tun änderte sich im Laufe der nächsten Monate auch so einiges. Immerhin war mir vor Augen geführt worden, dass ganz schnell alles anders, alles zu Ende sein kann.

Aber ich stand damals an einem anderen Punkt meines Lebens, war noch jünger, kinderlos, lebte ein sorgenfreies Leben und war voll berufstätig. Termine, Stress, Wünsche, Selbstzweifel und Zukunftspläne bestimmten schon bald wieder meinen Alltag. Ich war wohl noch nicht bereit dafür, das Leben im puren Sinn zu leben.

Aber als dann der Krebs in mein Leben trat – plötzlich, ernst und bedrohlich – fand ein Bewusstseinswandel statt. Immerhin war mein eigener Tod nun kein fernes Konstrukt mehr, das irgendwann mal auf mich zukommen würde. Nein, wenn Chemotherapie und Co. nicht das tun sollten, was ich mir erhoffte, dann könnte er schneller anklopfen als gedacht.

Angesichts der traurigen Tatsache, dass in Deutschland jährlich 17 850 Frauen an Brustkrebs und mehr als 230 000 an Krebs sterben, hat das meiner Meinung nach auch nichts mit Pessimismus oder Schwarzmalerei zu tun. Ich halte es für unausweichlich, dass Krebslerinnen und Krebsler sich mit diesem Gedanken auseinandersetzen.

Für mich hat der Tod kein schwarzes Gesicht hat, er stellt keine monsterhafte Bedrohung dar. Im Gegenteil: Für mich ist er sogar schillernd bunt. So bin ich überzeugt davon, dass mein Bruderherz von oben zu mir und meinen Lieben herunterschaut, wenn ich einen Regenbogen am Himmel erspähe. Und wenn es denn eines Tages soweit ist und ich meine letzte Reise antrete, dann werde ich da oben in seiner in hellen Farben gehaltenen Himmelsvilla ein Zimmer mit einer coolen Aussicht beziehen können. Dieser Gedanke ist tröstlich und gut und keinesfalls düster und beängstigend.

Mir machen die Gedanken an mein eigenes Ende keine Angst. Vielleicht kommt das durch die Erfahrung mit meinem Bruder, vielleicht hat das auch der Krebs mit mir gemacht. Der Tod ist für mich das realistische Ende eines jeden Lebens und angesichts einer potenziell lebensverkürzenden Erkrankung, die dieser mistige Krebs nun einmal ist, ist er wahrscheinlich tiefer in meinem Bewusstsein verankert als bei anderen Menschen in meinem Alter.

Ich erstellte gleich zu Beginn meiner Krebsreise eine Wunschliste für meine eigene Beerdigung (siehe Blogtext https://www.influcancer.com/blog/wie-geht-eigentlich-kranksein-die-zeit-zwischen-diagnose-und-operation/). Es beruhigt mich zu wissen, dass der Schlusspunkt am Ende meines Leben in meinem Sinne gesetzt werden wird und dass ich meinen Angehörigen kein Kopfzerbrechen bei der Auswahl der geeigneten Lieder, der Bestattungsart oder der Trauerkarte bereiten werde. Sie sollen Zeit haben dürfen fürs Trauern, an-mich-Denken und über-mich-Sprechen.

Trauern, Betrauern und Zutrauen

Liebe Leserin oder lieber Leser, bitte glaube nicht, dass ich über Trauer oder Angst erhaben bin! Selbstverständlich überkommen auch mich Gedanken an ein Rezidiv oder eine Neuerkrankung, wenn ich höre, dass das bei einer anderen Person geschehen ist. Es geschieht erst recht, wenn mich – wie vor ein paar Tagen erst – die Nachricht vom Tod einer anderen Krebslerin oder eines anderen Krebsler erreicht, die/den ich näher kannte oder deren/dessen Geschichte ich in den sozialen Medien verfolgt habe. Manchmal reicht es auch, wenn ich vom Tod einer oder eines Prominenten erfahre, um mich mich zutiefst betroffen und an mein eigenes Krebsschicksal erinnert zu fühlen.

Dann verlässt auch mich der realistische Pragmatismus. Dann greift die Angst nach mir. Dann steigt Unruhe auf. Dann vergieße ich Tränen. Dann male ich mir aus, wie es ist, wenn ich selbst meine letzte Reise antreten und den Göttergatten und die Goldschätze zurücklassen muss. Dann bin mir meiner Endlichkeit wieder sehr bewusst. Dann drifte ich ab in eine Gedankenwelt, in der ich mir Szenarien ausmale, in denen der Göttergatte neben mir am Krankenbett sitzt oder die Goldschätze mit gesenkten Köpfen durch die Gegend schlurfen, weil die Mama nicht mehr da ist. Dann schwebt über mir das „Krebstodgespenst“.

Ich bin fest davon überzeugt, dass solche Phasen richtig, wichtig und schlussendlich auch gut sind. Es muss uns Betroffenen erlaubt sein, uns ab und zu auf einen Flug mit diesem Gespenst zu begeben und uns etwas zurückzuziehen. Die Welt gespenstermäßig leise und versteckt betrachten zu dürfen. Zu trauern über den Verlust anderer Krebspatientinnen oder -patienten, die wir im echten Leben kannten, denen wir auf ihren Blogs gefolgt sind.

Für Außenstehende mag das befremdlich sein, uns Krebslerinnen und Krebsler kann das mitunter in ein Loch stürzen. Sprüche wie „Es geht dir doch gut!“, „Die meisten schaffen es doch.“ „Brustkrebs ist ja gut heilbar.“ wirken aber wie ein Schlag in die Magengrube, je nachdem in welchem psychischen Zustand wir uns gerade befinden, an welchem Zeitpunkt der Therapie oder auch einfach „nur“, weil die- oder derjenige Verstorbene denselben Krebs, ein ähnliches Alter oder eine sonstige Parallelität aufweist. Mein Rat an alle Nicht-Betroffenen hier: Ich weiß, dass solche Sätze helfend und unterstützend gemeint sind. Schluckt sie dennoch lieber hinunter, wenn sie euch auf der Zunge liegen.

Wir können manchmal nicht anders als unsere eigene Lage zu betrauern. Die wird uns  anlässlich von Todesnachrichten, bei undefinierten Schmerzen im Körper – sind es einfache Rückenschmerzen oder Metastasen? –  oder manchmal auch einfach aus heiterem Himmel erschreckend nah, erschreckend klar, erschreckend bewusst wird.

Bitte, liebe Betroffene und lieber Betroffener, lass dir deine Gefühle nicht ausreden! Es ist dein gutes Recht, ab und zu vom positiven Blick nach vorne abzukommen und dich der Trauer, dem Verlustgefühl hinzugeben.  Es ist ein Zeichen von Empathie und Mitgefühl, um andere zu trauern und nichts, wofür man sich schämen muss! Niemand hat das Recht dir zu sagen, wie lange und in welcher Form du trauern darfst! Jemand, der tagelang weint, ist nicht betroffener als jemand, der scheinbar routiniert seinem üblichen Tagesablauf nachkommt oder als jemand, der sein Sporttraining nicht absagt, es im Gegenteil sogar noch ausdehnt. Ich habe nach dem Tod meines Bruders erfahren, dass Trauer kein „richtig“ oder „falsch“ kennt. Dass sie „schwarz“, aber auch „bunt“ sein kann. Dass sie „ganz leise“ oder „ganz laut“ sein darf. Alles ist legitim, alles ist richtig.

Ich halte es für unerlässlich, dass jede und jeder Betroffenen sich auf das Thema „Tod“  einlässt, auch wenn ihre/seine Prognose eine gute ist. Zudem sollten auch unsere Angehörigen mit einbezogen werden.

Da ich von Anfang an sehr offen mit meiner Diagnose umgegangen bin, sind Gespräche mit dem Göttergatten, dem Teeniemächen und dem Mittelstürmer über einen möglichen Krebstod bei uns kein Tabu. Und das sollten sie meiner Meinung nach in keiner von Krebs betroffenen Familie sein.  Zwar machen mich die Gedanken daran, womöglich früher gehen zu müssen, einerseits unendlich traurig. Andererseits bin ich mir sicher, dass meine Lieben das Schicksal annehmen und gut zurechtkommen werden und dass der Göttergatte mit unseren drei Goldschätzen auch ohne mich die coolsten Sachen überhaupt unternehmen wird.

Begleitung in Menschen- und Buchform

Es ist sinnvoll, die Gedankenspiele zum Tod nicht ausschließlich allein oder mit der Partnerin/dem Partner durchzuführen, sondern sich (und ggf. auch die Angehörigen) dabei psychoonkologisch, psychotherapeutisch oder sonstwie fachlich begleiten zu lassen (siehe auch mein Blogtext https://www.influcancer.com/blog/den-krebs-aussitzen-psychoonkologie-selbsthilfegruppen-und-die-online-brustkrebs-community/). Denn es ist wichtig, dass wir Betroffenen es schaffen, unserem Körper weiterhin etwas zuzutrauen, dass wir Vertrauen in das Leben haben und dass wir nach unseren gespensterhaften Höheflügen wieder in unserem echten Leben landen.

Um mit euren Kindern ins Gespräch zu kommen, kann das Buch „Wie ist das mit dem Krebs“ von Dr. Sarah Roxana Herlofsen hilfreich sein, das ich in einem anderen Blogtext (https://www.influcancer.com/blog/mama-hat-krebs-darf-ich-jetzt-nicht-mehr-lachen/) schon einmal empfohlen habe. Darin gibt es auch zwei Kapitel, die sich auf wunderbar ernste und dennoch kindgerechte Weise mit dem Sterben beschäftigen und sehr gut geeignet sind, um mit den eigenen Kindern ins Gespräch zu kommen.

Mir hilft es mir meine Sorgen, von der Seele oder aus dem Kopf zu schreiben (siehe mein Blogtext https://www.influcancer.com/blog/den-krebs-in-worte-fassen/). Der Text, den du hier gerade liest, war für mich eine Art Katalysator, der mein positives Mindset aus dem recht düsteren Gedankenwust der letzten Tage herausfilterte. Vielleicht tut es dir auch gut, Tagebuch zu schreiben und deine Gedanken darin abzulegen?

Ich möchte euch unbedingt noch auf einen Podcast der lieben Gabi Schwede (www.es-ist-brustkrebs.de) hinweisen, den sie zusammen mit Sandra (Polli) Holstein (www.pollis-seitenblicke.de) aufgenommen hat. Die Beiden waren selbst Krebspatientinnen und sprechen darin ehrlich darüber, wie es sich mit dem stummen Anwesenden „Tod“ leben lässt, den das Krebsschicksal mit sich bringt. Das Gespräch ist ernst, ist knackig und sollte auf keinen Fall mal so nebenbei beim Bügeln oder Kochen angehört werden. Ich rate euch aber auf jeden Fall: Tut es (euch an), denn es tut gut!

https://open.spotify.com/episode/5BI288CKFBuPhJhlvqoZkn

Außerdem möchte ich euch Gabis Video ans Herz legen, das sie vor ein paar Tagen anlässlich des Todes eines Mitglieds unsere Facebook-Gruppe „Es ist Brustkrebs“ hochlud. Sie spricht sehr ehrlich, emotional, sehr tiefgründig über Verlust und darüber, dass wir Patientinnen und Patienten es nicht in der Hand haben, ob wir nach den Therapien, die wir mitsamt ihren Nebenwirkungen und Auswirkungen auf unsren Körper, die Psyche, unsere Familien in Kauf nehmen, tatsächlich geheilt sind und wenn ja, wie lange dieser „krebsfreie Zustand“ anhält. Ich danke dir, liebe Gabi, an dieser Stelle erneut für deine wundervollen Worte!

https://www.facebook.com/gabriele.schwede/videos/407177364544640

Statt den Tod als Gegenteil des Lebens zu sehen, sollten wir ihn als festen Bestandteil unseres Lebens sehen.
- Polli (Sandra) Hollstein

Leise Schlussworte

Angesichts des Todes einer jungen Krebsbloggerin, Claire Peisker, die auch hier bei den Kurvenkratzern aktiv war, und der mich sehr berührt, habe ich in den letzten Tagen sehr viel nachgedacht. Über das Leben, über die Gesundheit, über den Tod, die Trauer und den Verlust. Das alles macht mich gerade sehr leise. Es macht mich sehr nachdenklich. Es macht mich sehr demütig. Es macht mich achtsam. Es macht mich dankbar. Angesichts und für und wegen des Lebens, das ich habe und das ich anderthalb Jahre nach meiner Diagnose und noch viele, viele weitere Jahre in der Zukunft krebsfrei leben darf.

Dabei spielt es für mich keine Rolle, ob ich eine außergewöhnliche, lange Reise oder einen kurzen Spaziergang bei herrlichem Wetter hier bei mir und die Ecke unternehme, ob ich eine teure Kette zum Jahrestag bekomme oder mir der Göttergatte hierzu ein Abendessen spendiert, ob ich einen Kaffee deluxe mit Haselnussflavor und speziellem Topping in einem Café oder einen Kaffee in meiner Lieblingstasse zu Hause trinke.  Ich bin kein Fan von Buckeligsten, auf der die wildesten Dinge stehen. Ich sage ganz lapidar: „Ich nehme mit und nehme an, was kommt.” Ich möchte die Zeit, die mir hier auf Erden vergönnt ist, mit Momenten bereichern, die für mich gut, schön und wichtig sind.

Wir erleben jeden Moment nur ein einziges Mal. Und es ist an uns, an mir, an jedem selbst, wie wir das tun und welche Bedeutung wir ihm geben. So begann ich heute Morgen rumzuzetern, weil ich mit dem Goldkind – gerade von Corona genesen – 15 Minuten vor dem Kindergarten warten musste, da wegen coronakranker Kinder der Kindergarten erst nach der Auswertung des Coronatests betreten werden darf. Sie schlug vor,„Ich sehe was, was du nicht siehst.” zu spielen. Etwas missmutig begann ich damit. Als ich sie dann aber begeistert nach farbigen Sachen, „die du bestimmt echt schwer finden wirst, Mama!” Ausschau halten sah, war mir mal wieder bewusst, dass es genau das ist, was zählt. Es geht darum, gute Momente zu schaffen, die in Erinnerung bleiben. Und da ist die Frisur oder die nicht ganz so optimal klingende Stimme doch eigentlich Nebensache, oder?

Seitdem ich meine Diagnose erhielt und parallel zu meinen Therapien die Pandemie ablief, hat die Floskel „Ich wünsche dir Gesundheit“, die ich bislang ohne Nachzudenken an Geburtstagen benutzt habe, „weil man das halt so sagt“, einen ganz anderen Stellenwert. Ich sage oder schreibe dies nun ganz bewusst, in Schönschrift und aus voller Überzeugung. Die leckerste Torte, das teuerste Geschenk, der freundlichste Gast oder das beste Wetter ist nichts, wenn das Geburtstagskind krank im Bett liegt, sich übergibt, geistig verwirrt ist oder Schmerzen hat.

Gesundheit ist das höchste Gut! Das haben der der Mittelstürmer, das Goldkind und ich gerade erst wieder am eigenen Leib erfahren, als wir auf der aktuellen Omikron-Trendwelle mitgesurft sind. In Kombination mit den Chemonachwehen und den Antihormontablettennebenwirkungen und der Tatsache, dass ich tatsächlich 12 Tage lang coronapositiv und somit ans Haus gefesselt war, war der „milde Verlauf“ der Erkrankung insgesamt nervig. Aber hey, kein Vergleich zu dem, was mich ungeimpft und während einer Chemotherapie vor einem Jahr erwartet hätte. „Hokus fokus, liebe Shila!“

Nun aber habe ich genug erzählt. Jetzt ist es an der Zeit, mich ganz, ganz leise zurückzuziehen. Die letzten Zeilen gehören der wundervollen Claire, die so klar und stark ihren immer beschwerlicher werdenden Weg gegangen und mit 27 Jahren gestorben ist. Ich verneige mich voller Achtung vor ihrer Weisheit, ihrem unermüdlichen Optimismus und ihrer Lebensfreude, die in vielen wunderbaren Texten durchblicken (https://www.influcancer.com/blogs/blog-autoren/therapie-2-0/ ). In ihrem Sinne: Lasst uns leben und Erinnerungen für unsere Lieben schaffen!

Ich kann nur an alle Menschen, die mit Gesundheit gesegnet sind, nicht auf morgen zu hoffen. Wer heute unglücklich ist, sollte etwas ändern. Wir wissen alle nicht, was morgen bringt und ob wir morgen erleben werden.
- Claire Peisker in einem Instagram-Post im Januar 2022

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