Erleichterung vs. Belastung
Einfach weiter gehen
Immer, wenn ich nicht mehr weiß, wie es weiter gehen oder woher meine Kraft kommen soll, gibt es für mich zwei Auswege: Meine Schuhe anziehen und raus aus der Wohnung, sich bewegen bis es weh tut (vorausgesetzt natürlich, das ist möglich) oder irgendwo ein Stück der Natur suchen. Es muss nicht viel sein, ein Park reicht auch, wenn der Weg bis zum Wald zu weit ist.
Da finde ich dann wieder innere Ruhe und klare Gedanken. Zu der Zeit, als ich den Siegrud Waldemar fand, dachte ich sehr viel nach. Ich spurte, es ist etwas da, was nicht da gehört. Damals mochte ich mich da gar nicht berühren, beim duschen machte ich immer großen Bogen darum. Vom Gefühl her denke ich, ich wusste schon von der ersten Minute an, was es ist, verdrängte es jedoch und hoffte natürlich, ich würde mich irren.
Mein Glück war es (ich weiß, es ist paradox in so einer Situation vom Glück zu reden), dass meine Termine sehr rasch angesetzt wurden. Gleich am übernächsten Tag fand ich mich im Brustzentrum. Im Gespräch mit der Ärztin (wir verstanden uns auf Anhieb) kam sofort die Sprache auf die Biopsie und ein Termin wurde sehr rasch organisiert. Ich beschrieb ihr wie sich der Knoten für mich anfühlt. Die Worte, die ich dafür gebrauchte, waren “es fühlt sich an wie ein Dragee-Ei“. Damit meinte ich diese kleine Dragees, die man zum Ostern kaufen kann.
Als ich das sagte, fragte sie, ob sie mich abtasten darf. Natürlich sagte ich ja. An der Stelle angelangt, wo der Siegrud war, gab es eine kleine Gesichtsregung, kaum wahrnehmbar. Das war das zweite Moment, in dem ich mir dachte, es ist nichts gutes.
Ich neige nicht dazu, meine Chancen anhand der Gesichter zu deuten, jedoch gibt es Zeiten, in denen das erste Bauchgefühl das richtige ist und man sich darauf verlassen kann. Und je früher, umso besser. Ab diesem Zeitpunkt ließ ich den Gedanken zu, es könnte sich doch eher um einen Tumor handeln. Im Tunnel, in dem ich mich befand, wusste ich, es wird einen Ausweg geben und die Hilfe naht.
Mit dem Biopsietermin in der Tasche und einem Auftrag, einen guten BH für die Biopsie (die Zeit danach) zu kaufen, ging ich nach Hause. Am nächsten Tag wollte ich den BH besorgen und das tat ich auch. Im Geschäft sagte ich sofort um was es geht bzw. wozu ich den brauche und ich wurde hervorragend beraten. Für mich war vom Anfang an klar, wenn es tatsächlich Krebs sein sollte, ich will damit offen umgehen. Nicht hausieren, jedoch auch nicht verheimlichen.
Als ich in der Kabine den ausgesuchten BH anprobierte, fiel mir ein Ausschlag an der betroffenen Brust in die Augen. Das war der dritte Augenblick, in dem ich dachte, es ist etwas bösartiges. Ich wusste, der Ausschlag kann noch nicht lange da sein, er wäre mir aufgefallen, weil er so wie ein Muster aussah. Als hätte jemand einen roten Stift in die Hand genommen und kleine Punkte auf meiner Brust gezeichnet. Wieder war ich schockiert, und wieder schluckte ich.
Am Tag der Biopsie kam ich zur gynäkologischen Abteilung und als erstes fiel mir ein Plakat mit dem Aufschrift “Brustkrebs? Sie sind nicht alleine.” oder so etwas in der Art. Mein erster Gedanke, ganz spontan, war, ich will nicht darüber nachdenken. Diese Zeit, bis ich zum Röntgen gerufen wurde, hat eine Ewigkeit gedauert.
Und als dann die Ärztin meinte, sie muss in “das Ding” reinstechen, da dachte ich, lieber Gott, sollte es so sein, dass es ist, was es ist, dann will ich einen klaren Befund. Und der Befund war klar, ganz eindeutig. Als ich zehn Tage später bei der Befundbesprechung war, war ich schon so weit, dass ich auf die Nachricht ganz ruhig reagierte. So ruhig, dass mich meine Ärztin fragte, ob ich mit dieser Diagnose gerechnet hätte. Ich sagte, nein, ich habe gehofft, es wäre kein Krebs. Es wundert mich jedoch nicht, dass ich betroffen bin, da ich weiß, dass ja jede achte Frau davon betroffen ist. Ich dachte nur, meine Schuldigkeit wäre mit meiner Herzkreislauferkrankung getan. Daraufhin meinte sie, ich hätte einen Schutzengel, weil, wenn man schon einen Brustkrebs bekommen muss, dann sollte man sich diesen (diese Art) wünschen. Ich sagte, nicht nur einen, sondern wahrscheinlich mehrere. Vielleicht paradox, mich beruhigte das tatsächlich. Ich wusste, ihre Worte haben durchaus Sinn. Es gibt ja mehrere Brustkrebsarten und nicht jede ist gleich aggressiv.
Die Gedanken, die ich hatte, drehten sich nicht um mich. Meine größte Sorge in dem Moment war, wie sage ich das meiner Familie? Ein paar Wochen davor starb mein Cousin an Bauchspeicheldrüsenkarzinom und jetzt komme ich mit dieser Nachricht. Da ich eine hervorragende Betreuung von der ersten Minute genoss, fand sich auch für diese Situation eine Lösung. Die Psychoonkologin, die beim Termin dabei war, besprach mit mir wie ich am besten diese Neuigkeit mit meinem näheren Umfeld besprechen kann.
Und so fand ich mich wieder draußen aus dem Tunnel und fing an, meinen Koffer zu packen. Nicht für den Urlaub, wohl gemerkt. Für die Operation.
Ganz liebe Grüße und bis zum nächsten Mal
Miri