Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Von Krach und Musik in den Ohren: Was Krebserkrankte gerne hören und was nicht

In diesem Blogbeitrag gehts um seltsame Sprüche, immensen Ratschlägeüberschuss und Verhaltensweisen gesunder Mitmenschen, die bei Krebslerinnen und Krebslern nur mäßige Begeisterung auslösen. Wahrscheinlich bewege ich mich hier und da auf dünnem Eis oder ecke auch mal an, weil manche Leserin und mancher Leser sich möglicherweise beim ein oder anderen Satz ertappt oder sogar auf den Schlips getreten fühlt. Trotzdem möchte ich die Stolperfallen in der Kommunikation mit Krebserkrankten aufzeigen.

Denn wie ich aus Gesprächen und von anderen Krebs-Blogs weiß, stehe ich mit meinen Gedanken nicht alleine da. Sogar der FAZ, dem Spiegel, anderen Zeitungen und Plattformen ist das Thema Artikel wert. Deshalb ist mein Text mir ein großes Anliegen und ich wage mich damit hinaus. Ihr lieben gesunden Mitmenschen: Versteht ihn nicht als Abrechnung oder Vorwurf. Seht in ihm eine Art Gebrauchsanweisung für ein möglichst konfliktarmes Miteinander mit uns Krebslerinnen und Krebslern. Ich hoffe, dass ich mit meinen Anregungen zu einem guten Miteinander und einer stressarmerenKommunikation zwischen gesunden und kranken Menschen beitragen kann.

Vom Mitleiden, Schönfärben, Abtauchen und Ratschlagen

Keiner von uns – weder Patientin und Patient noch Angehörige oder der Freundeskreis – ist auf diesen fiesen Krebs und seine Konsequenzen auch nur im Entferntesten vorbereitet. Obwohl er eigentlich ins Wasser und nicht in einen menschlichen Körper gehört, sitzt er mit der Diagnose plötzlich mitten im Zimmer mit seinen sechs scharfen Scheren. Es ist erstaunlich wie unterschiedlich die Menschen auf dieses Krustenwesen und mich, die Annette mit Krebs, reagieren.

Die einen weichen diesem rot-orangenen Tier gelassen aus und stellen sachlich fest, dass die krebsige Freundin/Tochter/ Mutter/Kollegin nun eben eine Glatze, ein Chemobrain oder sonstige Krebskuriositäten hat. Ansonsten ändern sie recht wenig an ihrer Einstellung zu mir: Sie sind weiterhin da für mich und machen durch ihre unbefangene und pragmatische Anteilnahme die Krebsscheren stumpfer und meine Krankheit alltäglicher.

Ganz taffe Personen räumen das scharfkantige Getier mutig zur Seite und bieten mir und meiner Familie aktive Unterstützung in Form von Kinderbetreuung oder Fahrdiensten an. Wunderbar, dass ich in meinem Umfeld eine große Menge solcher Dompteurinnen und Dompteure habe.

Eine Vielzahl der Menschen scheint durch das Panzertier aber etwas eingeschüchtert zu sein. Sie senken in meiner Gegenwart ihre Stimme und sprechen im Flüsterton, so als sei ich uralt, geistig nicht mehr ganz da oder schon bettlägerig. Das bringt mich manchmal fast zum Lachen, wenn ich gerade in Radklamotten nach einer Mountainbiketour vor ihnen stehe oder im Supermarkt für meine Mannschaft den Großeinkauf mache.

Andere versuchen ihre Schüchternheit zu überspielen, indem sie aufgeregt drauflos plappern und mir recht unbedacht sehr viele Fragen nach dem Therapieverlauf, den Ärzten und meinem Befinden stellen. Je nach Stimmungslage kann das sehr aufwühlend oder auch nervig sein, weil es sich irgendwann schlicht und ergreifend wiederholt.

Etwas anstrengend wird es, wenn manche Leute versuchen, möglichst normal mit mir zu sprechen und das Thema „Krebs“  bewusst umgehen.

Nicht wenige Mitmenschen stillen leider in Gesprächen über eine kranke Person ihre Neugier oder ihren Gesprächsbedarf, was das Tier in einen sehr aggressiven Rotton taucht.

Ganz befangene Personen legen sich einen dem Krebstier ähnlichen Panzer zu und wir Betroffenen bekommen sie lange Zeit gar nicht zu sehen. Mir selbst ging das mit ein paar wenigen Menschen so. Wahrscheinlich mache ich bzw. meine Erkrankung ihnen Angst. Das ist zwar schade, aber ich muss es akzeptieren.

Spannend ist, dass anscheinend ziemlich viele Menschen im Umfeld einer/s Krebserkrankten ein Biologiestudium mit dem Schwerpunkt „Meereskunde“ hinter sich gebracht haben und nun Expertin oder Experte auf dem krebsigen Gebiet sind. Denn es ist wahrlich erstaunlich, mit wie vielen Ratschlägen man als Krebslerin oder Krebsler überhäuft wird. Sie scheinen genau zu wissen, was ich am besten tun, essen oder lassen sollte, weil es in der Zeitung oder im Internet zu lesen war, sie eine gaaaanz interessante Reportage über Krebs im Fernsehen gesehen oder sie es von XY gehört haben. Ganz schlimm wird es, wenn die Biologiestudierten im Nebenfach noch „Hobbypsychologie“ belegt hatten, nach einem tieferen Sinn hinter meinem Krebs suchen und außerdem wissen, wie ich am besten zur mir finden kann.

Egal, ob gelassen, taff oder eingeschüchtert, die Scheren des Krebses scheinen es den meisten angetan zu haben. Anders kann ich mir nicht erklären, warum immer und immer wieder mit denselben Floskeln nach mir gegriffen wird. Von wegen „Sei stark.“, „Halte durch.“ Und nicht zu vergessen: „Kämpfe.“ Diese sind zwar gut gemeint, lassen mir und anderen Krebserkrankten aber oftmals die Nackenhaare zu Berge stehen. Warum, erkläre ich euch weiter unten.

Vielleicht ändert ihr eure Sichtweise und euer Verhalten angesichts des Krebsgetiers, wenn ich euch sage, dass jedes Gespräch mit einer oder einem frisch Diagnostizierten eure gefühlte Lebenszufriedenheit schlagartig um mindestens 50 Prozent steigert (Aussage in einem Krebs-Ratgeber gefunden!). In diesem Sinne: Nutzt diese Chance, um euch besser zu fühlen und gebt euer Bestes, damit auch euer krankes Gegenüber sich danach wenigstens um ein paar Prozent besser fühlt.

Eulenspiegel Crab Red Klippenkrabbe Grapsus Grapsus Shellfish
Eulenspiegel Crab Red Klippenkrabbe Grapsus Grapsus Shellfish

Das geht gar nicht oder Daumen hoch?

Ich freue mich über jede Frage, die ihr lieben gesunden ReisebegleiterInnen mir stellt, über jeden Kommentar, den ihr für mich übrighabt und jedes wie auch immer geartete Gespräch über mich und meinen Krebs. Auch wenn der Krebs und damit irgendwie auch der Tod im Raum stehen und euch das alles  vielleicht die Kehle zuschnürt, Angst macht oder verunsichert: Lasst euch von der Diagnose eurer/s Partnern/s, eures/r Nachbar/in, eure/r Kolleg/in oder eures/r sonstigen Bekannten nicht einschüchtern. Bleibt uns zugewandt. Fragt nach. Stellt fest. Seid ehrlich. Zeigt Mitgefühl. Nehmt Anteil.

Krebs darf laut sein! Aber ohne weh zu tun, zu verärgern, zu enttäuschen, zu verletzten oder jemanden in die Enge zu treiben und Rechtfertigungen hervorzurufen. Dennoch provozieren manche Kommentare, die wir Kreblserinnen und Krebsler zu hören bekommen, genau das. Sie verursachen Ohrenschmerzen, bei zu häufigem Vorkommen provozieren sie sogar einen Tinnitus. Ich bin mir sicher, das passiert in den meisten Fällen unwissentlich. Wahrscheinlich möchtet ihr mir eigentlich beistehen und Anteilnahme zeigen. Aber manchmal geht das eben mächtig nach hinten los. Aus einer schönen Melodie wird Lärmbelästigung.

Die Lösung darf keinesfalls Sprachlosigkeit oder gar Rückzug sein! Es reicht aus, wenn ein paar Stellschrauben anders justiert werden und schon flutscht es. Ich habe mir Alternativ-Sätze überlegt, die den Austausch mit einer oder einem Krebserkrankten sicherlich angenehmer gestalten werden. Ich bin mir sicher, viele Krebslerinnen und Krebsler hier euch dafür mit  “Daumen hoch” danken, weil sie in ihren Ohren so wohltuend gute Töne erzeugen.

“Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

Das ist doch nicht schlimm. Im Gegenteil: Es ist total verständlich. Schließlich waren wohl alle Krebslerinnen und Krebsler im Moment ihrer Diagnose und in der Zeit danach nicht gerade Quasselstrippen. Es gibt nicht „richtig“ oder „falsch“, nicht „gut“ oder „schlecht“ wenn jemand an einer tödlichen Krankheit leidet. Sie oder er wird sich einfach nur freuen, wenn du überhaupt etwas zu ihr/ihm sagst oder ihr/ihm erzählst.

Daumen-Hoch-Sätze: “Ich würde dich gern trösten, aber ich finde nicht die richtigen Worte.”/ “Ich kann nicht im Ansatz nachfühlen, wie es dir geht, aber ich bin für dich da.”

“Kämpfe!“

Es scheint fast schon ein Reflex zu sein, eine/n Krebserkrankte/n dazu aufzufordern zu kämpfen. Mir gefällt die Verbindung zum Krieg und zu Waffen dabei nicht. Es schwingt  so viel von Anstrengung, Schmerz, Leid und Tod mit. Das muss einer/m Betroffenen nicht ständig unter die Nase gerieben werden. Ich bevorzuge das Wort “Herausforderung”, weil es weniger aggressiv ist, die Anstrengung nicht leugnet, aber nicht zwangläufig den negativ-tödlichen Touch hat.

Zudem finde ich es unangebracht, den Anschein zu erwecken, dass man den Sieg, also die Genesung, selbständig erringen kann, wenn man nur ausreichend stark kämpft. Meiner Meinung nach ist Krebs kein aktiver Feldzug, sondern eine schwere Krankheit, die man recht passiv erlebt. Schließlich ist man als Erkrankte/r fremdgesteurt gefangen in einem endlosen Kreislauf aus Operationen, Chemotherapien, Bestrahlungen und möglicherweise auch Rückfällen. Ich mache im Wesentlichen seit vielen Monaten automatisiert das, was mir die Ärztinnen und Ärzte raten.

Klar, ich versuche mein Bestes, um den Heilungsprozess durch Sport und gesunde Ernährung  zu unterstützen. Aber das hat für mich nichts mit einem Kampf zu tun, sondern ist eine reflexartige Verhaltensweise, weil ich ein menschliches Wesen bin, das möglichst lange leben möchte.

Aber ganz provokativ gefragt: Hat jemand, der einen metastasierten Krebs etwa zu wenig Kampfeswillen, weil sie/er als Verliererin oder Verlierer aus dem Ganzen herausgehen wird? Und was sagt man den Angehörigen einer Patientin oder eines Patienten, die/der seiner Krebserkrankung erliegt? Hat sie oder er etwa nicht ausreichend gekämpft?

Daumen-hoch-Satz:  Ich bin stolz auf dich.”

“Bleib stark!“/ “Sei tapfer!“

Ganz ehrlich: Die Tatsache, von einem Tag auf den anderen mit der Diagnose konfrontiert zu sein, die dein Leben im schlimmsten Fall rapide verkürzt, macht die stärkste Person zu einem weinerlichen, zittrigen und ängstlichen Wesen. Man verliert die Kontrolle über das eigene Leben, gelangt ganz schnell in ein Fahrwasser von Arztbesuchen, Operationen und Therapien. Irgendwann ist jeder psychisch und körperlich schwach, müde und ausgelaugt. Wie soll man hier Stärke oder Tapferkeit an den Tag legen? Auch zu meiner Krebsreise gehören Heulanfälle oder das Gefühl von Ausweglosigkeit dazu. Bin ich deshalb wirklich schwach oder einfach nur ehrlich?

Ich sehe es als absolut legitim an, wenn eine Patientin oder ein Patient, die Chemotherapie unterbricht oder vielleicht auch ganz beendet, weil sie oder er die Nebenwirkungen nicht mehr ertragen kann. Dann hat sie oder er in meinen Augen dennoch sein Bestes gegeben, aber Grenzen seines Körpers oder Denkens akzeptiert oder akzeptieren müssen.

Zudem frage ich mich, warum jemand angesichts seines fortgeschrittenen Krebses Schwäche nicht unbedingt zulassen soll, um zu weinen, sich zu betrauern und Abschied zu nehmen?

Daumen-Hoch-Sätze: Ich wünsche dir immer so viel Kraft, wie du gerade brauchst.” / “Lehn dich an mich an, wenn du nicht mehr kannst.”

Es geht vorbei.“

Rückblickend mag das vielleicht stimmen, steckt man aber gerade in einer kräftezehrenden Chemotherapie oder fährt wochenlang jeden Tag in die Strahlenklinik, dann ist das schwer vorstellbar. Es ist kein „Augen zu und durch“-Moment wie bei einem Corona-Nasenabstrich oder einer Mathematik-Klassenarbeit. Der Therapieweg geht über Jahre – so bekomme ich auch nach Beendigung der Bestrahlung noch dreiwöchentlich eine Antikörperinfusion und werde fünf Jahre lang täglich eine Tablette schlucken müssen, metastasierte Krebslerinnen und Krebsler befinden sich gar im Dauertherapiezustand. Da erscheint es je nach Tagesverfassung recht schwer, einen hellen Lichtblick zu sehen.

Zum Schluss ganz böse gefragt: Hat dein Gegenüber hellseherische Fähigkeiten und weiß, dass dein Krebs gesichert nicht mehr zurückkommen wird?

Daumen-Hoch-Satz: „Lass uns doch ein Etappenziel setzen und uns dann zu einem schönen Stück Kuchen/einem gemeinsamen Spaziergang treffen – sagen wir in der Mitte der Bestrahlungstherapie?“

“Immer positiv denken!” /”Es hätte noch schlimmer kommen können.”

Jetzt mal ernsthaft: Operationsnarbe, Chemoinfusion, Perücke, Portnadel, Geschmacksverlust. Welches dieser zufällig ausgewählten Wörter aus meiner Krebs-Vokabelliste hört sich für euch positiv an? Und was bitteschön könnte noch Schlimmeres kommen, wenn jemand einen Krebsbefund mit einer Lebenszeiterwartung von weniger als fünf Jahren erhält.

Glaubt mir, ich weiß, dass das Leben definitiv lebenswert ist, egal wie viele Jahre es für einen bereithält. Während einer Krebstherapie läuft es aber nicht im höchsten Genuss-Bereich und Spaß-Level ab und deshalb bist du als Krebslerin oder Krebsler manchmal einfach nur sauer und unglücklich.

Bedenkt zudem bei allen Vorschlägen zur Positivität, dass etwa 30 Prozent der Krebspatienten aufgrund ihrer Krankheit sogar ernsthafte psychische Probleme bekommen (Quelle: Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums). Es ist vermessen, diesen zu raten, sich am blauen Himmel, der lachenden Tochter oder dem Milchschaum auf dem Kaffee zu erfreuen. Wenngleich das sicherlich grundsätzlich eine sehr gute Idee ist, sich diese kleinen Lichtblicke im Alltag bewusst zu machen und sie zu benennen (siehe mein Blogtext Glücksmomente auf meiner Krebsreise“).

Gesteht einer oder einem Betroffenen also sein Motzen zu, ertragt sein Zetern und stimmt mitunter sogar in das Fluchen mit ein. Es kann herrlich befreiend sein, den Krebs in Kombination mit dem Sch…Wort zu einem zusammengesetzten Nomen zu machen, dass man zigmal hintereinander laut vor sich hin ruft. Probiert es mal aus!

Daumen-Hoch-Sätze: “Es ist völlig ok, wenn du Angst hast/schlechte Laune hast.” / ” Lass deinen Ärger/deine Wut raus.”

“Ich kenne da jemanden, der hatte auch Krebs.“

In Deutschland erkrankt fast jeder zweite an Krebs. Deshalb ist es logisch, dass irgendwie jede und jeder jemanden eine/n Krebsler/in kennt. Aber dennoch möchte ich nicht alles über die schrecklichen Nebenwirkungen der Chemo von Hugo aus dem Haus an der Ecke oder den schlimmen Verbrennungen hören, die Erna, die ich noch nicht mal kenne, von der Bestrahlung bekommen hat. Wenn eine Geschichte dann auch noch endet mit „Meine Cousine hatte ja auch vor 14 Jahren Brustkrebs und, ich trau mich ja gar nicht, es zu sagen, aber…. Der ist letztes Jahr wieder zurückgekommen.“, dann behaltet sie bitte für euch. Mein eigenes Kopfkino, das sich oft in den Stunden nach Mitternacht einstellt, reicht mir schon aus. Habt ihr hingegen eine „Mutmacherkrebsgeschichte“ (Wort geklaut von Susanne Reinker) von einer/m Erkrankten, die/der es geschafft hat oder die/der einen besonderen Weg des Umgangs mit ihrem Krebs gefunden haben (z.B. die Mutmacher-Aktion von Pink Ribbon https://www.pinkribbon-deutschland.de/mitmachen/jeder-kann-mut-machen, bald auch mit einem Text von mir), dann her damit!

Daumen-Hoch-Satz: “ Möchtest du hören, wie es XY während der Bestrahlungszeit ging oder was BC geholfen hat, als sie/er Krebs hatte?”

An den Tod darfst du erst gar nicht denken!“

Mit Verlaub: Über 17.850 Frauen sterben z.B. jährlich an Brustkrebs. Da darf mir und anderen Krebserkrankten dieser Gedanke schon erlaubt sein. Oder noch krasser gesagt: Ich halte es für unausweichlich, dass wir uns mit diesem Gedanken auseinandersetzen. Schließlich sitzt der Tod bei der Diagnose „Krebs“ nun mal immer mit im Boot. Bei manchen sogar in zeitlich greifbarer Nähe.

Mir selbst macht der Tod, vielleicht im Gegensatz zu der Person, die diesen Satz ausspricht, oder anderen Erkrankten auch keine Angst. Für mich ist er kein dunkles, böses Monster, das nach einem Menschen greift, ihn dahinrafft und das Leben sämtlicher Familienmitglieder und Freude auf immer vernichtet. Er ist ein realistisches Risiko meiner Krebserkrankung und ich habe mir gleich zu Beginn Gedanken über meine Beerdigung gemacht (siehe Blogtext „Und plötzlich hatte ich Brustkrebs…”). Wenn der Plan aufgeht, dann schlagen sämtliche Therapien an und ich habe noch ein ganz langes, gesundes Leben vor mir. Und wenn nicht, dann hoffe ich, dass mein Bruder, der schon vor einer Weile in die Himmelsvilla eingezogen ist, mir da oben ein schönes Plätzchen freigehalten hat. Für meinen Göttergatten und die Goldschätze wünsche ich mir, dass sie auch ohne mich ganz schnell zu einem Leben mit vielen sonnigen Momenten zurückfinden, die ich aus der Wolkenferne neugierig beobachten werde. Und bis dahin genießen wir das Zusammensein in vollen Zügen!

Daumen-Hoch-Satz: „Heute stirbst du nicht an diesem Krebs. Morgen auch nicht. Und übermorgen schauen wir mal.“

(Dieser Satz ist geklaut aus einer Folge des Podcasts „2 Frauen, 2 Brüste“, weil so treffend und einfach schön)

“Das erzähle ich dir lieber ein andermal.“ / “Ach lass mal, das ist doch jetzt total unwichtig.“

Vor ein paar Wochen stellte ich zufällig fest, dass meine Schwester ein neues Auto hatte. Mir hatte sie nicht erzählt, warum sie das alte nicht mehr wollte, an wen sie es verkauft und wo sie das neue abgeholt hatte. Auf Nachfrage erklärte sie mir, dass sie gedacht hatte, das Thema sei zu oberflächlich angesichts meiner schweren Krankheit. Das war nicht das einzige Mal, dass mir wegen meines Krebses eine Geschichte nicht erzählt, eine Frage nicht gestellt, ein Foto nicht gezeigt worden war. Aber ich bin doch nicht nur mein Krebs und bin nicht 24/7 mit dem Kranksein beschäftigt.

Fachleute sind sich einig: Füttert einen krebskranken Menschen mit so viel Alltag und Normalität wie möglich! Es ist ganz wichtig, dass wir PatientInnen unsere gesunde Seite ausleben und am echten, gesunden Leben teilhaben können, dass wir mit ihnen Spaß haben und lachen. Das befreit zumindest zeitweise von der Last der Krankheit und gibt neue Kraft für das Bevorstehende.

Daumen-Hoch-Satz: „Du, bei mir ist gerade was los. Hast du gerade die Nerven dafür, das anzuhören?”

“Du hast Krebs? Du hast doch immer Sport gemacht und dich gesund ernährt!“

Richtig, stimmt genau. Und trotzdem hat dieser Krebs zugeschlagen. Dieser Satz erzeugt bei einer/m Betroffenen unbeabsichtigt Druck und auch Schuldgefühle. Unversehens beginnt man nämlich zu grübeln, wo man vielleicht doch einen „Fehler“ gemacht haben könnte. Ich denke, die Frage spiegelt die Grübeleien der/s Fragenden über ihre/seine eigene Lebensweise wieder. Von fachkundiger Seite wird aber immer wieder darauf hingewiesen, dass „grundsätzlich viele Faktoren an der Krebsentstehung beteiligt sind. Davon lässt sich ein großer Teil nicht oder nur bedingt durch das eigene Verhalten beeinflussen.“ (Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums).

Alternativ-Satz: “Krebs ist eine blöde Laune der Natur. Unfair, dass es dich getroffen hat.”

“Du musst..“/ “Du weißt ja, Brokkoli ist gut gegen Krebs.“/ “Also ich an deiner Stelle würde…”

Wenn du Krebs hast, dann wirst du mit Ratschlägen und Tipps bombardiert. Jede und jeder hat irgendwo schon mal irgendwas was zum Thema „Krebs“ gelesen, im Internet gefunden, im Heftchen aus der Apotheke gelesen, von der Hausärztin des Bruders gehört oder so. Sofern du um Hilfe gebeten und nach Rat gefragt hast, ist das superlieb und wahnsinnig toll. Wenn es aber einfach so auf dich einprasselt, dann ist es anstrengend. Ich bin der Meinung, dass jede und jeder Betroffene ihren/seinen Weg aus der Erkrankung selbst finden muss. Dabei kann sie oder er bestimmt ab und zu Unterstützung gebrauchen. Aber bitte warte ab, bis sie oder er dich um einen Ratschlag bittet. So finde ich den Austausch mit einer guten Bekannten, die selbst Brustkrebs hatte, sehr hilfreich. Auch freute ich mich sehr, als mein Frauenarzt mich mit alternativen Medizintipps überraschte. Allerdings fragte er zuvor ab, ob ich dies überhaupt möchte. So sind Ratschläge toll, andernfalls wirklich er“schlag“end.

 Daumen-Hoch-Satz: “Wie kann ich dich unterstützen?” / “Wobei brauchst du Hilfe?”

Nimm dein Schicksal an!“/ “Das Schicksal hat etwas mit dir vor.“

Zwei Sätze, die ziemlich oft fallen und irgendwie so gar nicht passen, wenn du Krebs hast. Als ob da jemand eine Plan hätte und womöglich noch ein Grund hinter diesem ganzen Schlammassel stecken sollte. Gern wird in diesem Z “ammenhang nämlich auch noch davon gesprochen, dass „ja alles irgendwie einen Sinn hat“ und ich das rückblickend sicherlich erkennen werde.

Zwar hadere ich nicht mit meinem Schicksal und auch die „Warum-ich?“-Frage stelle ich mir nicht. Ich denke, es ist zu kräfteraubend, sich zu überlegen, was eventuell in der Vergangenheit dazu geführt haben könnte, dass dieser mistige Krebs sich bei mir eingenistet hat. Zudem erwächst aus dieser persönlichen Krise tatsächlich eine andere, vielleicht bessere Lebenseinstellung.

Dennoch bin ich angesichts dieser Tatsache sauer aufs Universum und hätte diesen Tiefpunkt absolut nicht gebraucht! Und für eine Patientin oder einen Patienten mit einer schlechteren Prognose als ich, sind diese Sätze ein absoluter Schlag in die Magengrube. Bitte lasst uns Erkrankte Hilflosigkeit und Wut spüren angesichts einer potentiell lebensverkürzenden Krankheit, die das Schicksal uns aufgedrückt hat. Schimpft lieber eine Runde mit uns anstatt das zu beschönigen!

Daumen-Hoch-Satz: „Das Schicksal ist ein mieser Verräter.“ (Buchtitel, den ich sehr passend finde für eine Krebsgeschichte mit tödlichem Ausgang.)

“Krebs/Brustkrebs ist ja heutzutage sehr gut heilbar.“

Die Forscher von University College (UCL) und King’s College aus London haben die mutige These aufgestellt, dass spätestens im Jahr 2050 jeder Mensch unter 80 Jahren von Krebs geheilt werden kann. Bis dahin werden aber weiterhin täglich Menschen ihrem Krebsleiden erliegen, so sterben z.B. jährlich 17850 Frauen an Brustkrebs.

Bei mir wurde der Tumor sehr früh entdeckt und ich hatte keine Metastasen. Deshalb stehen meine persönlichen Chancen wirklich gut, diesen ganzen Mist nach Operation, Chemo und Bestrahlung hinter mir lassen zu können. Aber hat eine Patientin metastasierten (Bislang nicht heilbar!), einem triple-negativen Brustkrebs (wächst oft sehr schnell und aggressiv nach) oder trägt vielleicht das BRCA-Gen in sich, dann sieht das mitunter schon ganz anders aus. Deshalb: Vorsicht mit solchen Aussagen. Sie sind nicht unbedingt tröstlich.

Daumen –Hoch-Satz: „Ich wünsche dir alles Glück der Welt.“

“Du siehst immer so gut aus.“ /  “Du siehst gar nicht aus, als ob du Krebs hättest.“

Tja, ich bin ja auch nicht im Gesicht krank. Und Operationsnarben, Bestrahlungsmarkierungen oder den Port kann man durch meine Kleidung nicht sehen. Aber: Nur weil jemand gut geschminkt, gestylt ist, eine Perücke trägt und ein Lächeln auf den Lippen hat, heißt das nicht, dass es ihr oder ihm gut geht. Das zeigt, lediglich, dass die Person versucht, ein normales Leben zu führen und nicht jeder ihr die Erkrankung ansehen soll.

Fleißige Blogleserinnen und –leser kennen meinen Text „Krebskrank und dennoch modisch und geschminkt“, indem ich erzählte, dass es mir hilft, mich gut zu fühlen, wenn ich nicht offensichtlich im Schlafanzug-Jogginghosen-Krankenlook auflaufe und ich damit vor allem während der Chemotherapiezeit für meine Familie ein Zeichen setzen möchte, dass ich mich nicht hängen lasse. Dennoch geht es mir innerlich nicht immer gut, auch wenn das von außen vielleicht so zu sein scheint.

Daumen-Hoch-Satz: “Das ist aber ein tolles Shirt!” / “Wow, du bist schön geschminkt.“/ “Das Beanie steht dir ausgezeichnet.”

“Krebs ist ja auch eine Kopfsache.“ / “Du hattest einfach zu viel Stress.“

Ungelogen: Diese Äußerungen habe ich tatsächlich zu hören bekommen. Die Idee einer sogenannten „Krebs-Persönlichkeit“ entstand in den 1970er Jahren und hält sich bis heute hartnäckig. So glauben 61% Prozent der Teilnehmer einer Umfrage des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums glauben, dass seelische Belastungen, Stress oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale Krebs auslösen können. Diese Theorie ist wissenschaftlich nicht haltbar! Krebs hängt von mehreren Faktoren ab, teilweise von genetischen Einflüssen, einer ungesunden Lebensweise, ist aber auch einfach Zufall. Ergo: Niemand kann sein persönliches Krebsrisioko auf Null setzen.

Daumen-Hoch-Satz: „Du hattest einfach ganz großes Pech.”

“Es macht mich so traurig, dass du Krebs hast.“/ “Du Arme, du tust mir ja so leid.“

Solche Sätze sind lieb gemeint, weil sie echtes Mitgefühl und Betroffenheit zeigen. Aber leider anstrengend und kräftezehrend. Es reicht doch, wenn ich Falten vom Weinen bekomme, oder nicht? Denn oftmals führt das dazu, dass wir Krebserkrankten uns reflexartig dazu aufgerufen fühlen, unser Gegenüber zu trösten, dem es ja offenkundig nicht gut geht. Wir beginnen so etwas wie „Ach du, es geht schon.“ oder „Wird schon schiefgehen.“ zu murmeln oder setzen womöglich noch ein zuversichtliches Lächeln auf. Sind wir dann wieder allein, weinen wir los und versinken erstmal im Selbstmitleid, weil uns ja gerade mal wieder deutlich gemacht worden ist, wie schlecht es uns doch geht. Ich bitte euch: Macht meinen Krebs nicht zum Grund für eure Traurigkeit, schlaflose Nächte oder eigene Ängste. Mir ist mehr geholfen, wenn ihr mir ab und zu ein Kärtchen schickt, mir meine Kinder stundenweise abnehmt, eine Kerze für mich anzündet, mir gute Gedanken schickt oder mich einfach in den Arm nehmt.

Daumen-Hoch-Sätze: „Was kann ich dir denn heute Gutes tun?“/” Ich kann nicht im Ansatz nachfühlen, wie es dir geht, aber ich bin für dich da.

“Wie geht´s dir?“
Diese Frage führe ich ganz zum Schluss noch auf. Ich bekomme sie seit Monaten – meist mit einem ganz besonderen Tonfall und Gesichtsausdruck – immer, immer, immer wieder zu hören. Ich freue mich über so viel Anteilnahme und sie ist für mich persönlich kein No-Go-Satz. Allerdings musst du als Fragende/r dir gut überlegen, ob du  nur der Form halber fragst– man hat ja gutes Benehmen – oder es ernsthaft wissen möchtest. Die Antwort könnte eventuell ein No-Go für dich selbst sein!

Eine Krebslerin oder ein Krebsler antwortet nämlich mitunter nicht gewohnheitsmäßig mit „gut“, sondern ganz ehrlich („Heute geht es mir sehr schlecht. Meine Füße kribbeln, meine Nase blutet ständig, ich habe Durchfall und zu allem Überfluss schmecke ich nichts.“ oder „Ich habe Riesenschiss vor der nächsten Untersuchung.“). Vielleicht antwortet sie oder er auch sehr langatmig und überschüttet dich mit vielen Details ihrer momentanen Gefühls- und Befindenslage oder sie oder er bricht in Tränen aus und fällt dir in die Arme, weil der Heilungsprozess gerade stockt oder ihr oder ihm einfach alles zu viel ist. Möglicherweise hat sie oder er auch überhaupt keine Lust zu reden oder ist schlichtweg überfordert von allen und motzt dich an.

Wenn du das alles nervlich aushalten kannst, genügend Zeit hast und ihr euch am passenden Ort befindet („An der Wursttheke höre ich das immer nicht so gern…), dann stellt die Frage sehr gerne. Lasst der kranken Person aber ein Hintertürchen offen.

Daumen-Hoch-Satz:Möchtest du mir erzählen, wie es dir heute geht oder sollen wir über andere Dinge sprechen?“

Schlagfertig, ehrlich oder eine Gegenfrage

Grundsätzlich bin ich sehr offen und mitteilsam, was meinen Krebs angelangt. Sonst gäbe es wohl diesen Blog nicht, sonst wüssten meine Schülerinnen und Schüler nicht, warum ich zu Hause bin, sonst hätte der Nachbar mich morgens beim Zeitungholen nicht schon öfters mit Glatze gesehen und sonst hätte ich nicht „Ja“ zu einem einem Artikel in einem Brustkrebsmagazin und (Achtung, Spoiler!) zu einem Zeitungsinterview gesagt. Dennoch muss nicht jede und jeder immer wissen, wie es mir warum geht und was ich wozu wie lange machen muss und noch weniger wie meine Familie mit dem ganzen Mist umgeht. Es gibt logischerweise auch bei mir eine Außendarstellung und eine Seite, die nur meine engsten Herzensmenschen zu sehen bekommen. Das sei mir und das sei jedem Betroffenen erlaubt.

Ich rate jeder und jedem Krebserkrankten, sich ein paar an den aktuellen Therapiestand angepasste Standard-Antworten zurechtzulegen und die Diagnosegeschichte „in Kurzform“ parat zu haben. Ich bin ehrlich: Dabei erlaube ich mir – je nachdem wie innig das Verhältnis zur fragenden Person ist – eine beschönigte Wahrheit darzustellen oder auch mal sehr kurz angebunden zu sein. Ich muss mich damit wohlfühlen.

Es gibt aber auch Tage, an denen bin ich aber einfach zu schlapp, zu müde, zu deprimiert und weiß gar nichts zu erwidern, wenn ich mal wieder einmal zu hören bekomme, ich solle „tapfer sein“ und „auf jeden Fall Himbeeren essen”… Im besten Fall kann ich einen blöden Spruch einfach übergehen und zum Smalltalk übergehen. Manchmal muss ich aber auch ein paar Tränen wegblinzeln, einen bissigen Kommentar unterdrücken oder beginne mich – eigentlich grundlos – zu erklären. Manchmal bleibt mir auch einfach die Spucke weg und ich drehe mich mit einem knappen „Du, ich muss weiter.“ weg.

Herrlich ist es, wenn es mir gelingt, meinem Gegenüber mit einer schlagfertigen Antwort den Wind aus den etwas zu forschen Segeln zu nehmen und die Kommunikation in für mich angenehmere Gefilde zu lenken. Oftmals ist auch eine Gegenfrage ein gutes Mittel, um mir etwas Zeit zum Überlegen einzuräumen, wenn du etwas klarstellen oder ins rechte Licht rücken möchte.

Claudia Altmann-Pospischek, seit 2013 an metastasiertem Brustkrebs erkrankte Bloggerin (www.facebook.com/claudiascancerchallenge) und eine absolut bewundernswerte Frau, kennt sich mit unbedachten Bemerkungen und unpassende Fragen zu ihrer Krebserkrankung aus und hat zusammen mit selpers.com einen Online-Schlagfertigkeitskurs für KrebspatientInnen entwickelt, den ich allen Betroffenen (und neugierigen Gesunden) wärmstens ans Herz legen möchte. Hier könnt ihr euch kostenlos in rund 20 Minuten ein Rüstzeug zulegen, um nervige Sprüche souverän kontern zu können und nicht sprachlos oder gar verletzt zurückbleiben zu müssen. Ihr findet dort sozusagen “Daumen-Hoch-Sätze” für euch:  https://selpers.com/kurs/schlagfertigkeit-fuer-krebspatientinnen/

Eulenspiegel Thumbs Up _ _
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Krebs-Ratgeber

Wenn du bis zu dieser Stelle gescrollt, gescrollt, gescrollt, gescrollt hast dann bist du ganz schön tief in die Gedankenwelt eines krebsigen Wesens eingedrungen. Hab vielen Dank dafür! Wer sich zusätzlich zu den von mir beschriebenen sprachlichen mit weiteren Missverständnissen zwischen Nicht-Krebslerinnen und Krebslern und Erkrankten beschäftigen möchte, dem empfehle ich – mit freundlicher Erlaubnis der Autorin – ein herrlich erfrischendes Buch: „Kopf hoch, Brust raus!“. Was wir im Umgang mit Krebs alles richtig machen können.“. Susanne Reinker, selbst ehemalige Brustkrebserkrankte, erzählt in 36 kurzen alphabetisch geordneten Texten von A wie „Austherapiert“, über H wie „Haarausfall“ und T wie „Tränen“ bis Z wie „Zweitmeinung“ offen und herzerfrischend direkt von den Lebensumständen Krebserkrankter und ihrem Umfeld. Sie richtet ihr Buch ausdrücklich auch an Nicht-Kranke, damit diese „uns [Krebslerinnen und Krebslern] das Leben in Zukunft eine ganze Ecke leichter machen können.“

Schaut mal auf der Webseite https://kopf-hoch-brust-raus.de/ vorbei. Dort findet ihr eine Leseprobe zum Sofortdownload sowie eine kostenlose Hörfassung des Ratgebers für euer Smartphone.

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