Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Wie ich mit Wucht aus meinem Hamsterrad katapultiert wurde

Alles fing eigentlich damit an, dass ich Pfingsten 2022 zum zweiten Mal (dreifach geimpft) Corona hatte. Wir waren auf dem Geburtstag meines Schwiegervaters und ich fand dort einfach alles nur schrecklich. Der Geruch des Essens, die Leute, die Musik,…

Auf dem Heimweg musste mein Mann anhalten, weil ich mich übergeben musste. Die Kinder haben aus dem Auto raus zuschauen müssen- wirklich nicht schön.

Ich dachte, ich hätte eine üble Magen-Darm-Verstimmung und habe mich zu Hause direkt ins Bett gelegt. Nachdem meine Schweigermutter einen Tag später anrief, um zu sagen, dass Ihr Mann Corona hätte, haben wir uns getestet. Mein Test war positiv. Es ging mir vier Tage wirklich schlecht und ich habe mich nur vom Sofa zum Bett und zwischendurch auf den Liegestuhl im Garten geschleppt.

Nach etwa 10 Tagen war der Spuk vorbei und ich fing wieder an zu arbeiten. Aber irgendwie hatte ich nicht die gleiche Power, wie vor Covid. Das kann ja mal vorkommen nach so einer Geschichte.

Ich habe eine Woche abgewartet. Arztbesuche waren nie so mein Ding. Krankheiten verschwinden von Alleine wieder, wenn man sie ignoriert. Und was soll mir ein Arzt schon sagen, außer dass ich mich noch ein wenig ausruhen soll.

Aber dieses mal hat mir mein Bauch gesagt, dass ich das besser mal abklären lassen sollte. Da ich in meiner alten Hausarztpraxis nicht so glücklich war und eine Freundin als angestellte Ärztin in einer Praxis im Nachbardorf angefangen hatte, habe ich mich für diese Praxis entschieden. Sie selbst war an diesem Tag nicht da, aber ihr Kollege. Das war mein großes Glück, denn der hatte komischerweise gleich so eine Ahnung. Er wollte mich komplett durchchecken. Lungen Röntgen, gynäkologische Untersuchung, Blutbild, CT und Darmspiegelung. Und das alles nur, weil ich, als er mir in den Bauch gedrückt hat, Schmerzen hatte und er in dem Ultraschall, welches er daraufhin gemacht hat, freie Flüssigkeit im kleinen Becken entdeckt hat.

Ich habe mir bis dahin keine Sorgen gemacht. Freie Flüssigkeit kann ja auch mal von einem Eisprung kommen.

Also habe ich versucht Termine für diese ganzen Untersuchungen zu bekommen…

Es war inzwischen Ende Juli. Die Lunge konnte schnell geröntgt werden- sie war unauffällig. Auch eine Vorgespräch für die Darmspiegelung konnte ich noch für die selbe Woche vereinbaren. Da ich erwähnt habe, dass in zwei Wochen ein CT geplant sei, könne ich ja bis Novermber mit der Darmspiegelung warten. Ok, kein Problem, dachte ich zumindest damals noch. Das CT war komplett unauffällig und die gynäkologische Untersuchung zeigte eine Zyste am Eierstock, gegen die ich Tabletten nehmen sollte. Da hatten wir also den Grund für die Flüssigkeit im Becken gefunden- noch so ein Irrtum.

Es ging in entspannte Sommerferien und alles war wieder gut. Ich habe die Zeit mit der Familie in der Toskana und zu Hause im Garten genossen ohne irgendwelche nennenswerten Beschwerden.

Eine Kontrolluntersuchung nach den Sommerferien bei meiner neuen Gynäkologin zeigte wieder eine „Auffälligkeit“ am linken Eierstock. Diese sollte ich in der Uniklinik abklären lassen. Als ich dann in meiner Gymnastikgruppe im Sportverein Schmerzen hatte und nicht mehr auf dem Bauch liegen konnte, um Übungen vorzumachen, wusste ich, ich sollte auf jeden Fall noch mal zum Arzt gehen.

Das war ich also. Wieder war ich bei dem Kollegen meiner Freundin und er war regelrecht wütend, dass ich noch nicht alle Untersuchungen machen lassen hab. Er schimpfte, dass ich dringend einen früheren Termin zur Darmspiegelung vereinbaren solle. Das hat mir im Nachhinein das Leben gerettet. Der Termin wurde also vorgezogen auf Ende September.

Die Vorbereitung zur Darmspiegelung hat mir keinen Spaß gemacht. Mehrere Tage kein Vollkorn, keine Nüsse, keine Tomaten usw. Ich hatte wirklich schlechte Laune. Dazu kam das Abführen und Fasten. Am schlimmsten war der Sonntag vor dem Termin, an dem meine Familie in der Küche etwas Schönes gekocht hat. Ich lag auf dem Sofa, habe das leckere Essen gerochen und man durfte mich nicht ansprechen. So mies war die Stimung. Mein Mann meinte, ich solle mich mal nicht so anstellen. Wenn man sich aber gewöhnlich von Weißbrot und Nudeln ernährt, fehlt einem in der Vorbereitungswoche ja auch nichts.

Warum mache ich das nur? Habe ich mich gefragt. So eine Quälerei, da kommt doch eh nichts raus. Eine entzündliche Darmerkrankung maximal… (Wobei ich diese hier keineswegs schmälern möchte. Es gibt schlimme Erkrankungen, wie Morbus Chron oder Cullitis unzerosa. Die hätte ich auch nicht habe wollen).

Aber das, was dann raus kam, hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Noch während ich im Dämmerschlaf lag, wurde der Onkologe dazu geholt, damit der sich meinen Darmtumor anschauen kann. Eine Passage war bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.

Im folgenden Arztgespräch wurde mir dann erklärt, dass ich in der linken Flexur des Dickdarms einen Tumor habe, der wahrscheinlich bösartig ist. Es fühlte sich irgendwie nicht an, als würde der Arzt mir meine Diagnose sagen. Er selbst konnte es kaum glauben und war sichtlich schockiert. Das hätte er bei einer so jungen Frau nicht erwartet. Ich kann mich noch erinnern,dass ich mich über das Kompliment gefreut habe. (Mit 48 wird man nicht mehr so oft als junge Frau bezeichnet.) Ich sollte meinen Mann anrufen, damit der beim anschließenden Gespräch mit dem Onkologen dabei sein kann. Es wurde uns erklärt, dass erneut ein CT und ein MRT gemacht werden und man dann über das weiter Vorgehen berate.

Ich wusste, dass man Dickdarmkrebs, wenn man ihn frühzeitig erkennt, gut operieren kann und häufig keine weitere Behandlung notwendig ist. Davon sind wir ausgegangen. Das CT am Folgetag hat uns dann getroffen wie ein Schlag.

 

Ich fühle noch genau den Moment, in dem ich das Ergebnis bekommen habe. Ich war auf dem nach Hause Weg von meinem Hausarzt, als ich im Auto meine Mails gecheckt und den Befund des CTs erhalten habe. Beim Lesen bin ich weinend zusammengebrochen. Ich bin zurück in die Praxis und konnte nicht reden. Eine der netten Arzthelferinnen hat meinen Mann angerufen und mich in ein Nebenzimmer geführt. Er war innerhalb von wenigen Miuten da. Niemals zuvor haben wir beide gemeinsam so heftig geweint. Mein erster und lautester Gedanke galt meinen Kinder. Was würde aus Ihnen werden? Wie würden sie es verkraften ohne ihre Mama zu leben? Ich werde nicht dabei sein und sehen können, wie meine wundervollen Töchter erwachsen werden. Dieses Gefühl der Angst und Hilflosigkeit werde ich nie vergessen.

Zwischen dem ersten und dem zweiten CT lagen nur zehn Wochen. Während der erste Befund „unauffällig“ war, zeigte das CT zweite Metastasen im gesamten Bauchfell, der Leber, der Milz, so wie Aufälligkeiten im Lungenfell und an den Eierstöcken. Wie war das möglich? Wir konnten es nicht glauben. Ein Bekannter meiner Freundin, der als Radiologe in Berlin an der Charité arbeitet, hat sich die Bilder angeschaut, konnte aber im ersten CT allenfalls im Nachgang kleinste Auffälligkeiten entdecken.  Mit dem Fokus auf entzündliche Erkrankungen, hätte das wohl Niemand erkennen können.

So habe ich nur noch funktioniert, wie ferngesteuert die folgenden Termine, wie Portimplantation und andere Voruntersuchungen für die Chemotherapie über mich ergehen lassen.

Wir sind von Anfang an offen mit dem Thema umgegangen und haben den Kindern so viel erzählt, wie nötig war. So unterschiedlich wie die drei sind, haben alle auch sehr unterschiedlich reagiert. Schnell habe ich gemerkt, dass es ihnen besser geht, wenn ich stark bin. Und auch ich habe mich damit besser gefühlt. Ich habe riesige Spaziergänge gemacht. Mit mir alleine, mit Freundinnen und mich so gut es ging geerdet.

An Arbeiten war nicht zu denken. Viel zu geschockt war ich. Alles, wurde auf null gefahren. Keine Kurse mehr, keine Praxis, kein Ehrenamt. Ich war ja kaum in der Lage, mich um mich geschweige um meine Familie zu kümmern. Irgendwie fühlte sich das aber auch an, wie eine Erleichterung. Alle Aufgaben auf Eis zu legen und aus Vollgas ausgebremst zu werden. So radikal hätte ich mir das niemals erlaubt.  Etwa eine Woche vor der Diagnose, hatte ich noch zu einer lieben Freundin gesagt, dass ich dringend mal eine Auszeit brauche. Ein Wellnesswochenende würde da nicht mehr reichen. Eher so ein Sabattjahr…. Nun kenne ich die Macht der Wort. So etwas sollte man besser nicht denken bzw. laut aussprechen. Nicht, dass ich denke, dass ich die Krankheit damit herbeigebeamt hätte. Aber eigenartig ist es schon. Mein Körper hatte wahrscheinlich schon länger um Hilfe geschrien. Wahrgenommen habe ich es nur nie bzw. habe ich die vorsichtigen Signale ignoriert.

Bereits früh habe ich erkannt, welche Chance sich bei allem Übel hier bietet. Niemals hätte ich mir erlaubt mein Pensum zu reduzieren.

Beim nächsten Mal erzähle ich Euch, was dann passiert ist. Was für eine Welle an Hilfsbereitschaft und Anteilnahme mich erreicht hat und wie mich das durch die erste Zeit nach der Diagnose getragen hat.

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