Krebs – Liebe – Punkt NULL
Annette fragt… Shila Driesch alias die Mutlöwin
Keine Ahnung, wie der Instagram-Algorithmus funktioniert. Jedenfalls spülte er mir eines Tages Shila bzw. ihr Buch „Das Streben nach Leben“ vor die Füße bzw. auf meinen Bildschirm. Das interessierte mich, ich bestellte es, las es durch und war geflasht: Kannte die Frau mich? Erzählte sie meine Geschichte? Ich schickte ihr eine Sprachnachricht, sie antwortete mir und seitdem geht das hin und her und her und hin und wir sind gute Bekannte geworden.
Shila ist 46 Jahre alt, verheiratet, Mutter zweier Söhne, Hundemama, Buchautorin und Trainerin. Sie erhielt mit 41 Jahren die Diagnose „triple negativer Brustkrebs“, durchlief eine Chemotherapie und hatte eine beidseitige Mastektomie. Sie hat sich während ihrer Erkrankung intensiv mit den Themen Gesundheit, Lebensglück und Selbstliebe beschäftigt. Sie sagte „Tschüss“ zu ihrem ersten Leben als Angsthäsin und lebt ein äußerlich, innerlich und beruflich komplett verändertes, zweites Leben als Mutlöwin (@die_mutloewin).
Ich freue mich sehr, dass die liebe Shila in diesem Interview sehr offen über ihre Veränderung spricht. Ich bin mir sicher, sie wird damit auch euch, liebe Leserinnen und Leser dazu inspirieren wird, euer Leben auch etwas genauer zu betrachten. Ihr müsst das eurige ja nicht komplett ändern, aber vielleicht etabliert ihr etwas mehr Mut darin?
Annette: Liebe Shila, wo standest du in deinem Leben, als dich die Diagnose traf?
Shila: Eigentlich sollte alles gut werden. Ich hatte eine schlimme Zeit hinter mir, fühlte mich, seitdem ich denken kann, als hätte man mir unsichtbare Handschellen angelegt – unfrei und gefangen, immer bestrebt die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen. Ich hatte langsam, aber sicher angefangen, damit aufzuhören. Meine „verhasste“ Versicherungsagentur abgegeben und damit einen Job, den ich nur meinen Eltern zuliebe ausgeübt hatte. Ich wusste schon immer, dass er mich nicht glücklich macht, aber ich sah damals keinen Ausweg.
Zum Start in ein neues Leben sind wir Weihnachten zum ersten Mal in den Sommerurlaub nach Dubai geflogen. Dort habe ich angefangen, alles hinter mir zu lassen – ich habe angefangen zu leben. Ich bin mit meinen Kindern um 1 Uhr nachts in den Pool gegangen, ich habe das Leben gespürt. Samstags lag ich mit meinen Jungs auf dem Bett. Wir wollten uns noch etwas ausruhen, bevor es zum Abendessen ging. Rechts und links waren die Jungs eingeschlafen. Also bin ich etwas unkonventionell aufgesprungen, um keinen der Beiden zu wecken. Als ich mit den Armen gerudert bin, um mein Gleichgewicht zu halten, landete mein rechter Arm an meiner linken Brustseite. Was ist das? Und ich wusste: Das ist das, wovor jede Frau Angst hat!
Annette: Welche Gedanken, welche Gefühle hattest du, als du davon erfahren hast, dass du eine potentiell lebensverkürzende Krankheit in dir trägst?
Shila: „Ich? Ich doch nicht! Das passiert doch nur bei anderen oder in Filmen.“
Ich hatte Alpträume in der ersten Nacht. Aber es war nicht wie ein üblicher Alptraum. Normalerweise denkt man morgens: „Gott sein Dank, es war nur ein Traum.“ Dieses Mal bin ich aufgewacht und habe gedacht: „Scheiße, es ist wahr.“
Annette: Du sprichst in deinem Buch und auf deiner Homepage davon, dass du dein erstes Leben (das vor der Diagnose) als „Angsthäsin“ zugebracht hast und nun, in deinem zweiten Leben, als „Mutlöwin“ lebst. Was hat es mit diesen beiden Bezeichnungen auf sich?
Shila: Ich habe immer Angst vor Fehlern gehabt – nicht gut genug zu sein. Ich habe versucht zu funktionieren, damit andere glücklich sind. Ich habe lieber einen Job gemacht, der mich nicht glücklich macht, damit es anderen gut damit geht. Ganz ehrlich, ich bin Diplom-Betriebswirtin, Fachberaterin für Finanzdienstleistungen, ich hätte locker einen Job in einem anderen Unternehmen als dem elterlichen finden können! Wäre ich nur etwas mutiger im Leben gewesen!
Ich hatte Angst vor Veränderungen. Ich hatte Angst, dann nicht mehr geliebt zu werden. Deshalb bin ich in der sicheren Komfortzone geblieben, obwohl sie den Namen nicht verdient, denn sie war überhaupt nicht komfortabel. Aber manchmal akzeptieren wir auch das Schlechte, weil es uns vertraut ist, und wer gibt einem schon die Garantie, dass es danach nicht noch schlechter wird?
Als ich an Krebs erkrankte, spürte ich, dass es überhaupt keinen Grund gibt, weiterhin in der Komfortzone zu verharren, denn es gibt im Leben keine Sicherheit. Ich wollte doch nur ein glückliches Leben führen! Aber die Angst stand mir im Weg.
Eines Tages habe ich mich gefragt, ob der Angsthase im Duden steht. Ich wurde tatsächlich fündig! Sogar die Angsthäsin als weibliche Ausführung.
Aber die Mutlöwin kannte keiner. Das wollte ich ändern. Ich finde, der Mut sollte definitiv eine wichtigere Rolle in unserem Leben spielen als die Angst.
Annette: Wenn man die Fotos der „alten Shila“ und die Beschreibung deines „alten Lebens“ sieht und liest und mit denen/dem der „neuen Shila“ vergleicht, dann sind das wahrlich Welten. Sicherlich ist deine Veränderung deinem Umfeld nicht verborgen geblieben. Welche Reaktionen hast du von deinem Mann, deinen Kindern und auch Freunden bekommen?
Shila: Mein Mann hat manchmal etwas Angst vor meiner Veränderung gehabt. Ich muss gerade etwas lachen über meine Formulierung. Aber es ist so. Er hat gesehen, dass da eine Lawine in Gang gekommen ist und er wusste nicht, wie es am Ende werden würde. Er wusste, er konnte die Lawine auch nicht aufhalten. Er hat mich immer unterstützt, ohne zu wissen, wohin ich mich entwickeln würde. Eine schwierige Situation für ihn, denn auch er hat seinen Hintergrund: Seine Eltern habe sich scheiden lassen, als er vier Jahre alt war. So etwas prägt. Aber auch er ist in dieser Zeit zum Mutlöwen geworden.
Meine Kinder waren eine unglaubliche Stütze für mich. Es gibt ein Bild, wo mich mein jüngster Sohn in seinen Armen hält – ich auf seinem Bauch. Ich habe damals geweint ohne Ende und er hat mich einfach nur gehalten. Und ich dachte: „Scheiße, das müsste doch eigentlich andersrum sein. „Noch heute habe ich Tränen in den Augen, wo ich diese Zeilen schreibe.
Meine engsten Freunde sind auch heute noch meine engsten Freunde. Es sind noch einige neue, tiefe Freundschaften auf Distanz entstanden. Das hört sich vielleicht ein wenig kontrovers an, aber ich habe meine Meinung zu vielen Dingen eben geändert. Ich kann Nähe auch zu Menschen empfinden, die ich nicht täglich anrufe. Du bist auch ein Beispiel dafür. Ich glaube, wenn ich mal jemandem zum Reden bräuchte, dann wärst du für mich da!
Meinen Kindern hatte ich bis vor Kurzem das Medium „Instagram“ verboten.
Manche Menschen haben sich auch von mir abgewendet. Und umgekehrt ist das auch schon vorgekommen. Diese Menschen konnten vielleicht gar nichts dafür, aber sie taten mir einfach nicht gut.
Annette: Ich habe das Glück, mithilfe von Antikörpertherapie und Tamoxifen über das Ende der Akuttherapie hinaus etwas für meine Krebsprävention tun zu können. Das ist dir nicht möglich, da du einen triple negativen Tumor hattest, dem „nur“ mit Chemotherapie und der Mastektomie begegnen konntest. Deshalb hast du dir selbst einen Werkzeugkasten mit Strategien gefüllt, mit dem du deinen Körper und deinen Geist gesund hältst. Kannst du diese etwas genauer erläutern?
Shila: Mich hat es damals sehr belastet, die triple-negativ Frau zu sein! Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich im Alltag auf dieses Wort stoße: Z.B. „Der FC Bayern hat das triple geholt.“ oder „der Triple Chocolate Cookie von McDonalds.“ Aber ich musste einfach einen Weg finden, damit zurecht zu kommen. Ich dachte: „Es ist, wie es ist. Aber es wird, was du daraus machst.“
Ich habe mich voll und ganz in mein Hobby vertieft: das Lesen. Ich hatte das Gefühl, dass mir immer das richtige Buch zur richtigen Zeit in die Hände fiel. Zuerst ging es hauptsächlich darum, wie ich meine Ängste in den Griff kriege. Mehr und mehr begriff ich, dass Körper, Geist und Seele eine Einheit darstellen. Die Chemotherapie griff nicht nur meinen Körper an. Ich beobachtete, dass mein Körper meinen Geist mit in die Abwärtsspirale zieht. Also müsste es doch einen Weg geben, dass der Geist den Körper mitzieht.
Anfangs habe ich die Diagnose „triple negativ“ sehr bedauert, aber dann habe ich angefangen, nach Chancen zu suchen. Und ich habe sie gefunden. Vielleicht hätte ich mich ohne diese spezielle Diagnose gar nicht auf den Weg gemacht. Dann wäre die Mutlöwin gar nicht ins Leben gerufen worden.
Mir hat mal jemand gesagt: „Wenn der Scheißhaufen, vor dem du stehst besonders groß ist, dann such das Pony dazu, denn das muss auch groß sein.“
Annette: Ich war schon vor meiner Krebsdiagnose als Autorin tätig und fühle mich beim Schreiben zu Hause. Du kommst aus einer ganz anderen beruflichen Ecke. Was hast du früher gemacht und wie kam es, dass du zur Autorin wurdest?
Shila: Ich habe BWL studiert, war ein Jahr Junior-Dozentin und fühlte mich damals verpflichtet, in den elterlichen Betrieb einzusteigen. Ich absolvierte eine Ausbildung zur Fachberaterin für Finanzdienstleistungen. In meiner Chemozeit habe ich mir eine große Auszeit genommen und an meinem Comeback gearbeitet. Der Freund meines Mannes, der uns durch schwierige, familiäre Zeiten begleitete, sagte irgendwann zu mir: „Shila, du hast dich so verändert. Eigentlich müsstest du ein Buch darüberschreiben, um andere Menschen zu inspirieren.“
Annette: Ich schreibe auf meinen Blog von und über meinem Leben mit/nach Krebs/es. Zwar erzählst du in deinem Buch auch deine Krebsgeschichte, aber nicht in erster Linie. Es richtet sich keineswegs ausschließlich an andere Patientinnen, sondern vielmehr an alle Frauen und ist noch dazu – von den Versandkosten abgesehen – kostenlos ist. Was möchtest du mit deinem Buch erreichen?
Shila: In erster Linie möchte ich anderen Frauen, die in der gleichen misslichen Lage sind, Mut machen. Ich möchte andere Frauen inspirieren, diese Krankheit nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern ganzheitlich zu betrachten. Dafür braucht es etwas Mut, denn vielleicht stehen Veränderungen an und vor Veränderungen haben viele Menschen Angst.
In Deutschland erkrankt jede 8. Frau an Brustkrebs. Unter 10 % sind genetisch bedingt. Was schließen wir daraus? Wir sollten rechtzeitig zur Vorsorge gehen! Das ist richtig und wichtig! Vorsorge kann Leben retten.
Aber wo fängt Vorsorge an? Ich finde Vorsorge sollte nicht beim Arzt beginnen, sondern bei mir, indem ich mich immer mal wieder frage: „Bin ich glücklich? Fühle ich mich wohl? Lebe ich das Leben, das ich leben will?“
Die WHO definiert Gesundheit als einen Zustand des vollkommen geistigen, körperlichen und seelischen Wohlbefindens und nicht nur das Fehlen von Krankheiten und Gebrechen.
Gesundheit ist also mehr als ein körperlicher Zustand – es ist ein Lebensgefühl.
Und wer glücklich werden will, braucht eben eine Portion Mut.
Annette: Ich bin mittlerweile wieder in meinem Lehrerinnenjob zurück und habe große Freude daran. Du hingegen hast deinen ursprünglichen Beruf an den Nagel gehängt und machst nun etwas völlig anderes. Wie kamst du zu diesem Entschluss? Wie geht es dir damit?
Shila: Im Rahmen meines Studiums zum Gesundheits- und Präventionscoach entdeckte ich die sieben Grundbedingungen für Gesundheit. Eine der Grundbedingungen lautet: eine sinnvolle Arbeit und gute Arbeitsbedingungen. Eine sinnvolle Arbeit, die mir Spaß macht – das war meine Restbaustelle, aber eine ziemlich große. Ich war früher ein sehr verplanter und perfektionistischer Mensch – bis ich mich entschied, auf eine spannende Reise zu gehen und dem Prozess und meiner Intuition zu vertrauen. Der Entschluss, ein eigenes Buch zu schreiben, gehörte sicherlich zu den besten und weitreichendsten Entscheidungen meines Lebens. Ich habe mich auf die Suche nach einem Verlag begeben – erfolglos! Aber ich habe mich nicht entmutigen lassen und „Die Mutlöwin“ einfach im Eigenverlag herausgebracht. Seitdem habe ich so viele persönliche E- Mails von Leserinnen bekommen – Wahnsinn! Mein Mann hat mir letztes Jahr zu Weihnachten ein Album geschenkt, wo er jede Mail ausgedruckt und eingeklebt hat. Das war das schönste Geschenk meines Lebens! Wahrscheinlich wäre es nie dazu gekommen, wäre das Buch über einen Verlag erschienen. Ich meine, hast du schon mal einen Autor persönlich angeschrieben, weil du sein Buch gut findest? Ich tatsächlich erst ein Mal!
Dann bin ich den Weg gegangen, der sich mir geöffnet hat und mir geht es wahnsinnig gut dabei. Ich weiß noch, wie viel Mut es mich gekostet hat, die erste Insta-Story zu veröffentlichen (lach). Aber es war jede Anstrengung wert. Früher hatte ich einen Job, heute führe ich (m)ein Herzensbusiness.
Ich unterstütze Frauen dabei, weniger Angsthäsin zu sein und mehr Mutlöwin zu werden.
Mal schauen, wohin der Weg noch führt. Ich spüre, da geht noch viel mehr in meinem Leben.
Annette: Ich bin Fan von ungewöhnlichen Formulierungen. Deine beiden Kreationen „Mutausbruch“ und „Hokus Fokus“ gehören absolut dazu. Erklär doch mal: Was hat es denn damit auf sich?
Shila: „Hokus Pokus“ ist ein geläufiger Begriff, jedenfalls noch für Menschen, die ungefähr in meinem Alter sind. Für mich ist dieser Begriff äußerst positiv besetzt, weil damit etwas hergezaubert wird, was man sich von Herzen erwünscht – auf magische und damit unerklärliche Weise. Aber ist das Ganze wirklich immer so unerklärlich? Ich meine, selbst Zaubertricks „funktionieren“, wenn man den Trick dahinter kennt. Ein solcher Trick ist der „Fokus“. Ich glaube, wir können durch unseren Fokus, d.h. durch unsere Gedanken, unsere Worte, unser Handeln und unsere Gefühle sehr wohl Einfluss auf unsere Träume und Ziele nehmen. Die Art, wie du über etwas denkst, macht den Unterschied aus.
Wie heißt es noch so schön: „Ob du denkst, du schaffst etwas oder du schaffst es nicht – in beiden Fällen wirst du recht behalten.“
Annette: Du wirkst sehr taff, sehr positiv, sehr lebensbejahend. Aber sicherlich hat auch die Mutlöwin mal einen traurigen, einen leisen, einen mistigen Tag. Wie schaffst du es, dich dann herauszuziehen?
Shila: Das Wissen, dass das vorbei geht! Nach Regen folgt der Sonnenschein. Aber ich schaue auch genau dahinter und stelle mutig die Frage: „Woher kommt das, was sich da zeigt?“ Ich habe nie ohne Grund schlechte Laune. Die schlechte Laune ist meist ein Symptom- und ich mache mich dann auf die Suche nach der Ursache.
Annette: Welchen Ratschlag kannst du Frauen geben, die gerade frisch ihre Diagnose erhalten haben und mutlos sind?
Shila: Glaube an dich! Glaube an deine Kraft. Wenn es einen Glauben gibt, der sogar Berge versetzen kann, dann ist es der Glaube an dich selbst.
Das sind übrigens die Worte aus dem Vorwort zu meinem Buch.
Annette: Liebe Shila, ich danke dir für deine ehrlichen Antworten und wünsche dir von Herzen alles, alles Gute für dein zweites Leben.
Schaut auch unbedingt mal auf Shilas Homepage um. Dort erhaltet ihr nähere Infos zu ihrem Buch, ihrem Journal, dem Mutcamp und könnt einen Coachingtermin vereinbaren: https://shiladriesch.de
You-Tube-Video „Wie ich den Krebs besiegte und ein glückliches Leben geschaffen habe“: https://youtu.be/5gO7lQohYuI
Shila zu Besuch in Podcasts:
Mariline Podcasts: https://open.spotify.com/episode/2Gi7NSF0WOlieuiKCW9oQY?si=453a2185c062498d
Zwei Folgen im LEB!-Podcast: https://open.spotify.com/episode/06IOTL2NBZXwalWTt6VJLC?si=e64d223e194e43bb
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Dirk Kräuter: https://open.spotify.com/episode/7JC9RvjMUbSy7tErA06mw1?si=42c0372bac864356
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