Krebs – Liebe – Punkt NULL
Sehschwäche oder Durchblick: Vom toxischen Kampf mit der rosaroten Brille
Die letzten Wochen waren ein unschöner Dauerlauf im Hause Holl: Ein erneuter Krebsverdacht inklusive Operation. Ein wochenlanger Infekt beim Mittelstürmer. Trouble mit dem Teeniemädchen. Stress in der Schule. Der Göttergatte geschäftlich on tour. Ein Krebsbefund in der Familie. Ein positiver Coronatest beim Goldkind. Ein abgesagter Urlaub. Meine rosaroten Brillengläser waren komplett verdreckt.
Mitten hinein in diese „Alles-ist-blöd-und-ich-bin-sowieso-die-Ärmste- Stimmung“ crashten dann Nachrichten à la „Bleib positiv.“, „Mach das Beste draus.“ und natürlich „Wer weiß, wofür es gut ist?“ Diese hatten mich schon während meiner Krebserkrankung zur Weißglut gebracht und kamen auch jetzt nicht gut bei mir an. Das konnte doch nicht der Ernst meiner lieben Zeitgenoss*innen sein, oder?
Mit diesem Blogtext setze ich mich dafür ein, dass es jeder und jedem erlaubt sein muss, , ab und zu auch mal ein dunkelgraues oder gar schwarzes Brillenmodell zu tragen, wenn sie oder er in Situation steckt, die ihr oder ihm ungerecht, ausweglos, beängstigend oder einfach doof erscheint. Ich habe mir ein paar Alternativen überlegt, mit denen man Menschen in Krisen ohne „Positiv-und-dankbar-Parolen“ unterstützen kann. Zuguterletzt erzähle ich euch, wie ich es schaffe, an vielen Tagen mit rosarotem Blick, aber nicht toxisch positiv durchs Leben zu gehen.
Stimmung auf dem Nullpunkt
#positivity und #staypositive oder auch #behappy… Diese Hashtags konnten mir in den letzten Wochen gestohlen bleiben! Ich fühlte mich vom Schicksal veräppelt. Suhlte mich im Selbstmitleid. Warum eigentlich immer wir? Da hatte ich Krebs gehabt. Parallel eine Pandemie gewuppt. War wieder in den Alltag mit seinen zig Terminen und Verpflichtungen zurückgekehrt. Und dann war da ein knappes Jahr später eine Auffälligkeit in der Gebärmutter. Der Mittelstürmer wochenlang von drei heftigem Dauerhusten geplagt. Das Teeniemädchen pubertierte heftig. Bei mir in der Schule war es recht trubelig. Und dann bekam das Goldkind auch noch pünktlich zwei Tage vor dem Start des Urlaubs Corona und der Göttergatte fuhr mit dem Mittelstürmer und dem Teeniemädchen alleine los. Hm… War denn nicht schlicht und ergreifend einfach alles nur doof?
Ich wusste, dass keiner Schuld trägt an dieser geballten Ladung unschöner Streckenabschnitte im Holl´schen Negativ-Dauerlauf. Der Mittelstürmer nicht mit Absicht krank. Das Teeniemädchen nicht pubertärer als andere. Der Göttergatte auch nur ein Mensch. Mein Kollegium trotz Lehrermangels weiterhin das beste. Das Goldkind zufälliges Virenopfer. Irgendwie war das wohl alles eine unglückliche Verquickung unschöner Zufälle, die in Summe einfach tornadomäßig blöd waren.
Ich versuchte der Rennerei standzuhalten…. Weiterzumachen… Halbwegs positiv zu bleiben… Ich versuchte, mich an den so oft so hochgelobten „kleinen Dingen des Lebens“ zu erfreuen. Dem herrlich-frühlingshaften Sonnenwetter im Oktober. Den zufriedenen Schüler*innen, wenn mir eine Schulstunde gut gelungen war. Einem leckeren Käsesalat (mein derzeitiges vegetarisch-low-carbiges Lieblingsabendessen). Der genialen Netflix-Kaiserin-Serie, die ich fast in einem Rutsch bingte. Neuen Mottoshirts, die ich im Onlineshopping reduziert erstanden hatte.
Aber ich merkte, dass es einfach mal reichte. Ich war psychisch ausgelaugt. Physisch müde. Seelisch traurig. Ich war schlecht gelaunt. Und zart besaitet. Nett gemeinte, aber wenig durchdachte Anfeuerungsrufe à la „Du musst mehr auf dich achten.” „Mach mal Pause, das mit deiner auffälligen Nachsorge war doch ein eindeutiges Zeichen deines Körpers.” trafen mich hart ins Mark.
Denn: Wer übernimmt meinen Platz im Läuferfeld und kümmert sich um meine kranken Goldschätze? Wer lässt mich in die Zielgerade einlaufen und hält die Stellung in meinem Haushalt? Wer übernimmt meinen Staffelstab und geht für mich arbeiten? Wer wäscht meine Laufklamotten und lässt mich Urlaub machen? Tja, was soll ich sagen? Plötzlich herrschte Schweigen im Zuschauerbereich. Und ich fühlte mich weiterhin allein. Dauermotzen, Tränenströme und Selbstmitleid standen auf meinem Trainingsplan.
Statt „stay positive“ war hier eher eine “Ihr-könnt-mich-alle-mal -Attitüde” angesagt.
Ich entschied: Jetzt war doch genau der richtige Moment, mich mal blogtexttechnisch mit diesem Positivitäts-Hype und der „Happy-Pappy-Glitzerwelt (…), in der angeblich alles toll und nichts doof ist“ (Anna Maas) auseinanderzusetzen.
Toxisch positiv: Zu viel rosarote Farbe vergiftet den Geist
Schon klar: Ein positives Mindset tut gut. Glücksgefühle pushen. Ein optimistischer Blick lässt einen besser mit Stress umgehen und hilft beim Entwickeln von Resilienz, also der psychischen Widerstandskraft, die uns hilft mit den großen und kleinen Widrigkeiten des Lebens umzugehen. Menschen mit positiver Lebenseinstellung erholen sich erwiesenermaßenschneller von Krisen, werden seltener depressiv, haben seltener Herzerkrankungen und eine höhere Lebenserwartung. Hier im Kurvernkratzer-Magazin findet ihr sogar eine ganze Artikelserie zur positiven Psychologie.
Aber, verdammt nochmal!, es gehört doch zum Menschsein, dass man sich auch mal schlecht fühlt, traurig ist und sein Leben einfach nur blöd findet. Immerhin hatte ich gerade den Göttergatten, das Teeniemädchen und den Mittelstürmer an der Tür verabschiedet, die mit Sack und Pack in „unser Hotel“ ins Allgäu fuhren. Dorthin fahren wir schon, seit das Teeniemädchen anderthalb ist und der Mittelstürmer im Bauch mit dabei war. Während sie mit Begrüßungssekt in den ersten Urlaubsnachmittag starteten, saß ich mit dem Goldkind zu Hause. Hatte nicht ich die Erholung eigentlich am nötigsten? Nee, meine gute Laune war da ganz weit weg, Selbstmitleid ganz nah und nicht mal ansatzweise war ein rosa Farbspritzer zu sehen…
Wir zwei Daheimgebliebenen erhielten zahlreiche Nachrichten von Leuten, wurden gefragt, wie es uns so geht und was wir so machten. Doch kaum antwortete ich auf die Frage „Wie geht´s dir?“ ganz ehrlich mit „Mir geht es sauschlecht.“, mit „Ich bin gerade sehr niedergeschlagen.”oder auch „Ich bin nach den letzten Wochen so kaputt.“ und begann dann vom eigenen Leid, von meinem Ärger zu erzählen, wurde ich meist schnell von Satz “Du musst positiv denken!” unterbrochen. Auch beliebt „Macht es euch doch zu Hause nett.“ Und das Totschlagargument mit direktem Appell ans Mutterherz „Sei doch froh, dass die Kleine nur die Kindervariante durchmacht und keinen schlimmen Infekt.“ Ja, schon klar, lieber daheimsitzen als am Krankenhausbett. Aber trotzdem…
Auch während meines Marathonlaufs der Krebserkrankung erhielt ich oft Motivationstipps deren Tenor war „Das Wichtigste ist jetzt, dass du positiv bleibst und nach vorne schaust.“ Und auch in anderen Krisensituationen waren mir solcherlei Sprüche schon oft begegnet.
Hm, ich frage mich: Muss ich das? Muss ich angesichts einer lebensbedrohlichen Krankheit, eines Ehestreits, Ärgers mit meinen Goldschätzens, Stress bei der Arbeit oder auch nur einem Fleck auf meiner Hose, der mich ärgert, sofort in den rosaroten Modus umschalten? Muss ich auf die Frage „Wie geht´s dir?” automatisiert mit “Gut” antworten oder kann ich meinen lieben Mitmenschen auch ein „Du, mir geht es gerade beschissen.” zumuten?
Meiner Meinung nach ist es völlig in Ordnung, wenn man einfach mal alles blöd findet und die kleinen Dinge, die einem an anderen Tagen den rosaroten Durchblick verschaffen einfach nicht sehen kann oder auch nicht sehen will.
Mit dieser unbequemen Meinung bin ich glücklicherweise nicht allein. Studien beweisen, dass es nicht gut ist, negative Gefühle zu verdrängen und alles zwangsläufig optimistisch zu sehen. Im Leben gibt es Phasen, in denen einem alles zu viel wird. Da hilft nur Zähne zusammenbeißen, Augen auf und durch. Da hilft kein „Alles wird gut.“ Nein, „[m]anchmal geht man durch heftige Phasen, in denen man es nicht schafft, mit einem breiten Grinsen und einer rosaroten Brille durch die Gegen zu laufen. Muss man ja auch nicht. In jedem vermeintlich perfekten Leben kommen Dramen vor.“(Anna Maas)
Mittlerweile sind sich Expert*innen einig: Wenn wir versuchen, ständig glücklich zu sein, schadet uns das auf längere Sicht sogar. Man spricht von „toxic positivity“, einem Begriff, der im englischsprachigen Raum entstand und mittlerweile auch bei uns unter der Bezeichnung „Toxische Positivität“ immer wieder auftaucht.
Toxische Positivität: Hierbei handelt es sich um „das Konzept, dass eine positive Lebenseinstellung der einzig richtige Weg ist, sein Leben zu leben. Es geht darum, sich ausschließlich auf positive Dinge zu konzentrieren und alles abzulehnen, was negative Emotionen triggern könnte. (..) Diese Vermeidungsstrategie [führt aber dazu], dass Probleme und negative Emotionen größer würden, statt dass sie verschwänden.“(Anna Maas, Die Happiness-Lüge, S. 27)
Anna Maas beschreibt in ihrem Buch „Die Happiness-Lüge“ anhand zahlreicher Beispielen aus unterschiedlichen Lebensbereichen (ein Kapitel widmet sich z.B. dem toxisch positivem Denken bei einer Erkrankung und enthält ein sehr aufschlussreiches Interview mit einer chronisch kranken jungen Frau) sehr eindrücklich, welche Auswirkungen die toxisch-positive Suche nach Glück und der scheinbare Zwang eines positiven Mindsets haben Sie räumt mit dem toxischen Zwang zum Glücklichsein auf und hat ein wundervolles Plädoyer für ein authentisches Gefühlsleben geschrieben.
Ich empfehle euch dieses Interview mit der Autorin auf Zeitonline. Auch dieser Podcast mit ihr ist absolut hörenswert! Sicherlich wirst auch du dir nach dem Anhören zukünftig überlegen, ob du deine/n Kollegen/in mit „Alles gut?“ begrüßt und weitergehst oder dich tatsächlich auf ihre/seine ehrliche Antwort einlässt.
Belüge ich mich nicht selbst?
Aufmerksame Blogleserinnen und Blogleser werden nun aufschreien und anmerken, dass ich selbst das Verhalten, das in der Definition der toxischen Positivität beschrieben wird, in meinem Texten auch beschrieben habe und dass auch ich selbst immer wieder von einem „positiven Mindset“ schreibe. Ja, ich zeige mich gern lachend und lebensbejahend als Mutmacherin. Auch habe ich selbst in Podcasts gesagt und in Posts geschrieben, dass meine Krebserkrankung durchaus eine Chance für mich war, über einiges in meinem Leben nachzudenken und an Stellschrauben zu drehen. Auch nennt sich mein Blog ja tatsächlich „Meine Herausforderung“ und dazu stehe ich absolut. Ich brauche nicht mal aggressives Scheinwerferlicht, um zu erkennen, dass in meinem krebsigen Misthaufen auch mehr als ein Fünkchen Positives steckt und ich für manches vielleicht sogar leise „Danke“ sage.
Aber: Ich habe im Laufe der Zeit viel gelernt und mich selbst immer wieder hinterfragt. Mancheinen meiner Blogtexte würde ich vielleicht jetzt etwas grauer einfärben oder manchen Satz in einem Interview weniger rosarot-dankbar formulieren. Ich bin definitiv kein negativer Mensch, aber ich akzeptiere alle Facetten meines Gefühlslebens.
Ich wehre mich entschieden gegen das Bild, in dem ich dauergrinsend und feengleich durch meine Tage schwebe und mich an blumigen Kalendersprüchen erfreue, die raten: „Begrüße jede neue Erfahrung.“ oder „Nimm gern entgegen, was der Tag dir schenkt.“ Was, wenn ich manche Erfahrung gar nicht hätte machen und manches Geschenk am liebsten ungeöffnet zurückschicken hätte wollen?
Der Krebs war definitiv nicht „Das Beste, was mir hätte passieren können.“, auch wenn ich ihm Lebenserkenntnisse abgewinnen kann. Jährlich sterben rund 230 000 Menschen an Krebs! Das geht mir nahe, das schmerzt. Das kann ich nicht mit Sinnhaftigkeit in Verbindung bringen.
Ich bin krebsfrei, ja. Gerade erneut bestätigt, Halleluja. Aber ich bin für Ehrlichkeit und Authentizität in diesem „Good-Vibes-Only-Setting“: Ich nehme Medikamente, hadere mit meiner Ernährung, achte penibel auf meine Bewegung, habe Zukunftsängste und denke über das Sterben nach, sorge mich um meine Kinder und fühle mich überrannt vom wiedererlangten Alltag. Ich weigere mich, mich dafür zu bedanken!
Und auch wenn ich seit meiner Diagnose sicherlich achtsamer, bewusster, anders mit mir und meinem Leben umgehe: Ich kann meine Ängste nicht einfach wegatmen. Ich kann meine Sorgen nicht wegmeditieren. Ein Blick in den blauen Himmel reicht nicht, wenn ich Panik vor einer Nachsorgeuntersuchung habe oder mich um mein krankes Kind sorge. Ich kann nicht permanent happy sein! Es ist für mich kein Widerspruch, sich zu ärgern, traurig oder wütend zu sein und dennoch ein positives Mindset zu haben.
Ich bin für Authentizität und Ehrlichkeit in meinen Blogtexten und Instaposts. Also lieber Tacheles statt Weichzeichnen und Schönreden: Das Leben läuft nicht immer im höchsten Genuss-Bereich und Spaß-Level ab.
Ich kann es nicht ertragen, wenn der Positivitäts-Hype in eine Richtung geht, die kranken Menschen das Gefühl vermittelt, dass sie für ihre Krankheit (mit)verantwortlich sind, weil sie nicht wie ein „Honigkuchenpferd auf Ecstasy durch die Gegend laufen.“ (Nicole Staudinger in Die Stehaufqueen). Sicherlich hilft ein halbwegs positiver Blick auf dem Heilungsweg. Aber es darf nicht zu Druck oder Scham führen, wenn Menschen Angst haben, Hoffnungslosigkeit verspüren und sich ärgern, weil ihr Leben von einem Tag auf den anderen von einer Diagnose in ein ganz anderes Level katapultiert wurde.
Ich bin da voll und ganz und überhaupt bei Paulina Ellerbrock, die ich für #annettefragt schon interviewen durfte. Auch sie hat sich in einem Blogtext mit der Positivismus-Schiene beschäftigt, auf die man uns Krebskranke schnell raufschieben möchte. Sie findet es „unverantwortlich, Menschen in Lebenskrisen so viel Druck zu machen, denn Positivität hat viel mit guten Perspektiven zu tun“ und die sind Neuerkrankte oder Menschen im metastasierten oder palliativen Stadium nun mal eben nicht frei Haus vergönnt.
Du hast völlig recht, liebe Paula, wenn du davon sprichst, dass es einem nichts bringt, „verstrahlt im positiven Stillstand [zu stehen]“, wenn man sich in Lebensmomenten befindet, in denen schwarzgraue Matschspritzer einem komplett die Sicht verdecken. Diese werden nicht plötzlich von glitzerndem Konfettiglanz durchflutet, weil Außenstehende versuchen mithilfe „halbherzig, dahergeredeter Positiv-Parolen auf Halbmast“ einen nach dem Guten suchen lassen.
Ganz ehrlich, wie soll das denn immer gehen? Soll eine Frau, die von ihrem Mann betrogen wird, etwa darin erkennen, dass ihr Mann kontaktfreudig ist, nicht auf ein Lebensmodell eingefahren ist und diese neue Situation auch noch gute Seiten hat (Danke, liebe Gabi, für diesen offenen Einblick in dein Therapeutinnenleben!)? Manchmal ist Scheiße einfach Scheiße, oder?
Und manchmal muss ich einfach weinen, auch wenn die Sonne scheint, der Milchschaum auf meinem Milchkaffee herrlich fluffig ist und meine Kinder friedlich in ihren Zimmern spielen. Seit ich weiß, dass es Studien zufolge sogar förderlich ist (Danke, liebe Si. für diese Erklärung deinerseits!), sich ab und zu mal richtig auszuheulen, zelebriere ich das regelmäßig. Beim Weinen werden Endorphine und einige beruhigende Stoffe ausgeschptzt, die uns und unsere Gefühle wieder ins Gleichgewicht bringen. Wir können danach meist wieder klarer denken. Der aufgestaute Druck ist weg.
Ich halte an dieser Stelle also laut (oder besser fettgedruckt) fest: Gute Laune ist gesund, aber Zwangsoptimismus schadet. Freudentränen sind schön, alle anderen aber auch willkommen.
Stopp und Nein
Ich wage zu behaupten, dass ich mir ein recht robustes Mindset zurechtgezimmert habe, mit dem ich mit einer Brille mit flexiblen Bügeln aus pragmatischer Ehrlichkeit und sarkastischem Humor ausgestattet mit meist klarer Sicht gut durch meine Krebserkrankung kam und das Leben danach mit rosaangehauchtem Blick wuppe.
Aber, aber natürlich waren da auch sehr tiefe Täler, zum Beispiel nach den ersten roten Chemoinfusionen, die mich körperlich so schwach machten wie noch nie in meinem Leben, nach dem Ende der Akuttherapie, als ich auf einen Heile-Welt-Sommer in absoluter Glückseligkeit und trautem Familienglück hoffte und alles irgendwie gar nicht so toll war wie gedacht. Oder auch die Weihnachtszeit, die Ehe-Krisenstimmung brachten (So ein Krebs haut das komplette Familiensystem durcheinander!).
Und gerade auch die letzten Wochen mit der Unsicherheit, ob da etwa die Vorstufe von Gebärmutterhalskrebs in mir wucherte, den Sorgen um den dauerhustenden Mittelstürmer und sonstiger beruflich-privater Späßchen ließen mich die rosarote Brille komplett ausziehen und mich ein anderes Modell wählen. Deren Brillengläser waren schmerzhaft zerkratzt, die Fassung schwarz eingefärbt und mein Blick auch an sonnigen Tagen eingetrübt.
Ich wusste in all diesen Situationen, dass ich sie gerade nicht ändern konnte. Ich hatte aber auch nicht die Kraft, sie buddhamäßig anzuehmen und das Gute darin zu erkennen. Schließlich liegt „nicht immer alles am Mindset. Es ist normal und menschlich, auch mal mit den Nerven am Ende zu sein.« (Anna Maas)
Eine andere Lösung musste her… Ich fand sie in Form von „STOPP“. So tat es mir nach meiner Diagnose gut, mich beim Radfahren abzuschotten. Den Kontakt zu manchen Personen gering zu halten der ganz abzubrechen. So achte ich weitaus mehr darauf, in einen Tag nicht mehrere Termine zu packen (wobei das bei drei Kindern manchmal einfach nicht möglich ist). So reiße ich in der Schule und auch in der Freizeit nicht mehr sofort die Hände hoch, wenn es um eine Vertretungsstunde, einen Kuchen fürs Buffet oder so geht.
Ironischerweise weiß ich nun, dass genau dieses Vorgehen mir half, die herausfordernden Situationen anzunehmen. Ich wurde mental stärker und schaute positiver in jeden einzelnen Tag, als ich es wohl vor meiner Erkrankung tat.
In den letzten Wochen nun, als ich merkte, dass ich körperlich und seelisch immer erschöpfter wurde, wurde mir plötzlich klar, dass ich wieder zu sehr ins alte Fahrwasser gerutscht war und permanent rannte. Das war größtenteils den äußeren Umständen und dem Befund geschuldet. Aber es lag jetzt an mir, weiter mitzuschwimmen oder öfter „NEIN“ zu sagen.
Und das tat ich dann einfach: Ich ging nicht zum Kindergartenelternabend, sondern früh ins Bett. Ich cancelte ein Zoommeeting mit einer guten Bekannten (Danke liebe El. für dein Verständnis!) und genoss einen schokoladigen Abend. Ich brachte das Goldkind nicht zur Musikschule, sondern den ganzen Tag in den Kindergarten, um selbst eine längere Mountainbiketour machen zu können. Ich verschob eine Manuskriptabgabe um ein paar Wochen.
Ich sagte noch dies und das und jenes ab. Und was soll ich sagen? Es tat sooo gut. Ich hörte in mich hinein. Ich kümmerte mich um mich. Ich nahm mein Befinden ernst. Ich gestand mir zu, traurig und erschöpft zu sein. Es nahm Tempo aus meinem Familien-Dauerlauf heraus. Und: Keine/r war mir böse. Ich bin nicht mehr der Mittelpunkt der Welt, sie dreht sich auch ohne mich weiter und das ist gut so.
Sideinfo: Ob ihr es glaubt oder nicht, unbewusst habe ich mich mit diesen „bewussten Absagen“ einem aktuellen Trend angeschlossen. Es handelt sich um die „Joy of missing out (JOMO)“, also dem feierlichen Zelebrieren vom Nichtstun, der Gemütlichkeit anstatt im Dauer-Feier-Modus von einer Veranstaltung zur anderen zu jetten. Also total up to date, die Annette!
Die JOMO war schon mal ein guter Anfang und ich merkte, wie ich Kraft tankte. Aber ich konnte natürlich nicht sämtliche Termine sausen lassen, auch meinen Unterricht konnte ich nicht einfach absagen, das Kochen komplett einstellen und zig sonstige Alltagspflichten wollten trotz JOMO-Segen erledigt werden.
Ich brauchte definitiv eine Trainingspause und die war in Form unseres Rundum-Sorglos-Hotel-Urlaubs in den Herbstferien zum Greifen nah. Eine Woche Durchschnaufen sollte es werden.
Aber leider, leider kam ein Schnupfen beim Goldkind dazwischen, der sich als Corona entpuppte. Mir wurden also gleich zwei Striche durch die Erholungspausenrechnung gemacht. Somit hieß es: Zähne zusammenbeißen, in die Mamapflicht rutschen und in den Quarantäne-Bespaßungs-Krankenpflege-Modus stellen. Ich war sehr enttäuscht und wütend. Mein Nervenkostüm war zum Zerreißen gespannt.
Ich brauchte einen radikaleren Stopp! Also entschied ich mich dafür, eine Social-Media-Pause einzulegen und auch das Handy nur sehr sporadisch zu verwenden. So konnte ich mich selbst davor schützen, genervt auf gute gemeinte Nachrichten zu reagieren oder in meiner Story Bilder von unserer Krankenhauspause zu posten und bei der Gelegenheit, in den Stories vieler anderer herrliche Urlaubsbilder und trautes Familienglück zu sehen.
Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen! Ich konnte (und wollte) mich nicht in eine „Wohlfühl-Bubble” flüchten und mich selbst mit toxischer Positivität aus der ach-so-heilen Inselwelt zum vergiften. Stattdessen wollte ich Licht in mein eigenes Gedanken-Emotions-Wirrwarr bringen und wieder für Durchblick sorgen. Deshalb Internet aus, Handy weg, Fokus auf das echte Leben und meine Emotionen.
Wie ich meine rosarote Brille wiederfand
Da saß ich also nun nicht in der Hotellobby, nachdem ich mit Schwimmen im Infinitypool mit Alpenblick in den Tag gestartet war, eine Wellnessbehandlung genossen hatte und mich auf knackig-frischen Salat und herrlich schmeckenden Bergkäse vom Käsebrett freute. Nein, ich saß mit dem coronapositiven Goldkind zu Hause auf dem Sofa und las das x-ste Conni-Bilderbuch vor.
Ich fand, dass jedes Motzen, Meckern, Zetern, Sich-ärgern und -Selbst-Beweinen der letzten Wochen seine absolute Berechtigung hatte. Aber mir war klar, dass es nichts an der Situation ändern würde, wenn ich nun dauerschmollend, griesgrämig tagelang eine dunkelgraue oder gar schwarze Brille tragen würde. Also holte ich mir ein Brillenputztuch und überlegte, was mir helfen könnte, die Situation in einem positiveren Licht zu sehen.
Mir fiel Bettina Greschner und ihr Buch „Einmal oben ohne ein“, das ich vor längere Zeit gelesen hatte und mit der ich über Instagram immer wieder im Austausch war. Bettina erkannte nach einigen persönlichen Tiefschlägen und einer Brustkrebsdiagnose, dass sie nicht darauf „warten [wird], „bis es noch schlimmer wird und noch weiter bergab geht. […] JETZT erst recht, dachte sie sich.“ Noch in der Klinik begann sie zu schreiben, sie absolvierte eine Ausbildung als Coach und startete ihren Podcast „Machen ist wie wollen nur krasser“, in dem sie zweimal wöchentlich kurze und knackige etwa 10-minütige Impulse gibt.
Während das Goldkind in einem Vorschulbüchlein arbeitete, schnappte ich mir Bettinas Buch und las es nochmal quer, heftete hier und da einen Post-It an die Seite und wurde minütlich ruhiger. Bettina schaffte es, mir zu versickern, dass es im Leben „kein gut oder schlecht gibt.” Dass alles in meinem Leben „Erfahrungen und Learnings” sind und dass schlussendlich ich es bin, die entscheidet etwas zu „machen… und zwar das, was zu [m]ir passt” und nicht das, was ein/e positiv-gepushte/r Erdenbewohner/in mir ins Ohr flüstert. Und wenn das nun mal gerade Trübsal blasen ist, dann ist das sicherlich nicht im Sinne des Coachingziels von Bettina, aber es ist meine Entscheidung und die ist ok.
Als das Buch ausgelesen war und ich schon deutlicher weniger grau sah, schnappte ich mir ein weiteres. Mit „Rosarotes Glück. Setz doch mal die rosarote Brille auf.“ von Susan Sideropolous gab ich mir eine weitere Dosis Reflexion.
Der Titel mag dir, liebe Blogleserin und lieber Blogleser, vielleicht etwas platt erscheinen und du schreist jetzt auf: „Häh, da erzählt Annette von der Happiness-Lüge und dann kommt sie doch mit der rosaroten Brille daher?“ Im ersten Moment mag das durchaus so erscheinen. Aber das Buch ist weitaus tiefsinniger als der Titel es vermuten lässt und kommt doch in herrlich einfacher Sprache daher. Es präsentiert in wundervoller Einfachheit, aber keinesfalls plump, dass man selbst einiges dazu beitragen kann, sich rosarote Momente im Leben zu schaffen.
Vielleicht kommt es dir, liebe Blogleserin und lieber Blogleser, jetzt so vor, als sei bei Bettina und Susan das Glas immer halbvoll und als trügen sie zu jeder Zeit dunkelrosa Brillen? Das ist nicht so! Auch wenn sie auf ihren Insta-Accounts, ihren Liveauftritten oder in ihren Fernsehrollen wie Sonnenscheinwesen mit wenig Kanten, wenig Meckern, viel Lächeln und ganz viel Konfetti in ihrem Leben rüberkommen, sind die Beidendurchaus mit der Tragik, dem Schmerz, der Panik, der Sorgen, der Wut und dem Verlust vertraut, die ein Leben bietet. Man sollte sich vom rosaroten Schein nicht täuschen lassen, sondern sich in ihre Vita hineinbegeben. Dann erkennt man, dass es Teil ihrer (Überlebens-)Strategie war, um mit Tiefschlägen umzugehen, als sich das Glück von ihnen und ihrem Leben abwandte. Ich ziehe den Hut vor diesen beiden Powerfrauen, die so lebensfroh und bunt rüberkommen!
Diese zwei Powerfrauen machten mir jedenfalls deutlich, dass ich versuchen sollte, [aufzuhören, die Situation als permanent schlecht zu bewerten. Wichtig ist, sie eine Zeitlang auszuhalten und sie anzunehmen. Die Situation ist wie sie ist. Punkt.“] Aber dann geht es darum, sie zu verlassen. Ansonsten führte ich einen „Innere[n] Kampf gegen Dinge, die ich nicht ändern kann.“ Genau das war es: Ich verschwendete viel zu viel Energie für die falschen Gedanken!
Ich erkannte, dass mich meine negativen Emotionen mich überrannt hatten, aber dass ich es war, die „weitere Selbstmitleidsparty absagen konnte“ (eine herrliche Wortschöpfung, liebe Betttina!). Denn es würde „niemand an meiner Tür klingeln und mir mein Glück auf dem Silbertablett bringen“ (Susan Sideropolous). Ich konnte das Außen zwar gerade nicht verändern, aber ich musste mich auch nicht komplett in die Situation hineinschmeißen, sondern konnte im Inneren doch etwas tun.
Und so… begann ich diesen Text hier zu schreiben. Schreiben hilft mir immer, es erdet mich, es sortiert mich, es beruhigt mich. Ich gerate dadurch in den Zustand von Flow. Ich habe das Glück beim Schreiben in “de[m] Teil von [m]ir zu sein, wo nichts unmöglich ist.” (Susan Sideropoulos)
Außerdem erkannte ich die Chance darin, dass ich nun eine Weile mit dem Goldkind allein sein würde. Ich konnte ihr exklusive Mama-Zeit schenken, hatte aber natürlich auch weniger Stress als sonst, wenn hier fünf Leute rumrennen, essen wollen, Wäsche bringen usw. Wir machten es uns nett bei Bügelperlenbasteleinen, Disney-Plus-Abo-Filmnachmittagen. Ich strampelte auf meinem Hometrainer, während das Coronamäuschen mit dem Tablet glücklich war. Wir genossen einfaches Essen und wenn das Goldkind im Bett war, dann gab´s für mich eine nette Serie auf Netflix, in der ich mich wegträumen konnte (Kennt ihr die? Darin wird gekocht, sie spielt in Florenz, es spielt in Texas, .., hach, sie ist einfach süß!)
Und weißt du, liebe Blogleserin und lieber Blogleser, was ich entdeckte? „Das Silbertablett. Voller Glück. Es stand direkt vor meiner Nase. […]Ich hatte es einfach [eine Weile] nicht gesehen.“ (Susan Sideropolous). Ich hatte unbewusst wieder mein rosarotes Brillenmodell aus dem Etui geholt.
Genauso hatte ich auch in der Vergangenheit schon reagiert, wenn es herausfordernde Lebenssituationen gegeben hatte. So war einer meiner ersten Blogtexte einer, der von den „Glücksmomenten auf meiner Krebsreise“ berichtet. So hatte ich mir nach seinem plötzlichen Unfalltod meines Engelsbruders einen Soundtrack mit Songs zusammengestellt, die mich an ihn erinnerten und mit trängenverschmiertem Gesicht singen ließen. Als ich nach der OP neulich im Krankenhaus war, freute ich mich, narkosegedopt mal wieder durchschlafen zu können. Emotionales Highlight aber war der Fund in meiner Tasche: ein wunderschöner Brief plus Heldinnen-Schlüsselanhänger vom Teeniemädchen.
Das alles bedeutet nicht, dass alles, was gewesen ist und teilweise noch ist, jetzt plötzlich gut und rosarotleuchtend war und ist. Aber ich erkannte: Nur weil ich zuvor jedem einzelnen meiner Gefühle seine Daseinsberechtigung und absolute Wichtigkeit zugesprochen hatte, konnte ich nun die positiveren wieder bewusst erleben. Das Leben in all seinen eomotionalen Färbungen ist schön. Punkt.
Wichtiger Hinweis: Ich möchte an dieser Stelle unbedingt darauf hinweisen, dass nicht jede/r es schafft, sich selbst ein anderes Brillenmodell auszusuchen. Falls du in deiner Negativspirale feststeckst, nur noch traurige Gedanken hast, dich mit Ängsten herumschlägst oder möglicherweise permanente Weinanfälle hast, solltest du an professionelle Unterstützung in Form einer/s Psychotherapeutin/en, einer/s Psychoonkologin/en o.ä. denken. Keine und keiner muss den traurigen Weg alleine gehen! Es ist keine Schande, sich von jemand anderem aus einer depressiven, dunklen Phase heraushelfen zu lassen
Bunte Tipps statt rosarotem Weichpüler
Wie heißt es so schön? Ratschläge sind auch Schläge. Sprüche wie „Es wird schon alles werden.“ oder „Du musst nur positiv bleiben, dann wird alles wieder gut.“ bringen eine Person, der eine Situation gerade alles abverlangt (und dabei ist es sehr subjektiv, wie viel jemand ertragen kann!) zur Weißglut und können einen echt verletzen. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.
Gleich vorweg: Ich möchte hier mit keiner und keinem meiner Zeitgenoss*innen abrechnen. Sicherlich ist die Intention hinter den Ratschlägen gut. Oder sie zeugt von Unsicherheit angesichts einer Situation, die Außenstehende überfordert. Vielleicht steckt auch Angst dahinter („Was, wenn mir das auch passiert?“). Aber leider sind die meisten der Aussagen wie “Steiger dich nicht rein. Das macht alles nur noch schlimmer.” nutzlos und helfen nicht weiter. Stattdessen machen sie „Gefühle klein und gehen ernsthaften Sorgen oder psychischen Sorgen aus dem Weg.“ (Anna Maas)
Ich habe durch meine eigenen Erfahrungen mittlerweile einen sensibleren Blick auf das Ganze. Aber ich wähle im Folgenden ganz bewusst die „Wir-Anrede“, weil ich mich keinesfalls als bessere Person darstellen möchte, die solcherlei Sätze noch nie gesagt hat. Auch ich falle oft „in das gute alte „Don´t worry be happy“-Narrativ zurück.“ (Anna Maas)
Lasst uns doch gemeinsam daran arbeiten, anderen weniger toxisch positiv und vielmehr authentisch-realistisch und vorallem ehrlich-empathisch zur Seite zu stehen, wenn es ihnen gerade eher dreckig als rosarot geht!
Ich habe in Anna Maas´ Buch eine Gegenüberstellung von toxisch positiv angehauchten und empathischen Ratschlägen gefunden und mich selbst an eine solche Auflistung gemacht. Denn ich finde diese Idee klasse, weil sie dabei hilft, unsere Kommunikation zu überdenken und dadurch sensibler mit anderen (und auch uns selbst) umzugehen. Ich bin überzeugt davon, „dass emotionale Offenheit und Vielfalt sowie mehr Empathie und (Selbst-)Mitgefühl uns alle weiterbringen und zufriedener machen.“ (Anna Maas)
Ihr findet nachfolgende einige oft gehörte Sätze und alternative Anregungen. Nutze die, die sich für dich gut und richtig anfühlen.
- Reden wir die Sorgen nicht klein.
Auch wenn wir denken, dass es hilft, eine unangenehme Situation etwas flapsig mit einem „Ach, so schlimm ist das doch jetzt nicht“ anzupacken, kann sich so etwas für die betroffene Person sehr schlecht anfühlen. Die fühlt sich unverstanden, belächelt und nicht ernstgenommen.
Probieren wir es doch stattdessen mit Mitgefühl und Einfühlungsvermögen, auch wenn uns die Situation möglicherweise fremd ist oder wir persönlich sie als gar nicht so dramatisch einstufen. Versuchen wir es mal mit:
„Ich kenne deine Situation zwar nicht, aber das muss gerade echt schwer sein.“
„Was kann ich für dich tun, um dich zu entlasten?“
„Ich wünsche dir, dass du es heute durch den Tag schaffst.“
„Es ist gerade sehr schwer, ich weiß.“
„Es ist hart und es ist einfach ätzend, dass du da gerade durchmusst.“
- Gefühle zulassen
Wenn wir erkennen, dass „[k]eine Emotion besser oder schlechter [ist] als die andere.“, befreit das ungemein. Deshalb sollten wir bei unserer deprimierten Freundin, unserem kranken Freund, der miesgelaunten Arbeitskollegin oder dem genervten Chef auch das Schimpfen und Toben zulassen! „Durch das Benennen von Emotionen verlieren sie oft ihren Schrecken. Das klingt erst mal sehr vereinfacht, aber tatsächlich gewinne ich mit dem einfachen Satz „Ich hatte heute einfach schlechte Laune, weil ich zu wenig geschlafen habe“ schon beim Aussprechen Abstand von diesem Gefühl.“ (Anna Maas).
Unterstützen wir unser Gegenüber doch einfach mal, indem wir in sein Gezeter mit einstimmen. Auch wenn das natürlich langfristig keine ernsthafte Problemlösungsstrategie ist!
„Es ist völlig ok, wenn du Angst hast/schlechte Laune hast.”
„Lass deinen Ärger/deine Wut raus. Manchmal muss das einfach sein.“
„Komm, lass uns 20-mal Scheiße brüllen. Aber so richtig laut!“ (Das endet hier bei meinen Kindern und mir meist schon weit vor dem zwanzigsten Mal in herrlich befreiendem Gelächter.“)
„Das ist wirklich unfair.“
„Was passiert ist, ist richtig scheiße und es ost ok, dass du dich gerade richtig mies fühlst.“
„Erklär mir deine Gefühle.“
„Jede*r hat andere Grenzen und das ist völlig ok.“
„Hinfallen ist keine Schande. Bleib liegen so lange du willst.“
- In der Kürze liegt die Würze
Eine meiner besten Freundinnen hat mir während meiner gesamten Akutbehandlungszeit jeden Morgen eine WhatsApp geschickt (Danke dir, liebe K. Du bist mein Herzensmensch!). Die waren nicht immer lang. Die waren sogar oft sehr kurz. Aber genau das tat mir damals gut. Und ich gebe zu – ich habe diese Technik von ihr geklaut – und mache das mittlerweile auch ganz oft, wenn es einer Freundin nicht gut geht.
Lasst uns tippen:
„Ich denk an dich.“
„Du schaffst das.“
„Ich bin bei dir.“
„Ich grüße dich von Herzen.“
„Du bist wundervoll.“
„Ich lass einen lieben Gruß da.“
„Ich fühle mit dir.“
„Heile und tanke auf.“
„Willst du reden?“
- Aushalten und schweigen
Ja, auch wenn das seltsam daherkommt: Ich, die ich bekannt dafür bin, dass ihre Blogtexte (viele zu) viele Worte enthalten, rufe hier zum Stillsein auf. Ich rate euch dazu, in manchen Situationen einfach nur zuzuhören, in den Arm zu nehmen und da zu sein. Gesteht eurem traurigen, wütenden oder sauren Gegenüber zu, dass es gerade nicht dem Happiness-Idealbild entspricht.
Nicole Staudinger, Speakerin, Trainerin, Buchautorin und absolut bekannt für ihre Schlagfertigkeit und selten um eine Antwort verlegen, aber mit den heimtückischen und tragischen Momenten des Lebens absolut vertraut, formuliert es in ihrem Buch „Stehaufqueen“ ganz eindeutig, indem sie uns rät, „[ö]fter mal die Klappe [zu] halten: Wenn Ihnen nichts Tröstliches einfällt, ist Schweigen eine elegante Lösung.“
Ein positiver Impuls zum Schluss
Ich werde mich hüten, euch lieben Blogleser*innen jetzt in blumig formulierten Schlusssätzen zu raten, heute das Schöne in eurem Tag zu suchen. Und schon gar nicht werde ich die vielgepriesenen „kleinen Dinge“ ansprechen!
Vielleicht war heute bei dir etwas ganz doof. Du hast dich über irgendetwas furchtbar geärgert. Vielleicht waren auch die letzten Tage superstressig. Deine Kinder krank. Es gab Streit mit deiner/m Partner*in. Und ja, möglicherweise möchtest du einfach in diesem „Alles ist doof und ich bin die/der Ärmste“-Gefühl bleiben, dich einigeln, heiße Schokolade trinken, Netflix schauen und dich im Unglück suhlen. Dann tu das.
Aber bitte versuche dennoch, deine Situation nicht als das Ende aller Tage anzusehen. Es warten auch auf dich ganz bestimmt wieder bessere Zeiten, schönere Situationen, eine angenehmere Stimmung und Glücksmomente. Um wie viel besser sie sein werden, wie sie konkret aussehen und worin das Glücksgefühl besteht, kann von minimal bis riesengroß reichen. Ich wünsche dir, dass du erkennst, wenn es in die gute Richtung umschwenkst.
Von Herzen gerne gebe ich dir einen Impuls mit, den ich von meinem Krebsreisebegleiter Marc Chapoutier bekommen habe, als er mitbekam, das ich in einer grauen Phase steckte. Er ist Coach und Emotionstrainer und unterstützt seine Coachees dabei, aus Krisensituationen herauszukommen.
Im Sinne der emTrace®-Methode nach Dirk W. Eilert nannte Marc mir fünf Fragen, mit denen ich meinen Blickwinkel weg von meinem negativen Emotionskauderwelsch aus Angst, Wut, Stress und Selbstmitleid hin zu einer Mischung aus Zufriedenheit, Gelassenheit und Glück lenken könnte.
Ich gebe zu, zunächst hatte ich wenig Lust darauf, die Dankbarkeitskeule zu schwingen. (Danke dir, liebe Paula für diese herrliche Wortschöpfung!). Ich wollte nicht wieder mal, irgendwelche Dinge in meinem Leben loben, kleine Lichtblicke gut heißen. Aber dann ließ ich mich doch darauf ein.
Und nein, nachdem ich die Fragen beantwortet hatte, war ich nicht plötzlich superhammermegamäßighappy und meine Sorgen allesamt verschwunden. Aber auf jeden Fall war ich ruhiger, war ich zufriedener, strahlte ich leichte Rosafarbigkeit aus. Ich spürte weniger Last auf meinen Schultern, wenngleich meine eigentliche Situation sich nicht real geändert hatte.
Nimm dir doch ein paar Minuten Zeit, liebe Blogleserin und lieber Blogleser, und denke darüber nach, welche Antworten du geben würdest. Vielleicht helfen sie dir dabei, vom dunkelgrauen zum hellblauen oder sogar zum rosaroten Brillenmodell zu wechseln? Es ist auf jeden Fall einen Versuch wert, oder?
- Was habe ich heute (oder in letzter Zeit) durch mein Handeln erreicht, auf das ich stolz bin?
- Wann habe ich mich heute (oder in letzter Zeit) sicher oder einfach entspannt gefühlt?
- Wofür bin ich heute dankbar?
- Wann ist mir heute (oder in letzter Zeit) ein Wunder begegnet, wo habe ich Ehrfurcht gespürt?
- Wem habe ich heute (oder zuletzt) eine Freude gemacht?
Ich hoffe und wünsche euch allen, dass ich euch mit meinem Text zeigen konnte, dass die GOOD VIBES überwiegen sollten und wir unser Leben so oft wir uns dazu imstande führen, in rosafarbenem Glanz erstrahlen lassen. Aber hey, wenn wir es einfach mal nicht schaffen, optimistisch zu bleiben, dann ist es „in Ordnung, sich auch mal nicht in Ordnung zu fühlen.“ (Anna Maas).
Ich heiße hiermit ganz herzlich ALL VIBES WELCOME und wünsche euch einen Tag, den ihr durch eurer Lieblingsbrillenmodell erlebt! Das Leben ist schließlich ein buntes Paket aus vielen Gefühlen. Lasst uns seine Möglichkeiten in aller Farbigkeit nutzen, die daraus erwachsen!