Erleichterung vs. Belastung
OP Planung, oder wie man aus einem Aufklärungsgespräch 9 Stunden Krankenhaus macht
Am Mittwoch wurde ich operiert. Diese Text entstand größtenteils am Dienstag, als ich parallel zu meiner, schon lange geplanten, Knochenszinigraphie, in der Frauenklinik die stationäre Aufnahme abhandeln musste.
Jetzt sitze ich hier, gefangen in der Warteschleife des Uniklinikums. Das Radioaktive Kontrastmittel verteilt sich in meinem Körper, während ich in der Frauenklinik versuche die stationäre Aufnahme schnell genug abzuarbeiten um pünktlich zu meinem Termin um 13:15 wieder in der Nuklearmedizin zu sein.
13:15. So lange muss ich warten bis die Knochenszinigraphie überhaupt läuft. Zum Glück bin ich beschäftigt.
Der Arzt, der mir das Kontrastmittel gespritzt hat stellte den Vergleich zu einem Polaroid-Foto auf. Nach der Injektion müsse sich das Bild erst entwickeln bevor man die Knochenszinigraphie machen könne.
Ergebnisse bekomme ich heute nicht wurde mir gesagt.
Daran merkt man, dass die Menschen die die Abläufe planen nicht nur nicht selbst betroffen sind, sondern sich auch echt nicht in die Situation, einer krebskranken Person die auf ihre Befunde wartet, hineinversetzen können.
Ich sitze in der Frauenklinik auf dem Flur. Station 3. Ich warte.
Es ist sehr viel los hier. Die Fallmanagerin ist im Stress.
In diesem Krankenhaus, dass “vor kurzem” alle Patientenakten digitalisiert hat, musste ich heute schon drei Fragebögen ausfüllen und diverse Einverständniserklärungen unterschreiben.
Es werden patientenbezogene Unterlagen auf Papier kreiert. In Massen. Das einscannen der gleichen ist ein weiterer Arbeitsschritt, Papier spart man damit nicht und Aufwand auch nicht. All diese Unterlagen müssen ja auch Datenschutzgerecht vernichtet werden.
Aber wehe ein anderes Krankenhaus, an niedergelassener Arzt oder sonst wer schickt einen Befund auf Papier. Die digitale Krankenakte erlaubt es nicht Befunde von außen einzuspeisen. Was nicht in digitaler Form ankommt wandert ins Zentralarchiv, wird dort digitalisiert und anschließend vernichtet. Die digitale Fassung allerdrings bleibt im Zentralarchiv. Ein Zugriff über die Krankenakte ist nicht möglich.
Das bedeutet während ich mein Geburtsdatum, das heutige Datum und meinen Namen zig Mal auf Papier schreibe das dann eingescannt wird ist es schlicht unmöglich mir den Inhalt eines Pathologischen Berichtes aus Reutlingen mitzuteilen.
Ich checks nicht.
Oh man ich schweife vom Thema ab… Aber solche Dinge beschäftigen mich, während ich hier sitze. Mit irgendwas muss man sich ja beschäftigen. Empfang habe ich hier nicht, rumlaufen ist nicht sehr willkommen (man versucht Abstände einzuhalten) und Flyer oder sowas gibt es in diesem tristen Krankenhausflur nicht. Ich hätte ein Buch mitnehmen sollen.
Inzwischen ist es kurz vor 11. Seit drei Stunden bin ich am UKT.
Passiert ist bislang nicht viel. Ich zweifle ernsthaft daran, dass ich um 13:15Uhr in der Nuklearmedizin sein werde.
Kurz nach 11 werde ich endlich zum Aufnahmegespräch gebeten. Dass ich einen mehrseitigen Fragebogen ausgefüllt habe interessiert offensichtlich nicht. Jede Frage muss ich nochmal beantworten. Die Antworten tippt die Fallmanagerin direkt in ihren Computer.
Anschließend geht es zum Narkosearzt. Der liest sich meinen Fragebogen auch nicht durch, hat sich aber im Vorfeld tatsächlich in meine Krankenakte eingelesen. Auch Mal schön.
Kurz nach halb 12 sitze ich wieder im Flur und warte.
Ich weiß inzwischen, dass man noch einiges mit mir geplant hat. Man möchte mit noch Blut abnehmen und ich bekomme noch ein OP-Aufklärungsgespräch. Außerdem will mich eine Ärztin sprechen, deren Namen ich noch nie gehört habe.
Ich frage nach wer sie ist. Sie wird mich operieren. Ah schön. Gut zu wissen (Ich wusste, dass die OP offiziell von einer Ärztin geleitet wird, die ich noch nicht kenne. Ich dachte allerdrings das sei tatsächlich nur pro forma. Bin gespannt).
Auch möchte man mich gerne gegen 13:15Uhr in die Nuklearmedizin schicken um eine Lymphknotenmarkierung zu machen. Das das der facto gar nicht möglich ist, weil ich seit Monaten mastektomiert bin, ist offenbar in Vergessenheit geraten. Ich mache also darauf aufmerksam, dass dieser Termin keinen Sinn macht, ich aber auf jeden Fall nochmal in die Nuklearmedizin muss für meine Knochenszinigraphie. Wurde wohl auch vergessen.
Man will sich jetzt beeilen. Mal sehen.
Morgen früh stehe ich als erste auf dem OP-Plan. Das ist gut, dann muss ich nicht ewig warten. Aber um 6:45Uhr da sein ist hart!
Eine Ärztin ruft mich auf. Sie möchte die OP-Aufklärung machen. Ich höre mir all die Risiken einer Mastektomie an, als ob ich noch keine hatte. Sie erklärt mir was eine Drainage ist. Ich nicke nur. Nichts neues dabei.
Ich muss den Aufklärungsbogen unterschreiben.
Auch für die Entnahme des Ports muss ich unterschreiben.
Ich fluche innerlich. Ich brauche ihn doch noch. Aber für die Bestrahlung ist er im Weg.
Jetzt soll alles Zügig gehen. Dann soll ich zur Lymphknotenmarkierung. Ich mache erneut darauf aufmerksam, dass das nicht möglich ist, weil ich mastektomiert bin.
Wer das sagen würde fragt sie mich. Ich schaue in meinen Ausschnitt, zögere kurz und sage dann “lassen Sie mich nachschauen… eindeutig mastektomiert”.
Was eine Frage…
Sie verdreht die Augen. Wer sagen würde, dass man deshalb keine Lymphknotenmarkierung vornehmen kann will sie wissen.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Wer das sagt? “Das muss mir keiner sagen, das wissen wir beide” entgegne ich.
Sie ist nicht zufrieden.
Ich versichere ihr, dass ich das mit dem Operateur bereits besprochen habe.
Sie versichert das zu klären. Und verschwindet.
Eine junge Frau, vermutlich eine MTA, nimmt mir Blut ab.
Meine Venen sind bereits vollkommen zerstochen. Meine größte Sorge für morgen gilt dem Zugang, den ich für die Narkose zwingend brauche.
Ich habe vergessen der Ärztin zu sagen, dass ich meinen Port gerne mitnehmen würde. Die junge Frau versichert mir sich darum zu kümmern und macht sich eine Notiz.
Ich soll jetzt ins Brustzentrum. Zur Operateurin. Ich lehne ab. Ich habe noch etwas mehr als 20 Minuten bis zu meinem Termin in der Nuklearmedizin.
Ich komme hinterher wieder, versichere ich.
Alle sind irritiert. Wofür ich denn jetzt in die Nuklearmedizin müsse, will man wissen. Also nochmal. Ich habe eine Knochenszinigraphie. Was jetzt gleich?
Ich werde nochmal verrückt.
Ich hole mir noch kurz was zu essen im Bistro und fahre in die Nuklearmedizin.
Die Knochenszinigraphie ist furchtbar. Das einzig positive ist, dass ich nicht warten muss. Kaum habe ich das Gebäude betreten werde ich aufgerufen.
Auf der unbequemen liege muss ich Husten. Ruhig liegen ist eine Qual.
Das Gerät fährt meinen Körper ab, von oben nach unten. Bei meinen Schienbeinen stoppt es und piept.
Irgendwas stimmt nicht. Alles von vorn.
Dauert ja auch nur ewig…
Ich liege da und habe Angst.
Auf keinen Fall könne man mir heute noch was zum Ergebnis sagen, erklärt man mir erneut.
Nachdem das Bild fertig ist muss ich noch in ein anderes Gerät. Es macht nur Aufnahmen von meinem Oberkörper, dafür aber von allen Seiten. Es dauert noch länger.
Danach noch ein CT als Vergleich.
Nach 1,5 Stunden verlasse ich die Nuklearmedizin mit einem sehr schlechten Gefühl.
Zurück in der Frauenklinik gehe ich wieder auf Station. Ich bekomme meine, absolut nicht digitale, Krankenakte in die Hand und soll in die Brustsprechstunde gehen.
Im weggehen wird mir noch mitgeteilt, dass ich bitte um 6:30Uhr bereits da sein soll. Super.
In der Brustsprechstunde kann man lernen was Gedult ist. Ich komme gegen 15:10Uhr dort an. Um 20 vor 5 ruft mich die Operateurin endlich auf. Ich bin die letzte.
Sie ist eine sehr nette Ärztin. Sie kennt keinen Fall, sie stellt die richtigen Fragen. Ich habe das Gefühl das Warten hat sich gelohnt.
Wir besprechen die OP und sie kontrolliert alles nochmal in Ruhe sonographisch. Sie zeichnet an wo sie schneiden will.
Kurz nach 5 verlasse ich das Krankenhaus. Ich bin fix und fertig. Bis zum Auto zu laufen ist eine Tortur.
Die Ärztin hat auf meinen Wunsch hin im System nach dem Befund aus der Knochenszinigraphie geschaut. Im vorläufigen Bericht steht es gäbe keinen Hinweis auf Metastasen.
Ich fahre nach Hause. Heute wird noch etwas gefeiert.