Erleichterung vs. Belastung
Sprüche, die die Welt nicht braucht! – Was sich Krebspatienten alles anhören müssen.
Jeder, wirklich jeder Krebspatient kennt sie: Aussagen von Menschen, die einem – vorsichtig formuliert – nicht unbedingt weiterhelfen, auch wenn es meistens nett gemeint ist. Aber selten trifft der Satz „Nett ist die kleine Schwester von Scheiße“ so zu wie in diesem Zusammenhang.
Vorbemerkung
Wichtig ist mir die folgende Vorbemerkung: Ich möchte niemanden angreifen oder gar hochmütig sein. Ich weiß, dass es sehr, sehr schwierig ist, einem kranken Menschen gegenüber den richtigen Ton zu treffen. Viele Aussagen beruhen auf Hilflosigkeit oder reinem Selbstschutz. Und schon gar nicht kann ich behaupten, dass ich selbst mich in der Vergangenheit immer „richtig“ verhalten habe. Ich möchte schlicht Gedankenanstöße geben.
Große Verwundbarkeit
Menschen mit Krebs sind – zu Recht – ziemlich empfindlich und „nahe am Wasser gebaut“. Sie werden ganz plötzlich mit ihrer Verwundbarkeit und Endlichkeit konfrontiert, was zur Folge hat, dass sie von großen Ängsten bis hin zu Todesängsten geplagt werden, die es zu bewältigen gilt. Eine wie auch immer geartete Unbeschwertheit gibt es nicht mehr. Die hat erst einmal für längere Zeit Sendepause. Das „dunkle, kalte Hinterzimmer in unserem Kopf“ ist absolutes Neuland, niemand von uns hatte es je zuvor betreten.
Das erfordert viel Kraft, Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Leben. Vieles, was vorher selbstverständlich war, wird bedroht oder wird zumindest in Frage gestellt. Alles ist ins Ungleichgewicht geraten. Dazu kommen die Therapien, die nicht nur Auswirkungen auf das allgemeine Wohlempfinden, sondern auch das Temperament, den Charakter haben. Ein unbekanntes Ich drängt nach vorne und verwundert uns bisweilen selbst.
Es kommt öfter zu unkontrollierten Wutausbrüchen und unangekündigten depressiven Schüben. Hilflosigkeit macht sich breit, vor allem bei den Angehörigen. Viele von uns kennen das, wir sind häufig erschrocken über die eigenen Reaktionen und fühlen uns wie ferngesteuert. Das zu erkennen und dann noch zu vermitteln, fällt schwer.
Nobody is perfect!
Daher meine große Bitte an alle, die mitbekommen, das ein – mehr oder weniger – vertrauter Mensch aus ihrem Umfeld an Krebs erkrankt ist: Erst beobachten, sich rantasten und dann reden – oder den alten Spruch umwandeln:
Reden ist Silber, Zuhören ist Gold.
Man kann diese Dinge lernen. Es beginnt damit einfach zu versuchen, sich ein wenig in die Lage des Betroffenen hineinzuversetzen. Viele Menschen halten allerdings diese gedankliche Nähe schon gar nicht aus, möchten nicht belästigt werden mit negativen Energien, ihre vermeintlich heile Welt schützen. Von dem Unglück könnte ja eventuell etwas zu ihnen herüberschwappen – wie auch immer das gehen soll. Aber wie heißt es so schön: Die Gedanken sind frei …
Denn am Ende ist die Einordnung dieser Situation, wie bei vielen anderen Gelegenheiten auch, selbst reflexiv. Jeder fragt sich instinktiv im Stillen, wie sie oder er mit einer solchen Diagnose umgehen würde. Wie es ist, wenn der Krebs im eigenen Körper sitzt. Aber auch: Wie es dazu kommen konnte. Ob man es – hätte man es selbst – hätte verhindern können, die eigene Lebensführung eventuell sogar ungesund ist und man dann aber hoffentlich zu dem Schluss kommt, alles richtig gemacht zu haben.
Das sind alles Gedankengänge, die ein unkomfortables Gefühl in einem auslösen. Am liebsten möchte man sie gar nicht erst haben. Daher – so denke ich – reagieren einige Menschen sehr ungeschickt bis unsensibel auf Menschen mit Krebs.
Der Umgang mit einer Krebsdiagnose ist eine anspruchsvolle Lebenslektion, der man sich nicht gerne und schon gar nicht freiwillig aussetzt. Wir (die Betroffenen) hatten sie ja auch nicht bestellt und hätten sehr gerne auf diese Erfahrung verzichtet. Kurz: Es ist eben wirklich schwierig – für alle. Nobody´s perfect.
Von Kindern lernen
Um sich der neuen Situation anzunähern, lautet meine konkrete Empfehlung: 1. zuhören und 2. konkrete Hilfe anbieten, das ist zehn Mal besser als alles andere. Gerne auch eine liebevolle Berührung oder Umarmung. Und natürlich darf man auch mal gemeinsam zu dem Schluss kommen, dass die Situation ziemlich großer Mist ist. Zusammen fluchen tut echt gut.
Aber auch, und das ist ganz, ganz wichtig: miteinander lachen! Dem ganzen Thema nicht so einen großen Raum geben. Über alltägliche Dinge reden, den anderen mit einbeziehen und nach wie vor auch als Ratgeber und Freund nutzen.
Wir sind nach wie vor Menschen mit eigenen Gedanken zu bestimmten Themen und haben Meinungen zu zum Beispiel politischen Dingen, Erziehungsfragen, Jobsituationen, Reiseerlebnissen und so weiter. Dem ganz normalen alltäglichen Wahnsinn.
Von Kindern lernen! Die machen das nämlich genau so! Der Krebs spielt nicht die Hauptrolle, sondern das Leben.
Do´s und Don´ts
Die Unvermeidlichen
Im Grunde gibt es drei von mir identifizierte Gruppen, die mit ihren Bemerkungen ziemlich daneben liegen und mit denen jeder unvermeidlich konfrontiert wird. Lehrer würden es so formulieren: „Keine große Lernkurve zu erwarten.“ Um ganz ehrlich zu sein: I hate it!
Diese Menschen spielen einfach mit unserer guten Erziehung und rechnen nicht damit, dass man ihnen eine geharnischte Antwort um die Ohren haut. Was oft genug angesagt ist. Manchmal hilft es schon, wenn wir Betroffene uns sagen, dass diese Reaktionen sicher auch auf Unsicherheit beruhen. Nur fehlt einem oft die Kraft für diesen durchaus nützlichen Filter.
Erstens. Die Gedankenlosen
Das sind die, die einfach munter drauf los plappern und gar nicht merken, was Sie damit anrichten. Diese Spezies listet gerne mal alle Fälle aus der Familie, dem Freundes- und Bekanntenkreis auf, die es wahlweise geschafft haben – oder eben leider nicht. Upsi! Lieblingssatz: „Die beste Freundin meiner Schwägerin ist letztens daran gestorben.“
Zweitens. Die Gutmeinenden
Das sind die, die immer einen Allgemeinplatz auf den Lippen haben, gerne kombiniert mit einem guten Rat („Ich kenne da eine ganz tolle Homöopathin“, „Misteltherapie soll ja das Mittel überhaupt sein“ oder „Hast du schon das Buch über den Einfluss von Zucker auf Krebs gelesen?“, „Die richtige Ernährung ist ja so wichtig in der Zeit“, „Mach dich mal mit Meditationstechniken vertraut – mir hat das in der Schwangerschaft sehr geholfen“).
Ich habe immer überlegt, wo nehmen die das alles her? Bis ich zu folgendem Schluss kam: Wahrscheinlich gibt es diese Dinge in einem Set im Buchhandel zu kaufen, oder diese Typen haben ein privates Archiv für alle Gelegenheiten. Wichtig ist dabei auch die dazu passende Betroffenheitsbetonung gerne kombiniert mit einem unangenehmen Oberarmstreichler.
Drittens. Die Selbstgerechten und Arroganten.
Das sind die, die meinem, einem sagen zu können, wie es in einem aussieht. Man selbst ist ja zu blöd. Gut, dass es diese Menschen gibt. Schließlich muss man sich ja nur etwas Mühe geben, dann klappt das schon mit dem Bewältigen und Besiegen der Krankheit.
Außerdem denken diese Menschen, man hat es ja auch irgendwie selbstverschuldet: zu viel geraucht (nein, ich habe nie geraucht), zu wenig Sport gemacht (absolut nicht, es sei denn man meint, das einen Halbmarathon laufen, Flamenco tanzen, Radfahren und Hanteltraining nicht richtig zählen), schlecht ernährt (nicht besser und schlechter als jeder andere), seine Leistungsgrenze nicht erkannt und sich ständig überfordert (davon wird man nicht krebskrank).
Meine Frauenärztin sagte mal: „Wenn es danach geht, müssten beispielsweise alle Vorstandsetagen leer gefegt sein.“) oder einfach nicht belastbar (unglaublich – wenn man das in meinem Job als im Projektmanagerin nicht ist, kommt man nicht weit).
Diese Gruppe ist besonders perfide, denn diese Menschen treten noch mal drauf, wenn du am Boden liegst und fühlen sich erhaben. Sie sind gesund, sie haben alles richtig gemacht. Du aber nicht. Klar.
„Das schafft die nicht“ – mein persönliches „Best of“ der schlechten Bemerkungen:
„Das schafft die nicht. Die kommt bestimmt nicht wieder zurück ins Unternehmen.“
Einer der dicksten Hämmer wurde mir gleich zu Beginn von einer sogenannten Kollegin serviert. Danke für gar nichts! Oder wie meine Tochter damals entsetzt sagte: „Nee, Mama, das hat die nicht gesagt!“
„Eine gute Freundin von mir hatte das auch. Leider ist die vor drei Monaten gestorben, aber das muss bei dir ja nicht so sein.“
Gar nicht gut, denn mit Verlaub, ich muss es so deutlich sagen: „Mehr in die Fresse geht nicht“. Nun, inzwischen habe ich verstanden, dass viele Menschen so etwas sagen, um dieses Thema für sich einordnen zu können. Auch lässt diese Aussage darauf schließen, dass der Absender den Verlust dieses Menschen noch nicht verarbeitet hat (Wissen aus einer Sitzung mit meiner Psychoonkologin).
Allerdings geht es in so einer Situation um den anderen, um den, der an Krebs erkrankt ist. „Wir“ sind absolut nicht die richtige Adresse für die Schmerzbewältigung. Zuhören ist einfach viel, viel wichtiger, als das Kramen nach Beispielsfällen aus der Bekanntschaft/Verwandtschaft. Hier geht es nicht um: Höher, weiter, krasser …
„Das hat euch als Familie sicher näher zusammengebracht.“
Entschuldigung, aber ich muss es so deutlich sagen: Wer bitte braucht Krebs für den Familienfrieden? Oder sage ich es mal anders. Der Umkehrschluss funktioniert einfach nicht. Niemand, aber auch wirklich niemand empfiehlt diese Krankheit, um Familienprobleme zu lösen, sich näher zu kommen, richtig?
Anders herum wird eher ein Schuh draus. Denn wer das als Familie durchgemacht hat, kann froh sein, wenn alle noch beisammenbleiben. Die Belastung ist teilweise fast unmenschlich.
„Anderen geht es ja noch viel schlechter. Denk da mal dran.“
Ich frag mal zurück: „Wie viel schlechter „darf“ es mir aus dieser selbstgerechten Sicht denn gehen, bitte?“ Unglaublich bösartig. Raus aus dem Verteiler mit Menschen, die so unverschämt sind und das Mitgefühl eines Vorschlaghammers zu haben scheinen.
„Oh, du warst wieder Walken. Ich wünschte, ich hätte auch so viel Zeit für mich.“
Wir können sehr gerne tauschen, wäre hier die passende Antwort gewesen, allein sie fiel mir leider zu spät ein. Ich stammelte aber immerhin: „Du wirst überrascht sein, wie viele Ressourcen du noch hast.“
Dieser Mensch, dem ich diese Aussage zuordne, interessiert sich nur für sich. Finger weg und aus dem Weg gehen, dachte ich mir. Aber ganz ehrlich: richtig überrascht hatte mich das Gesagte dann doch wieder nicht. Es passte ins Bild. Dieser Kontakt ging vorher schon nicht und jetzt erst recht nicht.
„Ich habe schon mitbekommen, dass Sie sehr krank waren, aber sagen Sie mir bitte nicht, was es war.“
„Hatte ich auch nicht vor! Und bitte sprechen Sie mich nie wieder an.“ Das war meine Antwort. Die Kinnlade fiel und ich atmete durch.
„Gut, mit der Bearbeitung des Versicherungsanspruchs geht das auch nicht schneller, wenn Sie hier ständig anrufen. Bei einer Glasversicherung muss ja auch erst mal der Schaden ermittelt werden.“
Krass, krass, krass!! Ich gebe freimütig zu, meine Contenance war genau hier zu ende. Die Sachbearbeiterin, die mir diese Aussage zumutete, wurde ganz gepflegt von mir angebrüllt. Mein Mann war beeindruckt von der Eindeutigkeit meiner Replik und machte große Augen.
In meiner Fassungslosigkeit hatte ich noch so viel Orientierung, den Namen der Abteilungsleitung zu verlangen und um Rückruf zu bitten. Zu seiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass er auch ziemlich erschrocken war und ich danach nur noch direkt mit ihm korrespondiert habe. Nur noch mal fürs Protokoll: Ich habe keinen Glasschaden!
„Seit der Erkrankung kannst du sicher besser Prioritäten setzen. Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden.“
Das konnte ich vorher schon recht gut. Danke! Unter uns: wäre ja auch blöd, wenn nicht, richtig? Und mit dem Aufräumen meiner Kontakte fange ich noch heute an. Danke für den Tipp.
„Ach, die Therapie haben sie bei mir auch versucht. Hat leider nicht funktioniert.“
Merke: Auch Mitpatienten können grausam sein. Well (wie der Franzose sagt ;-)), was soll man dazu sagen? Tief Luft holen, mit der Stationsleitung sprechen und raus aus dem Zimmer. Weiteren Kontakt meiden.
„Ich weiß, was du durchmachst, meine Tante hatte das auch. Wird ein harter Weg.“
Ach ja? Und, was hilft mir diese Aussage jetzt? Gar nichts! Aufmunterung sieht anders aus.
„Das wird schon wieder.“
Ich sage mal so, es handelt sich nicht um einen handelsüblichen Schnupfen oder ein gebrochenes Bein. Woher willst du das denn wissen, wenn es noch nicht mal die Experten sagen können? Und was ist, wenn nicht? Was ich meine: Besser ist man verkneift sich diesen Satz. Eine Einladung zum Kaffee wäre hilfreicher.
„Ich könnte das ja nicht.“
Ich weiß schon, ist lieb gemeint. Der Absender zollt dir/mir Respekt für den Umgang mit der Sch…Situation. Aber, hei, hat man eine Wahl? Außerdem: ich habe mir den Mist nicht ausgesucht. Abbestellen ist nicht.
„Die Hannelore Elsner hat das schon richtig gemacht. Die hat niemanden mit ihrer Krebserkrankung belästigt.“
Solche Menschen sollten einen auch nie wieder belästigen. Lasst sie einfach stehen und wünscht ihnen noch ein schönes Leben. Anmerkung: Ich habe festgestellt, dass gerade Promis sich oft solche oder ähnliche Kommentare gefallen lassen müssen. Sie haben anscheinend zu funktionieren und ihrer Rolle gerecht zu werden. Krankheiten sind da nicht vorgesehen. Wie unmenschlich.
„Ich bete für dich.“
Obwohl ich gläubig bin, tue ich mich damit etwas schwer. Aber anderen gibt dieser Satz vielleicht Trost. Kommt natürlich auch immer darauf an, wer das sagt. Ich hatte immer latent ein mulmiges Gefühl: puuuh, der Sensenmann steht aber direkt vor meiner Tür und der „Betende“ hat ihn schon gesehen.
„Sie haben aber schön abgenommen.“ oder „Du hast aber eine Typveränderung durchgezogen, nicht wahr? Die kurzen Haare stehen dir.“
Da muss man fast ein bisschen lachen. Ich tat es jedenfalls. Hier lag offensichtlich keine böse Absicht vor, fühlt sich aber dennoch komisch an, irgendwie.
„Ich wünsche Ihnen persönlich alles Gute, aber seien wir doch mal ehrlich, bei den allermeisten ist die Krankheit dann doch zurückgekommen.“
Das baut aber so richtig auf. Ohne Worte. Solche verbalen Irrläufer sind unerträglich.
„Meine Sorge um dich habe ich an meine liebe Frau „outgesourced“. Die ruft dich in den nächsten Tagen mal an.“
Hoffentlich nicht!
Schwierig: „Wie geht es Dir?“
Ist so ein bisschen wie oben, das mit der Geduld. Denn als an Krebs erkrankter Mensch weiß man oft schlichtweg nicht, was man dazu sagen soll. Man hat ja leider keine vorübergehende Unpässlichkeit. Und: Kann der Fragende die ehrliche Antwort auch tatsächlich vertragen?
Ein schönes Beispiel dazu war einmal die Begegnung mit einer Bekannten, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Sie rief mir von der anderen Straßenseite – augenscheinlich ziemlich in Eile – zu: „Na, lange nicht gesehen, wie geht es dir? Alles gut?“ Als ich darauf zurückrief „Nein, leider nicht“, ging sie weiter und ließ sich zunächst nicht von ihrem Weg abbringen.
Dann verlangsamte sich ihr Schritt und legte noch mal nach, irgendetwas an meiner Antwort hatte sie wohl irritiert und formulierte ihre Frage neu: „Alles gut zu Hause?“ Ich auch darauf: „Nö, geht überhaupt nicht gut.“ Erst dann blieb sie kurz stehen, zögerte etwas und warf mir zu: „Wir können ja mal telefonieren, ich muss zum Pferd.“ Und weg war sie. Auf den Anruf warte ich bis heute.
Natürlich ist diese Frage in den allermeisten Fällen lieb gemeint, aber wer das fragt, sollte die Antwort auch aushalten können.
Der Knaller: „Ihre Scheiße interessiert mich nicht!“
Wow, das ist heftig und ist ziemlich einzigartig. Okay, was war passiert? Vorausgegangen war folgende Situation. Ich stand mit meinem kleinen Sohn (damals 9 Jahre alt) an der Wursttheke. Nach dem ich endlich dran war, stellte sich eine Frau nach mir an und wurde ganz unruhig. Dann schleuderte sie auf einmal raus: „Geht das hier mal schneller! Ich habe vielleicht HUNGER!“ Ich darauf: „Na, Sie sollten sich mal über Ihr Zeitmanagement Gedanken machen. Vielleicht gehen Sie einfach früher los und planen besser.“ Die Antwort wurde mir dicht vor meinem Gesicht zugebrüllt: „Ich bin vielleicht schwanger!“ Wie aus einem Reflex heraus rief ich nicht ganz so laut: „Ich habe vielleicht Krebs!“ Alles um uns rum wurde schlagartig ruhig.
Der Fleischereifachverkäufer hatte immer noch eine Scheibe Putenbrust auf seiner Wurstgabel und schaute uns verdutzt zu. Die schwangere Frau ließ sich nicht lumpen und polterte weiter: „Ihre Scheiße interessiert mich nicht!“ Für mich blieb dann logischerweise nur folgende Replik übrig: „Mich Ihre Scheiße auch nicht! Kriegen Sie mal Ihr Leben in den Griff!“ Schüchtern fragte der EDEKA-Mann („Wir lieben Lebensmittel“) auf der anderen Seite der Theke: „Ist das alles?“ und mein Sohn zupfte an meiner Jacke und flüsterte „Mama, lass uns gehen, bitte.“ Ich sagte stolz und mit kerzengerader Haltung: „Ja, das ist alles. Danke“.
Ich packte meinen Wurstsack in den Einkaufskorb und schob mit ihm und Kind an der Hand davon. So ruhig war es in diesem Laden noch nie. Man konnte eine Stecknadel fallen hören.
„Das muss jetzt aber auch gut sein, das mit deinem Krebs.“
Okay, ich habe es mir überlegt, ich bestelle diesen bescheuerten Krebs einfach ab, reicht. So ein „Dauer-Abo“ kann man aber auch wirklich schwierig kündigen … Ich weiß, das war anders abgeschickt … ausgesucht hat man sich diese „missliche Lage“ ja nun wirklich nicht.
„Du musst Geduld haben.“
Auch eigentlich völlig richtig. Dieser Satz nutzt sich nur leider rasend schnell ab. Kann niemand mehr hören aus der „Cancer-Community“. Würden wir ein „Unwort des Jahres“ bestimmen müssen, wäre dieses sicher sehr weit oben.
Und noch mehr Sätze, die – wie der “Shopping-Queen-Guido” sagen würde – „nichts für dich tun“:
„Ich wollte ja immer mal anrufen, aber ich hatte Angst vor der schlechten Nachricht.“ – Sogar verständlich, aber wir alle sollten lernen, eine „schlechte Nachricht“ auch mal auszuhalten. Zusammen weinen (in dem Fall mit den Angehörigen) geht immer.
„Ich habe so oft an dich gedacht.“ – Gemerkt habe ich davon nur nichts. Ein Anruf, eine Nachricht/Postkarte oder ein Besuch hätte mir mehr geholfen.
„Sag, wenn du was brauchst.“ – Das ist wirklich schön gesagt, aber zu wenig konkret. Es hilft leider gerade zu Beginn der Erkrankung nicht besonders. Das machst du in dieser Situation einfach nicht, weil du so im Tunnel bist und andere auch nicht unbedingt belästigen möchtest. Du traust dich einfach nicht, tatsächlich auf dieses Angebot zurückzukommen. Lieber konkret werden
Mach’s direkt – ganz konkrete Hilfe, ist immer willkommen
Hier einige Beispiele (!) wie es besser geht:
(Anmerkung: Meist spürt man was passt oder fragt konkret nach. Jede/r ist anders und braucht auch etwas anderes. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt.)
- Wie fühlst du dich heute? Magst du Spazierengehen?
- Wir können über alles reden – Krebs oder nicht Krebs.
- Ich kann morgen mal vorbeikommen und ein paar Hausarbeiten für dich erledigen, wie zum Beispiel saugen oder putzen, wenn du magst.
- Ich gehe gerne mit den Hund Gassi. Welche/r Zeit/Tag passt dir?
- Ich kann die Kinder mit zur Schule fahren. Kein Problem. Liegt sowieso auf dem Weg.
- Wie sieht es mit Hausaufgabenbetreuung aus? Haben die Kinder Schwierigkeiten in der Schule? Braucht ihr Unterstützung? Ich komme vorbei …
- Die Kinder sind herzlich zum Mittagessen eingeladen. Es gibt Spaghetti-Bolognese …
- Ich bin gerade im Supermarkt, soll ich dir was mitbringen?
- Ich habe reichlich gekocht, soll ich dir davon was ins Krankenhaus mitbringen?
- Bin morgen beim Getränkemarkt, was brauchst du?
Oder auch:
- Die Kids können gerne am Wochenende bei uns übernachten. Wir freuen uns.
- Magst du auf einen Kaffee vorbeikommen? Ich hole dich ab.
- Ich komme morgen gerne vorbei, bin sowieso in der Nähe, okay?
- Brauchst du Hilfe bei Anträgen und Schriftkram? Ich kann dir gerne helfen.
- Lass uns zusammen bei der Krankenkasse anrufen …
- Ich komme gerne mit zum Arzt, wenn du magst.
- Was brauchst du aus der Apotheke?
- Oder: Schreibt mal eine positive, liebe oder lustige Karte. Ganz old school.
- To be continued