Erleichterung vs. Belastung
Nach der Chemotherapie: der Weg zurück in ein „normales“ Leben trotz Corona
Nach der Chemotherapie: der Weg zurück in ein „normales“ Leben trotz Corona
Mit etwas Glück und mit großer Freude ist der lang ersehnte Tag endlich da: Das Untersuchungsergebnis nach dem letzten Chemozyklus ist negativ. Im besten Fall ist man krebsfrei und nun in Remission – „es ist geschafft!“ Die Abstände zwischen den Arztterminen werden immer größer und es geht nur noch zu den regelmäßigen Nachuntersuchungen ins Krankenhaus. Das Umfeld jubelt und alle sind erleichtert, dass der Krebs besiegt ist und man bald wieder am ganz normalen Leben teilnehmen kann.
So die Theorie, doch oft ist es nicht ganz so einfach. Die Remission ist für mich und viele andere erst mal nicht so befreiend wie erwartet. Warum? Weil wir gefühlt vor Unsicherheit zerrissen sind. Denn entgegen der allgemeinen Meinung bedeutet das Absetzen der Behandlung keine sofortige Rückkehr zur Normalität. Jetzt, wo das Leben wieder seinen alten Lauf aufnimmt, passiert es schon mal, dass man sich verunsichert und verloren fühlt.
Mein Umfeld versteht das oftmals nicht und wundert sich, warum ich „jetzt, wo ich den Krebs überlebt habe“, nicht mit einem Dauerlächeln durch die Welt gehe. Doch auch wenn der Krebs weg ist, hat die Seele ihren eigenen Weg, die Wunden heilen zu lassen, und das braucht seine Zeit. Für viele Betroffene ist deshalb nach der Akuttherapie noch lange nicht alles beim Alten. Das Vertrauen in den eigenen Körper ist gerade in der Anfangszeit noch sensibel und so können auch andere Ereignisse, wie der Tod eines Bekannten, eine Erkrankung eines Familienmitgliedes oder eine Krise, wie die Pandemie, die Erinnerung an den eigenen Schicksalsschlag wieder an die Oberfläche kommen lassen.
Wenn das neu gewonnene Leben aus den Fugen gerät
„Und plötzlich war der Weg, auf dem ich ging, zu Ende und nichts mehr so, wie es vorher war.“ Ein Satz, der den Augenblick meiner Krebsdiagnose deutlich beschreibt. Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen erinnern mich sehr an meine damalige Situation. Anfangs wusste ich nichts darüber und hatte nur ein großes Fragezeichen im Kopf. „Was ist dieses Corona-Virus und was ist eine Pandemie?“ Doch ich wusste genau, wie es sich anfühlt, wenn das Leben von heute auf morgen auf dem Kopf steht. Wie es ist, wenn der Nebel in dieser „Parallelwelt“ des Nicht-Wahrhaben-Wollens sich langsam lichtet und man erkennt, dass dieses Ungebetene nun irgendwie in das Leben integriert werden muss. Diese neue, anhaltende Unsicherheit begleitete von da an nicht nur mich und meine Familie – nein, für die ganze Welt ist plötzlich alles anders. Es ist genauso eine Situation, in der es keine bequeme Lösung gibt, in der es nur mit unbeliebten Tätigkeiten, Verzicht und teilweise schwerer Verluste die Hoffnung gibt, mit „nur“ einem blauen Auge davonzukommen. Doch ich wusste und weiß, dass es sich lohnt durchzuhalten und sich trotz den Einschränkungen auf das zu konzentrieren, was das Leben zu bieten hat.
Mit Kreativität durch Krisen wie Krebs und Corona
Und was macht man an den langen Abenden im Lockdown? Beispielsweise die Fortsetzung zu meinem ersten Buch schreiben. Für viele erfolgreiche Menschen sind die täglich niedergeschriebenen Gedanken und Ideen der Schlüssel zum Erfolg. Und so kann eine Notiz die Basis für Problemlösungen, Entscheidungen und Kreativität gleichermaßen sein. Niedergeschrieben braucht man seine Gedanken nicht weiter mit den neuen und teilweise unbeliebten Momenten zu belasten. Die persönlichen Gefühle und Ideen zu notieren, ist darum ein wesentlicher Teil der Verarbeitung.
Kreativ zu sein, kann also dabei helfen, einschneidende Erlebnisse und neue Situationen besser zu verarbeiten, und ist darum ein wirksames Mittel, um Krisen, Krankheiten und Stress zu bewältige.
Auch beim Singen oder Tanzen verbinden wir uns mit unserem Inneren. Wir beschäftigen uns mit Emotionen, Gedanken, Wünschen und Ideen, ohne durch digitale Medien abgelenkt zu sein. Dieses visuell und gestalterisch wiederzugeben, ist Achtsamkeit und pure Entspannung. Wer das einmal erlebt hat, wird immer wieder darauf zurückkommen.
Und da Not bekanntlich erfinderisch macht, ist auch hier oft Ideenreichtum gefragt. Wenn wegen Corona unsere Freunde und die Familie an Feiertagen nicht zu Besuch kommen können, sehen und hören wir sie eben online. Und wenn ich mich mit der neugewonnenen „Chemo-Locke“ unwohl fühle, helfen Mützen, Tücher und etwas Make-up dabei, dass es mir mental wieder besser geht.
Auch wenn der Weg in ein „normales“ Leben wie weggesperrt scheint, finden wir online Lösungen, auch gemeinsam kreativ zu sein. Denn egal ob vor der Krise, jetzt und danach: Du bist nicht allein – nicht mit Krebs und nicht in der Krise.
© Sandra Polli Holstein