Mutmachsprüche
Mutmachsprüche in guter Absicht gesagt oder geschrieben, die jedoch im Sinne von Durchhalteparolen formuliert sind, können nach meinem Empfinden auch übergriffig und anmaßend sein, wie zum Beispiel diese Aufforderung: „Gib dich niemals auf!“
Wer hat das Recht, einem schwerkranken Menschen zu sagen: „Gib dich niemals auf!“?
Niemand! Kein Freund, kein Angehöriger, auch kein Internetuser! Das ist eine ganz eigens persönliche Entscheidung, ob jemand zum Beispiel jede weitere Therapie ablehnt, die auf jeden Fall weitere Höllenqualen, aber nur eine geringe Chance auf Überleben bringen würde.
Als die vergleichsweise milde Chemo bei meinem Rezidiv zunächst keine Wirkung zeigte, musste ich mich darauf gefasst machen, wieder das volle Programm mit Hochdosis-Chemo und einer zweiten Stammzelltransplantation durchmachen zu müssen. Da hatte ich mich ernsthaft gefragt und damit auseinandergesetzt, ob ich diese Qualen noch einmal auf mich nehmen würde, wobei es mir zu dem Zeitpunkt bereits schon beschissen genug ging. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte ich es getan, aber dann wohl mit Zweifeln, dafür letztendlich noch ein zweites Mal die enorme Kraft aufbringen zu können, die diese Therapie fordert.
Hierzu hatte ich geschrieben: „Einfache Dinge des Alltags werden zu schwerer Arbeit. Ich fühle mich einsam im eigenen Körper, abgekoppelt und ausgegrenzt zum Außen.
Werde ich ein zweites Mal überleben?
In manchen Momenten gelingt es mir, mit der Tatsache Frieden zu schließen, vielleicht doch bald zu sterben.
Wie viel Leid bin ich bereit zu ertragen, wenn es wieder bis zum Äußersten kommen sollte? Wieder mit letzter Kraft zur Toilette, um keine Windeln tragen zu müssen? Wieder unter größter Anstrengung ein paar Minuten am Rollator gehen? Oder liegen bleiben, und bereit sein zu sterben?“
(zitiert aus: „Einmal noch das Meer sehen – Leukämie überleben”)