Erleichterung vs. Belastung
Müde, müder, am müdesten
Nun habe ich es schwarz auf weiß: Dauer-Stress schadet der Gesundheit. Jaja, wirst du jetzt vielleicht denken, ist ja nichts Neues. Das stimmt. Und trotzdem erstaunt es mich, wie stark meine Arbeitsbelastung der vergangenen zwei Monate sich in der verminderten Lungenfunktion niederschlägt. Das hätte ich so drastisch nicht vermutet.
Aber von vorn: Kurz nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus fand zum ersten Mal ein Lungenfunktionstest in der fachärztlichen Praxis statt, die mich seither betreut. Damals, so sagte mir mein Lungenarzt später, lag ich gerade mal bei 40 Prozent Lungenfunktion. Bis Februar hatte ich mich durch Sport und Atemübungen auf etwa 55 Prozent hochgearbeitet, im Mai waren es dann bereits 66 Prozent. Motiviert sportelte ich weiter und wartete gespannt auf die Kontrolle im August. Ich war sicher, dass ich die Leistung noch einmal hatte steigern können.
Doch dann kam eine Covid-Infektion und meine Kondition stürzte ab. Beim August-Test war ich auf dem Stand von Mai, meine Bronchien waren zwar nicht stark, aber doch angegriffen. Ich schonte mich eine Weile und legte anschließend wieder mit meinen sportlichen Übungen los.
Im September geschah dann leider etwas Unvorhersehbares. Ein plötzlicher Todesfall stürzte unser Unternehmen in eine Krise. Ich sag’s, wie es ist: In solchen Situationen fackel ich nicht lange und hänge mich rein, um zu helfen. Im vergangenen Jahr war ich es, die Hilfe brauchte, nun war es jemand anderes. Mein Arbeitsvolumen wuchs, ich machte Überstunden und fing auf, was ich konnte. In dieser Zeit standen gleich mehrere Dienstreisen an.
Unterm Strich zu viel, wie ich jetzt weiß, auch wenn ich lange Jahre einen solchen Alltag ohne Probleme gelebt habe. Neben meiner Festanstellung übte ich stets Nebentätigkeiten und Projekte aus, ohne Mühe. Doch meine Belastbarkeit hat sich durch die Erkrankung und ihre Nachwirkungen massiv verändert.
Die Folge ist eine besonders starke Erschöpfung, die sich auch auf meine sportlichen Aktivitäten auswirkt. Und wenn ich von Erschöpfung spreche, dann meine ich einen Grad an Müdigkeit, der höher ist als alles, was ich vorher kannte. In diesem Zusammenhang möchte ich dir die Podcast-Folge über Fatigue von „Let’s talk about Krebs, Baby!“ ans Herz legen. Für mich war sie ausgesprochen informativ. In ihr erklärt Jens Ulrich Rüffer, Vorsitzender der Deutschen Fatigue Gesellschaft, was eigentlich unter dem Begriff zu verstehen ist und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.
Zum einen kann es verschiedene Ursachen geben, zum Beispiel psychische, aber natürlich auch physische. Das ist absolut individuell. Je nach Therapie müssen Betroffene mit unterschiedlichen Nebenwirkungen und Langzeitfolgen kämpfen. Bei den einen hinterlässt die Chemo Spuren im Körper, bei anderen sind Operationen entscheidend. Das ist sicherlich bei mir der Fall – zusätzlich zur mentalen Belastung einer solchen Diagnose.
Neu war für mich, dass Fachleute erst nach 12 Monaten tatsächlich von Fatigue sprechen, vorher gilt die Erschöpfung als normal beziehungsweise zwischen Monat 6 und 12 als verzögerte Erholungsphase. Bei mir ist das erste Jahr nun um. Und trotzdem bin ich müde, müde, müde.
Bereits vor meiner Quartalsuntersuchung gestern habe ich entschieden, dass ich bei der Arbeit nun wieder kürzer treten muss. Ein Notfall ist ein Notfall, aber dauerhaft kann ich das in meinem Zustand nicht abfedern. Zum Glück haben meine Vorgesetzten dafür Verständnis, das macht es mir leichter. (In unserer Leistungsgesellschaft ist es ja nicht immer so einfach zuzugeben, dass man nicht mehr ganz so gut „funktioniert“.) In einer Woche starte ich ohnehin in einen dreiwöchigen Urlaub, danach werden wir uns hoffentlich im Team neu organisieren.
Die gestrige Untersuchung hat mein Gefühl bestätigt. Die Lungenfunktionsprüfung ergab einen rückläufigen Trend. Ich bin jetzt etwa wieder auf Stand Februar. Bei dem Test war ich so müde, dass ich nur wenig Kraft aufbringen konnte, in das Röhrchen zu pusten. Und das beschreibt meinen Zustand augenblicklich auch ganz gut.
Ab sofort gilt wieder: keine Überstunden, am Wochenende bleibt der Dienstrechner aus. Dafür gönne ich mir Erholung, konzentriere mich auf kraftspendende Dinge und erhöhe Schritt für Schritt mein Sportpensum, um gezielt Lungenvolumen aufzubauen. Kraft spendet mir zum Beispiel das Schreiben über meine Erfahrungen, ausreichend Schlaf, aber auch lange Spaziergänge an der frischen Luft.
Eine Freundin fragte mich heute, ob ich sehr frustriert sei über das Untersuchungsergebnis. Ja und nein. Ich denke nicht, dass ich mit dem jetzigen Wissen in einer vergleichbaren Situation anders gehandelt hätte. Unter anderem auch deswegen, weil ich solche Erfahrungen brauche, um die Grenzen meiner Belastbarkeit richtig einschätzen zu können. Außerdem weiß ich ja, was ich zu tun habe, um mich nun wieder zu stabilisieren.
Aber natürlich gibt es auch Momente, in denen die Frustration überwiegt, weil ich überhaupt in diese Situation gekommen bin. Ich halte mir dann immer vor Augen, was die Alternative gewesen wäre. Der Krebs lässt sich ja nicht wegdiskutieren.
Wäre er vor einem Jahr nicht entdeckt worden, hätte ich noch wenige Monate, vielleicht ein Jahr oder zwei länger Normalität gehabt, bevor erste schwerwiegende Symptome aufgetreten wären. Aufgrund meines Alters und Lebensstils hätte zunächst niemand an Lungenkrebs gedacht. Ich wäre vermutlich von einer Untersuchung zur anderen geschickt worden, ohne Ergebnis. Erst nach längerer Zeit hätte man dann endlich ein Röntgenbild angefertigt. Im schlimmsten Fall zu spät, um noch auf Heilung zu hoffen. Lungenkrebs bei Nie- und Nichtraucher*innen haben noch zu wenige auf dem Schirm.
Ende September schrieb ich auf dieser Plattform noch, wie wichtig es ist, sich Ruhe und Pausen zu gönnen. Insbesondere in den letzten Wochen habe ich diesen Grundsatz vernachlässigt. Die Folge ist schon nach kurzer Zeit spürbar. Jetzt freue ich mich auf meinen Urlaub, tanke richtig auf und starte danach in einen entspannten Arbeitsalltag. Erinnert mich gegebenenfalls daran, bitte.