Krebs – Liebe – Punkt NULL
Meine Therapie ist keine Immuntherapie
Meine Therapie ist keine Immuntherapie
Stimmt nicht wirklich? Ich weiß. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zwischen verschiedenen Arten von Immuntherapien. Warum ist das so wichtig? Ich möchte es gerne erklären. Ich befürchte allerdings, dass das zu speziell ist, als dass es viele tatsächlich lesen und verstehen wollen.
Da es aber gerade der Kern meines Problems ist versuche ich es trotzdem. Ich hoffe die ein oder andere nimmt sich die Zeit und versucht meinem Text zu folgen. Ich verspreche meinerseits mir Mühe zu geben nicht abzudriften und das ganze so simpel wie möglich zu halten.
Ein kurzer Überblick:
In der Krebstherapie gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Ansätze: den systemischen und den lokalen.
Zu den lokalen Therapien gehören Operationen, Strahlentherapien und zB Radiochemotherapien oder Behandlungen der Haut mit Onkoviren.
Eben all diejenigen Therapien die lokal direkt den Tumor bekämpfen.
Zu den systemischen Therapien gehören Chemotherapien, Antikörper/Immuntherapien, Bisphosphonate usw. Eben alle Krebstherapien, die im ganzen Körper wirken. Diese können in Form von Spritzen, Infusionen oder Tabletten verabreicht werden.
Unter den systemischen Therapien befinden sich seit einigen Jahren sehr interessante und sehr spezielle Medikamente, die sogenannten Antikörper.
Ein monoklonaler Antikörper ist ein künstlich, also im Labor erzeugter Antikörper, der nur genau auf ein Zielmolekül anspringt. Die Idee dahinter: Man sucht ein Oberflächenmolekül, dass auf den Krebszellen häufig und auf allen anderen Zellen möglichst gar nicht vorkommt und entwickelt dann einen Antikörper, der gezielt an diesem Oberflächenmolekül andockt.
Klingt nach Zukunftsvision? Ist aber seit einigen Jahren Realität in der Krebstherapie.
Was diese Antikörper am Zielmolekül nun machen ist allerdings sehr unterschiedlich. Manche docken gezielt an Wachstumsrezeptoren an und verhindern dadurch, dass die Krebszelle Informationen dazu bekommt, dass sie sich teilen soll. Folglich teilt sich die Krebszelle nicht und das Krebswachstum kommt im Idealfall zum erliegen.
Ein spezieller Fall sind die Checkpoint Inhibitoren. Das sind Antikörper, die gezielt an solche Rezeptoren der Krebszelle andocken, die dem Immunsystem suggerieren die Zelle sei ungefährlich. Durch das “tarnen” eben dieser Rezeptoren wird der Effekt, den die Tumorzelle aufgebaut hat um sich vor dem körpereigenen Immunsystem zu verstecken, aufgehoben. Im Idealfall erkennt das Immunsystem die Krebszellen und vernichtet sie.
Warum ist das ein spezieller Fall? Weil diese Antikörper die Krebszellen nicht angreifen. Sie haben keine toxische Wirkung. Ihre Wirkung beschränkt sich auf das suchen und finden dieser Oberflächenmoleküle. Die eigentliche krebsbekämpfende Wirkung erzeugt dann das Immunsystem. Deshalb sind Checkpoint Inhibitoren sogenannte Immuntherapien.
Es gibt auch noch monoklonale Antikörper, die aus sich heraus die Krebszellen schädigen.
In diesem Fall wird der Antikörper mit einem Zytostatikum oder einem radioaktiven Stoff verlinkt. Es wird ein Oberflächenmolekül gesucht, dass maximal häufig auf den Krebszellen vorkommt und so selten wie möglich auf den gesunden Zellen und der Antikörper wird dafür erzeugt. Er dockt nun an die Rezeptoren an und schleust den verlinkten giftigen Stoff direkt in die Zelle ein oder gibt ihn direkt im Umfeld der Zelle ab. Dadurch kann der krebs sehr viel zielgenauer behandelt werden und es nehmen sehr viel weniger gesunde Zellen schaden wodurch die lokal wirkende Dosis an Gift deutlich höher gewählt werden kann.
So und jetzt zu meinem Problem:
Vor einigen Monaten habe ich ein Medikament bekommen namens Atezolizumab. Atezolizumab ist ein monoklonaler Antikörper der an das Oberflächenprotein PDL1 andockt und die Zelle dadurch für das Immunsystem sichtbar macht. Ein Checkpoint Inhibitor. Eine klassische Immuntherapie.
Ob dieses Medikament bei mir gewirkt hat, oder hätte, ist schwer zu beurteilen, dafür habe ich es nicht lange genug bekommen.
Das größte Problem mit Immuntherapien ist, dass sie in seltenen Fällen, aber wirklich nicht nie, zu, teilweise starken bis lebensbedrohlichen, Autoimmunreaktionen führen. Das Immunsystem wird schließlich getriggert körpereigene Zellen zu bekämpfen.
Oft sind Nebenwirkungen wie Entzündungen des Verdauungstraktes oder der Schilddrüse zu beobachten, aber generell kann jedes Organ von einer solchen Autoimmunreaktion betroffen sein.
Um eine solche, fehlgeleitete, Reaktion des eigenen Immunsystems gegen die eigenen Organe zu behandeln bekommt man so schnell wie möglich Cortison.
Cortison unterdrückt das Immunsystem. In den meisten Fällen werden die Symptome schnell besser, aber oft kommen sie auch schnell wieder. Um das Problem nachhaltig zu beenden ist eine hochdosis stoßtherapie mit Cortison derzeit Mittel der Wahl.
Man bekommt dann wenige Tage sehr viel Cortison. Die Idee ist, dass die Immunreaktion komplett zum erliegen kommt und nach ausschleichen des Cortisons nicht wieder ausbricht. Die Erfolgsrate ist gut, wenn auch nicht so gut wie man sich das vielleicht erhoffen würde. Aber es ist auf jeden Fall einen Versuch wert.
Leider steht eine Cortisontherapie einer Therapie mit Checkpoint Inhibitoren natürlich im Weg, denn das eine Medikament will eine Immunreaktion erzeugen und das andere unterdrückt Immunreaktionen.
Ich bin jetzt bald eine Woche in der Pneumologie. Von Anfang an ist mir hier aufgefallen, dass das Medikament, das ich bekomme hier nicht bekannt ist. Das ist auch kein Wunder und keinesfalls verwerflich. Sacituzumab Govitecan ist in der EU nach wie vor nicht zugelassen und das derzeit in Studien getestete Anwendungsgebiet hat mit der Pneumologie nichts zu tun.
Sacituzumab Govitecan ist kein Checkpoint Inhibitor. Sacituzumab ist ein monoklonaler Antikörper, der an das Oberflächenprotein Trop2 bindet und gezielt das Zellgift Govitecan in die Zelle einschleust.
Aus Gründen die mir nach wie vor nicht klar sind sind die Pneumologen überzeugt, dass meine Pneumonitis von dieser Therapie kommt. Das ergibt aus mehreren Gründen überhaupt keinen Sinn:
Erstens ist Sacituzumab Govitecan keine herkömmliche Immuntherapie und sollte logischerweise auch keine Autoimmunreaktionen auslösen.
Zweitens entstehen solche Autoimmunreaktionen selten so schnell. Oft werden sie erst Monate nach Beendigung einer Therapie diagnostiziert.
Und drittens haben meine Beschwerden begonnen bevor ich die Therapie mit Sacituzumab Govitecan begonnen habe und das ist durchaus gut dokumentiert. Es gibt CT Bilder aus dieser Zeit.
Es ist also viel wahrscheinlicher und naheliegender, dass meine Pneumonitis eine Autoimmunreaktion auf das Atezolizumab ist, welches ich im Frühjahr bekommen habe. Auch nicht unwahrscheinlich ist, dass die Bestrahlung vor einigen Wochen die Reaktion verschlimmert hat.
Einen Zusammenhang mit dem Sacituzumab Govitecan sehe ich nicht und auch in den Nebenwirkungen sind Autoimmunreaktionen der Lunge unter SG-Therapie nicht beschrieben.
Auch wenn ich, nach meinen Erfahrungen, keine Cortisontherapie möchte, würde ich die einzige Lösung für mein Lungenproblem natürlich gerne annehmen und vor allem würde ich sie und ihre Erfolgsaussichten gerne mit den Fachleuten hier in der Pneumologie besprechen.
Leider renne ich da gegen Wände. Eine Cortisontherapie käme für mich nicht infrage, weil ich mit SG eine Immuntherapie bekomme und die unter Cortison nicht, oder nicht so gut wirken würde.
Ich möchte den Ärzten wirklich nicht die Wirkungsweise verschiedener Krebsmedikamente erklären, aber es macht mich sehr betroffen, dass sie an dieser Fehlannahme festhalten und auf meinen Einwand, dass Sacituzumab Govitecan kein Checkpoint Inhibitor ist, nicht eingehen.
Nach meinem dafürhalten wäre eine Stoßtherapie mir Cortison in den Therapiepausen des SG durchaus denkbar. Gerne lasse ich mir erklären warum das nicht machbar ist, aber Ärzte die mir erklären es handle sich um einen Checkpoint Inhibitor und der wirke unter Cortison nicht, obwohl das offensichtlich nicht stimmt, kann ich nicht ernst nehmen.
Deshalb muss ich hier raus. Ich muss meine Therapie mit SG fortsetzen und mir einen niedergelassenen Pneumologen suchen, der mit mir auf Augenhöhe meine Möglichkeiten und die Chancen dergleichen bespricht.
Für den Moment bin ich frustriert, denn ich habe es wirklich höflich versucht. Ich habe angemerkt, dass SG kein Checkpoint Inhibitor ist, ich habe versucht zu erklären wie das SG wirkt, ich habe gefragt wie das Cortison auf diese Wirkweise Einfluss nehmen kann und ich bekam als Antwort “Ich bin der Onkologe”, “Ich kenne das Medikament, wir machen auch Studien, da müssen Sie mir vertrauen” (was offensichtlich unwahr ist, denn es gibt keine Studien mit SG die in Tübingen laufen oder gelaufen sind und es gibt auch keine deutschen Studien mit SG die etwas mit Pneumologie zu tun haben) und “Ich gebe Ihnen hochdosiertes Cortison wenn Sie das wollen, aber dann müssen Sie Ihre Krebstherapie aufgeben”.
Ich bin enttäuscht.