Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Leben mit Handicap

Hallo zusammen,

Ich bin schwerbehindert, zu 100% und das unbefristet! aber bin ich damit auch sichtbar ein „Krüppel“, ein Invalide, ein gezeichneter Mensch? Liebe Leser, wenn Sie an Behinderung denken fällt Ihnen wahrscheinlich als erstes ein Mensch im Rollstuhl ein, mit Blindenstock oder Prothese. Aber nicht jede Behinderung ist sichtbar. Und dennoch kann sie den Betroffenen vom gesellschaftlichen Leben teilweise oder in Gänze ausschließen. Auch Krebs gehört zu den Krankheiten, deren physische und psychische Folgen den Alltag stark beeinträchtigen und deshalb vorübergehend oder dauerhaft zu einer Behinderung führen können. Der Alltag ist gespickt von Tätigkeiten, die plötzlich als Hindernis erscheinen: z.B. Schuhbändel schnüren, Treppen, die nur mit größter Anstrengung bewältigt werden, die berufliche Beschäftigung, die nicht mehr in gleicher Quantität und Qualität gemeistert wird, Einkäufe die zur Qual werden, u.v.m. Doch ab wann welcher Grad der Behinderung vorliegt und ab wann ein Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis entsteht, definiert der Gesetzgeber im Sozialgesetzbuch IX mit folgenden Worten: „… wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“ Ob mit Krebs nach dem Gesetz eine Behinderung vorliegt, hängt also davon ab, wie stark die Krankheit tatsächlich im Alltag beeinträchtigt.

Eine Krebserkrankung wird am Anfang der Erkrankung, unabhängig von den tatsächlich vorliegenden Einschränkungen und Funktionsstörungen meistens (aber nur für begrenzte Zeit, Heilungsbewährung) mit einem GdB (Grad der Behinderung) von >= 50% bewertet, bei Krebserkrankungen in höheren Stadien (z.B. mit Metastasen) mindestens mit 80%.

Zur Vertiefung: http://www.gesetze-im-internet.de/versmedv/BJNR241200008.html

Das bedeutet, an Krebs erkrankte Menschen sind schwerbehindert unabhängig einer Berufsfähigkeit, haben Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis und stehen unter dem besonderen Schutz des Schwerbehindertengesetzes (ev. Antrag auf Gleichstellung bei der Agentur für Arbeit stellen). Schwerbehinderung schließt eine berufliche Tätigkeit nicht aus. Jeder Arbeitgeber mit mindestens 20 regelmäßigen Arbeitsplätzen ist verpflichtet, je nach Betriebsgröße eine bestimmte Anzahl von Menschen mit Schwerbehinderung zu beschäftigen. So muss zum Beispiel ein Betrieb mit mindestens 20, aber weniger als 40 Arbeitsplätzen einen Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen. Betriebe mit 40 bis unter 60 Arbeitsplätzen müssen zwei Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen; noch größere Betriebe müssen mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Menschen mit Schwerbehinderung besetzen.

Liebe Krebsler versäumen Sie es nicht einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Die Vorteile liegen auf der Hand und der Formularaufwand wird belohnt mit:

  • Jährlich fünf zusätzliche Urlaubstage
  • Erhöhter Kündigungsschutz: eine Kündigung darf erst ausgesprochen werden, wenn das Integrationsamt zuvor zugestimmt hat.
  • Freistellung von Mehrarbeit (nicht mehr als acht Stunden Arbeit/Werktag)
  • Begleitende Hilfe im Arbeitsleben (z. B. technische Arbeitshilfen oder Beratung bei Arbeitsplatzproblemen)
  • Hilfe zur Erhaltung beziehungsweise Erlangung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes
  • Bei Notwendigkeit früherer Renteneintritt

Sonstige Nachteilsausgleiche

  • Steuerliche Vergünstigungen (Freibeträge von 384 bis 2.840 Euro für Veranlagungszeitraum 2021) siehe http://www.gesetze-im-internet.de/estg/__33b.html
  • Günstigerer Eintritt und Rabatte bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Bäder, Museen und anderen öffentlichen Einrichtungen
  • Niedrigere Beiträge bei Automobilclubs und Vereinen
  • Freibeträge beim Wohngeld (wohngeld.org. ) – abhängig vom GdB. Hinweis: Anspruch auf Wohngeld haben Familien oder einzelne Personen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben (z.B. Bezug Erwerbsminderungsrente). Entscheidend sind folgende Punkte: Anzahl der Personen, die in einem Haushalt leben, Miet-Kosten oder bei Eigentum: Kosten für die Eigentumswohnung oder das Haus, Gesamt-Einkommen des Haushalts. Das Wohngeld bekommt man als Zuschuss zur Miete.
  • Anspruch auf einen Euro-WC-Schlüssel (Stomaträger, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, chronischer Blasen- / Darmerkrankung)

Für die Antragstellung bei der Landesbehörde Familie und Soziales oder Versorgungsamt beim Landratsamt empfehle ich:

  • Führen Sie alle bestehenden Erkrankungen auf, nicht nur die Krebserkrankung.
  • Beschreiben Sie ausführlich Ihre Beeinträchtigung im Alltag (Nebenwirkungen Ihrer Therapie).
  • Füllen Sie mit Ihrem Hausarzt gemeinsam den Antrag aus.
  • Entbinden Sie Ihre Ärzte von der Schweigepflicht, damit diese Ihre Angaben bestätigen können.
  • Je genauer die Auswirkungen Ihrer Diagnose beschrieben wird, desto geringer sind Rückfragen.
  • Legen Sie alle relevanten ärztlichen Atteste und Befunde und Berichte (inkl. Medikamentenplan) bei. (Die niedergelassenen Ärzte sind gemäß § 630g Bürgerliches Gesetzbuch verpflichtet, ihren Patienten Kopien der ärztlichen Unterlagen herauszugeben.)
  • Und zu guter Letzt Ihr Passfoto.

Die Feststellung der Gesundheitsstörungen, des Grades der Behinderung und der Merkzeichen erfolgt auf der Basis der Arztberichte, die mit dem Antrag vorgelegt werden. Das zuständige Versorgungsamt entscheidet in der Regel innerhalb von drei bis sieben Wochen über Ihren Antrag. Über die Online Antragstellung wurde mein Vorgang innerhalb von 3 Wochen bearbeitet und Ende des Jahres 2020 ohne Rückfragen entschieden. Meine Krankheit lässt wohl keinen Spielraum zu. Die Summe aller GdB relevanten Erkrankungen übersteigt bei weitem die 100%.

An alle Krebsler: „never give up“!

Euer

Christian

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