Erleichterung vs. Belastung
Krebs? Den haben doch immer nur andere!
Da sitze ich also auf dem Krankenhausbett in meinem schicken Nachthemd, das selbst meine Oma schon vor 20 Jahren in den Mistkübel geworfen hätte, erfreue mich an Tag 3 meiner Schonkost, die wieder bissfestes Essen mit sich bringt und blicke erwartungsvoll zur Tür, durch die gerade meine Ärztin aus dem ganzen Reigen an Medizinern, die mich bereits seit 1 Woche umfangreich betreuen, hereinkommt. Sie geht direkt auf mich zu und sieht dabei wie immer sehr schick aus. Trotz des weißen Kittels und der weißen Hose Marke Einheitsbrei. Aber sie trägt darunter ein rotes Top, das ihr sensationell gut steht und sie klappert mit ihren Holzschlapfen und den wunderbar rot lackierten Zehennägeln über den Fußboden. Sie setzt sich neben mich auf`s Bett und fragt, ob wir vielleicht in einen Nebenraum gehen wollen. In mir drinnen beginnen die Alarmglocken ganz leise zu klingeln. Wenn Ärzte einen in den Nebenraum oder an einen ruhigen Ort bitten, dann hat die langjährige Grey`s Anatomy-Zuseherin in mir gelernt, dass das niemals etwas Gutes bedeutet. Diese Geste dient auch weniger dem Schutz des Patienten vor neugierigen Mithörern, als vielmehr den Mitpatienten, da man ja nie weiß, wie lautstark die Reaktion des ersten Patienten auf die Nachricht der Ärzte ausfällt. Mir bleibt der Bissen meines Mittagessens tatsächlich ein bisschen im Hals stecken und ich würge ihn noch schnell irgendwie herunter. Ich lege die Gabel beiseite und sehe meine Ärztin erwartungsvoll und mit klopfendem Herzen an. Und irgendwie bin ich in dieser einen Sekunde kleiner geworden. Ich komme mir zusammengeschrumpft vor, so als würde die Matratze mich in ihr plötzlich aufgegangenes Loch ziehen. Ich gebe zu, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich auch nicht so genau gewusst habe, worauf wir die letzten Tage gewartet haben. Also ja, rational habe ich das schon verstanden, aber ich habe mich in keinster Weise emotional damit auseinander gesetzt, was es bedeutet, auf den histologischen Befund nach meiner Darm-OP zu warten.
Exakt eine Woche zuvor, am 10. Juli 2018 musste ich aufgrund eines Darmverschlusses mehr oder weniger Not-operiert werden. Mehr oder weniger deshalb, weil ich bereits 4 Tage massive Schmerzen hinter mir hatte, in einem Krankenhaus eine Fehldiagnose gestellt wurde und ich nun über eine Internistin in ein weiteres Krankenhaus gekommen bin, die ganz genau nochmals nachgesehen haben, was denn da eigentlich mit mir los ist. Ich habe bis zum Beginn der OP nicht so ganz verstanden, was denn da so wirklich passiert. Nicht weil es mir der operierende Chirurg nicht genau genug erklärt hätte. Nein, eher weil ich diese Informationen gar nicht in der Lage war zu verarbeiten. Möglicherweise schon der erste Schutzmechanismus meines Körpers. Ich lag also guten Mutes auf der Liege und wurde in den OP geschoben und danach hieß es tagelanges Warten auf besagten Befund. Ein weiterer Schutzmechanismus meines wunderbaren Körpers! Ja, er ist wunderbar, denn nur weil ein paar seiner Zellen vom Weg abgebogen sind und mit meinem Darm eine Motto-Party veranstalten wollten, heißt das ja nicht, dass der Rest furchtbar ist! Im Gegenteil! Er sollte sich noch ganz oft als mein ganz persönliches Weltwunder erweisen.
So saß ich also da auf dem Krankenhausbett und erwartete das Unaussprechliche: “Sie haben Krebs.”
Oh mein Gott, ich werde sterben! Das war mein erster Gedanke, meine erste Reaktion zu mir selbst. Und es waren auch die ersten Worte die ich meinem Herzensmann am Telefon entgegenschleuderte. Wohl eher leise ins Handy schluchzte, denn ich hatte mir grade selbst den physischen und psychischen Stecker gezogen. Es folgten lange Minuten zwischen dem Herzensmann und der Ärztin, wo ich nur daneben sitze und auf meine Knie starre oder abwechselnd den Himmel hypnotisiere. Möglicherweise war ich ja schon bald ein Teil von letzterem…
Ja, diese Worte ziehen einem die Schuhe aus, sie bringen einen dazu sich wie in einem Vakuum zu fühlen. Die Zeit steht plötzlich still und die eigene Welt ist “on hold”. In einer Sekunde relativiert sich alles und was vor wenigen Minuten noch wichtig war und die Gedankenwelt geprägt hat, ist plötzlich nicht mehr existent. Ein komisches Gefühl. Ganz plötzlich auch irgendwie fremdbestimmt. Abhängig von Worten und Taten der Ärzte. Nun, darin hatte ich in der vergangenen Woche ja schon ein wenig Übung bekommen….
Die Maschinerie beginnt anzulaufen, weitere Untersuchungen usw. Zu allererst bin ich hilflos, fühle mich wie ein kleines Kind, das ganz dringend die Hand seiner Mama braucht um sich daran zu orientieren, festzuhalten. Ich bin nicht denkfähig, bis auf die Sicherheit in meinem Kopf, dass ich sterben werde. Denn was passiert sonst, wenn man Krebs hat?! Todesurteil, völlig klar! Sofort die nächsten Gedanken: ich sehe meinen Sohn nicht aufwachsen, ich werde mich nie während seiner Pubertät mit ihm streiten und ich kann mir nie meine Outfits für seine Matura oder seine Hochzeit überlegen.
Absurderweise denke ich sofort daran, dass mir die Haare ausfallen werden und beginne Tücher und Schals für meinen Kopf zu googeln. Eine innere Stimme hält mich gerade noch davon ab, völlig wahllos diese neuen Accessoires in den Warenkorb zu legen und auf bestellen zu klicken. Vielleicht sollte ich mich doch über die geplante Vorgehensweise des Ärztegremiums informieren. Gleichzeitig wird damit aber auch mein Überlebensinstinkt angetriggert, klingt bescheuert, ist aber so. Und wenn das Shopping-Gen durchschlägt, besteht vielleicht ja noch eine Chance, dem Scheiß-Krebs irgendwie den Kampf anzusagen!
Mein Chirurg meinte etwas später am Tag zu mir: “Sie sind eine starke Frau. Wir haben jede Menge Waffen und daraus bauen wir eine Phalanx.” Diese Worte haben mich wachgerüttelt, mich aus meinem emotionalen Koma herausgeholt und mich wie Jeanne d`Arc an der Spitze ihrer Armee im Bett mich aufrichten lassen und laut zu sagen: “Mag ja sein, dass ich einen Tumor hatte. Aber der wird schon noch merken, dass er sich die Falsche ausgesucht hat.” Ungebetene Party-Gäste sind die Schlimmsten. Kreuzen einfach auf, haben keine Einladung und haben nicht mal angefragt, ob sie dabei sein dürfen. Nein, sie dürfen nicht. Mein Körper, mein Leben! Und ich bin definitiv noch nicht bereit, es aufzugeben und mich diesen kleinen Schmarotzer-Zellen auszuliefern!