Erleichterung vs. Belastung
Ich kann nicht mehr
Lange hab ich nichts geschrieben (obwohl, das ist nicht wahr, ich habe nur nichts fertig geschrieben). Ich weiß nicht was ich schreiben soll. Mein Kopf ist voll und ich kann doch keinen klaren Gedankengang zu Papier bringen.
Die letzten Wochen waren sehr schwierig für mich.
Meine Diagnose hat sich gejährt. Seit über einem Jahr weiß ich nun, dass ich Krebs habe und ich sitze hier und mir geht es so schlecht wie nie. Nach einem Jahr sollte alles wieder soweit OK sein. Ich wollte neu anfangen, mit neuer Kraft durchstarten. Stattdessen bin ich gefangen in einem Körper von dem der Krebs immer mehr Beschlag nimmt.
Ich habe starke Schmerzen.
Was sieht man, wenn man mich anschaut? Man sieht, dass ich Krebs habe. Man sieht, dass mir wieder die Haare fehlen, man sieht, dass mein Gesicht und meine Hände aufgedunsen sind vom Kortison. Wenn man mich schon eine Weile kennt sieht man auch, dass ich sehr viel Gewicht zugelegt habe.
Aber es gibt so vieles was man nicht sieht. Keiner sieht den ekligen Geschmack, der es mir unmöglich macht mit Freude zu Essen oder zu trinken und gleichzeitig ständig nach Ablenkung, also Essen fordert. Keiner sieht wie mir die Rippen weh tun, punktuell, immer an der gleichen Stelle. Keiner kann sich die Angst vorstellen, die sich zur Zeit in mir breit macht, weil diese Schmerzen in mir die Gewissheit wachsen lassen, dass der Krebs metastasiert, dass ich verloren habe.
Und es sieht auch für gewöhnlich keiner die Wunde die nicht heilt. Die OP-Wunde mit der ich seit November rumlaufe, die jeden Tag mehr weh tut und jeden Tag schwieriger zu ertragen ist. Eine Offene Wunde die sich nicht infizieren darf und die doch so schwer zu verbinden ist.
Ich bin hart im nehmen. Ich habe den Horror hinter mir mit dieser Wunde. Nach meiner ersten OP im September eine kleine Nekrose, eine unkomplizierte zweite OP und dann das Drama – eine heftige Infektion. Wochenlang habe ich Antibiotika genommen.
Die eigentlich schön verheilte Naht ist aufgerissen, mitten in der Nacht.
Da lag ich dann, in einer Pfütze aus Eiter. Dieser Gestank. Ich hatte keine Kraft mehr. Die Infektion hat mir alle Reserven genommen. Aber eine Wahl hatte ich auch nicht. Tage lang habe ich diese Wunde gereinigt, bin jeden Tag ins Krankenhaus gefahren zum Spülen. Am Ende konnte ich kaum mehr sitzen. Jeder Wartebereich war eine extreme Prüfung.
In diesem Zustand habe ich meinen Geburtstag so gut es ging gefeiert und am Tag drauf wurde ich erneut operiert. Alles weg. Die Haut weg, das Implantat weg, die Infektion weg.
Innerhalb weniger Stunden ging es mir um Welten besser.
Es sollte mein Neuanfang sein. Ich hab das alles mit Fassung getragen, denn es war nur eine Infektion. Was ist eine Infektion, wenn der Krebs weg ist?
Aber er war nicht weg. Er war zu diesem Zeitpunkt längst wieder da, nachweisbar.
Die frische OP-Narbe habe ich mir bestrahlen lassen ohne Rücksicht auf Verluste. Sieben Wochen lang jeden Tag. Meine ganze Haut war verbrannt. Was tut man nicht für die Chance den Krebs zu besiegen?
Ende Januar war ich fertig mit der Therapie. Ich wollte noch eine Absicherung. Noch eine Therapie, damit der Krebs nicht wieder kommt, aber soweit bin ich nicht gekommen. Schon war er wieder da.
Das alles ist ein unglaubliches emotionales auf und ab und ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, dass meine Schmerzen eine andere Erklärung haben, dass ich ein Wunder erlebe und nach dem Ende meiner Therapie für immer Krebsfrei bleibe. Und doch liege ich heute hier auf dem Sofa und weine.
Ich kann nicht mehr!
Wie lange kann man sich immer wieder KO schlagen lassen bis man keine Kraft mehr hat aufzustehen?
Woher kann ich die Kraft nehmen all die Schmerzen, die Übelkeit und die Hilflosigkeit zu ertragen und die Woche drauf einfach wieder ins Krankenhaus zu gehen und mir die nächste Dosis Gift geben zu lassen, auf das es von vorne beginne?
Ich bin stark. Wirklich. Aber rein körperlich geht mir gerade die Kraft aus.
Ich war gerade auf der Bank. Ich wollte meine Adresse ändern lassen. Das geht leider nicht telefonisch.
Die Frau am Schalter hat gearbeitet wie in Zeitlupe. Ich stand da und sah zu wie sie in aller Seelenruhe fünf Minuten an ihrem PC rumtippte. Fünf Minuten. Ich kann keine fünf Minuten stehen.
Mir brach der Schweiß aus und mein Sichtfeld zog sich zusammen.
Ich hätte sie gerne angeschrien. Was sie sich denkt, hätte ich sie gerne gefragt, wie man so langsam arbeiten kann, hätte ich gerne gewusst und ob sie nicht sieht, dass ich nicht mehr stehen kann.
Aber sie kann nichts dafür. Sie ist vergleichbar alt wie ich. Eine junge gesunde Frau. Fünf Minuten sind für sie nicht viel Zeit. Sie steht sicher jeden Tag viele Stunden an diesem Schalter. Sie hat meine Wut nicht verdient. Meine Wut geht nicht gegen sie, sondern gegen diesen meinen Körper, der mich jeden Tag aufs neue verrät.
Ich musste da raus. Meine neue Adresse bekommt die Bank wann anders.
Ich würde mich gerne zusammenreißen. Ich würde gerne rausgehen, meine Grenzen überwinden und es allen zeigen, aber ich kann nicht mehr. Ich kann mich nicht mehr zusammenreißen, weil mein Körper es nicht mehr hergibt.
Morgen habe ich wieder Chemo. Das wird nicht schlimm. Mein kleinstes Problem.
Ich werde Ärzten begegnen, die sich weigern Chemomedikamente zu bestellen bevor sie persönlich mit mir gesprochen haben, aber wenn sie mit mir sprechen doch nicht zuhören.
Ich werde mich wieder fragen warum. Sie fragen wie es mir geht, aber sie wollen es nicht wissen.
Mir geht es nicht gut.
Mittwochs muss ich Blut abnehmen gehen lassen. Das war mir gestern nicht möglich. Es ging einfach nicht.
Ich habe so starken Durchfall, dass ich mich in kein Auto hätte setzen können und mein Kreislauf hätte das auch nicht mitgemacht.
Was macht man da? Die Ärzte glauben einem das nicht. Unser Gesundheitssystem hat dafür keine Lösung. Wie soll ich denn zum Arzt kommen?
Heute bin ich selbst gefahren. Das war ein Fehler. Ich hätte in meinem Zustand niemals fahren sollen.
Gut, dass nichts passiert ist.
Nächste Woche werde ich wieder ins Auto steigen. Vielleicht wird es mir genauso schlecht gehen. Trotzdem werde ich mich hinters Steuer setzen.
Was ist die Alternative?
Chemo stationär?
In Moment denke ich ernsthaft darüber nach.
Das einzige was für mich ganz sicher keine Alternative ist ist ein Therapieabbruch, eine Therapieunterbrechung oder eine Dosisreduktion. Ich hab nicht bis hier her gekämpft, mit allen Mitteln die ich habe und kenne, um mir jetzt auch nur eine Chance entgehen zu lassen.
Ich bleibe dabei: WENN es eine Möglichkeit gibt zu siegen, dann werde ich siegen!
Mein Text heute ist wirr. Er folgt keinem Ziel, er vermittelt nichts. Ich entschuldige mich dafür.
So sieht es zur Zeit in meinem Kopf aus und deswegen schreibe ich zur Zeit eher nicht viel.
Ich möchte mich ganz ganz herzlich bedanken bei den vielen Menschen, die sich immer wieder bei mir melden, die an mich denken und die mir Kraft wünschen. So viele Menschen, die ich gar nicht kenne. Ihr seid toll!
Wenn ich zur Zeit nicht antworte hat das nichts mit euch zu tun.
Ich freue mich trotzdem über eure Nachrichten und ich werde antworten. Wenn ich es kann.