Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Hinhören statt Reparieren – was wir wirklich brauchen

Eine der großen Erkenntnisse, die ich seit meiner Diagnose gewonnen habe, ist die Unterscheidung zwischen meinen eigenen Bedürfnissen und denen anderer.

Fragt jemand nach, wie es mir geht – aus wahrer Fürsorge oder nur, um seine Neugier zu befriedigen? Es gibt Menschen, die sich vom Leid anziehen lassen, nicht um zu helfen, sondern um ihren eigenen Sensationshunger zu stillen. Zum Glück habe ich nicht oft mit solchen „Grieftourists“ zu tun gehabt, denn es ist unglaublich verletzend.

Noch belastender waren jedoch die vielen ungefragten Ratschläge, die ich vor allem am Anfang bekommen habe. Mehrmals schickte man mir seitenlange Texte, meist über Zucker und wie sehr er angeblich den Krebs befeuere. Das hat mich jedes Mal tief getroffen. Was soll ich mit so etwas anfangen? Obwohl ich die Unsinnigkeit dieser Artikel verstand, blieb doch immer ein leiser Zweifel zurück – und mit ihm eine unterschwellige Schuld: „Hier ist die Lösung für deinen Krebs – wenn er nicht weggeht, hast du eben nicht genug gekämpft!“

Es ist gar nicht so einfach, im Kontakt mit anderen pur im Sinne des Gegenübers zu kommunizieren.

Ob es nun um dramatische Themen wie Krankheit geht oder um alltägliche Herausforderungen: Es erfordert Mut und Achtsamkeit, wirklich verstehen zu wollen, wie der andere fühlt und erlebt. Unsere Kultur legt jedoch oft Wert darauf, Probleme schnell zu lösen. Das macht es für viele Menschen schwierig, einfach zuzuhören, im Moment zu bleiben und auszuhalten, dass sie nichts „reparieren“ können.

Stattdessen entsteht ein reflexartiges Bedürfnis, Ratschläge zu geben, Meinungen aufzudrängen oder abzulenken – nicht selten, um die eigene Hilflosigkeit zu überspielen. Doch wer wirklich in Verbindung gehen möchte, lässt auch Schmerz zu. Er bleibt präsent, mitfühlend und hält die unangenehmen Gefühle aus.

Nur wenn ich spüre, dass mein Gegenüber dazu bereit ist, fühle ich mich wirklich verstanden und geborgen.

Hier darf ich den Raum einnehmen, mich zeigen, ohne bewertet oder belehrt zu werden. Und auch nur hier werde ich aufrichtig umarmt und getröstet.

Mir ist in letzter Zeit auch oft aufgefallen, dass ich selbst in Gesprächen automatisch anfange, nach Lösungen zu suchen, wenn mir jemand von einer schwierigen Situation erzählt. Ich möchte der Person helfen! Aber das ist oft nicht das, was gebraucht wird. Wenn wir unser Leid teilen, wollen wir gehört und verstanden werden. Wir brauchen jemanden, der uns urteilslos zuhört und unser Erleben anerkennt.

Celine Leboutte Priscilla Du Preez LosXDrXUMF Unsplash

Es gibt kein allgemeingültiges Rezept.

Oft reicht es, zu signalisieren: „Ich bin da. Ich halte das mit dir aus.“ Fragen wie „Wie geht es dir damit?“ oder „Was macht das mit dir?“ können helfen, auf eine tiefere Ebene zu gelangen, ohne die Person zu pushen.

Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass auch unsere Energie begrenzt ist.

Bevor wir ein solches emotionales Engagement eingehen, müssen wir uns fragen:

  1. Habe ich gerade die Ressourcen, diesen Raum zu halten?
  2. Bin ich bereit, der anderen Person diesen Raum zu geben?

Es ist okay, Grenzen zu setzen – auch für die eigene mentale Gesundheit. Ich habe gelernt, Gespräche freundlich, aber bestimmt zu beenden, wenn sie mir zu viel werden, z. B. mit: „Danke, dass du nachfragst, aber ich möchte gerade nicht darüber sprechen.“

Echte Verbindung entsteht, wenn wir aufhören, perfekte Antworten zu suchen, und stattdessen einfach da sind.

Manchmal genügt es, einem anderen Menschen die Hand zu reichen und ihm zu zeigen: Ich bin da.

Hinhören statt Reparieren – was wir wirklich brauchen

Fotos: Priscilla Du Preez

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