Krebs – Liebe – Punkt NULL
Einmal Krebsblog, immer Krebsblog?
„Annette, warum bloggst du eigentlich immer noch? Du bist doch krebsfrei.“ – Du, sag doch mal. Findest du nicht jetzt reicht es mit dem Schreiben über deinen Krebs?“ – „Ganz ehrlich, nervt es dich nicht, wenn dir ständig jemand deine Krebsgeschichte erzählt?“
Immer wieder höre ich solche Sätze. Und im letzten Jahr war ich tatsächlich etwas ratlos. Ich habe viel über meinen Blog und meine Krebsaktivitäten nachgedacht. Hab eine Instagram-Pause gemacht und auch auf dem Blog hier einen Stopp eingelegt.
Während ich auf Instagram und Facebook mit kürzeren Texten regelmäßig aus meinem Leben erzählte, blieb es hier auf dem Blog lange Zeit ruhig, was meine Gedanken und Erlebnissea anbelangte. Ich ließ lieber neue Interviewpartner*innen für “Annette fragt” zu Wort kommen.
In diesem Blogtext teile ich meine wirren Gedanken mit euch, berichte, warum ich zurückgekommen bin und auch nach 95 Blogtexten nicht zu stoppen bin.
Krebsbloggerin: Mein dritter Job?
Vor drei Jahren noch war ich eine ganz normale Frau („Normal“ lasse ich an dieser Stelle einfach mal undefiniert so stehen;)…). Arbeitete mit Grundschulkids und schrieb pädagogische Ratgeber, kümmerte mich um meine Goldschätze, schmiss den Haushalt, wuppte unseren Familienalltag und war zufrieden in meiner kleinen Welt. Lebte das ganze normale Leben, bis meine Krebsdiagnose kam.
Ich erlebte meine Erkrankung während der Lockdownzeit. Da war nichts mit Selbsthilfegruppentreffen und Gesprächen mit anderen Patient*innen, die neben mir ihre Chemo bekamen oder auf ihre Bestrahlung warteten. Es herrschten Abstandsregeln und Maskenpflicht. Trost, Halt und Verständnis fand ich beim Lesen von Krebsblogs, beim Hören von Podcasts und Lesen von Krebs-Büchern.
Und dann irgendwann in einem ganz tiefen Chemotal – die Nase hörte nicht mehr auf zu bluten, der Körper war sehr müde, mein Geist sehr dunkel – stolperte ich über die Kurvenkratzer-Webseite, fand den Bloggerbereich und wurde von ihrem „Mit ein paar Klicks hast du deinen Blog“ wie magisch angezogen. Wie es genau dazu kam, habe ich in einem meiern ersten Blogtexte mal ganz ausführlich beschrieben. An dieser Stelle erneut ein dickes, dickes Dankeschön an meine ehemalige Hebamme und in-die-Bloggerwelt-Hineinschubserin Steffi Z.
Von einem Tag auf den anderen hatte ich also einen Blog. War eine Bloggerin.
Was ist denn bitteschön ein/e Blogger*in?
Dies ist laut Definition bei Wikipedia und Konsortien eine Person, die im Internet (auf einer (eigenen) Homepage oder auf einem Social-Media-Profil) Texte zu einem speziellen Thema schreibt und veröffentlicht. Blog-Klassiker-Themen sind Fashion (Mode), Food (Nahrung), Travel (Reisen), Erziehung und Lifestyle oder auch Gesundheit, darunter reihe ich jetzt auch mal mein Krebs-Thema ein.
Viele Blogs sind auch sowas wie Online-Tagebücher, auf denen Leute über ihre Weltreise, ihre Schwangerschaft oder einen Auslandaufenthalt im Rahmen ihres Studiums o.ä. berichten (so hat zB. einer meiner Neffen uns als Familie z.B. an seinem USA-HIghschool-Jahr teilhaben lassen).
Diejenigen Personen, die sich für das Thema interessieren, finden über Suchmaschinen, das Teilen der Adresse und Verlinkungen auf anderen Blogs und Profilen zum Blog.
Bloggen ist mittlerweile ein erprobtes Geschäftsmodell, um online Geld zu verdienen. Und ja, es gibt tatsächlich Menschen, die zu 100% vom Bloggen leben. Zu diesen gehören die meisten Krebsblogger*innen, denen ich folge und/oder mittlerweile auch kenne, und ich selbst definitiv nicht. Zwar verdient die eine oder der andere sich ab und an ein kleines Zubrot durch eine Kooperation. Aber die allerallermeisten Krebsblogger*innen leben nicht vom Bloggen, sondern von ihrem Brotjob. Ich bin weder bezahlte Redakteurin beim Kurvenkratzer-Magazin (auch wenn mir dieser Beruf schon mehrmals angedichtet wurde) noch bringt mir der Blog, auf dem du dich gerade befindest, einen Nebenverdienst ein.
Warum mache ich es dann? Um diese Frage drehen sich die folgenden Zeilen meines Textes. Begleite mich gern bei der Antwortsuche…
Dass ich 94 Texte nach meiner Hauruck-Blog-Einrichte-Aktion mit wilder Frisur und ohne Port, mit ein paar seelischen und körperlichen Narben und einigen Tattoos mehr noch immer blogge, hatte ich nie bewusst auf dem Schirm.
Schließlich wollte ich damals einfach nur ein paar Gedanken loswerden und dann wieder in der normalen Welt versinken. Deshalb auch das komische Kürzel „Eulenspiegel“ in meiner Webadresse, mit dem ich mich an dem Hinweis der Kurvenkratzer zum Einrichten eines Blogs orientierte: „Wenn du unter gar keinen Umständen möchtest, dass dein richtiger Name im Kontext mit Krebs im Internet auftaucht, verwende bitte bereits im Anmeldeformular ein Pseudonym.“
So also mein Plan…. Allerdings hatte ich irgendwie immer noch neue Themen, über die ich schreiben wollte, Sachen, von denen ich erzählen wollte, Ideen, die aufploppten und in Worte gefasst werden wollten. In meinem Leben nach Krebs tat sich so unendlich viel, was ich nicht einfach unbeschrieben sein lassen konnte.
Und ja, als Eulenspiegel kennt mich keine/r von euch Blogleser*innen und Instagramfollower*innn. Nein, Immer echter Name „Annette Holl“ ist mittlerweile im Internet an vielen Stellen im krebsigen Kontext zu finden. Und das ist für mich ja auch absolut und total ok.
Mittlerweile geht es in meinem Texten längst nicht mehr nur um mein eigenes Schicksal, um meinen Umgang mit der Krebserkrankung, um meine eigenen Erlebnisse in Arztpraxen und Wartezimmern, um meine Erfahrungen mit Medikamenten. Nein, es geht auch um größere Themen wie Angstbewältigung, Selbsthilfe, Patient Advocacy.
Tja, wie es dann im Leben nun mal so läuft. Das eine führt zum nächsten und das dann direkt zum übernächsten. So kam ich dann von meinem Blog in ein paar Podcasts, in die örtliche Zeitungsartikel, mit meiner Geschichte in ein Buch. Außerdem stolperte ich immer mehr in die Social-Media-Krebsbubble hinein. Anstatt wie früher Plätzchen-Back- und Hausbau-Fotos und ab und zu ein paar Sätzen über Kindergeburtstage und Familienurlaube auf Facebook zu posten, gab es immer persönlicher und auch längere werdende Beiträge über mein Leben mit und nach Krebs auf Instagram.
Mit einem weiteren Stolperer landete ich dann auch noch in der Selbsthilfe im echten Leben. „Jung und Krebs Team Wutachtal“, gemeinsam rocken wir die guten und die schlechten Zeiten!
Und mit einem allerletzten Stolperer durch eine Anfrage der lieben Kirsten, die mich gerne für einen Artikel auf ihrer Herzwiese gewinnen wollte, entstand ganz plötzlich die Idee für meine Interviewreihe „Annette fragt…“, für die ich mittlerweile 31 zauberhafte Menschen gewinnen konnte, dir mir und euch Leserinnen und Lesern da draußen ihre Krebsgeschichten erzählen.
Ach ja, ein paar Bücher, die mich während meiner Krebsreise begleitet haben stolperte ich in meiner Reihe „„Annettes Krebsbestsellerliste“ auch noch auf meinen Blog.
Mit der Zeit entstand also inmitten meines Lebens ein richtiger Krebsbloggerinnen-Selbsthilfe-Kosmos. Der immer weiter wurde. Immer öffentlicher wurde. Es mehrten sich Anfragen, ob ich nicht Lust hätte, hier mitzumachen, da zu rezensieren, mich dort zu zeigen, da drüben zu interviewen oder da hinten mitzuschreiben. Ich bekam immer mehr Nachrichten, Emails und Kommentare von Betroffenen, die mir ihre Geschichten erzähle. Ich nahm jede einzelne ernst und beantwortete sie.
Das Ganze entwickelte sich mehr und mehr zu einem sehr zeitintensiven Nebenjob. Der auf Kosten meiner eigenen Zeit ging. Auf Kosten meiner eigenen Nerven. Die manchmal ganz schön beansprucht wurden. Wenn beispielsweise das Textprogramm oder die Bildbearbeitung nicht so wollte wie ich. Wenn das Internet muckte und vermeintliche hochgeladene Dinge plötzlich weg waren. Wenn Kritik von außen kam. Wenn ich mich mit einer Idee verzettelte und Stunde um Stunde verging wie im Flug. Wenn mir im echten Leben völlig unbekannte Personen ungefragt seltsame Anfragen schicken oder unfreundliche Kommentare hinterlassen.
Irgendwann fragte ich mich: „Warum tust du dir das eigentlich an?“ und “Warum bloggst du noch?”
Man kann nicht alles machen
Keine Frage: Ich war mehr als dankbar, im Schreiben und Reden über meine Erkrankung, meine Ventile gefunden zu haben. Es war wundervoll, dass ich damit anderen Betroffenen Zuspruch geben und Mut machen kann. All das geschieht bis dahin auch aus vollster Herzensüberzeugung.
Auch empfand ich es als wunderschön, immer mehr in den Austausch mit dir, liebe Leserin und lieber Leser da draußen auf Social Media und hier auf dem Blog zu kommmen. Ich wurde wohl für die eine oder den anderen zu einer „virtuellen Freundin“, die mir ihr Herz ausschütteten, mich um Rat baten oder mir einfach sagten, dass meine Texte ihnen guttaten. Wow.
All das wollte ich auf keinen Fall missen. Es fühlte sich richtig an. Also packte hier noch eine Teilnahme am Patient*innentag in einem Klinikum, dort noch ein Interview obendrauf und hatte den Anspruch an mich, regelmäßige Posts zu veröffentlichen.
Das alles tat mir doch gut. Tat doch anderen gut.
Ich konnte doch gar nicht anders, ich musste doch weitermachen, oder? Schon lustig, wie schnell man doch selbst seine tollsten Ratschläge vergisst, die man seinen Leserinnen und Lesern so gibt. Oder wie war das noch mit dem „müssen“, dem ich in einem Blogtext den Platztausch mit den viel schöneren und sanfteren und per se achtsameren Modalverben „sollen“ und noch besser „dürfen“ vorschlug.
Letztes Jahr im Frühjahr dann stand ich dann allerdings recht erschöpft da. Der Familienalltag mit Streitereien, Infekten, Geburtstagsfeiern und Co. forderte seinen Tribut. Meinen Brotjob, also der, der mir tatsächlich Geld aufs Bankkonto bringt, gab es auch noch.
Außerdem steckte ich in einem Ratgeber-Manuskript. Zur Nachsorge, Lymphdrainage und sonstigen Arztterminen ging es zwischendurch. Passte schon alles irgendwie.
Ich wirbelte also zwischen der Herzensgang, meinen zwei Jobs und tausend Projekten hin und her. Obendrauf kam dann noch eine – quasi seit der Geburt des Kerls schon angeteaserte, in den Monaten zuvor gut geplante und dann doch ganz plötzlich dagewesene – Operation des Mittelstürmers. Die ging mit einem einwöchigen Klinikaufenhalt und für mich mit unerwartetem Flashback in meine Chemo-Klinik-Ärzt*innen-Lebensphase einherging und mich emotional ganz schön forderte.
Ich wusste, ich sollte schleunigst etwas tun, um zur Ruhe zu kommen. Und zwar am besten gar nichts. Da das im laufenden Alltagsgeschäft schwer möglich ist, wählte ich den Part meines Lebens, den ich am leichtesten von heute auf morgen bremsen konnte.
Und so machte ich eine ganze Weile eine Weile Story-Stopp, Instagram- und Facebookbreak und Blogpause. Während einer digitalen Detosphase wollte ich nachdenken. Manches überdenken. Und vorallem an mich denken.
(Einschub: Es ist alles tiptopp gelaufen, der Eingriff war absolut notwendig und dem Mittelstürmer geht es körperlich besser denn je. Lediglich die seelischen Qualen eines Teenagers konnte ihm auch Prof. Dr. M. am Schwarzwald-Baar-Klinikum nicht nehmen…).
Unterwegs auf der Lebensautobahn
Der Rückzug aus der Social-Media-Welt tat mir gut. Ich wurde langsamer. Hörte Podcasts. Las Bücher. Ging ins echte Gespräch. Verbrachte Zeit mit meiner Familie. Hatte jeden Tag ein paar Minuten mehr Zeit, weil ich nicht hier „noch schnell eine Insta-Story“ oder da „noch kurz ein nettes Foto für einen Post“ machte.
Als ich dann irgendwann nur noch Schrittgeschwindigkeit fuhr, kamen auf beiden Straßenseiten meines Lebens, im Gegenverkehr und von hinten, die Zeichen des Universums.
Da gab es Verlagsanfragen. Aktionen der Selbsthilfegruppe. Schulprojekte. Private Nachrichten aus der Krebsblase. Ich registrierte das alles, ließ es aber ohne Wertung an mir vorbeiziehen.
Denn es kamen auch Zweifel hinzu. War mein Content überhaupt nutwertig? Oder wiederhole ich damit eigentlich nicht nur das, was andere Krebsblogger*innen schon beschrieben haben? In Momenten, in denen mein innerer Kritiker ganz laut war, beantworte ich diese Frage natürlich noch in potenzierter Form: „Deine Themen wurden alle schon beschrieben. Und von der oder der oder dem oder dem sogar noch viel besser.“ Und deine Interviews sind ja ganz nett, aber reichten die zig anderen tollen Podcasts und Interviews zum Thema Krebs nicht eigentlich aus?“
Kurzum: Brauchte ich meinen Blog? Brauchte die Welt die Bloggerin Annette Holl?
Kurzzeitig poppte ein „Nein!“ auf. Denn während meiner Fahrt fernab von Instagram und Co. inmitten meines alltäglichen Lebens hatte ich erfreulicherweise ein ganzes Stück Krebs verloren und mein Geist war nicht mehr ganz so trüb, nicht mehr ganz so schwer. So konnte ich im Fehmarn-Urlaub über eine Schaufel in Hummerform lachen und sie dem Goldkind sogar kaufen anstatt sie entgeistert anzuschauen.
War ich also drei Jahre nach meiner Brustkrebsdiagnose war ich also tatsächlich in meinem stinknormalen Familien-Alltags-Arbeitsleben mit Nervenkitzel, Streitpotential und Stressfaktor. nach Krebs angekommen?
Möglicherweise sogar in einem Leben ohne Krebs? Die Nachsorgeabstände sind größer geworden. Ich setze nicht jedes Rezidiv und jede Neuerkrankung direkt in Verbindung mit mir (Nach dem Motto: „Wenn es der heute so geht, dann bin ich ja wohl die nächste.“) Das Wort „krebsfrei“ gehörte nun seit längerer Zeit in meinen persönlichen und gültigen Adjektivwortschatz.
Vielleicht war jetzt einfach “Ende-Gelände” mit dem Krebsblog? Vielleicht sollte ich mich wieder voll reinstürzen ins alte Annette-Leben? Da war doch vieles richtig geil. Warum den Krebs weiterhin dabeihaben wollen? Warum immer wieder über dieses Thema reden, schreiben, andere Geschichten anhören?
Mein Kopf und mein Herz waren sich eine Zeitlang uneins. Meine Fahrt durch mein Leben und in mich hinein fühlte sich eine Zeitlang nicht richtig, aber auch nicht falsch. Sie erinnerte mich an Schnee im Sommer.Irgendwie spannend, aber irgendwie auch seltsam und so gar nicht passend. Aber insgesamt nicht schlecht.
Die Fahrt hatte was von Wohlschmerz, den ich bei Massagen oft verspüre. War jetzt der Moment gekommen, an dem ich den Anfangssplan vom Offline-Stellen meines Blogs, wenn ich genug davon hätte, umsetzen würde?
In der Social-Media-Stille und in der Langsamkeit und den gedehnten Sommerferientagenkam mir dann die Erkenntnis.
Aha, jetzt hat sie´s…
Nach meiner Erkrankung war da wohl ein innerer Drang, mein Leben in Gänze auskosten. Zu tief saß die Angst vor einem Rezidiv oder einer Neuerkrankung. Und obwohl bei mir mit Familie, Arbeit, Haushalt und Freizeit schon sehr viel los war, wollte ich von allem noch mehr. Nach dem Motto „Mein Leben ist (möglicherweise) kurz, deshalb will ich mehr davon als bisher.“
Also Krebsbloggerin sein. Direkt nach der Akuttherapie wieder in die Schule zurück. Wieder als seriöse Autorin schreiben. Zugleich jagte ich ständig nach dem perfekten Moment, rannte dem besten Foto und der coolsten Aktion hinterher.
Mein pralles neues altes Leben lief in Höchstgeschwindigkeit. Ich wollte möglichst viel in kurzer Zeit erleben, möglichst viel in kurzer Zeit tun. Und recht lange fühlte sich das auch richtig an. Gehörte das Bloggen für mich dazu, um im Gleichgewicht zu sein.
Dann – in der Social-Media-Stille und der Urlaubsruhe auf Fehmarn wurde mir klar, dass meine Tage hier auf Erden nicht durch mehr Aufgaben, Tatendrang und Geschwindigkeit lebenswerter werden würden. Nein! Dieses Tempo und diese Aufgabendichte würde ich unmöglich aufrechterhalten können. Das alles würde mich über kurz oder lang aus der Bahn hauen oder gar in einen seelischen Unfall verstricken.
So verdreht sich der Gedanke auch anhört: „Das Mehr“ steckte vielleicht eigentlich im „Weniger“? Also weniger oder vielleicht sogar überhaupt nicht mehr bloggen?
Leicht verwirrt von dem Gedanken, setzte ich meinen Weg fort. Ich geriet auf die linke Fahrbahnseite. So ganz überzeugt war ich von dieser weniger-ist-mehr-Theorie irgendwie doch nicht…. Mein Bauch rumorte…
Zum Glück tauchte am Straßenrand ein Straßenschild in Form eines Buches auf.
Da waren zum einen die „50 Sätze, die das Leben leichter machen: Ein Kompass für mehr innere Souveränität“ von Karin Kuschik. Einer davon tat es mir besonders an: „Ersetze jedes zweifelnde „Ich weiß nicht“ durch ein klares NEIN.”
Laut Meinung der Autorin würde dies mein Gedankenkarussell sofort stoppen. Und es dann es dann im Nachgang in Schwung zu bringen. Denn das Aushalten der Konsequenz des Neins – also in meinem Fall des Nicht-Bloggens und auf Instagram-Aktivseins – würde Gefühle provozieren. Entweder würde ich Zufriedenheit oder Widerwille über meine Entscheidung und deren Folgen verspüren.
Und, was soll ich sagen, genau das geschah: Indem ich in mich hineinspürte, wie es sich anfühlte, dass ich nicht mehr bloggte, erkannte ich, dass ich nicht aufhören wollte. Aber dass ich fortan etwas langsamer unterwegs sein würde.
Mir war jetzt klar, dass ich sowieso nicht alle Ausfahrten, die das Universum mir Leben mir bot, gleichzeitig nehmen konnte. Und das das doch eigentlich auch gar nicht nötig war. Schließlich hatte ich ja was meine Krebsbloggerei anbelangte, weder vertragliche Verpflichtungen noch Abgabedeadlines wie bei meinen Autorensachen, hatte weder feste Arbeitstage noch fixe Konferenztermine, auch gab es keinen Redaktionsplan zu beachten oder eine Mindestanzahl an Interviews herauszugeben. Auch gab mir keine Redakteur*in irgendwelche Schreibstilanregungen, bestimmte Grafikwünsche und schon gar keine bestimmte Zeichenzahlvorgabe.
Nein! Ich war es, die entschied, wann ich etwas posten wollte. Ich war es, die Texte über die Themen schrieb, die ihr wichtig waren. Ich hatte es in der Hand, wie schnell ich auf eine Nachricht antwortete. Keine/r trieb mich zu etwas. Keine/r verlangte etwas von mir. Einzig ich war die Blogchefin.
Ich kam zurück auf die richtige Fahrbahnseite zurück und fand meine eigene Spur wieder.
Mein Langsamer- und Leiserwerden, mein in-mich-Gehen und zu-mir-Kommen ließen mein Herz tanzen und mich wieder klarer sehen. Ja, ich wage zu behaupten, dass ich plötzlich den Durchblick hatte.
Die Straße verengte sich und es wurde Zeit für mich, anzukommen. Also stoppte ich. Machte das Radio aus. Hörte auf mein Herz.
Bloggst du noch oder lebst du schon?
Mir wurde klar, dass ich nicht ohne meinen Blog sein wollte und konnte. In meinem Kopf schrieben sich Texte quasi wie von selbst. Formten sich Gedanken zu grammatikalisch richtigen Sätzen. Begann ich unbewusst mit Themensammlungen für zukünftige Blogtexte.
Wer nun glaubt, dass ich ein Gutmensch bin, eine Person mit großem Sendungsbewusstsein, eine Frau, die an andere denkt, dann irrt die- oder derjenige sich gewaltig.
Bloggen ist nicht uneigennützige Hilfe für andere, sondern auch ganz eigennützige Hilfe für die Bloggerin oder den Blogger selbst. Ich bin keine Heldin, die alles im Griff hat, weil sie ja für andere bloggt. Ich bin eine ehemals selbst Betroffene, die den Drang hat, viel und viel und wohl noch viel mehr zu schreiben. Schon immer. Und seit der Erkrankung noch viel mehr.
Der Krebs gehört auf immer zu mir. Ich münze seine Kraft aber um. Er dient mir nun als Motivator für mein Engagement in der Selbsthilfe. Als Ideengeber für neue Texte auf meinem Blog. Als Thema für neue Interviews.
Ich blogge, weil ich gerne schreibe, schon immer. Weil es mir gut tut. Mir geholfen hat, als es mir ganz schlecht ging. Mir hilft, wenn mein Kopf zu voll und meine Gedanken zu schwer sind.
Ein weiteres Bücher-Schild am Straßenrand, half mir dabei, das zu kapieren. Der zauberhafte Mini-Ratgeber in Romanform „Zweifellos du“, zeigte mir, dass das Leben, von dem wir alle träumen, gar nicht so weit entfernt ist, wenn wir der Stimme unseres Herzens vertrauen
Ich bin mir sicher: Schreiben hilft. Mir und dir, liebe Leserin und lieber Leser. Schreiben heilt. Mich und dich, liebe Leserin und lieber Leserin. Das nennt man wohl echtes Win-Win. Bloggen ist Leben für mich.
Ob die Welt meinen Blog braucht, weiß ich nicht. Aber dass ich das Bloggen auf Instagram und hier bei den Kurvenkratzern brauche, auch wenn es mir finanziell nichts einbringt, auch wenn es mir Zeit nimmt und auch wenn manche in meinem Umfeld es nicht verstehen können („Lass den Krebs doch endlich los!“), wurde mir bewusster, je mehr ich versuchte, es sein zu lassen.
Zunächst einmal ist es wohl schlicht und ergreifend so: Ich blogge, weil ich gerne blogge. Punkt.
Der absolute Wahnsinn dabei ist: Ich erreiche mit meinen Aktivitäten auf Social Media und dem Blog immer mehr Menschen. Erhalte immer mehr Nachrichten, habe immer mehr persönliche Kontakte mit Leuten aus der Online-Krebs-Bubble.
Ja, es gibt tatsächlich Menschen da draußen, die sich für mich, für das, was ich schreibe, interessieren, meine Texte gerne lesen und meine Blogadresse teilen. Ich scheine also nicht nur gerne, sondern auch so zu bloggen, dass ich andere damit wirklich erreichen und ihnen gut tun kann. Das ist doch Grund genug, meine Schreibgabe einzusetzen, meine Zeit aufzuwenden und meine Kraft zu investieren, oder?
Egal, wie viele Krebsbloggerinnen und -blogger es auch gibt. Egal, ob ich nun zehn, hundert oder tausend Follower*innen habe. Ich bin die, die es nur einmal gibt. Und ganz bestimmt bin ich mit meiner Geschichte und meinem Schreibstil die einzig richtige für meine zehn, hundert oder tausend Leser*innen. Vielleiht auch für dich oder dich oder auch dich. Danke, liebe Martina, dass ich mit deiner Hilfe meinen inneren Kritiker in eine Seitenstraße schicken konnte.
Ich kann mit meiner Geschichte akut Betroffene ermutigen und trösten: Krebs bedeutet nicht zwangsläufig den sofortigen Tod. Und im Leben nach Krebs ist irgendwann auch wieder spielerische Leichtigkeit und sogar lautes Lachen und das Ärgern über den nicht abgeräuten Frühstückstisch möglich.
Ja, ich weiß, ganz so einfach ist es nicht… Dieser Weg ist nicht jeder/m von euch da draußen vergönnt… Vielleicht hat gerade eine Krebsdiagnose nach dir gegriffen. Möglicherweise hat der Krebs seine Scheren so tief in dich oder einen deiner Liebsten hineingedrückt, dass es zu Ende geht. Womöglich schnappt auch mal ein Rezidiv nach mir.
Deshalb habe ich den Radius hier auf dem Blog auch vergrößert. Lasse mit meinen Interviews andere Geschichten herein, hole mir bei anderen Betroffenen Informationen und Antworten auf Fragen, die ich selbst nicht beantworten kann, weil ich sie nicht erlebt habe.
Vielleicht sind meine Texte irgendwann einmal auch nicht mehr die passenden für dich, liebe Leserin und lieber Leser. Weil sich deine eigene Geschichte ändert. Weil dir ein/e andere Blogger/in von der Art her mehr zusagt. Weil dich andere Themen mehr interessieren. Ok, so what! Dann wechselst du eben deine Blogbase. Findest auf einem anderen Blog geeignetere Zeilen, einen besser in deine Lebenssituation passende/n Blogger/in.
Das ist völlig in Ordnung. Dann bin ich dankbar dafür, dich bis zu deinem Platzwechsel hier auf meinem Blog zu Gast gehabt zu haben. Dafür, dass ich dich auf einem Stück deines Weges begleiten durfte, dir Mut machen, Hoffnung geben, Zuversicht schenken, ein Lächeln ins Gesicht zaubern und vielleicht ab und zu auch ein Tränchen entlocken konnte.
Viel mehr braucht eine Schreiberinnenseele nicht!
Macht Annette jetzt einen auf Influencerin?
Wisst ihr, aktuell bekomme ich Anfragen von Verlagen, die sich für meine Ratgeber interessieren, mich gern als Autorin hätten. Angebote für Kooperationen. Ich mache Werbung für die Influcancer, eine Online-Krebs-Kongress. Meine Follower*innenzahl auf Instagram steigt. Meine Bücher verkaufen sich besser (was weiterhin keine Millionärin aus mir macht). In der Schule tut sich was.
„Aha, wusste ich es doch!“, unken nun sicherlich die ersten unter euch. „Es geht also auch der Annette um die Außenwirkung. Um eine größere Reichweite. Schlussendlich wohl auch ums Geld.“ Hm, was soll ich sagen. Es wäre gelogen, wenn ich verneinen würde, dass dies meinem Ego schmeichelt. Ja, ich freue mich, dass sich durch meinen gestiegenen Bekanntheitsgrad ein paar Schalter umlegen für mich.
Liebe Leser, lieber Leser, sei unbesorgt: Es ging und geht mir – wie Mark Forster mit zwei andren coolen Typen in seinem Song „Cola in den Pétrus“ singt, mit meiner Bloggerei nie um „den Fame“. Aber anders ales früher sage ich nicht beschämt „Nein“ oder „Das können andere doch viel besser“. Nein! Ich sag mir: „Ich bin durch eine heftige Herausforderung gegangen. Und wnn sich t durch den Krebsmist nun positive Lebenswendungen für mich auftun, dann „nehm ich mir einfach, was mir zusteht“ nach der ganzen „Chemo-Bestrahlungs-verfrühte-Wechseljahre-Misere inmitten einer Pandemie mit drei Kindern und sonstigem Schnickschnack.“
Deshalb sage ich dem Universum momentan einfach „Danke, Danke, Merci beaucoup! (Wobei wir schon wieder bei Mark Forster wären… Ein Konzertbesuch mit dem Teeniebesuch wirft seine Schatten voraus. Die Spotify-Playlist läuft rauf und runter). Thank you, weil es mir gerade so viele Möglichkeiten an Land spült. Für den Moment ist mein Leben gut. Sogar sehr gut. Ich erlaube mir, zuversichtlich zu sein. Ich erlaube mir den Gedanken: „Was wäre denn, wenn es für mich gut auseht?“
Ich schütte keine Cola in meinen guten Rotwein, wie das lyrische Ich im Song. Aber ich gebe einem Krebsblog einen Platz in meinem gesunden Leben.
Und dabei „hör ich nicht drauf, was |andere] mir sagen. Am Ende ist es [den meisten ja] doch egal, wo [ich bin], was [ich tu], ob [ich] glücklich bin.“
Aber mir, mir ist es nicht egal! Ich will will träumen. Ich glücklich sein. Und das bin ich nun mal „nicht nur“ als Mama und Partnerin, als Lehrerin und als Autorin. Nein, das bin ich nun neben auch beim mich-Engagieren. Beim lieber-zu-laut-als-zu-leise-über-Krebs-Sprechen. Beim Bloggen.
Aktuell denke ich ganz oft: „Da geht vielleicht noch mehr! Noch ganz viel mehr!“
Und wenn es mir dank diesem „Mehr“ ganz nebenbei gelingt, damit noch mehr Menschen zu erreichen, dann ist das doch super, oder? Dann ist es doch egal, ob ich in meiner Instastory auch mal ein bisschen Werbung mache. Dann ist es doch egal, ob das bei der einen oder anderen für Irritation sorgt.
Wenn sich wegen mir auch nur eine Person abtastet, eine andere sich in ihrem Leid angesprochen fühlt, eine dritte an die 700 000 neuerkrankte Brustkrebspatient*innen jährlich denkt und eine weitere dazu bringe, ihren Krebsvorsorgetermin nicht ausfallen zu lassen, dann reicht das doch schon aus als Begründung dafür aus, warum ich auch im Jahr 4 nach meiner Erkrankung noch blogge.
Leute, ich bin keine Influencerin. Ich bin eine Influcanerin, die dem Krebs ein Gesicht gibt.
Lasst uns Regenbögen schreiben
Ich bin superhappy, mit und durch meinem Blog Teil der Kurvenkratzer-Gang geworden zu sein. Die Leute um Martina Hagspiel machen einen Wahnsinnsjob in Sachen Krebsaufklärung und Patient Advocacy. Und ich darf hier auf der Influcancer-Seite dank der meisten Blogtexte quasi den Titel „Bloggerqueen“ für mich beanspruchen. Eigenlob darf auch mal sein, oder?
Ich bin superhappy, dich und dich und tatsächlich auch noch dich da draußen mit meinen Blogtexten und Instaposts zu erreichen.
Hier auf meinem Blog „Meine Herausforderung“ ist definitiv noch lange kein Ende der Krebsbloggerei in Sicht. Und auch auf Instagram und Facebook werde ich keine Ruhe geben.
Und in den nächsten Tagen werde ich mich für mich und euch sogar noch mehr ins Thema „Schreiben“ hineinbegeben. Ich werde mir auf der Influcancer (neuen) Input zum Thema „Storytelling“ holen. Und eine Woche später geht es bei einem Schreibworkshop mit vielen anderen Jung-und-Krebsler*innen nochmal tief in die Schreibwelt hinein. Ich bin mir sicher, dadurch wird meine Schreiblust noch größer, mein Bloggerinnenherz noch größer und meine Schreibfingerlein noch flinker werden.
Ich wünsche mir von Herzen, euch beim Lesen meiner Texte vor lauter Lachen zum Weinen oder vor lauter Weinen zum Lachen zu bringen.
Und sollten letztere irgendwann doch einmal nicht mehr über die Tastatur meines Laptops hüpfen können, dann gibt es ja noch die Möglichkeit der Spracherkennung. So schnell werdet ihr die Krebsbloggerin Annette Holl nicht los.
Und, wer weiß, vielleicht hab ich dir mit diesem Text ja Lust aufs Erzählen deiner eigenen Krebs-Geschichte gemacht? Dann klick dich doch direkt zum Kurvenkratzer-Blog-Baukasten rüber und leg einfach mal los. Ich würde mich megamäßig freuen, neue Bloggerinnen und Blogger um mich und die anderen Influcancer-Blogger*innen zu scharen.
Ich jedenfalls möchte mit meinen Texten noch ganz, ganz lange Regenbögen in den Köpfen meiner Leser*innen entstehen lassen. Ich glaub, den Offline-Knopf in der Kurvenkratzer-Blogmaske werde ich in diesem Leben nicht drücken.
Und damit bin ich wieder am Ausgangspunkt meines Textes angelangt: „Warum blogge ich?“ „Darum.“
Danke an jede und jeden einzelnen von euch da draußen, die und der meine Zeilen hier liest.