Erleichterung vs. Belastung
Der Krankenhaus-Koller
Irgendwann kommt er, der Krankenhaus Koller. Dieses Mal war ich zu Beginn des Zyklus ja erstmal richtig froh, im Krankenhaus zu sein, dort meine Ruhe zu haben (was Dank Einzelzimmer diesmal auch hervorragend geklappt hat) und wie in meinem Blog zur Konsolidierungsphase erwähnt, ging es mir anfangs ja recht gut, ich war zwischen den Chemos viel Spazieren und bin einfach zur Ruhe gekommen nach den ganzen (körperlich, aber vor allem psychisch) anstrengenden Wochen mit Corona.
Dann kam wie erwartet die Aplasie-Phase und irgendwann – wie eigentlich fast erwartet ein Infekt – an den Tagen habe ich quasi durchgeschlafen…..
Mittwoch war dann definitiv Schluss mit der Ruhe. Von den teuren Midostaurin-Tabletten habe ich wie die letzten beiden Zyklen wieder diese Krämpfe im Allerwertesten bekommen, zusammen mit Magen-Darm-Problemen, Übelkeit – Trotz MCP zur Prophylaxe. Da kann man dann irgendwann nicht mehr sitzen, nicht mehr liegen, nicht mehr stehen…..auf der anderen Seite das absolute Chemo-Brain: null Konzentration – nichtmal fernsehen ging, geschweige denn Lesen oder Schreiben…
Ich wollte einfach nur heim, das Heimweh nach meiner Tochter war unendlich, auch nach dem zu Hause, dem Garten, meinem Mann… ich sag nur viele Tränen. Ich hatte so gehofft, am Freitag heim zu können, dann die Ernüchterung: Bis Montag wollen Sie mich noch dabehalten. Beim Infekt wurden 2 Keime im Blut nachgewiesen, der eine wurde gut behandelt mit dem Antibiotikum, dass ich dann gleich bekommen habe, aber der andere hat sich im Antibiogramm als Resistent erwiesen, deswegen bekomme ich jetzt für ein paar Tage nochmal ein weiteres Antibiotikum, um sicher zu sein. Wenn man das so erklärt bekommt, ist es leichter vernünftig zu sein und zu akzeptieren, dass man noch ein paar Tage durchhalten muss. Schade, dass diese Erklärung erst heute kam – nachdem ich versucht hatte, mit der der Entlassung auf Sonntag zu verhandeln… Wie schonmal gesagt, liebe Ärzt*innen, die das Lesen: nehmt euch ein bisschen mehr Zeit für uns Patient*innen, mal erklären, was genau Sache ist, warum was gemacht wird…. Das hilft uns (mir zumindest…) ungemein…..
Seit heute Morgen ist es etwas besser. Zum einen hilft mir das Wissen, warum noch so lange.
Und dann hab ich noch ein paar andere Sachen ausprobiert – vielleicht hilft die ein oder andere euch ja auch, wenn euch mal der Krankenhauskoller trifft (was ich natürlich nicht hoffe….):
Vor Jahren habe ich mal einen Tai Chi-Kurs gemacht, da haben mit die Grundelemente eigentlich ganz gut gefallen. Das habe ich heute Morgen bei Youtube gegoogelt und ein paar Videos gemacht. Hat tatsächlich was gebracht. Ich habe mit meiner Mama telefoniert. Hat auch was gebracht. Ich habe (eigentlich für meine Tochter….) das „Kleine Buch der Ruhe“ mit der kleinen Raupe Nimmersatt von Eric Carle gekauft. Das hilft tatsächlich auch! Meine Tochter ist ein riesen Fan von der Raupe, ich auch – und wenn einen zum Schluss die Sonne von Eric Carle anlacht (und ich dann an meine Tochter denke – „Nonne!!!!“- Das “S“ kann sie noch nicht, aber sie liebt die Sonne!), dann ist es tatsächlich etwas leichter. Mein Mann kam gestern auf Anruf außerplanmäßig – ein paar Umarmungen helfen enorm – auch wenn ich es gestern noch nicht geschafft hatte, wirklich runterzukommen.
Lange Spaziergänge helfen auch (gut, dass ich die jetzt wieder machen darf, seit ich nicht mehr in der Hygienezone bin -ich hab mich auch direkt danach umgezogen und nach Zecken abgesucht….). Beruhigende Musik – gerade höre ich total gerne Julia Engelmann – Poesiealbum (die hatte vor Jahren mal den Poetry-Slam-Erfolg). Sehr schöne Texte und Melodien 😊 Eines meiner Lieblingslieder: „Bestandaufnahme“ der Text ist einfach gut und passt irgendwie:
https://www.youtube.com/watch?v=idUxAEngvLI
Warum habe ich keine Basecap aufgezogen?
Ich Idiot
So, Bestandsaufnahme Teil eins von drei: was ich nicht hab’
Ich hab’ keine Schokoladenseite, keine Macht
Keine Kneipe, kein Plan B, kein Plan A
Kein Wunschpunkt, wenn ich “Gatsmas” sage
Kein gutes Bauchgefühl, weil ich es mit Hunger verwechsel
Ich hab’ kein Ordnungsempfinden, obwohl ich Ordnung sehr schätze
Ich hab’ kein Swag, kein Sixpack, keine Big Band, Nickname, Big Mac
Ich hab’ keine Straße, kein’ Bezirk, kein’ Block
Bin nicht bei Tinder, hab’ auch sonst nie gevloggt
Ich hatte nie genug Mut, beim Flaschendrehen die Flasche zu drehen
Ich hab’ noch nie Sternschnuppen, nie Glühwürmchen, nie Titanic geseh’n
Ich kann nicht Namedroppen, Partyhoppen
Nicht smaltalken, nicht moonwalken
Ich hab’ kein x-Faktor, egal ist nur ein Wort mit einem x davor
Mein Facebook ist nicht die Chronik von Narnia
Wer weiß, vielleicht hab’ ich kein Karma
Bestandsaufnahme Teil zwei von drei: was ich hab’, aber nicht will
Ich hab’ so bescheuert viel Angst, mich falsch zu entscheiden
Irgendwo wegzugehen, wenn ich mir eigentlich gerade nur wünsche zu bleiben
Angst Fehler zu machen, auch wenn ich weiß, dass sie wichtig sind
Angst zu spät zu bemerken, welche Wege doch richtig sind
Angst davor wie schnell die Zeit vergeht, dass ich sie nicht richtig nutze
Angst, dass ich nicht umsetzen kann, was mir eigentlich lange bewusst ist
Und was ich noch hab’ ist das Gefühl, alle Anderen sind besser
Oder wenigstens etwas, weil ich muss leider ziemlich oft feststellen
Millionäre sind reicher, alte Menschen sind weiser
Luft ist luftiger, leichter, Äpfel fruchtiger, reifer
Das Meer berauschender, Einhörner flauschiger, Kleber klebriger
Bäume sind ewiger, als ich
Und ich mag dich mehr, als du mich
Bestandaufnahme Teil drei von drei: was ich hab’
Ich hab’ so viele Dinge, viel mehr als ich er- und vertrage
Mehr Schmuck als ich eigentlich trage
Und ein Einrad, mit dem ich nie fahre
Ich hab’ Augen, die, was ich betrachte, auch tatsächlich sehen
Und Beine, die stolpern und tanzen oder tatkräftig gehen
Ich hab’ mein Leben, das endlich ist
Und nicht selbstverständlich ist
Eine Seele, vielleicht, auch wenn der Gedanke befremdlich ist
Ich hab’ noch was, das vergesse ich oft
Dann muss ich mich wieder besinnen
Ich habe tausend Gründe zum lachen, bloß einen zum weinen
Und vor allem so viel zu gewinnen
So viel zu gewinnen
Ich bin glücklich
Ich bin glücklich
Und ich weiß, ich hab’ dich nicht, und doch hab’ ich mehr als gedacht
Ich bin glücklich
Jetzt ist es Freitag abend und ich bin viel ruhiger. Kann sogar schreiben. Recht entspannt Musik hören (Julia Engelmann 😉). Was vielleicht zusätzlich noch hilft: die teuren Midostaurin-Tabletten muss ich seit heute Morgen nicht mehr nehmen. Die Krämpfe im Allerwertesten müssten also bald aufhören. Gott sei Dank!