Erleichterung vs. Belastung
Den Krebs in Worte fassen
Durch die Krebserkrankung aus meinem bisherigen Leben gerissen, taumelte ich irgendwie planlos umher. Wie ich mich zunächst durch das Schreiben vom Krebs-Wahnsinn ablenkte, dann durch das Schreiben ganz nah zu mir und dem Krebs kam und warum der Briefträger in einer Nachbargemeinde wegen mir mächtig zu tun hatte, erzähle ich in diesem Text.
Ablenkung durch Schreiben
Bisher tobte ich mich schreiberisch nicht auf einem Blog, sondern in pädagogischen Ratgebern und Artikeln aus. Zum Zeitpunkt meiner Diagnose hatte ich einen Abgabetermin für ein Buchmanuskript, ein anderes Projekt war in Planung und zwei Tage vor meiner Diagnose war tatsächlich die Anfrage eines weiteren Verlages hereingekommen. Für mich war von Anfang an klar, dass ich weiterschreiben würde. Mir war aber auch klar, dass „mein kleiner Brustkrebs“ sicherlich etwas größeren Tumult veranstalten und Zeit in Anspruch nehmen würde, die ich eigentlich für den Schreibtisch eingeplant hatte. Ich entschied, den Redakteurinnen und Redakteuren meiner aktuellen Projekte reinen Wein einzuschenken, auch wenn das vielleicht nicht ganz so professionell rüberkäme. Aber ich hatte das Gefühl, dass mein Privatleben hier durchaus Eintritt ins berufliche Leben halten sollte oder sogar musste.
Ich erhielt durchweg freundliche Antworten und die Rückmeldung, dass mein Verhalten alles andere als unprofessionell sei. So konnten wir Abgabetermine nach hinten verlegen, um mir Zeitpuffer zu verschaffen. Außerdem wurde mir überall signalisiert, dass ich jederzeit „Stopp!“ sagen könnte. Meine Gesundheit stünde über jeglicher Verlagsplanung.
Das war für mich sehr erleichternd. Denn so konnte ich weiterschreiben, hatte aber keinen Zeitdruck und musste vor allem nicht schreiben, wenn ich es gesundheitlich mal nicht auf die Reihe bekomme sollte. Denn ich hatte ja im Vorhinein keine Ahnung davon, wie das Krebskranksein sich bei mir darstellen würde.
Ein herzliches Dankeschön an die Redaktionen vom Lernbiene-, AOL- und Persen-Verlag für das unkomplizierte Miteinander in diesen krebsigen Zeiten!
Zwischen meiner Diagnose und der Brust- und Wächterlymphknotenoperation war ich in einem wahren Schreibflow und kniete mich neben den Staging-Untersuchungen voll in ein Manuskript hinein. Ich schrieb und schrieb und schrieb, ganze 125 Seiten.
War ich auch sonst in diesen Tagen sehr fahrig, unruhig und geistig viel mit dem Krebs und seiner Lebensbedrohlichkeit beschäftigt, in dem Moment, in dem ich mich an meinen Laptop setzte und anfing zu schreiben, war ich ruhig und konzentriert. Rückblickend war das sicherlich Selbstschutz, der mir Halt gegeben hat und mich die alte Normalität spüren ließ. Beim Schreiben konnte ich meine Gedanken fokussieren und war in einer anderen Gedankenwelt, war raus aus der Krebs-Gefahr
Die letzten Überarbeitungen am Manuskript machte ich – nennt es „gestört“ oder „schreibverrückt“ – am Vorabend der Tumorentfernung in meinem Klinikzimmer. Mit einem Gefühl von “Abgehakt und Zeit für Neues.” schickte ich das Manuskript per Email an den Verlag, löschte das Licht und wurde für ein paar Wochen von Beruf ausschließlich “Krebskranke”.
Ich hakte eine Weile später bei der zuständigen Redakteurin nach, ob mein Manuskript halbwegs zu etwas tauge oder ob es eher einer Voll-Krebs-Katastrophe gliche. Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich da tatsächlich kluge und richtige Gedanken in die Tasten gehauen hatte oder doch eher geistig-verwirrte Dinge von mir gelassen hatte. Zum Glück wurde das verneint und der Ratgeber wurde wie geplant im Herbst 2021 veröffentlicht!
Nach den ersten beiden Chemos startete ich nach den Weihnachtsfeiertagen mit einem ganz tollen Buchprojekt, das mir sehr viel bedeutet. Näheres wird hier nicht verraten, nur so viel: Es wird ein bisschen anders werden, als das, was es bisher so von mir gibt. Aber es hat dennoch mit der Schule, dem Lehrerinnensein, aber auch mit mir als Frau Holl persönlich zu tun. Seid gespannt!
Mit Listen die Gedanken sortieren
Neben dem Schreiben am Computer begann ich in den ersten Wochen meiner Krebsreise ein Krebs-Tagebuch zu führen, in das ich ganz bewusst von Hand mit einem extra neu gekauften Füller hineinschrieb. Während ich in der Pubertät sehr regelmäßig meine Gedanken, Sehnsüchte, Ängste und Visionen zu Papier gebracht hatte (Wie viel hat man in dem Alter doch zu sagen!), hatte ich das nun schon ewig nicht mehr gemacht. Nun aber tat es mir sehr gut und war es mir aus einem inneren Impuls heraus wichtig, mich über mich und mein aktuelles Leben auszulassen.
Ich wählte ein Buch, in dem neben leeren Seiten für das freie Notieren von Erlebnissen und Gedanken auch Schreibimpulse zu finden waren. Immer wieder sollte ich Listen schreiben. Das fand ich total klasse, da ich To-Do-Listen schon seit jeher liebte. Sei es bei der Weihnachtsvorbereitung, der Kindergeburtstagsplanung, dem Entrümpeln unseres übervollen Speichers vorm Umzug oder jetzt beim Überdenken meiner Lebenssituation.
Vielleicht hat die eine oder der andere Leser/in Lust, auch ein paar Listen zu machen? Die sind meiner Meinung nach nicht an eine Krebs-Krankheit gebunden, sondern für jederfrau und –mann durchdenkenswert.
Also los, greif zu Stift und zu Papier und fang an, über das ein oder andere nachzudenken!
- Diese Menschen sind mir wichtig…
- Das Leben ist lebenswert, weil…
- Heute ist ein besonderer/ein guter Tag, weil…
- Diese Sprüche/Sprichwörter/Zitate bereiten mir Freude…
- Meine größten Herausforderungen im Leben waren…
- Es tut mir gut, wenn…
- Ich halte mich lieber fern von…
- Andere mögen an mir, dass…
- Darum bin ich ein besonderer Mensch…
- Dinge, die ich ändern möchte….
- Glück bedeutet für mich…
- Ich lobe mich für …
- Ich möchte eine Rede halten über…
- In einem/fünf Jahren möchte ich erreicht haben, dass…
- Ich bin eine Frau/ein Mann, die/der..
- Ich will gesund werden, weil…
Das Untereinanderschreiben und Auflisten meiner Ideen war für mich wohltuend und beruhigend. Das brachte mir so manche gute Erkenntnis darüber, was ich schon erreicht, gesehen und erlebt hatte und positiven Drive, das Kommende anzupacken und durchzustehen. Vielleicht hilft es auch dir?
In einem Buch (Näheres dazu später noch) entdeckte ich die Methode des “Seriellen Schreibens“, die dem Listenschreiben sehr ähnlich ist. Wichtig ist dabei, dass du den Anfang des Satzes beim Schreiben immer wieder wiederholst. Während du nämlich die langweilige Wiederholung schreibst, kann dein Gehirn schon an anderes denken und spielt dir unbewusst zu, wie du den Satz beenden sollst. Ich habe in meiner Aufzählung oben auch ein paar Satzanfänge aus diesem Buch hinzugefügt.
Bei der ersten Chemotherapiesitzung schrieb ich, während die Infusionen in mich hineinlief, den letzten Tagebucheintrag. Danach nahm ich es zwar immer wieder zur Hand und packte es auch regelmäßig in meine Chemo-Tasche ein. Aber irgendwie schaffte ich es nicht mehr, darin weiterzuschreiben. Ob ich es nochmal zur Hand nehmen werde oder die Tagebuchzeit ein Ende gefunden hat, weiß ich noch nicht. (Nachtrag: Ich tat es nicht!)
Handschriftliches ist wertvoll
Ich bin auf Facebooker und Instagram unterwegs, schreibe viele, viele WhatsApps und bin absolute am-Computer-Tipperin, wenn es um meine Ratgeber-, Buch-und Blogtexte geht. Dennoch hat für mich handschriftliche Post nach wie vor einen sehr hohen Stellenwert.
Weihnachtsgrüße per WhatsApp mit einem schon x-mal weitergeleiteten Christmas-Gif? Eine Email zum Geburtstag? Ein Muttertagsgedicht als Facebook-Post? Alles möglich, bei mir müssen es aber echte Karten sein. Auch werden meine Goldschätze regelmäßig von mir dazu „genötigt“, sich mittels einer Karte aus Papier bei den lieben Großeltern oder Paten für Geschenke zu bedanken.
Umgekehrt bekommen meine Drei neben Brot, Gurkenscheibe und Käsestück ab und zu auch ein kleines Brieflein. Da steht nicht mehr, aber auch nicht weniger drauf als “Ich denk´ an dich.”, “Ich wünsche dir viel Glück beim Mathetest.”, “Ich freu mich schon, wenn ich dich beim Mittagessen wieder sehe.” Seit meiner Diagnose haben diese Liebesbotschaften für mein Mamaherz noch eine tieferliegende Bedeutung als bislang. Stichwort “Erinnerungen schaffen.”
Überhaupt steckt für mich hinter jeder Karte und jedem Brief nicht nur der Text. Da nimmt jemand sich bewusst Zeit: für die Auswahl einer Karte, für das Schreiben eines überlegten Textes, für das Frankieren und fürs in-den-Briefkasten-Werfen der Karte. Deshalb geht hier bei uns im Haus der Vorrat an Post- und Grußkarten nie zur Neige.
Ich finde, es gibt genügend Anlässe im Leben, um jemanden zu zeigen, dass man an sie oder ihn denkt. Zoff mit dem Ehemann? Bammel vor der Astrazeneca-Impfung? Stress beim Umzug? Klar, in solchen Fällen greife ich natürlich auch zum Handy und tippe mal eben schnell „Ich denke an dich.“.
Aber das Handschrift-Grüßlein hatte und bekam mit Beginn der Corona-Zeit und seit Beginn der Krebsreise noch mehr Gewicht für mich. Emailpostfächer und WhatsApp-Chats werden im Laufe der Zeit ja doch irgendwann gelöscht. (Oder druckt irgendjemand hier seine Textnachrichten aus?). Die echte Post hingegen kannst du in die Hand nehmen, an die Pinnwand hängen und als Erinnerung aufbewahren. Ich habe tatsächlich mehrere Kisten mit meiner Post im Keller stehen – die sind nicht mal dem Umzugs-Aussortier-Wahn im vorletzten Jahr zum Opfer gefallen, sondern mussten von den fleißigen Möbelpackern herumgeschleppt werden.
Zu Neujahr schrieb ich an verschiedene KrebsreisebegleiterInnen Kärtchen – Danke sagen, kann man schließlich nie genug, oder? Außerdem schickte ich jeder und jedem meiner Schüler/innen eine Postkarte. Das war zwar etwas anstrengender als einfach eine Nachricht an alle über die Schul-App hochzuladen. Aber ich stellte mir jeden einzelnen Hüpfer, den ich so vermisste, und seine großen Augen vor, mit denen sie die Post, die ganz allein an sie oder ihn persönlich adressiert war, aus dem Briefkasten fischen würde. Dafür nahm ich den Schreibkrampf in der rechten Hand gern in Kauf. Das freundliche Feedback vieler Mamas, die sich mit ihren Sprösslingen sehr über die Post der Lehrerin gefreut haben, war die Mühe des Schreibens allemal wert.
Ganz toll ist, dass meine kleine Karte einige der jungen Schreiberlinge dazu animiert hat, mir auch zu schreiben. Ich weiß, dass das für manch eine Erstklässlerin oder manch einen Schüler, der nicht so gerne schreibt, eine supermegaoberhammermäßige Leistung ist. Vielen, vielen Dank für eure Anstrengungen! Seid sicher: Jeder Brief wird aufbewahrt und selbstverständlich auch beantwortet.
Eine meiner beiden Schwestern und ein paar Freundinnen senden mir ab und zu Post im Briefumschlag. Herrlich! So entstand der Begriff der „Ab und zu-Karte“ (siehe Blogtext). Die kommt immer mal wieder, eben „ab und zu“. Meist steht vorne ein schöner Spruch darauf und hinten sind ein paar persönliche Zeilen notiert. Ich stelle diese Karten bei uns auf die Kommode im Wohnbereich und beim Vorbeilaufen erfreuen sie mich immer wieder aufs Neue.
Bitte ihr Lieben, versteht mich nicht falsch: Dieser Text soll kein Aufruf dazu sein, meinen Briefkasten mit Karten zu überfüllen! Er zeigt einfach meinen persönlichen Karten-Spleen. Ich freue mich über jede digitale Nachricht, die ich bekomme. Hört nicht auf, mir Emails zu schreiben oder WhatsApps zu schicken (Vor allem die ganz kurzen am Morgen mit lieben Aufwachgrüßen und guten Wünschen für den Tag.). Ich lese alles und bin happy darüber.
Schreiben ist heilsam
Lange Zeit konnte ich den Krebs-Corona-Schlamassel mit Humor und Sarkasmus ganz gut ertragen. Aber mit der Zeit wurde der Körper schwächer, die Gedanken mürber, die Enge bedrückender, die Psyche hing. Ich bemerkte, dass ich mich nicht mehr richtig auf das Schreiben meines pädagogischen Buchs konzentrieren konnte und vor allem, dass es mir – obwohl es wirklich ein absolutes Herzensthema für mich darstellt – mir keine Freude machte. Deshalb stoppte ich es erstmal.
Es folgten recht düstere Tage, in denen es mir zum ersten Mal auf der Krebsreise richtig mies ging. Ich weinte viel, verlor den positiven Blick, hatte Zukunftsängste, sorgte mich um meine Familie. Ich wusste, dass ich mir Hilfe holen müsste, weil ich ansonsten in diesem schwarzen Strudel hängen bleiben würde.
Aus dem Bauch heraus – wie ich seit der Diagnose so vieles mache– kontaktierte ich meine ehemalige Hebamme, die auch schon in einer anderen dunkleren Phase meines Lebens eine gute Ratgeberin für mich war. In einem sehr guten Gespräch (Dankeschön nochmal, liebe S.!) erzählte sie mir, wie gerne sie Emails von mir lesen würde und gab mir den Impuls, das Schreiben auch anderweitig für mich zu nutzen. In Kombination mit der Blog-Idee, die eine gute Bekannte in der Vergangenheit schon immer mal wieder an mich herangetragen hatte (Danke auch dir, liebe U.!) kam ich dann irgendwie auf die Kurvenkratzer -Seite und es entstand dieser Blog.
Ich hatte mich kaum dazu durchgerungen, da entwickelten sich die ersten Textideen wie von selbst. Die Gedanken purzelten nur so aus meinem Kopf und die Worte flossen geradezu aus meinen Fingern. Da war und ist so viel, was ich sortieren, was ich aus meinem Kopf bekommen muss.
Seitdem ich für meinen Blog schreibe, bin ich sehr nah bei mir und meinem Krebs-Schicksal. Aber das scheint es zu sein, was ich gerade brauche. Denn ich kam zum Lachen und vor allem zu mir selbst zurück. Verschwammen davor die Konturen meines Lebens, so habe ich jetzt das Gefühl, mein Leben wieder in der Hand zu haben, fest im Sattel zu sitzen und geistig gut gepolstert zu sein. Die Worte haben eine erstaunliche Kraft für mich, sie tun mir gut und geben mir Kraft. Ich wage zu behaupten, dass der Blog ein therapeutischer Seelenreiniger für mich ist. Ich bin ruhiger, bin positiver, bin wieder fokussiert auf das Ziel meiner Krebsreise: Ein gesundes, langes Leben mit meinen Lieben.
Ich befinde mich oft urplötzlich in einer Art Tunnel, in dem ein Sog mich bzw. meine Worte nicht mehr loslässt und ich einen Blogbeitrag schreiben muss, egal ob es ein Uhr nachts oder fünf Uhr morgens ist. Beim Schreiben verpacke ich meine Gedanken, Sorgen, Gefühle und auch Ängste, dich mich zuvor tage- und nächtelang unruhig gemacht und oftmals auch nicht schlafen ließen, in Text-Kisten. Diese schaffe ich aus meiner Gedankenwelt und meinem Blickfeld, indem ich sie auf den Blog stelle. Ich habe im Gehirn dann wieder Platz für anderes, bin wieder ansprechbar für meine Umwelt und habe wieder Kraft für das Alltags-Familien-Geschäft.
Du, liebe Leserin, und du, lieber Leser, bist dabei ein/e hilfreicher Unterstützer/in. Denn ich darf meine Text-Kisten bei dir im Gehirn-Regal abladen. Hab vielen herzlichen Dank dafür!
Ich überlasse dir, wie du mit diesen Text-Kisten umgehst. Vielleicht möchtest du manches davon in deinem eigenen Gedanken-Regal aufbewahren, weil es dir gut tut oder dir gefällt. Vielleicht sortierst du manche Kisten lieber aus, weil sie überhaupt nicht deiner Lebens- oder Gedankenwelt entsprechen. Vielleicht lässt du die ein oder andere Text-Kiste auch geöffnet stehen, weil sie dich überhaupt nicht interessiert. Vielleicht teilst du Teile aus einer weiteren Kiste mit einer anderen Person, weil du sie so wertvoll findest. Vielleicht ärgerst du dich auch über eine andere, weil sie so gar nichts mit dir und deiner eigenen Krebsreise zu tun hat.
In meinen Text-Kisten stecken meine subjektiven Wahrnehmungen und Erkenntnisse und die können selbstverständlich nicht auf jede Diagnose, jeden Zeitpunkt während der Erkrankung und sowieso nicht auf jede Person übertragen werden. Nimm dir heraus, was dir gut tut und stell weg, was dir schadet oder missfällt!
Gib mir gerne dein Feedback zum Blog, stell mir Fragen, gib mir Anregungen oder erzähle mir deine eigene Krebs-Geschichte! Und falls du jemanden kennst, die oder der möglicherweise Interesse an meinem Krebsreisebericht haben könnte, dann zögere nicht, ihn hierher auf den Blog zu schicken! Ich freu mich über jede Leserin und jeden Leser.
Schreiben als Therapie
Psychoonkologinnen, Psychoonkologen und Leiter/innen von Selbsthilfegruppen sind der Meinung, dass (Krebs-)Erkrankte, besser mit ihrer Krankheit umgehen und sie verarbeiten können, wenn sie sich über das Schreiben, malen oder tanzen ausdrücken können.
Ich selbst kann das für mich eindeutig bestätigen. Ich fasse Dinge in Worte, die zuvor oftmals ungesagt waren. Dabei erfahre ich, was in mir steckt und staune, was da manchmal hervorkommt. Auf seltsame Art stärken mich die Zeilen und geben mir Kraft für manchen Berg auf meinem Weg.
Ich lege das Schreiben oder eine andere kreative Betätigung jeder und jedem Betroffenen wärmstens ans Herz. Selbstverständlich lässt sich der Krebs so weder „wegschreiben“, “wegtanzen” oder “wegmalen. Aber all das lässt ihn erträglicher werden und dich wieder besser denken, schlafen und leben.
- Du gewinnst dadurch Mut, dich deinen Herausforderungen zu stellen.
- Du stellst dich deinen Gefühlen.
- Du lernst, die Tatsache der zurückkehrenden Krankheit für dich anzunehmen, aber nicht übermächtig werden zu lassen.
- Du bekommst deine Sorgen in den Griff.
- Du verhinderst, in Selbstmitleid zu verfallen.
- Im besten Fall erlangst du sogar Gelassenheit.
Hab keine Angst davor, dich auf das Schreiben einzulassen! Es geht nicht darum, kreative Meisterleistungen zu vollbringen, die wie früher im Deutschunterricht bewertet werden. Hör einfach auf deine Schreibstimme, egal wie sie klingt, und leg los!
Mir persönlich tut es gut, meine Gedanken hier auf diesem Blog mit anderen zu teilen, mit meinem Texten andere Menschen zu erreichen, Kontakt zu Betroffenen zu schaffen und vielleicht mancher Leserin oder manchem Leser einen Anstoß für ihre oder seine eigene Krebs- oder Lebensreise zu geben.
Möglicherweise möchtest du deine Empfindungen und Erlebnisse lieber für dich behalten, sie aber dennoch irgendwo abladen. Dann tu das!
- Schaff dir eine besonders schöne Schreibkladde an oder kauf dir – so wie ich es getan habe – einen neuen Füller.
- Nimm deine Schreibhelfer mit in die Klinik, zur Therapie, zur Taxifahrt oder auch in den Wald. Schreib hinein, wann und wo dir danach ist.
- Klebe vielleicht zusätzlich zu deinen Texten auch noch Fotos, Visitenkarten von Ärztinnen und Ärzten, Karten von lieben Menschen oder sonstige Dinge hinzu, die während deiner Erkrankung Bedeutung für dich hatten.
Mach dein Büchlein so zu einem ganz besonderen Krebsreisegleiter. Lass es dir “bei der Bewältigung deiner Dämonen helfen”, so wie der ehemalige Außenminister Guido Westerwelle die Wirkung des Tagebuchschreibens während seiner Krebserkrankung benannte und mach es wie er: Blättere an Tagen, an denen es dir besonders schlecht geht, in deinem Tagebuch. Du wirst feststellen, dass es dir “in manchen Momenten während der vergangenen Wochen noch viel schlechter gegangen war.”
Schreiben als Krebs-Begleittherapie
Beim Stöbern im Internet zum Thema „Krebs und Schreiben“ bin ich auf die Seite von Susanne Diehm gestoßen und habe Kontakt mit ihr aufgenommen (Danke für den Austausch!). Sie ist Bloggerin, Autorin, Schreibtherapeutin und arbeitet unter anderem an der Berliner Charité mit Krebspatientinnen. Außerdem hat sie mit zwei Co-Autoren das Buch „Mit Schreiben zur Lebenskraft. Übungsbuch für Frauen mit Krebserkrankung und ihre Angehörigen“ geschrieben. Darin enthalten sind vielfältige Schreibanregungen, die Patientinnen direkt nach der Diagnose, im Verlauf der Chemotherapie und im weiteren Krankheitsverlauf unterstützen sollen, “den ersten Schock zu überwinden und die Antennen auf positive Signale auszurichten.” Zusätzlich enthalten sind Tipps für Angehörige, schreiberisch mit der Diagnose der Partnerin/des Partners umzugehen.
Zusammen mit Jutta Michaud hat sie das „Gesundheitsfördernde Kreative Schreiben (GKS)“ entwickelt. Dabei geht es darum, krebskranke Frauen durch das Schreiben daran zu erinnern, was sie schon alles bewältigt haben, ihre Ressourcen und Lebenskraft hervorzukitzeln und das Unterbewusstsein zu aktivieren. Ohne diesen theoretischen Hintergrund gekannt zu haben, habe ich die Wirkung des Schreibens auf jeden Fall erfahren. Meine “Finger, die über eine Tastatur flitzen, entwickeln eine Eigendynamik” und ich schließe so die “Schatzkiste zu [meinem] Selbst auf und entdecke [..], was jetzt schreibend nach oben perlt.” (Herrliche Worte von Frau Diehm!)
Ich finde die Ideen von Frau Diehm und ihren Schreib-Kollegen eine ganz wunderbare Sache und lege Sie allen Betroffenen oder sonstigen Interessierten unbedingt ans Herz. Sie gibt in ihrem Buch und auf ihrer Internetseite sehr schöne Anregungen. Besonders schön ist, dass diese, wie Frau Diehm, betont “extrakurz” sind. So schrecken sie auch uns von der Chemotherapie schwachen oder nur kurzzeitig konzentrationsfähige Krebslinge nicht ab.
Ein paar Schreibimpulse gebe ich, mit der freundlichen Erlaubnis von Frau Diehm, hier gerne weiter. Sie richten sich an Krebspatientinnen. Ich bin aber der Meinung, dass sie jedem Menschen helfen können, der sich in einer Ausnahmesituation seines Lebens befindet und den Blick auf das Positive verloren hat und sich hilflos fühlt.
- Gestern – heute – morgen
Schreibe die drei Zeitangaben untereinander auf ein Blatt. Vervollständige sie jeweils zu einem Satz. Du lenkst deine Gedanken so ganz schnell auf die Zukunft!
- Telefonat mit dem Glück
Stell dir vor, du rufst das Glück an. Was möchtest du ihm sagen? Verfasse einen Dialogtext und frag es beispielsweise: „Wann kommst du das nächste Mal zu mir?“, „Warum meldest du dich in letzter Zeit so selten?“ Ich würde wissen wollen: „Wie fühlt es sich an, wenn man dich übersieht?“
(Sideinfo: In einem Blogtext zu meinen Krebs-Inseln erwähne ich eine Dankbarkeits-App, in der ich regelmäßig zwei, drei Dinge notiere, die am vergangen Tag schön waren und mich glücklich gemacht haben. Das kann etwas Kleines, wie der Milchschaum auf dem Kaffee oder etwas Großes wie die letzte Chemo-Infusion sein. Es gibt im App-Store verschiedene solcher Glücks-Tagebücher, z.B. “One Minute Journal”, “Mind Happy”, “HapDay”. Alternativ kannst du natürlich auch in ein echtes Büchlein schreiben.)
- Imaginäres Leben
Überlege dir, was wäre, wenn du noch fünf weitere Leben hättest? Was würdest du in diesen Leben tun? Wo würdest du leben? Welchen Beruf hättest du? Was würdest du in deiner Freizeit tun? Welche Dinge würden dir in diesem Leben Freude bereiten?
- Unterstützer
Mach eine geistige Zeitreise und notiere dir alle Menschen, die in deinem bisherigen Leben an dich und deine Fähigkeiten geglaubt, dich ermutigt und unterstützt haben. Überlege dir ganz konkret, in welcher Situation das auf welche Art und Weise passiert ist. Danke z.B. deiner Trompetenlehrerin dafür, dass sie dich gelobt hat, auch wenn du wochenlang nicht geübt hast, weil du in deine Teenie-Welt abgedriftet bist. Ich würde mich unter anderem bei meinen Eltern dafür bedanken, dass ich aufs Gymnasium gehen und studieren durfte, obwohl das in unserer Familie selten war.
- Kostbarer Gegenstand
Schließe die Augen und stell dir vor, welches Objekt du wärst. Vielleicht eine Pflanze? Ein Gedanke? Ein Schmuckstück? Schreibe auf, was das Objekt kostbar macht. Vielleicht ist die Pflanze selten? Der Gedanke genial? Das Schmuckstück farbenfroh? Ich selbst wäre sicherlich ein Buch mit vielen Seiten oder ein Film mit Überlänge.
- Beschwerdebrief ans Universum
Als Krebserkrankte oder -erkrankter hat man allen Grund sauer aufs Universum zu sein. Lass in einem Brief all deine Wut heraus. Schimpfe in so vielen Sätzen wie du möchtest. Vielleicht steckst du den Brief zuletzt sogar in einen Briefumschlag? Oder du verbrennst ihn und somit ein Stückweit auch deine Wut (denn die ist alles andere als heilsam!) ganz theatralisch?
- ABC-Darium
Schmiede Pläne für die Zukunft, in dem du dir Aktivitäten und Dinge zu den einzelnen Buchstaben des Alphabets überlegst, die du für die nächste Zeit planst und/oder mit anderen zusammen unternehmen möchtest.
Wer noch mehr über das Thema „Schreibtherapie” und “GKS” wissen möchte, sollte sich einmal auf der Homepage von Frau Diehm umschauen: https://sdiehm.wordpress.com/. Auch toll ist die Seite https://sudijumi.wordpress.com/, die sie zusammen mit Jutta Michaud betreibt.
Nachtrag vom 17.6.2022:
Nun ist fast ein Jahr vergangen, seit ich diesen Text hier auf den Blog gestellt habe. Seit meiner Diagnose begleitet mich mein Laptop und meine Finger hüpfen mittlerweile emsiger denn je über die Tastatur. Ohne SCHREIBEN kann ich nicht leben.
Zunächst lautete die Devise WEITERSCHREIBEN. In den ersten Wochen nach meiner Diagnose vollendete ich ein Manuskript, das so überhaupt nichts mit Krebs zu tun hatte. Herrliche Ablenkung!
In einer WhatsApp-Gruppe für die Familie, die nicht um die Ecke wohnt und coronabedingt auch nicht vorbeikam, war es ein AUFSCHREIBEN von Fakten über die Therapie und Geschichten aus unserem krebsigen Alltag.
Nachdem ich mir in einer Hau-Ruck-Aktion einen Blog eingerichtet hatte, wurde es ein DRAUFLOSSCHREIBEN. Ich brachte in rasender Geschwindigkeit und wie unter Zwang meine Geschichte zu Papier bzw. auf den Bildschirm.
Es war ein FÜR-MICH-SCHREIBEN. Ich entleerte meinen Kopf von Ängsten, Sorgen, Gefühlen, die ich seit der Diagnose mit mir rumgetragen hatte.
Es war auch ein MICH-WOANDERSHIN-SCHREIBEN, wenn ich auf dem Bildschirm in eine gesunde Zukunft reiste, mich an die Nordsee träumte oder mich tief in meine Gedankenstrudel begab.
Damals dachte ich noch, dass ich einfach alles AUFSCHREIBEN und den Blog dann auch wieder stilllegen könnte. Allerdings hatte ich die Rechnung nicht mit denen gemacht, die sich plötzlich bei mir meldeten.
Mit Links und Tipps und so manchem Satz, den ich direkt an die „Liebe Leserin“ oder den „lieben Leser“ richtete, wurde es ein FÜR-EUCH-SCHREIBEN.
Und nun SCHREIBE ich bei meinem Interview-Projekt sogar MIT EUCH.
Tja, was soll ich sagen? Ich bin nun schon seit vielen Jahren als Autorin tätig, ich kann lange Texte verfassen und mit Sprache spielen. Dennoch fällt es mir schwer, in Worte zu fassen, welche Dimension das SCHREIBEN seit meiner Krebsdiagnose für mich angenommen hat. Ich bin so unfassbar dankbar für diese Gabe. Ich SCHREIBE mir mit jedem Text ein Stück Krebs VON DER SEELE.
Ich finde dabei zu mir, erreiche andere und kommen sogar in echten Austausch. Welche Macht von oben oder aus einer anderen Galaxie, die mir dieses wundervolle Geschenk gemacht hat: Ich nehme es dankbar an!
Vielen Dank an euch alle, die ihr hier meine Texte lest, mir Nachrichten schickt und mich begleitet. Toll, dass es euch gibt!