Krebs – Liebe – Punkt NULL
Den Akku laden: Zwischen Chemotherapie und Bestrahlung
Die Chemotherapie ist vorbei, das normale Leben hat mich wieder. Zumindest fast und zumindest für ein paar Wochen. In diesem Beitrag geht es eigentlich um ziemlich unspektakuläre, vielmehr um alltägliche Ereignisse. Aber nach zwanzig Wochen Chemotherapie waren sie für mich doch irgendwie spektakulär und nicht (mehr) alltäglich und landen deshalb hier auf dem Blog. Die Leserinnen und Leser mögen mir verzeihen, wenn es heute etwas langweiliger zugeht.
Wehmut beim Abschied?!
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er gewöhnt sich an Gutes wie auch an Schlechtes, an Corona-Einschränkungen und die ersten Lockerungen, an Arbeitsalltag ebenso wie an lange Wochenenden, an Urlaub genauso wie an eine Chemotherapie.
Der Wechsel vom einen zum anderen ist es, der sich komisch anfühlt und einen kurzzeitig ins Wanken geraten lässt, bis man dann wieder sicheren Boden unter den Füßen hat und sich an die neuen Abläufe, Zeiten und Rituale gewöhnt hat.
Deshalb war es – so komisch sich das angesichts eines knapp fünfmonatigen hochmedikamentös gedopten Marathonlaufes anhören mag – ein emotionaler Moment, als es das letzte Mal zur Chemotherapie ging. Keinesfalls wollte ich in Verlängerung gehen. Dennoch war ich seltsam wehmütig, als die letzte Infusion abgehängt wurde.
Die Atmosphäre in der Ambulanz war immer eine besondere gewesen. Dort fühlte ich mich nie fehl am Platz oder anders als die Menschen um mich herum wie beispielsweise im Supermarkt oder auf der Straße, wenn mir ein fragender Blick zugeworfen wurde/wird. Zwar bekamen nicht alle Patientinnen und Patienten dieselbe Giftmischung wie ich, nicht alle hatten Brustkrebs, nicht alle waren so jung oder alt wie ich, nicht alle konnten noch selbständig zur Toilette oder überhaupt zur Ambulanz gelangen und nicht alle wurden jedes Mal mit „Die Blutwerte sind ok.“ zur Chemo durchgewunken. Aber alle hatten auch eine Form dieser krebsigen Krankheit, trugen Glatze, Beanie oder Perücke und hingen schlafend, lesend oder Nachrichten textend in ihrem weißen Ledersessel. Wir waren alle „Krebslerinnen und Krebsler.“
Die medizinischen Angestellten waren stets freundlich, wirkten nie gestresst. Außerdem waren sie immer gut gelaunt, selbst an den Tagen nach Feiertagen, wenn die doppelte Menge an Patientinnen da war. Sie schlugen weder den „Oh Gott, Sie Arme.“- noch den „Ich tu so, als hätte die gar nichts“-Ton an. Sie sprachen nie langsam und leise, aber auch nicht überdreht-fröhlich. Dennoch war immer eine Spur Mitgefühl zu spüren und dennoch lag eine gewisse Leichtigkeit lag in der Luft. Nicht zuletzt der Galgenhumor, den die meisten der freundlichen Damen hatten, tat mir persönlich sehr gut.
Ein Geschenkkorb zum Abschied erschien mir angesichts der Quälerei, die die Chemotherapie ein Stückweit war, doch etwas übertrieben. Aber ein paar Pralinchen und ein Kärtchen – fleißige Blogleserinnen und -leser kennen ja meinen “Echte-Karten-Spleen” (https://www.influcancer.com/blog/den-krebs-in-worte-fassen/) – waren mir das letzte Mal schon wert. An dieser Stelle nochmals mein herzlicher Dank an das ganze Team, ihr macht einen super Job!
Chemo-Zipperlein ade!
Nach dem Absetzen der Chemomedikamente tickten Körper und Geist noch eine ganze Weile im alten Takt. Allerdings ebbten die Beschwerden nach rund zwei Wochen nach und nach ab. Jetzt, einen guten Monat nach der letzten Infusion, habe ich nicht mehr viel zu vermelden: Leichtes Augentränen, kribbelnde Füße – nervig, aber auch daran scheint man sich gewöhnen zu können – und noch immer kurze, aber höchstens ein Mal unterbrochene Nächte. Das ist für mich, die ich Stillnächte mit zig Unterbrechungen und cortisonverrückte Nachtaktivitäten kenne, quasi Luxus, nämlich Durchschlafen.
Der Kracher der nachlassenden Nebenwirkungen sind die Härchen, die da auf meinem Kopf von Tag zu Tag mehr werden. Meine “Frisur” oder besser die “Ansammlung von Haaren” kann sich fast schon „Buzz-Cut“ nennen, der bei den Promis derzeit total angesagt ist, wie das Teenimädchen mir mit diversen Beweisfotos von Stars wie Emilia Schüle oder Stephanie Heinzmann zeigte. Da muss ich ja gar nicht mehr so lange Beanies tragen, sondern bin bald toootal im Trend!
Immer mal wieder zum Arzt
Ganz ohne Doktores kann es bei einer Krebspatientin nicht gehen, oder? So standen während der Therapiepause verschiedene Arzttermine an.
Drei Mal durfte ich Blut abgegeben, was ja zwischenzeitlich absolute Routine für mich ist. Alle Werte sind bestens. Das ist nach vielen Wochen Chemotherapie wahrlich ein sehr gesundes Gefühl!
Ein wichtiger Termin in Richtung “noch mehr Gesundheit” war mein erster Corona-Impf-Pieks. Eine Ladung Biontech sollte es sein. Die Paukenschläge und Fanfarenklänge, die ich angesichts des Medien-Hypes, der in Bezug auf die Impfung gemacht wird, erwartet hatte, blieben aus. Aber ein gutes Gefühl, mich nun langsam in Richtung (neue) Normalität zu bewegen, stellte sich ein und wird in ein paar Wochen mit dem zweiten Pieks noch besser sein.
Obwohl mich das Ende der Chemotherapie eigentlich heiter stimmte, tränten und tränten und tränten meine Augen fleißig vor sich hin. Ich war an den Augenrändern schon ganz wund von den salzigen Tröpfchen. Die nicht gerade billige Augencreme half leider nicht viel, da sie kurz nach dem Auftragen schon wieder hinabfloss. Deshalb arrangierte ich einen Termin beim Augenarzt, der zu einem Paradebeispiel für den „Krebs-Bonus” wurde.
In der Regel zieht sich ein Besuch bei unserem Augenarzt sehr in die Länge und der Mittelstürmer, der mich begleitete und auch seine Augen checken ließ, und ich stellten uns auf einen langen Nachmittag in Praxisräumen ein. Diesmal war alles anders! Schon bevor ich mich überhaupt an der Rezeption anmelden konnte, wollte eine ältere Dame mir, dem offensichtlich glatzköpfigen Wesen, einen Stuhl anbieten, da wir – coronabedingt – eine ganze Weile auf der Treppe vor dem Haus auf den Einlass in die Praxis warten mussten. Drinnen angekommen, wurden wir dann wie Promis hofiert, in blitzartigem Tempo von einer Voruntersuchung zur nächsten geführt, in Nebenräume gesetzt und von allen Arzthelferinnen in süßlich-freundlichem Ton angesprochen.
Nach nicht mal einer Stunde verließen der Mittelstürmer und ich komplett untersucht, mit Rezepten für Augentropfen ausgestattet und den allerbesten Gesundheitswünschen gesegnet, die Praxis und hätten nun den zu Beginn abgelehnten Stuhl doch gebrauchen können, um uns im Sitzen erstmal vom Untersuchungsstress zu erholen.
Eine Chemo kann zu Herzen gehen…
Da die Medikamente unter Umständen auch dem Herzen ganz schön zusetzen können, sind Termine beim Kardiologen davor, im Anschluss und in den Folgejahren Pflicht.
Am Wochenende vor meinem Herz-Check hatte ich dann tatsächlich eine herzige Angelegenheit zu vermelden. Ich wachte in der Nacht auf und hatte ein sehr schnell pochendes Herz, es fühlte sich rasend an. Ich informierte ich meine Hausärztin (und gute Freundin). Die machte dann am Folgetag ein schnelles EKG, das ergebnislos blieb.
Auch der Kardiologe entließ mich nach einer genauen Untersuchung meines Lebensorgans mit Befund „Alles in bester Ordnung.” aus seiner Praxis entschwinden. Genau wie mein Onkologe tippte er auf eine rasende Nebenwirkung des Biontech-Impfstoffes. Oder es ist die Schilddrüse, die nach der Chemozeit etwas mosert und sich mit einem etwas schneller pochenden Herzle bemerkbar macht? Auf jeden Fall kein Chemo-Schaden und das ist doch die Hauptsache!
Süß und ungesund
Nachdem mich auf den letzten Metern der Chemotherapie leider meine Geschmacksnerven verlassen hatten, war das Essen eine ganze Zeitlang eine wenig lohnenswerte Angelegenheit gewesen und diente lediglich der Kalorienaufnahme. Genuss? Fehlanzeige? Aber dann kam von Tag zu Tag mehr Empfinden durch Zunge, Lippe und Gaumen zurück. Das erste Gericht, das tatsächlich fast so schmeckte wie ich es kannte, war “gefüllte Paprika”. Das wird wohl für eine ganze Weile mein Lieblingsessen bleiben und in nächster Zeit noch mehrmals auf dem Tisch stehen. Der Paprika-Moment beinhaltete so viel Genussemotion für mich. Meine Familie möge mir die Wiederholung auf dem Speiseplan verzeihen!
Seitdem kommen alle Geschmacksvarianten wieder zurück: würzig, salzig, sauer, süß, bitter, plötzlich kann ich sie wieder unterscheiden, ganz klar benennen und das Essen wird wieder zum freudigen Moment. Deshalb mussten es einige Tafeln süße, leckere Schokolade, gezuckertes Trockenobst, mehrere gewürzte Landjäger und sonstige Würste sein, auch Wein wurde verkostet und sogar Sekt perlte wieder geschmacklich schön im Mund.
Krebsrisiko hin oder her, das Seelenheil war es mir wert! Essen ist Lebensfreude, Essen ist Genuss, Essen muss auch mal zu viel, zu süß, zu stark gewürzt, zu spät am Abend sein.
Doch ich gelobe feierlich: Noch immer gibt es viele Beeren voller krebsbekämpfender Antioxidantien, den täglichen Löffel geschroteten Leinsamen (senkt einer Studie des World Cancer Institutes zufolge das Brustkrebsrisiko um 5%!), Leinöl im Quark oder Jogurt (Dr. Johanna Budwig und ihre „Krebs-Diät“ lassen grüßen!), ganz viel Gemüse und hochwertige Öle im Salat und sonstige Ernährungs-Feinheiten.
Aber psst! ganz unter uns: Komplett ohne Schokolade werde ich die Bestrahlungszeit sicherlich nicht überstehen. Bei Hängern benötige ich Seelenfood in Form von brauner süßer Zuckermasse. Man möge es mir verzeihen!
Die Entgiftung beginnt
Eine wundervolle Begegnung, die meinen Akku in null Komma nichts bestimmt bis zur Hälfte füllte, hatte ich bei einer Heilpraktikerin. Schon allein der Ort ihrer Praxis, in einer verwinkelten Wohnung in einem ehemaligen Stadttor machte das Ganze zu einem Erlebnis. Das Gespräch mit der Dame, die auch als Kräuterspezialistin bekannt ist, war äußerst anregend und wohltuend.
Die von ihr verordneten Heilmittel ließen schon vor der ersten Einnahme oder Anwendung ein gutes, warmes, gesundes Gefühl in mir entstehen. Die Rezepte sind handschriftlich mit Füller geschrieben, die Öl- und Teemischung wurden im Kräuterstüble einem Stock unter der Praxis eigens für mich angefertigt. Per Post kamen ein paar Tage nach dem Termin zusätzlich zwei Mini-Portionen mit für mich abgefüllten Globuli sowie ein persönlicher Brief an mich. Ein echter Wow-Moment, als ich den Umschlag im Briefkasten fand.
Ich schmiere, trinke, lutsche und esse nun mit vollem Bewusstsein heilsame Flüssigkeiten, Kügelchen, Öle und Samen, um meine Organe von den Chemogiften zu befreien und den Körper zu reinigen. Auch wenn manche Skeptikerin und mancher Skeptiker vielleicht den Kopf schütteln mag: Die naturheilkundlichen Anregungen und Tipps sind ein Geschenk für mich in meinem noch immer schulmedikamentös gesteuertes Körper und dem dadurch auch leicht verirrten Geist.
Ich bin überzeugt davon, dass dieser sanfte Zugang mir sehr gut tut und das bewusste Drumherum heilsam für mich ist. Vielen herzlichen Dank, liebe Frau K., für Ihr wohlwollendes Da-Sein für mich!
Outdoor-Sport
Tagelanges Spritzen dopten mich und ließen die Leukozytenwerte zunächst sensationell hochschnellen und dann in den unteren Normbereich absinken. Time-out für den Hometrainer! Endlich geht´s auch bei Regen, Wind und Kälte wieder nach draußen zum Sport und nicht “nur” zum Spazierengehen. Frische Luft, einen Sattel unter dem Popo, den Waldboden unter den Reifen und Bewegung, viel mehr brauche ich nicht, um mich gesund und lebendig zu fühlen!
Kondition ist dank Kellersport während der Chemotherapiezeit noch ausreichend vorhanden und so kann ich weiterhin ohne E-Unterstützung mit dem Göttergatten (dem mehrere Alpenüberquerungen in den Radlerwaden stecken) mithalten. Dieser befürchtet nun, dass er mich zukünftig mit dem Auto begleiten muss, wenn denn das letzte Chemo-Gift raus aus meinem Körper ist und der volle Turbo zündet.
Ein wahres Sport- und gleichzeitig Lebens-Highlight war der erste Freibadbesuch nach Monaten. Wasser und ich, das ist eine Einheit schon seit der Kindheit und noch nie waren wir so lange voneinander getrennt wie in dieser Pandemiezeit.
Zwar war es nicht gerade hochsommerlich warm, zwar nervte der Corona-Nasenabstrich inklusive langer Wartezeit immens, aber als ich dann im chlorigen Nass war, die weißen Kacheln sah und dieses ganz besondere Unter-Über-Im-Wasser-Gefühl hatte, das wahrscheinlich nur andere Schwimmerinnen und Schwimmer kennen, machte das alles wett. Auch wenn ich danach zitterte und mir leicht schwummerig war: Das war Lebensfreude pur!
Leider muss ich nun bestrahlungsbedingt viele Wochen wieder auf mein Schwimmtraining verzichten, aber diesen nassen Glücksmoment kann mir keiner nehmen.
Live-Treffen
Balsam für meine von der Pandemie, dem Krebs und der Chemo gebeutelte Seele waren die ersten Besuche meiner Eltern, Schwiegereltern, Schwestern sowie von einer sehr guten Freundin nach vielen, vielen, vielen Monaten. Danke euch allen für die schönen Momente und das unverkrampfte Zusammensein nach so langer Zeit des virtuellen Kontakts!
Der Akkustand schoss nach jedem Kaffee-Kuchen-Nachmittag mit Umarmungen, Gesprächen, gemeinsamem Sitzen am Tisch und dem Anblick meiner glücklich-strahlenden Kindern angesichts von Großelternzeit und Patentantenduft in Richtung Optioptioptioptimalhöhe.
Überhaupt sind meine drei Goldschätze selig, weil wir Eltern ihnen nun auch wieder Playdates mit Freundinnen oder Freunden erlauben, die sie seit Monaten nicht mehr getroffen haben. Blutwerte der Mama hin oder her, ein gestörtes Sozialverhalten und Narben auf der Seele möchte ich nicht verantworten müssen.
Ich hoffe, dass weitere Treffen mit Freundinnen, Freunden oder Verwandten mir in den kommenden Wochen die aktuell bedrohlich-lange wirkende Bestrahlungszeit etwas erträglicher machen werden. Ich freu mich auf euch alle!