Erleichterung vs. Belastung
Das optimale Leben?
Das sind immer wieder auftretende Gedanken, die ich manchmal wirklich nicht mehr denken möchte. Einerseits. Andererseits MUSS ich mich ja optimieren! Denn der Krebs kam ja nicht umsonst in mein Leben. Nichts passiert ja ohne Grund. Die Krankheit möchte mir etwas mitteilen. Ich habe etwas falsch gemacht und nun habe ich die einmalige Chance, mich zu ändern, Einstellungen zu ändern, freier zu werden, sportlicher, offener, geselliger, entspannter, kurz: gesünder! Ich sollte jetzt WIRKLICH leben, Spaß haben, nichts mehr verpassen. Das Leben kann schließlich auch ganz schnell vorbei sein. Ich finde diesen ganzen Optimierungs-Hype schwierig und manchmal ganz schön belastend. Er setzt mich unter Druck.
Also, was ist nun zu tun? In der Reha habe ich gelernt, dass es drei Säulen gibt, auf die ich achten darf, um meine Rezidivgefahr zu minimieren: Ernährung, Bewegung und Stressmanagement.
Also lese ich fleißig über Ernährung und bemühe mich, vieles umzusetzen. Das ist nicht leicht, denn es gibt sehr, sehr, sehr viele verschiedene Ansätze. Ich lese sie alle. Alle hören sich wirklich gut an. Verständlich, beruhigend, studienbasiert. Ich werde aber trotzdem nicht daraus schlau, denn sie widersprechen sich komplett. Mal musst du nur morgens Quark mit Leinöl essen, damit sich die Krebszellen ordentlich fürchten, mal sind gerade Milchprodukte unfassbar krebsfördernd. Fleisch ist sowieso ganz böse, aber heufressende Biokühe liefern echt günstige Fettsäuren und die Eisenaufnahme aus Pflanzen kannst du vergessen, dafür brauchst du natürlich tierische Produkte. Ist das wirklich so? Auch das Thema Vitamine und Mineralstoffe raubt mir wirklich manchmal den letzten Nerv: unsere Böden sind ausgelaugt und dadurch mineralstoffarm. Also bitte Selen, Jod, Magnesium und Co. als Tabletten einnehmen. Auch die Vitamine C und D sind hochgeschätzt. Mein Onkologe ist da allerdings vollkommen anderer Meinung und findet, ich werfe mein Geld zum Fenster hinaus, wenn ich Nahrungsergänzungsmittel einwerfe!
Was ist denn nun bitte richtig? Meine Antwort habe ich mittlerweile für mich gefunden. Ich lese weiter und höre auf mein gutes, altes Bauchgefühl. Ich ernähre mich also pflanzenbasiert, gern jetzt im Frühling auch von Löwenzahn, Giersch und Sauerampfer. Aber wenn ich Lust auf Fisch oder auch mal ein gutes, kleines Stück Fleisch habe, esse ich das. Auch auf Milchprodukte habe ich manchmal Lust. Dann achte ich auf eine gute Qualität, so dass ich möglichst wenig Gifte in meinen Körper lasse und gönne mir zum guten Rotwein ein Stück Käse. Das ist mein derzeitiger Weg und ich habe unheimlich viel Spaß daran gefunden, mich überwiegend sehr gesund zu ernähren. Zum Glück mag ich Gemüse richtig gern und bin glücklich mit einem Teller Ofengemüse bestreut mit klein gehacktem jungem Löwenzahn… Wenn`s mich mal packt, weil ich ein Buch darüber gelesen habe, ernähre ich mich phasenweise auch mal ketogen. Meistens finde ich aber Dinge, die irgendetwas gänzlich ausschließen, anstrengend und schaffe es nicht, durchzuhalten. Mittlerweile ist es bei mir zum Glück aber auch so, dass mir mein Körper meistens ziemlich klar sagt, was ihm guttut. Ausschließlich Rohkost ist z.B. nichts für mich, gekochtes Gemüse dagegen perfekt.
Bewegung als die zweite Säule ist mir sehr wichtig geworden. Auch in dieses Thema arbeite ich mich immer weiter hinein und es beginnt, richtig Spaß zu machen. Als Hundebesitzerin bin ich natürlich sowieso viel unterwegs. Ich übe schon seit zehn Jahren sehr regelmäßig Yoga. Hinzu kommen nun aber noch ein Mini-Trampolin, ein Hula Hoop-Reifen und mein kleines Fitnessstudio. Manchmal auch Laufeinheiten und das Fahrradfahren zur Arbeit. Insgesamt bin ich bei diesem Thema klarer, als beim Thema Ernährung. Ich denke für mich, dass viel auch viel hilft. Laut Studien minimiert Sport das Rezidivrisiko bei Darmkrebs um satte 30%. Das ist für mich DIE Motivation schlechthin, meinen Körper beim Serienglotzen am Abend aufs Minitrampolin zu schwingen oder den Hula Hoop-Reifen um meine Hüfte kreisen zu lassen.
Ich komme zur dritten Säule, dem Stressmanagement. Ich bin Lehrerin, Mutter eines 19-Jährigen, der auch immer mal wieder kleinere und größere Probleme hat und habe Haus, Hund und Hof… also einfach meinen Alltag. Wie das eben so ist, ist es so ganz stressfrei nicht. Das geht ja auch gar nicht, aber ich habe meinen Umgang damit gefunden: ich meditiere fast regelmäßig und ruhe mich mittags immer auf meiner großen Couch aus. Meistens nicke ich kurz ein. Danach bin ich frisch für den Nachmittag. Ich gönne mir regelmäßig Pausen. Gerade in meinem Job ist es manchmal schwierig, die Arbeit, die nie endet, einfach mal sein zu lassen und sich nicht mehr an den Schreibtisch zu setzen. Irgendetwas muss noch korrigiert werden, denn meine Schülerinnen und Schüler warten ja schließlich darauf. Irgendetwas kann immer noch besser, genauer und differenzierter vorbereitet werden. Ich nehme mir mittlerweile frei, wenn ich denke, ich habe genug getan. Ich habe wirklich endlich gelernt, dass man selbst gut auf sich aufpassen muss und habe das Bild vor Augen, dass man nur aus einem vollen Glas anderen etwas abgeben kann. Das bedeutet, mein Glas, mein Energiespeicher, muss gefüllt sein, sonst kann ich nichts geben. Daran erinnere ich mich immer, wenn ich doch mal finde, dass ich zu gestresst bin. Das hilft mir, abzuschalten. Wenn mein nächster Schultag unvorbereitet ist, dann ist das wohl so…
Von Selbstoptimierung und zusätzlichem Druck halte ich mich fern, aber ich schaue immer wieder, wie ich mich fühle. Was sagt mein Bauch, mein Körper? Was braucht er gerade? Wie kann ich für mich sorgen? Hört sich vielleicht ein bisschen egoistisch an, aber es geht mir momentan wirklich gut damit!