Erleichterung vs. Belastung
Das Leben mit Krebs ist…
Das Leben mit Krebs ist…
So sollte dieser Satz bei Kurvenkratzer.magazin auf Instagram ergänzt werden. Gar nicht so schnell zu beantworten, weil auch das Leben mit Krebs so wie das Leben an sich sehr vielseitig ist.
Heute antworte ich vielleicht anders als morgen. Wie bekomme ich also eine für mich allgemeingültige Antwort? Gibt es die überhaupt?
In jedem Fall ist für mich das Leben mit Krebs intensiver. Das schließt “belastend, schwer, anders, schmerzhaft, anstrengend, zermürbend, deprimierend” ja nicht aus. Aber ich erlebe auch Situationen, die ich ohne Krebs nie erlebt hätte. Ein Beispiel:
Ich therapiere u.a. Menschen mit Schlaganfall und schweren Sprachstörungen. Ein solcher Patient hatte zudem auch noch wie ich einen hochriskanten Prostatakrebs. Wir waren auf dieses Thema zu “sprechen” gekommen. Dieser Mann, viel älter als ich, konnte so gut wie kein einziges Wort äußern. Als meine Operation bevorstand, kam dieser Patient in mein Büro und versuchte mir weinend viel Glück zu wünschen. Er brachte in diesem Moment sogar einige wenige Wörter heraus, was für ihn eine unglaubliche Leistung war. Ich war mindestens so gerührt wie er. Über dreißig Jahre arbeitete ich nun mit sprachbeeinträchtigten Menschen zusammen, aber so etwas hatte ich noch nie erlebt. Und das nur, weil auch ich jetzt an Krebs erkrankt war.
Ein kostbares Erlebnis!
Im Podcast “Let’s talk about Krebs, Baby!” sagt der Psychoonkologe Alf von Kries in der Folge “Psychoonkologie x Krebs”:
“Ich finde, so eine Erfahrung Krebs konfrontiert uns mit unserer Lebendigkeit.”
Ein herausfordernder Gedanke. Konfrontiert uns doch Krebs zunächst einmal mit unserer Endlichkeit. Vielleicht stärker, als uns das zuvor passiert ist.
Krebs konfrontiert uns mit unseren Grenzen. Grenzen, die durch die Auswirkungen des Krebses entstehen. Grenzen, die uns das Leben setzt.
Aber wir sind auch herausgefordert, intensiver darüber nachzudenken, wie und womit wir unser Leben ausfüllen.
Alf von Kries bezeichnet dies als die zentrale Frage: “Wie lebe ich eigentlich? Und wie würde ich denn gerne leben wollen?”
Ich habe im Verlauf der Erkrankung Entscheidungen getroffen, die ich wahrscheinlich ohne den Krebs nicht getroffen hätte. Nicht, dass ich den Krebs gebraucht hätte. Gott bewahre. Aber der Krebs war da, forderte mich heraus, mein Leben zu überdenken, nicht immer alles hinauszuschieben, meine kostbare Lebenszeit gut zu füllen, lebendig zu bleiben. ” Wenn nicht jetzt, wann dann?”, habe ich mich oft gefragt.
Hier gute Entscheidungen zu treffen, ist nicht immer einfach. Krebs ist fordernd, geht an unsere Substanz, an unsere letzten Reserven, körperlich und seelisch. Außerdem muss über die Art der Therapien entschieden werden oder wie es in Beruf und Familie weitergeht. In dieser Ausnahmesituation auch noch die Weichen für ein erfüllendes Leben zu stellen, fällt da nicht immer leicht.
Und dennoch zwingt einen die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit, sich immer wieder auf die Suche nach dem wahren Sinn des Lebens zu begeben. Alf von Kries bezeichnet dies als “Konfrontation mit der Kostbarkeit des Lebens”.
Wenn es mir gelingt, die Kostbarkeit meines Leben zu finden, dann kann ich auch intensiver leben. Das gilt unabhängig von einer Krebsdiagnose. Aber für Krebsbetroffene ist es eine noch bedeutsamere Herausforderung.
Ich habe eine Kostbarkeit meines Lebens während meiner Strahlentherapie im Mai dieses Jahres gefunden. In dieser Zeit kam nämlich mein jüngster Sohn zur Welt…
Ich kann gut verstehen, wenn viele den Satzanfang “Das Leben mit Krebs ist…” erst einmal mit “Mist” oder ähnlichen Begriffen ergänzen. Ich tue das zwischendurch auch immer wieder.
Aber ich wünsche mir auch, dass möglichst viele Krebsbetroffene und Angehörige trotz allen Leids sagen können:
Das Leben mit Krebs ist kostbar.