Erleichterung vs. Belastung
Das Ding mit dieser Veränderung…
Ein Wimpernschlag genügt und die Zeit ist gekommen, in der man realisiert, dass nichts mehr so ist wie es einmal war. Ich habe es immer wieder bemerkt und auch gewusst aber so extrem wie es derzeit gerade ist, hatte ich es noch nie.
Die Arbeitswelt und der Alltag haben mich wieder und ich kann weder das eine noch das andere so hinnehmen, akzeptieren und damit gut leben geschweige denn umgehen. Ich falle wieder in meine alten Muster zurück und die Spirale dreht sich wieder schneller. Die letzten Monate haben mir gezeigt, dass es höchste Zeit für eine Veränderung ist. Mir war bewusst, dass es soweit kommen wird aber das diese Veränderung so gravierend ist, hätte ich mir nicht gedacht.
Keiner sagt dir, dass es nach so einer Diagnose und der Therapie zu solch vielen unterschiedlichen Veränderungen kommt und/oder du dein Leben von Grund auf neu ordnen musst.
“Wenn ich die Chemo geschafft hab, geht’s bergauf!”, dem war nicht so.
“Wenn die Bestrahlung vorbei ist, ist alles wieder wie vorher!”, nö keine Chance!
“Wenn ich wieder arbeite und in meinem alten Leben angekommen bin, ist wieder alles gut!”, weder noch. Es spitzt sich einfach nur noch mehr zu!
Man wartet von einem zum anderen Tag und hofft von einer Untersuchung zur nächsten, dass alles besser wird. Nur musste ich nun schmerzlich erkennen, dass sich nichts von selbst so verändert, wie ich es gerne hätte. Meine Brustkrebserkrankung hat mein Leben und meine Persönlichkeit geprägt und ich bin gezwungen selbst mehr zu ändern als mir lieb ist. Durch den Verlust der eigenen Gesundheit, muss man erst mal wieder Vertrauen in den eigenen Körper aufbauen.
Seine Selbstheilungskräfte zu aktivieren ist ja auch oft leichter gesagt als dann getan aber diesen Ratschlag bekam ich von allen Seiten und das nicht nur einmal.
Ich stelle mir die Frage, ob das Leben vor der Erkrankung, dazu beigetragen hat um krank zu werden. Ab und zu bin ich mit Situationen konfrontiert, die ich vor 2 Jahren genauso meistern musste aber ich bemerke erst jetzt, dass ich auch damals einfach nur gehetzt, gestresst und unzufrieden war und ich oft nicht anders reagiert habe als jetzt. Ich habe damals darüber hinweg gesehen und mich nicht damit beschäftigt. Ich war mit mir selbst nicht zufrieden, nicht glücklich und versuchte immer allen anderen alles Recht zu machen. Doch wo bin ich selbst geblieben? Meine Werte und Wünsche im Leben? Ich wusste nicht wo ich hin wollte, welche Ziele ich habe, usw.
Die Chemo sowie die Erfahrung am Tod vorbeigeschlittert zu sein, stimmt mich immer wieder erneut nachdenklich und mein Körper gerät immer wieder erneut an seine Grenzen. Mir ist es mittlerweile nicht mehr möglich, meinen Alltag locker und lässig zu meistern. Am Abend sitze ich mit meinen 31 Jahren oft auf der Couch und bin einfach müde. Mein Körper schmerzt und ich bin erschöpft, ausgelaugt und zeitgleich aber gestresst, rastlos und nicht entspannt weil ich es selbst oft nicht akzeptieren will.
Welche Veränderungen sind für mich am gravierendsten??
- Vermindertes Stresslevel: Mir wird sofort alles zu viel, ich brauche viel mehr Zeit um runter zu kommen und mich zu entspannen. Bin ich unter Leuten, kann ich den Gesprächen nicht mehr folgen.
- Körperliche Einschränkungen: Obwohl ich vergangene Woche von meinem Onkologen gehört habe, dass er nach so einer Therapie mit Chemo, Bestrahlung, 1000 Medikamente und laufender Antihormontherapie selten so einen derart wunderschönen Blutbefund gesehen hat, ist an der Tatsache, dass ich nicht mehr zu 100 % Leistungsfähig bin nichts zu ändern. Dies motivierte mich zwar endlich mal und ich habe das Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein aber die Einschränkungen müssen trotzdem akzeptiert werden.
- Flexibilität: Ich habe es geliebt flexibel und spontan zu sein. Heute hasse ich es. Ich muss mich auf meine Dinge einstellen können, meine Ruhephasen miteinplanen. Wenn ich meinen Kalender nicht mit habe, werde ich nervös.
- Feiern und Party machen: Auch dieser Punkt hat sich vollkommen verändert. Ich trinke keinen Schluck Alkohol mehr, wenn es nicht gerade zum „anstoßen“ ist. Ich habe eine derartige Abneigung gegen Alkohol entwickelt, welche ich noch nie hatte. Wenn ich ihn nur rieche. *kotz*
Ich möchte nach max. 2 Stunden wieder heim weil mir alles zu laut, zu anstrengend und zu mühsam ist.Und dann ist da noch:
- Der weibliche Wechsel…:
Eines der einschneidensten Dinge. Durch die laufende Antihormontherapie oder auf gut Deutsch gesagt, den künstlichen Wechsel, ist mein junger & dynamischer Körper (Sarkasmus ENDE*) mit dem einer 70 Jährigen Frau gleichzustellen. Die Hitzewallungen sind mein Hauptproblem. Nehme ich meine Kapseln nicht ein, schwitze ich und es tropft von meiner Stirn. Da reicht der dritte Stock ohne Lift. Oben angekommen rinnt der Schweiß aus all meinen Poren und mein Kopf sieht aus wie frisch aus der Dusche.. Die Frisur ist im Arsch, die Schweißtropfen rinnen runter, das T-Shirt ist komplett nass und ich muss mich umziehen. Ich sehe aus wie eine polierte Tomate. Knallrot und glänzend.
Wenn ich meinen Fächer auspacke, schauen mich Leute an und meinen: Na?? Wallungen? Aber du bist ja noch viel zu jung dafür. „Ähmmmm ja?? Aber schon mal daran gedacht, dass es auch einen künstlichen Wechsel gibt??“, natürlich denke ich mir oft meine Antwort aber ab und zu bekommt schon jemand die volle Ladung ab.
Die daraus bestehende Osteoporose ist für andere Menschen leider auch nicht ersichtlich. Knochenschmerzen, Gelenksschmerzen usw. begleiten mich auch noch die nächsten 3 Jahre.
Stimmungsschwankungen?? Fragt Michi. Er kann ein Lied davon singen. 😉
Und auf was er sich bestimmt am meisten freut, ist die Tatsache, dass er meinen Wechsel zwei Mal miterleben darf. Es sollte eine Selbsthilfegruppe für Partner von Wechselbeschwerdengeplagten Frauen geben.
Bis vor einem Monat wollte ich diese Therapie abbrechen um wieder so zu sein, wie ich war. Ich konnte nicht mehr, ich war aggressiv, gereizt und enttäuscht von mir und meinem Körper. Wenn du immer wieder von Einschränkungen geplagt bist, die niemand anders sieht und nur du spürst, dann glaubst du irgendwann du spinnst und das ist eine fast totale Katastrophe.
Doch mein Onkologe hat mir endlich erklärt warum und weshalb es so wichtig ist. Auf sein Anraten hin, werde ich die nächsten 3 Jahre noch durchbeißen und versuchen zu akzeptieren.
Immer mehr wird mir klar, dass man seinen körperlichen sowie psychischen Zustand akzeptieren muss und sich dann mit dem auseinander setzen muss. Ich bin dem Alltag nicht mehr gewachsen, bin nicht mehr so belastbar und stressresistent. Ich bin gerade dabei dies alles zu erkennen aber es zu akzeptieren ist oft schwieriger als es klingt. Ich fühle mich so oft nicht verstanden, nicht akzeptiert. Ich könnte oft heulen weil ich das Gefühl habe, keiner versteht mich. Wenn man jemanden sein Leid nicht ansieht, wird es nicht gesehen und dadurch auch nicht verstanden. Denn der hat ja nix. Das ist aber ein Gesellschaftliches Problem und ich habe akzeptiert, dass ich das nicht ändern kann. Ich kann nur mich selbst ändern!!
Ich bin nun damit beschäftigt, Achtsamer und Emphatischer mit meinem Körper, meiner Seele und meiner Psyche umzugehen.
Während den letzten zwei Jahre haben mir immer wieder Menschen einen Tipp gegeben: Mach was dir gefällt, was du machen möchtest und fertig. Und nun bin ich an dem Punkt angekommen, wo ich erkannt habe, dass es so nicht weiter geht und ich etwas ändern muss und ich auch bereit dazu bin.
Ein zweiter Schritt in die richtige Richtung?? Ja, ich bin davon überzeugt.
Das Jahr 2020 ist voller Veränderungen. Für meine Zukunft, für mein Leben und meine Ziele. Ich bin bereit mehr Achtsamkeit in mein Leben zu lassen. Und freue mich auf 366 neue Möglichkeiten mein Leben zu genießen und neu zu gestalten.
Bis bald..
Julia
p.s.: dieses Bild wurde circa zwei Wochen vor meiner Diagnose gemacht.. Ich musste so lachen, als es mir meine Freundin dann zeigte -Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Mit dem passenden Shirt dazu, muss ich jetzt fast feststellen, dass es anscheinend so kommen hat müssen. Aus welchen Gründen auch immer. 🙂