Erleichterung vs. Belastung
Darmkrebs? So‘n Quatsch! Ich doch nicht?
Wie alles begann
Es war im September 2018 an einem richtig schön warmen Tag. Meine Hose spannte schon morgens. Ich bekam sie nicht zu. Also gar nicht zu. Nicht mit Bauch einziehen. Null! Ich hatte starke Bauchschmerzen, konnte kaum gerade gehen, hatte aber Termine. U.a. Schule und einen Unitermin am Nachmittag. Der war mir wichtig. Schule war mir auch wichtig, denn am nächsten Tag, einem Freitag, sollte unser Schulfest stattfinden und ich hatte mit meinen wunderbaren Erstklässlern eine tolle Spielestation vorbereitet. Also, Gummiband durchs Knopfloch, in den Bauch ein- und ausatmen, den Hund schnappen und los. Beim Gassigang wird sich der Bauch schon entspannen. Das war aber leider nicht so. Ich musste immer wieder stehen bleiben, mich sogar zwischendurch auf eine Bank setzen und schnell nach Hause. Nach einem Klogang ging es dann ein bisschen besser, aber klar war eigentlich schon, dass ich etwas unternehmen musste. Ich habe meinen Tag so verbracht, wie ich es geplant hatte mit zum Glück so wenig Appetit, dass nichts in den Magen-Darm-Trakt musste und ich mich sogar noch zur Uni schleppte. Dort hielt ich es aber nicht ganz bis zum Schluss der Besprechung aus. Ich humpelte zu meinem Auto und fuhr nach Hause. Aus dem Weg dorthin kam ich an eine Kreuzung, an der man links hätte abbiegen können, um zum Klinikum zu kommen. Mir war klar, dass ich dort eigentlich hinmusste, aber wo sollte ich parken? Wie lange könnte ich sitzenderweise in der Notfallambulanz warten ohne umzukippen? Vielleicht brauchte ich ja nur einen Fencheltee und eine Wärmflasche? Also nach Hause! Dort schmiss ich mich aufs Sofa und bat den Mann, der zu dem Zeitpunkt noch nicht der Mann war, um Fencheltee und Wärmflasche. Als er mir die Wärmflasche auf den Bauch legte, explodierte ich innerlich. Ich hatte solche Schmerzen und verlangte einen Rettungswagen. Der Mann wollte mich selbst fahren, jedoch sah ich das Problem des langen Sitzens in der Notfallambulanz noch deutlicher… also BITTE Rettungswagen! Der kam schnell, lud mich ein, fuhr mit Blaulicht.
Es wurden Untersuchungen gemacht: Blut- und Urinproben, Ultraschall, auch ein CT, was etwas befremdlich für mich war, weil ich ein Mittel in den Darm bekam…Wenn ich zu dem Zeitpunkt schon gewusst hätte, wie ich in der nächsten Zeit jegliche Kontrolle für meinen Darm verlieren würde…
Nach mehreren Stunden, es war mittlerweile kurz vor Mitternacht , kam ein verschlafener Arzt. Er besprach mit mir Dinge, die mir komisch und abwegig erschienen… es könnte passieren, dass ich ein Stoma bekäme, lauter Dinge, die ich erstens nicht so richtig verstand und zweitens immer gesagt werden MÜSSEN, weil Dinge nunmal passieren KÖNNTEN, aber normalerweise einfach kaum passieren. Aber es muss ja einmal aufgeklärt werden. Aufgeklärt? Wieso? Er wolle mich operieren. Jetzt. Nicht morgen, weil es morgen zu spät sein könnte. Es war Nacht. Trotzdem! Punkt. Er sei schließlich nicht umsonst aufgestanden und hierhergefahren und würde nicht nach Hause gehen, bevor er nicht wüsste, was sich in meinem Bauch befände…
Als ich aufwachte, standen viele Ärzte an meinem Fußende und sprachen miteinander. Leider nicht sehr leise. Ich glaube, sie wussten nicht, dass ich wach war. Sie sprachen über mein Stoma! Mein was??? Ich verstand nicht ganz. Ich hörte weiter zu, versuchte zu kapieren, was hier los war. Es erschloss sich mir nach und nach. Ich hatte einen künstlichen Darmausgang, einen Kackbeutel, ein braunes Handtäschchen (wie meine Freundin Susanne es später taufte) auf meinem Bauch. Ich konnte nicht mehr kacken (entschuldigt meine Ausdrucksweise!) gehen, zumindest brauchte ich dafür kein Klo mehr. Ich brüllte die Intensivstation zusammen. Das ist sonst nicht meine Art. Ich bin ein eher zurückhaltender Mensch, vor allem vor Personen, die ich nicht kenne. Aber das war mir zu krass! Die Ärzte versuchten mich zu beruhigen, hatten aber keine Chance. Kurze Zeit später kam eine freundliche Physiotherapeutin und wollte mit mir erste Übungen zur Mobilisierung machen. Das sei sehr wichtig nach der OP. Aber ich hatte Schmerzen. Große, fiese Schmerzen und ich wollte absolut keine Übungen machen. Ich glaube, ich wurde ein bisschen unfreundlich. Dann kam wieder jemand und wollte mir eine Art PDA setzen, an die ein Schmerzkatheter rankam. Ich sollte mich dazu auf die Bettkante setzen. Wie sollte das gehen? Ich hatte nicht den Hauch eines Schimmers, außerdem war mir wahnsinnig übel. Man half mir auf, mir war schlecht. Ich sollte mir ganz bequem hinsetzen… Übelkeit, Schmerz war die Antwort. Man schob mir eine Nadel in den Rücken… es tat sehr, sehr, sehr weh! Aber endlich durfte ich mich wieder hinlegen. Ich wurde an eine Kiste angeschlossen, in der eine Riesenspritze schön zuverlässig große Mengen an Schmerzmitteln in mich reinlaufen ließ. Ich fühlte mich besser, sehr viel besser.
Eine Woche später war ich im Grunde genommen wieder hergestellt. Es ging mir gut, mein Stoma und ich wurden langsam, aber sicher, Freunde. Einer meiner Lieblingsärzte kam an mein Krankenbett und erzählte mir, dass das “Material”, das aus mir herausgeschnitten wurde, leider ein fieser, böser, großer Tumor war. Darmkrebs. Gut heilbar, meinte der Arzt. Mit Chemo, denn Lymphknoten waren bereits betroffen. Er war toll und einfühlsam, ich geschockt und erst einmal stumm. Erst dachte ich, er hätte mich mit jemandem verwechselt. Hatte er nicht. Nun war ich nicht die Frau mit dem “braunen Handtäschchen”, nun war ich die Krebspatientin.