Erleichterung vs. Belastung
(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 31.01.2020: Mundschutz und Filletierte Paradeiserschnitzlinge auf einem vollgranigen Feldfruchtgebäck an einem Spiegel aus orientalischer Gewürz-Butter-Melange.
Ab heute begleitet mich dieses stylomatische Accessoire. Frau Dr. K. hat soeben in der Visite verlautbaren lassen, dass heute, am neunten Tag der Chemotherapie das Blutbild beginnt einzubrechen. Somit beginnt das Immunsystem runterzufahren. Normalerweise irgendwann zwischen dem 7. und 10. Tag. Somit habe ich bis Tag 9 schon richtig gut durchgehalten. Dennoch heißt es jetzt für mich: Mundschutz auf – Infektionsgefahr minimieren.
Wie ihr trotzdem natürlich alle seht: Unter dem Mundschutz trage ich immer noch ein breites Grinsen.
Gegen Mittag veranstalten wir hier ein „großes Familientreffen“. Meine Süße Alex, unsere zwei Mädels und meine Eltern sind hier. Wir genießen Kaffee, Kuchen und Brötchen in der an die Klinik angeschlossenen Bäckerei. Ich mit Mundschutz. Natürlich nicht bei Essen und Trinken, aber davor und danach. Meine 9-Jährige fragt: „Papa, hast du das Corona-Virus?“… Und ich frage, was an dem mexikanischen Maisbier jetzt auf einmal ansteckend ist…
Meine 7-Jährige sagt: „Papa, du siehst ja aus wie ein Arzt!“. Ich wäre jetzt auch lieber ein Arzt, statt eines Patienten.
Um kurz nach 17:00 Uhr hole ich mir noch einen Tee. Dabei entdecke ich eine Personenwaage auf dem Flur. Ich stelle mich drauf und siehe da: -2 kg in 9 Tage. Und das trotz intensiver Fresserei… Hat die Sache doch auch was gutes.
Und ich erfreue mich an den kleinen Dingen. Ein klitzekleines Upstaging des Abendessens erzeugt ein gänzlich anderes Geschmackserlebnis. Statt die Tomate wie gewohnt am Stück zu essen, schnippele ich sie mir in Scheiben auf das Brot. Bisschen würzen – paaaam – Geschmacksexplosion. Das ist die haute cuisine des Klinikalltag:
„Filletierte Paradeiserschnitzlinge auf einem vollgranigen Feldfruchtgebäck an einem Spiegel aus orientalischer Gewürz-Butter-Melange“.
So heititeiti kann es klingen – das sonst so schnöde Tomatenbrot.
Für heute reicht es für mich hin. Ich gebe mir noch ein paar Folgen jerks. auf Joyn und dann wird es mich wohl in die Federn drücken. In der Hoffnung, dass die Blutwerte morgen schon wieder besser sind.