Erleichterung vs. Belastung
(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 02. BIS 04.03.2020: Freiheit, Einsamkeit, Gemütlichkeit und PEt/CT.
Liebe Freunde, Familie, Herzmenschen und Lieblingsfremde (weil ich nicht wirklich weiß, wer hier so alles über meinen Blog stöbert). In den vergangenen Tagen war es etwas ruhig hier auf dem Blog. Einerseits lag es daran, dass nicht wirklich viel passiert ist und ich euch nicht langweilen wollte mit so Beiträgen wie: „Das bin ich wie ich die Spülmaschine ausräume!“, „Das bin ich wie ich fernsehe“, „Hier koche ich mir selbst was zu essen“ und so weiter. Dennoch arbeite ich die vergangenen Tage dieser Woche auf und gebe euch hier gesammelt einen Überblick.
MONTAG, 02.03.2020: HEIMREISE NACH HAMBURG, BESUCH BEI MEINER SCHWESTER UND VERGESSENE GESCHENKE.
Am Montag geht es für mich nach dem Frühstück wieder in Richtung Hamburg. Meine Ma hat sich dazu bereit erklärt mich zu fahren. Da ihr das Verkehrsaufkommen in Hamburg selbst aber zu wuselig ist, beschließen wir erstmal zu meiner Schwester in die Nähe von Buxtehude zu fahren. Dort essen wir leckere Kürbiscremesuppe, ich kündige großspurig an, dass mein Neffe nach dem Mittag sein blaues Wunder gegen mich in FIFA 20 erleben wird und schnacken über dies und das. Aus dem blauen Wunder für meinen Neffen ist aber eher mein eigenes Waterloo geworden. Eine souveräne 2:0 Führung in der ersten Halbzeit habe ich dann leichtfertig verspielt, so dass es nach der regulären Spielzeit und der Verlängerung 2:2 unentschieden stand. Elfmeterschießen…. Und DA habe ich verkackt. Da fällt mir spontan der Spruch auf einem Internet-Meme ein: „Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr genau wisst, jetzt habt ihr verkackt?!“. DAS war so ein Moment bei mir. Am Ende hab ich tatsächlich 2:3 nach Elfmeterschießen verloren – um es negativ zu benennen. Der Optimist in mir würde einen Buchtitel von Tom Limes zitieren:
„Voll verkackt ist halb gewonnen“. Und hey, immerhin zweiter Platz. Wenn auch nur von zweien, aber es kommt halt drauf an, wie man es vermarktet. „Voll verkackt ist halb gewonnen“ ist übrigens auch ein sehr witziges Buch. Kann ich nur empfehlen. Vielleicht stelle ich das bei Gelegenheit mal in der Schmökerecke vor. Aber vorher sind mir ein paar andere Bücher zu relevanteren Themen wichtiger.
Nach dem Mittag ging es dann also mit meiner Schwester weiter in Richtung Hamburg. Danke Ma und Pia für die Teiltransfers. Danach passierte nicht mehr wirklich viel. Tasche abstellen, Post checken und später ins Bett. Moment, bei Post checken kommt mir doch noch ein Highlight in den Sinn. Ein kleines Päckchen von Familie Müller. Ich war mir zwar nicht 100% sicher, aber ich hatte einen Verdacht, von wem das sein könnte. Schnell hab ich es ausgepackt. Drin waren: Ein handgeschriebener Brief, der mich rührte aber auch zu gleichen Teilen mit Freude und Stolz erfüllte. Ein ehemaliger Bundeswehrkamerad und eine ehemalige Bundeswehrkameradin, die während meiner aktiven Zeit schon anbandelten und heute Eheleute und Eltern sind, haben mir eine Sammlung selbstgemachter Mützen geschickt. Den Brief und Bilder der Mützen zeige ich euch unten. Zusammen mit den Mützen, die meine Mam mir gestrickt hat, hab ich jetzt ein ziemlich gutes Arsenal an Mützen.
Abends rief mich meine Ma dann noch an und sagte, ich hätte die gute Eichsfelder Wurst im Kofferraum vergessen. Sie bringt sie mir Freitag mit.
Danach nehme ich noch ein Bad. Komisch so ganz allein. Ohne das ein kleiner 7- oder 9-jähriger Quälgeist laufend ins Bad kommt und sagt: „Papa, mach hinne, ich will auch rein!“. Nach dem Bad verkrieche ich mich im Kinderbett im Kinderzimmer. Das „große“ Bett im Schlafzimmer ist mir momentan zu groß für mich alleine. Ich fühle mich wie das tapfere Schneiderlein im Bett des Riesen. Das war es dann aber auch wirklich für den Montag.
DIENSTAG, 03.02.2020: TOTE HOSE UND NETFLIX
Der Dienstag ist an Langeweile (für euch Leser) dann bislang nicht zu überbieten. Ausser dass ich viel „mache“ ist nicht viel passiert. Fenster auf- und später wieder zumachen, Fernseher anmachen, Playstation anmachen, Netflix anmachen, Essen machen, ab und zu „klein“ und „groß“ machen (jetzt wisst ihr es ganz genau!), mich abends ins Bett und abschließend die Augen zumachen und vorher natürlich alles wieder ausmachen, was ich oben angemacht habe. Das war mein Dienstag.
MITTWOCH, 04.02.2020: PET/CT NACH ZYKLUS 2, HAMSTERKÄUFE UND HAUSARBEIT
Überall hört und liest man jetzt, dass sich die Leute bevorraten und mit Hamsterkäufen eindecken. Ich glaub, von dieser Panik habe ich mich anstecken lassen, befürchte aber, da etwas nicht ganz richtig gemacht zu haben?! Aber Spaß beiseite… was soll das? Da geht eine mittelmäßig schwere Krankheit um, die im Gefahrenpotential deutlich unter jeder Influenzawelle liegt und trotzdem decken sich gesunde Menschen mit (nutzlosen) Mundschutzmasken, kaufen Desinfektionsmittel als wollten sie drin baden und stapeln Konserven im Keller, als gäbe es kein morgen mehr. Was soll in diesem Land nur geschehen, wenn etwas wirklich schlimmes passiert. Ich bin ja echt froh, dass es hier im PEt/CT-Zentrum noch Desinfektionsmittel gibt. Mittlerweile ist die Angst der Bevölkerung ja so groß, dass sie schon Desi aus Kliniken mitgehen lassen. Ich bin ehrlich gesagt ausnahmsweise mal sprachlos – und das kommt nicht so oft vor…
EINMAL IN DEN WINDKANAL
Heute war es dann auch noch soweit. Das Zwischen-CT nach den ersten zwei Chemotherapie-Zyklen stand an, bevor es morgen just in time in Zyklus III übergeht. Um 9:15 sollte ich im PET/CT Zentrum in Altona erscheinen. Nüchtern aber mit mind. 1 L stillem Wasser in meinem Bäuchlein. Kein Problem. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Facharzt ging es anschließend erst zum Blut abnehmen, dann gab es die Wolframummantelte Spritze mit dem radioaktiven Powerjuice, den sonst nur Steve Rogers und Bruce Banner bekommen. Eine Stunde später liege ich in der Röhre. Der Arzt sagt, sie werden an die 1.500 Bilder von mir schießen. Zum Glück hab ich ein frisches T-Shirt, saubere Unterwäsche und Socken an. Nach knapp einer Stunde ist der Spuk vorbei. Der Radiologe kommt zu mir und sagt, die ersten Bilder habe er gesichtet. Es sähe soweit gut aus. Es sei auf den ersten Bildern kein Lymphommaterial mehr sichtbar. Das alles sei aber noch unter Vorbehalt, er müsse erst in Ruhe die anderen Bilder akribisch auswerten. Aber als Ersteinschätzung macht das Mut! So kann ich morgen mit frischem Elan und altbekannten Bumms in den Zyklus III starten. War das doch in den ersten zwei Zyklen meine Befürchtung. Da bei mir die häufigsten Nebenwirkungen ja zum Glück größtenteils ausblieben, habe ich mich schon das ein oder andere mal gefragt, ob die Chemo denn bei mir überhaupt anschlagen und wirken würde. Schließlich hat man bei Krebs keine Fortschrittsindikatoren wie beispielsweise bei einer Grippe, wo dann irgendwann der Husten abklingt und das Fieber sinkt. Krebs ist da einfach anders – nicht greifbar.
Nach der Untersuchung fahre ich wieder nach Hause, koche mir was zu essen und verbringen den Rest des Tages bis 19:30 Uhr mit Hausarbeit (Spülmaschine einräumen, Wäsche waschen und aufhängen, Sachen für die Klinik packen). Um 19:30 kommt mein Nachbar Mathias hoch und wir zocken noch eine Runde FIFA20. Ich muss zugeben, wir sind beide sehr konsequent, was ein deutliches Defizit bei den Heimspielen angeht. Spielen wir bei mir verliere meist ich. Spielen wir bei Mathias verliert meist er. Wollten wir ein homogenes ausgeglichenes Spiel haben, müssten wir uns wahrscheinlich im Flur oder Keller treffen.
Das war mein Mittwoch.
* keine Angst: ich habe mich nicht mit Fahrwerken, Bremsscheiben und Smoothies eingedeckt. Das sind alles Bilder aus meinem vergangenen Berufsleben. Meine erste Arbeitsstation in Hamburg war bei inmocent Drinks. Später war ich dann für Pedders Suspension im Einsatz und hab da ein paar Bilder im Lager gemacht.