Erleichterung vs. Belastung
(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 02.04.2020: VIP-Treatment bei der Portnadel, die letzte Chemoinfusion und psychisch belastende Zustände
Heute ist er also. Der Tag an dem ich die letzte Chemoinfusion bekomme. Ich bin überglücklich.
Vorher brauche ich aber erstmal eine neue Portnadel. Letzte Woche ist die alte nämlich verrutscht und saß nicht mehr richtig, so dass sie gezogen wurde. Heute gab es dann also eine neue. Das ist immer wieder ein Erlebnis. Da kriege ich für meine Kassenbeiträge immer was geboten. Spaß beiseite: ich bin extrem erfreut, dass wir in Deutschland auf das Gesundheitssystem zurückgreifen können, wie wir es haben. Da hat der alte Bismarck damals schon einen guten Einfall gehabt. Kleine Notiz an mich: sobald ich entlassen bin, hebe ich das Glas auf Bismarck! Mit einem Glas Bismarck-Mineralwasser und einem Bismarckhering. Zum Abgang dann einen Bismarck Kornbrand. „Für den aufgebrauchten Spiritus“, wie Bismarck gesagt haben soll, nachdem er nach anstrengenden geistigen Überlegungen beim Essen wieder kulinarisch Kraft(stoff) nachgetankt hat. Aber ich schweife mal wieder ab. Zum Glück bin ich kein Hochschuldozent. Meine Studenten würden zwar viel lernen, aber nix, was sie brauchen. Portnadel setzen. Bereits nach dem Ziehen der alten Nadel letzte Woche wurde eine neue eingesetzt und versucht, Blut zu zapfen. Ohne Erfolg. Nichts kam raus, das was reinging, landete im umliegenden Gewebe. Nicht so optimal. Also erstmal Kommando zurück. Keine Portnadel, Blutentnahme über Armvene. Heute also der zweite Versuch. Die 20er Nadeln scheinen durch die Wassereinlagerungen „dank“ des Cortisons zu kurz geworden zu sein. Somit probieren wir es mit einer 25er. Klappt nicht. Der Pfleger und die Schwester bitten die zwei Ärzte hinzu, die gerade zur Visite bei meinem Zimmergenossen waren. Mit vereinten Kräften 3 anpackender und einer zuschauenden medizinischen Fachkraft siegt erneut der Mensch über die Materie und die Nadel sitzt. Es kann also losgehen. Erst ein bisschen Blut abgeben, dann etwas Bleomycin und im Anschluss Vincristin. Zuvor gab es noch Fenistil intravenös. Das haut gut rein und macht extrem müde. Ich schlafe also von 9:00 Uhr bis 11:00 Uhr und von 12:30 bis 14:00 Uhr noch einmal. Nicht sehr feierlich, wie ich meine letzte Infusion begehe.
Der Rest des Tages wird auch nicht schwungvoller. Ich widme mich der Abarbeitung des Marvel Comic Universe, beende meine Beziehung zu Agent Carter, lerne (erneut) Tony Stark kennen und werde Zeuge wie der grüne Hulk alles in Schutt und Asche legt – alter Choleriker!
Stichwort: Tony Stark. Im zweiten Teil von Iron Man hat Tesla-Chef Elon Musk einen kurzen Cameo-Auftritt. Das erinnert mich daran, dass ich noch auflösen muss, dass Tesla Daimler NICHT gekauft hat. Das war mein diesjähriger Aprilscherz. Mal was anderes als das ewige „ich hab mein Auto kaputtgefahren!“. Glaubt mir eh derzeit keiner.
Ansonsten sehne ich den Tag herbei an dem ich entlassen werde. Mein Zimmergenosse schläft den ganzen Tag und ist enorm handlungseingeschränkt. Toilettengänge sind für ihn nicht mehr allein zu bewältigen. Er ist auf einen Toilettenstuhl und das Personal der Station angewiesen. Einmal hat er es versucht, allein auf die Toilette zu gehen. Dabei ist leider eine gute Menge des Blut-/Kochsalz-Gemischs aus seinem Katheter überall auf dem Weg zwischen Bett und Bad gelandet. Diese Bilder, zusammen mit den gequälten Geräuschen aus Stöhnen, Grunzen, Schnaufen aus meinem Zimmer und pausenloser Rufe um „Hilfe, Hilfe“ oder „Hallo, Hallo“, die eine andere Patientin pausenlos absetzt, weil sie nicht alleine sein möchte, machen den Alltag momentan nur schwer erträglich. Aber es ist bald geschafft. Ich hoffe am Montag! Haltet die Daumen! Bis dann!