Krebs – Liebe – Punkt NULL
Annette fragt… Paulina Ellerbrock
In vielen Chemonächten, in denen ich im Gegensatz zum Rest meiner Familie wach lag oder aufgedreht durch die Gegend hüpfte, hörte ich „2 Frauen 2 Brüste“ . Das ist ein Podcast, der von zwei ehemaligen Brustkrebspatientinnen gemacht wird und nun schon an die 80 Folgen zählt.
Eine der beiden Podcasterinnen ist Paulina, oftmals auch kurz “Paula” genannt. Sie erhielt im Jahr 2017 mit gerade mal 30 Jahren die Diagnose „triple negativer Brustkrebs“. Sie ist Mutter eines Sohnes und lebt im schönen Hamburg. Sie ist Krebsbloggerin und in der Instagram-Brustkrebscommunity sehr bekannt. Dort teilt sie in täglichen Stories sehr aktiv ihr Leben nach dem Krebs. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass durch das Interview auf meinem Blog nun auch weniger social-media-fernere Menschen die liebe Paula und ihre Geschichte kennenlernen dürfen
Liebe Paula, nimm uns mal mit zu den Tagen um deine Diagnose herum: Wie hast du reagiert?
Ich glaube, egal welche Worte ich wähle, egal was ich schreibe- es würde emotional niemals das erfassen könnte, was ich fühlte.
Ich erinnere mich sehr gut daran, dass ich Krebs überhaupt nicht auf der Liste der Wahrscheinlichkeiten für diesen Knoten in meiner Brust hatte.
Ich glaubte so wenig an Krebs, dass ich den Besprechungstermin beim Arzt zunächst absagte und um telefonische Rückmeldung bat, wenn der Befund auffällig ist.
Der Anruf kam und obwohl der Arzt sich große Mühe gab mich einzubestellen, um ein persönliches Gespräch zu führen, rang ich ihm meine Krebsdiagnose telefonisch ab.
Ich zückte Zettel und Stift und schrieb Fragmente von dem, was er mir sagte mit, bedankte mich für das Gespräch und legte auf.
Es tat sich ein Tunnel auf und meine Gefühle wurden starr, meine Bewegungen wie mechanisch. Es war, als sprächen wir von jemand völlig anderem.
Noch in der U-Bahn rief ich meine Eltern an, denn ich wusste, dass es mir schwer fallen würde, in einer mir vertrauten Umgebung die Fassung zu bewahren. Ich wusste, dass ich mich in der Bahn zusammenreißen musste.
Zu Hause brachte ich mein Kind nach dem Turnen ins Bett und sagte es meinem Mann.
In unserer Unwissenheit begannen wir die Fragmente auf meinem Zettel zu googeln und ich erinnere mich an Hilfslosigkeit, Verzweiflung und Panik.
Ich kann nicht sagen, dass ich „mein Krönchen richtete und mich aufgerichteten Hauptes“ in Richtung Behandlung begab, sondern zunächst alle schlimmen Szenarien in allen Facetten einmal durchgedacht habe, bevor ich wieder aufrichtig lachen konnte.
Etwas, vom dem ich in den ersten Tagen der Diagnose eigentlich nicht geglaubt habe, dass es möglich ist. Aber mit dem ersten aufrichtigen Lachen brach auch die mechanische Starre und ich begann wieder zu leben.
Mit Krebs- aber ich fühlte mich lebendig.
Wahnsinnig oder bescheuert: Du hast deinen Mann während deiner Chemotherapie geheiratet. Was steckt denn hinter dieser Geschichte?
Eigentlich- so wie du andeutest- ein bisschen von allem.
Der Wunsch nach 10 Jahren wilder Ehe zu heiraten, bestand natürlich schon und war eigentlich auf später verlegt worden.
Aber wie viel „später“ gab es noch mit einer Diagnose?
Es fühlte sich richtig an im kleinen Kreis ohne chi, chi nach unseren Wünschen kompromisslos zu heiraten. Wir wollten denselben Nachnamen tragen, wir wollten die Oma dabeihaben (die sowieso gerade zu Besuch war), und bei aller Romantik spielt auch die Absicherung eine nicht unerhebliche Rolle.
Mein Mann sagte immer, wenn es um das Thema Hochzeit ging:
„Wenn eine Hochzeit der glücklichste Tag im Leben ist, möchte ich niemals heiraten“. Und damit hatte er völlig recht. Wir heirateten in den Zeiten, die fast dunkler nicht hätten sein können und waren bereit für die Guten.
Daran denke ich heute noch gern zurück 🙂
Ich habe erst während der Chemozeit mit dem Bloggen begonnen, auf Instagram werde ich jetzt erst richtig aktiv. Du hingegen hast deinen Blog und den Instagram-Account gleich zu Beginn deiner Erkrankung gestartet. Wie kam das? Was hast du dir davon versprochen?
Alles begann mit Instagram (der Blog kam erst ein gutes Jahr später dazu).
Ich bin da ein bisschen reingestolpert. Ich bin nämlich nie ein Social-Media-Mensch gewesen und es war mir immer irgendwie fremd. Also hatte ich natürlich auch keinen Account.
Als ich meine Diagnose bekam, wollte ich Menschen erleben, denen dasselbe passiert, wie mir.
Ich wollte sehen, wie ein Alltag mit Krebs aussieht. Ich hatte Fragen, die ich stellen wollte und ich wollte Antworten von Menschen, die mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind wie ich.
Ich wollte Lösungen für Schwierigkeiten, die in keinem Arztzimmer Platz haben.
Ich las Bücher, Artikel, guckte Serien, Dokus- las auf Blogs.
Aber es war einseitig.
Meine jüngere Schwester sagte irgendwann zu mir: „Vielleicht musst du gar nicht suchen- vielleicht musst du gefunden werden?“
Sie legte mir einen Account an und erklärte mir, wie Instagram überhaupt funktioniert.
Der Rest ist Geschichte.
Ich habe mittlerweile ein paar Podcasts gemacht. Du selbst machst mit Alexandra von Korff schon seit vielen Jahren einen Brustkrebs-Podcast. Wie ist diese Idee entstanden? Kam der Podcast sofort gut an?
Alex und ich standen beide kurz vor unseren Wiedereingliederungen in den Beruf. Wir merkten, dass in unseren Social-Media-Kanälen mehr Alltag als Krebs Einzug gehalten hatte, und der Ursprung unseres Accounts in den Hintergrund geriet.
Außerdem merkten wir, dass auch Instagram Grenzen hat. Es ist einfach sehr tagesaktuell, aber Themen zu filtern, zu kategorisieren- das ging nicht.
Wir brauchten ein neues Medium, weil unsere Krebsgeschichten (hoffentlich) erzählt waren, zum Thema Krebs war aber noch nicht alles gesagt.
Und so fragte Alex mich, ob wir einen Podcast machen wollten.
Wollten wir- und bauten es so auf, wie wir es damals gebraucht und gern gehört hätten.
Aus dem Leben und dem Alltag gegriffen. Themengebunden, mit einigen Tipps. Mit vorsichtigen Späßen, ohne das Thema zu bagatellisieren.
Wir wollten nicht nur Patient*innen zeigen, wie Krebs im Alltag funktioniert, sondern auch Angehörigen, Ärzten, Fachpersonal, Wirtschaft, Politik, Organisationen und Industrie.
Krebs aus dem Alltag zu zeigen war damals neu. Später kam Corona dazu und die Isolation und Einsamkeit vieler Patientinnen, weil Austauschplattformen im richtigen Leben nicht stattgefunden haben (Selbsthilfe).
Ich glaube, wir haben auf vielen Ebenen den Zahn der Zeit getroffen.
Wir bekommen viel wertschätzendes Feedback, was uns natürlich sehr freut.
In eurem Podcast geht ihr herrlich unverkrampft, teilweise mit Galgenhumor an das Thema „Krebs“ heran. Warst du von Anfang an so positiv im Umgang mit deiner Krankheit oder kennst auch du dunkle und ängstliche Momente?
Die Krankheit ist ein Prozess. Anfangs helfen ganz andere Dinge, als im Verlauf.
Der Podcast ist ein Projekt, das wir circa 1,5 Jahre nach unseren Diagnosen ins Leben gerufen haben, sodass wir natürlich schon ganz anders über unsere Verläufe sprechen konnten, als mittendrin – oder am Anfang.
Ich kürze es ab: Ich bin ein großer Freund von Authentizität.
Wir sprechen im Podcast über Krebs- unsere eigenen Erfahrungen liegen dabei in der Vergangenheit.
„Positiv zu sein“ hängt verdammt eng mit guten Perspektiven zusammen. Die hatte ich nicht immer- und viele können in Momenten der Starre ihre eigenen Perspektiven nicht sehen- und das ist ganz normal.
In unserem Podcast sind auch viele Momente der Stille. Auch Tränen. Betretendes Schweigen- und das gehört dazu.
Ich würde mir wünschen, dass man offen auch über diese Seite spricht. Formate, die diese Seiten nicht abbilden haben mich damals sehr verletzt.
Es ist weder mutmachend, noch inspirierend stets die positiven Sonnenseiten (ja, die gibt’s!) in den Vordergrund zu stellen. Das wird weder der Krankheit, noch dem Prozess gerecht.
Schlimmer noch: es ist toxisch positiv, erzeugt Druck, Scham und schürt Erwartungshaltungen unseres Umfeldes, den wir in der Rolle als Patientin nicht zu jedem Moment erfüllen können- und wollen.
Es lohnt sich deshalb, bei aller Lebendigkeit, Lebenslust und Resilienz hinzuschauen, welche Formate man konsumieren möchte, wenn man schwer erkrankt ist.
Ich für meinen Teil lese lieber von Menschen, die auch darüber berichten, wie sie an Krisen gewachsen sind und nicht nur, dass es passiert ist.
Meine Diagnose liegt erst anderthalb Jahre zurück und der Krebs ist noch recht präsent in meinen Leben. Deine Diagnose liegt nun schon fünf Jahre zurück. Wie sieht das bei dir aus?
Krebs ist auch in meinem Leben noch präsent.
Ich denke, dass man das nicht pauschal sagen kann, warum das so ist.
Einen großen Beitrag habe ich selbst dabei, denn ich habe das Privileg, dass ich steuern kann, wie viel Krebs ich in meinen Alltag lasse, weil die Krankheit selbst ihn nicht mehr vorgibt.
Das schwankt und hängt von vielen Dingen ab.
Während meiner Therapie erkrankte mein Vater an einem metastasierten Magenkarzinom und starb Monate später an den Folgen.
Meine eigene Krebsgeschichte musste damals warten, weil wir meinen Vater versorgt und gepflegt haben.
Nach seinem Tod habe ich mir vorgenommen, dass das Kapitel Krebs nicht mit dem Tod eines der wichtigsten Menschen in meinem Leben enden kann- und so versuchte ich, das Kapitel sinnstiftend und positiv zu bearbeiten (und im besten Fall) zu beenden.
So hat sich das Engagement in diesem Bereich verstärkt und mein Tun hat sich erweitert.
Beendet ist es nicht- und das ist auch nicht mehr der Anspruch, weil ich jetzt leichterem Herzens dabei bin und es mich vollumfänglich erfüllt.
Was möchtest du aus deinen Erfahrungen heraus Frauen, die gerade frisch ihre Diagnose erhalten haben, mit auf den Weg geben?
1. Sammelt eure Unterlagen zusammen und seid sortiert- es erspart euch nachher viel Lebenskraft.
2. Ich kenne niemanden, der an der Krankheit zerbrochen ist.
So, wie es sich anfangs anfühlt, bleibt es nicht. Versprochen!
3. Schritt für Schritt. Bleib bei dir, und denke nicht in Zeitspannen, die die die Luft zum Atmen nehmen.
Mehr über Paula findest du hier:
Podcast 2 Frauen 2 Brüste: https://2frauen2brueste.podigee.io
Paula auf Instagram: https://www.instagram.com/paulinapaulette_/
Paulas Blog: https://paulinapaulette.com
Paula im Interview mit Bild: https://www.bild.de/ratgeber/gesundheit/gesundheit/brustkrebs-mit-prothesen-kann-paulina-ellerbrock-inkognito-leben-58167766.bild.html
Paula im Gespräch mit Tanja Wedhorn (die eine brustkrebskranke Frau in einer Serie spielt) bei der YES-CON: https://www.yescon.org/blog/event/oneone-2/
Paula im Interview mit der Orthopädie-Technik-Redaktion: https://360-ot.de/podcasterin-paulina-ellerbrock-im-interview-ueber-brustkrebs-versorgung/
Paula zu Gast im Podcast “echt und unzensiert”: https://open.spotify.com/episode/0IA034FOi5839idwPenyXL?si=bfdcd6ba2d0a48d3
Hier geht’s zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”:
https://www.influcancer.com/blog/interview-projekt-annette-fragt/