Erleichterung vs. Belastung
Annette fragt… Markus Hotz
Im Sommer 2021 traf ich auf Markus Hotz. Genau wie ich war er nach seiner Krebserkrankung auf der Suche nach einer Selbsthilfegruppe, in der die Teilnehmer*innen noch nicht im Rentenalter waren. Diese Suche blieb erfolglos und wir Zwei gründeten kurzerhand selbst eine solche Gruppe hier oben bei uns am Rande des Schwarzwals im schönen Wutachtal.
Markus ist 44, verheiratet und hat zwei Töchter. Er ist Krankenpfleger, war lange Zeit aktiver Fußballer und liebt das Mountainbiken. Er hatte mit Anfang 40 einen Hirntumor, es folgten Operation, Reha und Bestrahlung. Dann ging er einen etwas unkonventionelleren Therapieweg, von dem er im Interview erzählen wird.
Ich freue mich sehr, dass Markus bei meinem Interviewprojekt mit dabei ist, obwohl er sich eigentlich nicht so gern in der Social-Media-Bloggerwelt zeigt.
Da er ja bei mir um die Ecke wohnt, war er mein erster Interviewpartner, mit dem ich live sprechen konnte, anstatt ihn online oder schriftlich zu befragen. Eine tolle Sache, dass ich also quasi zum ersten Mal wirklich das Mikrofon in der Hand hielt, mit dem ich mich auf dem “Annette fragt”-Foto zeige. Juchuh!
Annette: Lieber Markus, erzähl uns zunächst einmal vom Sonntag, an dem der Krebs in dein Leben trat: Was ist passiert?
Marcus: Es war am 29.09.2019. Ich saß im Wohnzimmer auf der Couch, las ein Buch und bekam ganz plötzlich – ohne irgendwelche vorherigen Anzeichen – einen epileptischen Anfall. Meine Ehefrau rief natürlich sofort den Notarzt.
Daraufhin brachte mich das DRK in das nächstgelegene Kreiskrankenhaus. Dort wurde eine CT-Untersuchung des Schädels durchgeführt. Nach ca. 2-3 Stunden kam ein Arzt und überbrachte uns die Nachricht, dass etwas in meinem Kopf sei, das da nicht hingehörte. Daraufhin veranlasste er zusätzlich noch ein MRT mit Kontrastmittel. Die Befunde wurden per Telemedizin mit der Universitätsklinik Freiburg besprochen und wir hatten dort später ein Termin.
In Freiburg wurde ich dann über dann über meine Erkrankung informiert und es wurde sofort ein OP-Termin vereinbart. Da der Tumor im MRT kein Kontrastmittel aufnahm, gingen man zunächst von einem gutartigen Tumor aus.
Am 17.10.2019 erfolgte dann die erfolgreiche Tumorentfernung. Leider bekam ich in der Nacht auf den 18.10.2019 eine Nachblutung, so dass ich direkt noch einmal notoperiert werden musste!
Nach 14 Tagen lag dann das Histologie-Ergebnis vor: Das besagte, dass mein Hirntumor doch bösartig war (Astrozytom WHO Grad3)! Dies war ein Schlag ins Gesicht für mich und meine Familie, da wir von der positiven ersten Nachricht beflügelt gewesen waren.
Annette: Wie hast du die ersten Tage nach deiner Diagnose erlebt?
Marcus: Natürlich musst du nach so einer schwerwiegenden Diagnose erst einmal damit fertig werden. Mir gingen sehr viele Dinge durch den Kopf: „Wie geht es weiter? – Was passiert mit meiner Familie, wenn ich vielleicht nicht mehr da bin?” Nachdem sich dann der erste Schock gelegt hatte, fing ich an, mich mit meiner Krankheit intensiv auseinanderzusetzen.
Dabei möchte ich schon an dieser Stelle ausdrücklich vor Dr. Google warnen! Sucht euch seriöse Quellen und beschränkt euch auf ein paar wenige Seiten, sonst werdet ihr von der Fülle an Informationen erschlagen.
Annette: Ich bin Mama und musste meinen Kindern von meiner Brustkrebsdiagnose erzählen. Du hast zwei Töchter. Wie sind die damit umgegangen, dass der Papa so schwer krank ist?
Marcus: Meine Töchter waren zu diesem Zeitpunkt 12 und 10 Jahre alt. Meine Ehefrau hat ihnen Kindern so kindgerecht wie möglich mitgeteilt, was mit dem Papa los ist und hat ausführlich mit ihnen gesprochen. Natürlich konnte ihnen das die Angst und den Schrecken nicht komplett nehmen. Am Schluss kommt man irgendwie doch immer wieder an den Punkt: „Der Papa hat Krebs.”
Natürlich waren die Mädels am Boden zerstört. Deshalb haben wir gleich von Anfang an psychologische Hilfe für unsere Kinder gesucht und dann später auch in Anspruch genommen.
Ich empfehle jedem Elternteil, das an Krebs erkrankt ist, den Weg von professioneller Seite aus begleiten zu lassen.
Annette: Deine Therapiezeit war lang, du hattest Schmerzen, du konntest Dinge nicht mehr machen. Was hat dir in dieser Zeit Mut und Kraft gegeben?
Marcus: Ganz schnell und einfach gesagt: Die Unterstützung meiner kompletten Familie sowie enger Freund*innen. Vielen Dank euch allen an dieser Stelle!
Anders als du, Annette, hatte ich das große Glück, den Beginn meiner Erkrankung vor der Pandemie zu erleben. Deshalb konnte mich meine Frau zu den Untersuchungen begleiten, mich in der Klinik besuchen kommen und zusammen mit den Kindern bei mir in der Reha vorbeischauen.
Annette: Nach der Operation und Reha empfahlen deine Ärzte dir noch eine Chemotherapie. Diese hast du aber abgelehnt. Warum?
Marcus: Nach der Operation und der Reha standen zunächst einmal 33 Bestrahlungen an. Während meiner Bestrahlungszeit, die ich so weit gut vertragen habe, ernährte ich mich in dieser Zeit komplett ketogen, was mir von einem Ernährungsmediziner empfohlen wurde, um den Gesundungsprozess zu unterstützen.
Schon während meiner Rehazeit und der Bestrahlung setzte ich mich sehr intensiv mit meiner Erkrankung auseinander. Ich suchte auch nach anderen Behandlungsmethoden außerhalb der Schulmedizin. Irgendetwas in mir war von Anfang an skeptisch und ich war nicht richtig vom Nutzen einer Chemotherapie bei einem Hirntumor überzeugt.
Ich möchte aber an dieser Stelle betonen, dass ich eine Chemotherapie nicht grundsätzlich ablehne! Vermutlich wäre ich bei einer anderen Krebsart auch „den klassischen Weg“ gegangen. Ich verteufle keineswegs die Schulmedizin, ich arbeite ja selbst in einer Klinik.
In meinem Fall aber wählte ich einen anderen Weg, weil dieser mich mehr überzeugte.
Aus meiner Erfahrung heraus wünsche ich mir eine Vernetzung der Schulmedizin mit komplementärmedizinischen Methoden. Während meiner Klinikaufenthalte lernte ich z.B. einige Patient*innen kennen, die eine Chemotherapie mit komplementären Methoden kombinierten. Ich denke, das ist ein optimaler Weg.
Annette: Du hast dich für die Misteltherapie und Hyperthermie entschieden. Worum handelt es sich bei diesen beiden Methoden? Wie funktioniert das genau?
Marcus: Die Misteltherapie gehört zu den am häufigsten angewandten Verfahren in der komplementärmedizinischen Krebsbehandlung. Sie ist eine Art Immuntherapie. Bestimmte Forschungen zeigen, dass die in den Misteln enthaltenen Inhaltsstoffe, die Mistellektine, eine tumorzellhemmende und eine immunsteigernde Wirkung haben. Bestimmte Mistelpräparate erhalten auch Substanzen, die eine Fieberreaktion im Organismus auslösen können, die wiederum tumorzellschädigend sind.
Vorsicht: Im Internet kursieren teilweise seltsame Informationen und eine Misteltherapie wird sehr schnell als Methode angepriesen, die ganz leicht von zu Hause aus durchzuführen ist. Bitte nicht!
Ich selbst wurde während meiner regelmäßigen stationären Aufenthalte in einer anthroposophischen Klinik in der Dosierung begleitet. Ich zeigte zu Beginn auch tatsächlich eine sehr starke Reaktion, eine faustgroße Rötung im Bauchbereich.
Mittlerweile spritze ich mich zweimal wöchentlich zu Hause. Die Spritzen erhalte ich in der Apotheke vor Ort. Sie können vom Onkologen verschrieben werden.
Informiert euch gerne genauer unter http://www-mistel-therapie.de.
Mein zweiter Therapiebaustein war die Hyperthermie. Dahinter steckt die These, dass Krebszellen mit Wärme zerstört werden können. Während gesunde Zellen eine Temperatur um die 44°C aushalten können, sterben Krebszellen bereits bei einer Temperatur von 39-40°C ab.
Dabei gibt es zwei Verfahren: die “moderate Ganzkörperhyperthermie“, die auch für andere Krebsarten sehr wirkungsvoll sein kann und bei der der gesamte Körper einer/s Patient/in erhitzt wird sowie die “regionalen Hyperthermie”. Hierbei wird die bösartige Geschwulst mit Hilfe von Radiowellen gezielt von außen auf ca. 41°-42° erwärmt und so die Krebszellen zerstört. Es lassen sich Rückbildungen des Tumors erreichen, teilweise auch vollständige Remissionen.
Ich erhielt eine loco-regionale Hyperthermie und wurde über zwei Jahre, im Abstand von drei Monaten, in Kombination mit der Misteltherapie und anderen ganzheitlichen Therapien behandelt. Hierzu war ich immer 10-12 Tage lang in einer speziellen Klinik.
An dieser Stelle weise ich gerne auf die Seite der Biologischen Krebsabwehr hin. Dort erhalten Betroffene Informationen sowohl aus dem schul- als auch dem komplementärmedizinischen Bereich. Ärzte*innen und Fachpersonal stehen für die persönliche Beratung per Telefon oder Email zur Verfügung.
Außerdem möchte ich erwähnen, dass die Kostenübernahme für meine Klinikaufenthalte mit alternativem Behandlungsweg und der Hyperthermie von meiner Krankenkasse übernommen wurde. Auch erhielt ich lange Zeit Rezepte für meine Misteltherapiespritzen.
Lasst euch von euren Ärzt*innen nicht abwimmeln, wenn ihr euch in dieser Richtung behandeln lassen wollt. Es sind andere Wege möglich und teilweise auch von den Krankenkassen anerkannt!
Annette: Hat deine Familie und dein Freundeskreis deine Entscheidung gegen die schulmedizinische Empfehlung von Anfang an befürwortet? Oder hattest du auch mit Kritik oder Verwunderung zu tun?
Marcus: Auch meine Frau hatte sich intensiv mit meinem Krankheitsbild auseinandergesetzt sowie im eigenen Familienumfeld schon Kontakt mit der Hyperthermie gehabt. Sie stärkte mir von Anfang an den Rücken und wir haben uns dann gemeinsam für diesen Weg entschieden.
Weiter entfernte Verwandte und auch ein paar meiner Freund*innen waren kurz verwundert, als sie hörten, dass ich die empfohlene Chemotherapie ablehnte. Aber durch aufklärende Gespräche sowie deren eigne Recherchen konnten die meisten meine Entscheidung nachvollziehen. Und wer es nicht konnte, die/der war mir eigentlich auch egal. Es war und ist mein Weg!
Annette: Du hast dich nicht nur gegen die Chemotherapie entscheiden, sondern dir auch mal eine Zweitmeinung eingeholt, als du mit dem Befund eines Arztes nicht einverstanden warst. Erzähl doch mal, du Rebell…
Marcus: Ja, das stimmt. Bei meiner ersten Nachsorge im Februar 2020 war alles ok. Aber im Mai 2020 dann entdeckte man eine Auffälligkeit und die Ärzte*innen, die mich beim ersten Mal behandelt hatten, rieten mir dazu, mich erneut am Kopf operieren zu lassen. Dies wollte ich aber nicht sofort riskieren! Deshalb ging ich zu einem anderen Arzt und bekam eine gegenteilige Aussage. Eine Operation war nicht nötig und ich bin – Stand heute – krebsfrei.
Annette: Eine Krebserkrankung hat immer auch Auswirkungen auf die Familienangehörigen. So war deine Frau z.B. während deiner Therapiezeit regelmäßig eine Woche alleine für die Familie und den Haushalt zuständig, wenn du bei der stationären Therapie in der anthroposophischen Klinik warst. Welche Tipps kannst du anderen Betroffenen für den Umgang mit ihren Angehörigen geben?
Marcus: Redet immer offen und ehrlich miteinander. Führt viele Gespräche. Und bei Kindern, holt euch bitte professionelle Hilfe dazu! Dies tut den Kindern sehr gut und entlastet euch auch als Eltern, weil ihr einige Sorgen abgeben könnt. Auch im Nachhinein kann das hilfreich sein! Die Kosten für eine Psychotherapie könnt ihr in der Regel auch (anteilig) über die Kasse abrechnen. Eventuell ist ein Gutachten über die Verfassung eurer Kinder nötig. Aber ich denke, deren Gesundung ist euch das wert.
Annette: Mittlerweile arbeitest du wieder. Allerdings ist es dir nicht mehr in Vollzeit möglich. Hattest du Mühe, diesen Umstand zu akzeptieren? Was rätst du anderen Betroffenen, die bemerken, dass sie nicht mehr ihre volle Leistung bringen können?
Marcus: Ich arbeite mittlerweile 50% in einer Tagesklinik. Dort habe ich geregelte Arbeitszeiten und bin nicht mehr im Schichtdienst tätig. Natürlich war es anfangs schwierig für mich, die verminderte Tätigkeit zu akzeptieren. Aber ich lernte, dass fortan die Gesundheit an erster Stelle in meinem Leben steht (und in unser aller Leben stehen sollte!).
Ich bin froh darüber, dass ich nach einem Gehirntumor überhaupt noch arbeiten kann. Es tut mir sehr gut, tageweise rauszukommen und das Gefühl zu haben, gebraucht zu werden. Ich bin nicht nur der Krebs, auch wenn er meine Arbeitszeit reduziert hat.
Anderen Betroffenen kann ich nur raten, die Situation so anzunehmen wie sie eben jetzt gerade ist. Das erleichtert einiges. Wenn es auch ein langer Weg ist.
Annette: Es heißt so oft „Männer reden nicht viel.“ Du hingegen gehst sehr offen mit deiner Erkrankung um und hast sogar eine Selbsthilfegruppe gegründet. Warst du von Anfang an so gesprächsbereit oder wie kam es dazu?
Marcus: Ich war am Anfang noch nicht bereit, in der Öffentlichkeit oder einer Selbsthilfegruppe über meine Erkrankung zu sprechen. Erst im Rahmen meiner stationären Aufenthalte in der anthroposophischen Klinik lernte ich das kennen und zu schätzen. Dort steht nicht der Krebs im Mittelpunkt, sondern es wird der Mensch ganzheitlich betrachtet und mithilfe anderer ergänzender Therapien wie z.B. Gesprächstherapie, Musiktherapie, Heileurhythmie unterstützt.
Im Rahmen der Gesprächstherapie erkannte ich relativ schnell, dass es allen Betroffenen sehr gut tat, über ihre Erkrankung mit anderen Betroffenen zu reden.
Wieder mehr und mehr in meinem häuslichen Alltag angekommen, suchte ich dann eine Selbsthilfegruppe in meiner Gegend. Leider gab es in unserer Gegend keine, in die ich hineinpasste. Die einzige Gruppe, die ich fand, war für Frauen im fortgeschritteneren Alter.
Über Umwege bin ich auf dich, Annette, gestoßen. Wir trafen uns im Sommer 20221 bei dir zu Hause auf der Terrasse. Wir hatten im September 2021 unser erstes Treffen unserer Selbsthilfegruppe “Jung und Krebs im Wutachtal“. Wir schlossen uns dem Verein “Jung und Krebs Freiburg” an.
Unsere Gruppe darf sich gerne noch vergrößern! Vielleicht hast du, die oder der du mein Interview hier gerade liest, auch Lust mit uns ins Gespräch zu kommen? Dann sei doch ganz unverbindlich mal bei einem unserer nächsten Treffen dabei! Annette und ich freuen uns auf dich und deine Geschichte.
Nähere Infos unter markus@jung-und-krebs.de oder annette@jung-und-krebs.de
Homepage Jung und Krebs e.V.
Annette: Lieber Markus, ich bedanke mich sehr herzlich bei dir für deine offenen Antworten und wünsche dir alles, alles Gute für deinen Lebensweg. Ich freu mich auf unser nächstes Treffen bei „Jung und Krebs im Wutachtal“
Hier geht’s zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”