Krebs – Liebe – Punkt NULL
Annette fragt… Julia von Pinklia
Brustkrebs hat die Farbe Pink. Ich hab´ das ein oder andere pinke Shirt im Schrank. Meine aktuelle Interviewpartnerin hat die Farbe Pink sogar in ihrem Profilnamen.
Julia erhielt ihre Diagnose mit 30 – beidseitiger Brustkrebs, metastasiert – und befindet sich seit fünf Jahren in Krebstherapie. Das hat Lebensträume zerstört und lässt Julia oft hadern und macht sie traurig. Aber es hat auch viele Änderungen gebracht – Heirat, Eigenheim, Umzug und ein Hundebaby und nicht zuletzt einen mutmachender Krebsblog auf Instagram. Ja, ihr neues Leben macht Julia an vielen Tagen auch sehr zufrieden.
Freut euch auf ein ehrliches Interview, das neben all dem Frust und Leid absolut Lust macht aufs Leben, in dem es so viel zu erleben, fühlen, sehen, lieben, weinen, verfluchen und dankbar sein gibt. Packt es an!
Annette: Ich habe meinen Knoten weder ertastet noch eine Veränderung an meiner Brust wahrgenommen, sondern wurde bei einer Vorsorgeuntersuchung eiskalt von einer Diagnose erwischt. Wie war es bei dir?
Julia: Aufgrund meines Berufs bin ich beihilfeberechtigte Privatpatientin und deshalb hat meine Frauenärztin seit meinem 27. Lebensjahr regelmäßig eine Abtastuntersuchung und auch tatsächlich auch schon immer einmal im Jahr einen Ultraschall gemacht, obwohl das keine Kassenleistung war. Und es war immer alles in Ordnung.
Dennoch war ich früher ein totaler Hypochonder. Ich hab´ immer wieder zu Freund*innen gesagt: „Na, ich krieg bestimmt auch mal Krebs.“ Das habe ich aber mit dem hohen Alter in Verbindung gebracht und nie ernsthaft damit gerechnet, so jung an Krebs zu erkranken.
Im Nachhinein wirklich dumm, aber es ist tatsächlich so gewesen.
Mein 30. Geburtstag war im September 2018 und seit Dezember 2018 hab´ ich bemerkt, dass sich meine linke Brust irgendwie veränderte. Ich hab´ mir aber zunächst nicht wirklich was dabei gedacht. Ich schob es – wie übrigens auch meine Mutter und mehrere Freundinnen – auf ganz normale zyklusbedingte hormonelle Veränderungen.
Und da meine Brüste sowieso schon von jung an immer vor der Periode sehr stark geschmerzt haben, glaubte ich das auch (oder wollte es glauben…).
Im Januar 2019 dann aber entdeckte ich eine Delle neben der linken Brustwarze. Aber auch hier meinte mein Umfeld weiterhin: „Das gibt es mal. Das ist normal.“ Da ich zu dem Zeitpunkt im Job und privat so viel um die Ohren hatte, glaubte ich das auch gerne und beschäftigte mich nicht weiter damit.
Im März 2019 dann passten mir keine BHs mehr. Aber auch hier: Mir kam nicht in den Sinn, dass dies Brustkrebs sein könnte.
Stattdessen ging ich direkt zu Galeria Kaufhof und kaufte mir neue Unterwäsche. Statt wie bisher Körbchengröße B brauchte ich diesmal allerdings Körbchengröße D! Und auch das erklärte ich mir wieder ganz plausibel: „Dein Körper stellt sich mit 30 halt einfach nochmal um. Und du weißt, dass bei deiner Mutter die Brust auch erst später größer wurde.“
Allerdings fiel mir dann im April 2019 auf, dass ich einen Fleck im BH hatte, meine Brust also irgendwie nässte. Aber noch immer reagierte ich nicht. So, so dumm!
Im Mai 2020 bekam ich plötzlich starke Schmerzen in der linken Brust. Es war, wie wenn jemand mir eine heiße Nadel durch die Brustwarze hauen würde. Richtig, richtig schlimm.
Mein Mann drängte darauf, dass ich nun eine Frauenärztin aufsuchte. Ich wollte eigentlich noch bis zu meiner Vorsorgeuntersuchung im Juni warten. Aber ich machte dann schlussendlich doch einen Termin aus.
Da ich zuvor innerhalb Hannovers umgezogen war, ging ich in eine andere Praxis als bislang. Die Ärztin meinte, dass es nichts Schlimmes sei, auch wenn es wehtäte. Sie hatte auch nicht wirklich viel Zeit für mich und veranlasste außer einem PAP-Abstrich nichts.
Das widerstrebte mir und ich ging dann doch noch zu meiner früheren Frauenärztin. Die entdeckte dann tatsächlich eine 2 cm große Auffälligkeit! Sie tippte auf ein Fibroadenom – einen gutartigen Knoten – wollte es aber dennoch abklären lassen und hat mich sofort zur Mammografie geschickt.
Das war der erste Moment, an dem ich dachte: „Oh, okay. Wow, krass.“ Und plötzlich brachte ich es mit Brustkrebs in Verbindung. Nein, eigentlich ich war mir ab diesem Moment sehr sicher, dass ich Brustkrebs hatte!
Ich verzeihe es mir heute noch nicht, dass ich zuvor ein halbes Jahr lang nicht zur Frauenärztin gegangen bin. Obwohl meine Schwiegermutter Brustkrebs und meine Oma Magenkrebs hatten. Total bescheuert…
Eine Woche später hatte ich dann einen Termin zur Mammografie. Zuvor machte die Ärztin einen Ultraschall und beim Blick auf das Gerät meinte ich: „Das ist aber doch nicht die linke Brust“. Sie antwortete nur: „Ja, aber… Sie haben da auch was in der rechten Brust.“
Da war die Welt für mich zu Ende! Meine erste Frage war sofort: „Muss ich jetzt sterben?“
Am selben Tag ging die Untersuchungsmaschinerie dann direkt los. Biopsie. Mammografie.
Zwar meinte die Chefärztin noch: „Die Wahrscheinlichkeit, dass in beiden Brüsten etwas ist, ist unwahrscheinlich.“ Aber eine Woche später bei der Befundbesprechung kam sie mit einem Riesenpack voll Informationsbroschüren auf mich zu und erklärte mir: „Sie haben Brustkrebs. Beidseitigen Brustkrebs. Links haben sie einen Triple positiven Brustkrebs, rechts haben sie einen hormonellen Brustkrebs. Der rechte Tumor ist kleiner als der linke.“
Außerdem fügte sie noch hinzu: „Seien Sie froh, dass es diese Brustkrebsarten sind. Die sind super therapierbar. Sie machen jetzt anderthalb Jahre Therapie und dann ist die Sache erledigt.“
Dennoch hatte ich aber ich trotz dieser guten Prognosen starke Zweifel und riesige Ängste, ob ich es schaffen würde.
Ja, so hat damals alles angefangen…
Annette: Brustkrebsdiagnose mit 30 Jahren. Beidseitiger Brustkrebs. Gendefekt. Lymphknotenbefall. Schlimmer kann man es eigentlich nicht treffen. Sicherlich war zunächst alles schwarz und traurig um dich herum. Dennoch ging das Leben irgendwie weiter für dich. Wo hast du dir Kraft geholt? Wer hat dich unterstützt?
Julia: Zunächst lief ich wohl einfach auf Autopilot.
Die Kraft, um das alles durchzustehen, erhielt ich dann aus dem unbändigen Willen zu leben. Für mich kam nie in Frage zu sagen: „Ich mache das alles nicht.“ Mir war immer klar, dass ich jede Therapie machen und ich alles versuchen werde. Ich wollte und will leben!
Ich hab´ so viele Menschen um mich herum, die es wert sind, dass ich weiterlebe. Allen voran mein Mann, meine Schwester, meine Oma, meine Schwiegereltern, also meine ganze Familie. Aber auch meine Freund*innen, die für mich immer so etwas wie Familie sind, und von denen ich manche schon seit der Kindergartenzeit kenne.
Ein kraftgebender Moment war auch, als mein Mann mir vor Beginn der Therapien einen Heiratsantrag machte. Ich habe natürlich: „Ja!” gesagt und wir nahmen uns vor, nach Ende der Akuttherapie zu heiraten.
Und das haben wir im August 2020 dann auch gemacht. Aufgrund von Corona im ganz, ganz kleinen Kreis. Das fand ich im Nachhinein sehr schön.
Unsere Familie hat sich superviel Mühe gegeben und für uns ein ganz, ganz, ganz kleines Fest ausgerichtet. Mein Mann hatte einen superschönen Anzug an und ich trug ein tolles Kleid.
Aber ich fühlte mich nicht richtig wohl mit den kurzen Haaren. Ich sah so anders aus als vorher. Die körperlichen Veränderungen durch die Therapie haben mich schon sehr mit meinem Äußeren hadern lassen, so dass ich auch gar keine große Hochzeitsfeier hätte haben wollen.
Vielleicht schaffen wir es mal, mit ein paar mehr Menschen unsere Eheschließung zu feiern. Nächstes Jahr sind wir fünf Jahre verheiratet. Mal schauen…
Annette: Heyhey, lass es mich unbedingt wissen, ich komme gerne auch vorbei. Ich liiebe Hochzeiten! …
Annette: Wenn man sich auf deinem Instaccount umschaut, stößt man auf viele Foodfotos. In deinen Stories bekommt man Rezepte. Dir scheint gesunde Ernährung wichtig zu sein. War das schon immer so oder hast du mit/nach deiner Krebsdiagnose etwas verändert?
Julia: Nein, tatsächlich war mir das vorher nicht wichtig. Ich habe ganz normal gegessen. Ich würde auch sagen: immer zu viel, immer zu fettig und ungesund. Und da ich beruflich und privat viel ausgegangen bin, habe ich irgendwie ganz selbstverständlich auch häufig Alkohol getrunken.
Ich war nie dick, aber nachdem ich dann aufgrund des beruflichen Stresses mit dem Sport aufgehört hatte, wurde mir meine Ernährung so ein bisschen zum Verhängnis. Ich bemerkte, dass ich keinen Ausgleich mehr hatte und es mir nicht so gut ging. Und dann fing ich an gegenzusteuern und öfter mal einen Salat zu essen. Aber das war’s dann auch mit “gesunder Ernährung“.
Während der Chemotherapie hab´ ich dann viel über Ernährung gelesen – welche Rolle die Ernährung spielt, wie wichtig es ist, bestimmte Dinge zu essen und andere nicht. Ich habe natürlich darauf geachtet, dass ich Gutes zu mir nehme. Doch aufgrund der Nebenwirkungen habe ich es nicht geschafft, so gut und bewusst zu essen wie jetzt.
Danach wurde ich dann sehr extrem. Ich habe Ernährungsberatungskurse gemacht, sogar zwei Module einer Ernährungsberatungsausbildung online absolviert.
Annette: Oh, wow. Dann bist du ja eine richtige Fachfrau geworfen! Respekt.
Julia: Ja, ich eignete mir ein großes Wissen über Ernährung an. Ich weiß, was biochemisch passiert und was Ernährung physikalisch im Körper bezwecken kann.
Nach der Ernährungsausbildung habe ich mit ayurvedischer Küche begonnen. Dann habe ich alles so ein bisschen durchprobiert: vegan, proteinreich, vegetarisch, basenüberschüssige Ernährung etcetera.
Seit zwei Jahren bin ich bei der pflanzenbasierten Ernährung hängengeblieben, weil ich bemerkt habe, dass es mir damit am besten geht. Insgesamt achte ich darauf, dass ich zu 70% am Tag Obst und Gemüse esse und der Rest aus den aus den Dingen besteht, auf die ich Lust habe.
Aber bei mir gibt es auch Fleisch, bei mir gibt es auch Fisch. Aber dann aus sehr guter Qualität und in kleinen Portionen. Und: Ich esse tatsächlich auch Zucker. Bei den Milchprodukten halte ich das Maß.
Ich glaube nicht, dass es richtig ist, sich streng nach einer gewissen Ernährungsform zu ernähren. Aber: Wer das für sich entscheidet und wer das für sich machen will und sich damit gut fühlt, der soll das auf jeden Fall so weitermachen! Ganz klar!
Ich habe bemerkt, dass es mich im Alltag viel zu stark einschränkt. Mich hat es irgendwann super gestresst, immer an so vieles zu denken. Außerdem schaffe ich es auch einfach nicht zehnmal die Woche frisch kochen. Ich hab´ mir inzwischen meine Kniffs und Tricks angwöhnt, praktiziere z.B. Mealprep.
Ich teile auch gerne manche Rezepte auf meinem Account. Die sind tatsächlich recht einfach. Das ist nämlich auch das, was ich jedem mitgeben will: Macht euch nicht zu viel Kopf um die Ernährung, sondern macht einfach erstmal.
Ich bin der Meinung: Je mehr du dich mit Ernährung beschäftigst, desto mehr Feinheiten baust du dann sowieso ein. Du wirst plötzlich mehr Nüsse essen und mehr gesunde Öle verwenden. Oder du schaust, dass du nicht den Eisbergsalat, sondern Rucola oder Mangold kaufst. Oder du kochst eben auch mal einen Fenchel oder diverse andere Dinge, die einfach gut und gesund sind und bisher nicht auf deiner Speisekarte standen.
Mir ist aufgefallen, dass ich durch meine Antihormontherapie Probleme mit der Leber hatte und deswegen versuche ich darauf zu achten, dass ich leberfreundlich esse.
Annette: Hm, da hake ich gleich mal ein. Ist sicherlich für die eine oder andere hier, die – so wie du und ich – auch in der Antihormontherapie ist, ein interessanter Hinweis. Wie hast du denn festgestellt, dass du Probleme mit der Leber hast und was tust du dagegen?
Julia: Also, ich habe im September 2020 mit Tamoxifen gestartet. Nach zwei Wochen begann bei mir dann eine tägliche Übelkeit, die auch nicht abnahm. Nach dem Essen hatte ich immer ein mega Völlegefühl. Außerdem rechtsseitige Schmerzen unter dem Rippenbogen, die dann hoch in die Schulter und irgendwann auch in den Kopf zogen. Außerdem auch eine bleierne Müdigkeit nach jedem Essen, fast wie Fatigue. Das war wirklich schlimm.
Meine Physiotherapeutin und Osteopatin meinte, dass dies eindeutige Anzeichen der Leber sind.
Ich hatte wohl durch meine ungesunde Ernährungsweise schon eine vorbelastete Leber und durch eine sehr zuckerhaltige Ernährung und etwas zu hohes Gewicht eine Insulinresistenz entwickelt.
Deshalb hab´ich dann meine Ernährung komplett geändert und trinke seitdem auch fast gar keinen Alkohol mehr. Ich setze auf alkoholfreie Cocktails und trinke höchstens mal eine Weinschorle, wenn ich weggehe.
Leberfreundlich zu essen, das heißt bei mir: Ich baue sehr viele Bitterstoffe und dunkles Blattgrüngemüse in meine Ernährung ein. Ich esse z.B. fast täglich sehr viel Rucola oder Chicoré, Mangold oder Fenchel. Ich trinke auch sehr gerne Urbitter- oder Mariendisteltee. Außerdem mixe ich in meine Säfte immer etwas Spinat oder Rucola hinein. So gleiche ich dann auch aus, wenn ich doch mal etwas mit Zucker gegessen habe.
Noch ein Hinweis für alle hier: Wenn du in der Nacht zwischen 2 und 3 Uhr wach wirst und Nachtschweiß hast, dann ist das ziemlich sicher ein Anzeichen der Leber, die da am höchsten aktiv ist. Höchstwahrscheinlich hast du dann etwas gegessen, was du nicht verträgst.
Annette: Danke dir für diese hilfreichen Tipps. Da werde ich zukünftig auch noch etwas mehr darauf achten.
…
Ich war bei meiner Diagnose verheiratet, Dreifachmutter und hatte gerade ein Haus gebaut. Du warst damals 30. Doch vier Jahre nach deiner Therapie bist du verheiratet, hast ein Haus saniert, bist umgezogen und warst auf Reisen. Außerdem bist du mittlerweile stolze Hundemama. Hut ab! Wie hast du es geschafft, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern dein Leben trotz all dem Mist, den das Schicksal für dich bereitgehalten hat, dein Leben so dermaßen gut zu leben?
Julia: Der Hauskauf, der Umbau und der Umzug kamen durch die Krebsdiagnose und mein Verhältnis zu meinem damaligen Job. Ich wollte etwas verändern und irgendwie raus aus dieser Situation.
Ich hatte das Gefühl, wenn ich jetzt was verändere, dann werde ich gesund und der Krebs kommt nicht wieder! Ja, ich hatte tatsächlich Angst, dass der Krebs wiederkommt oder ich vielleicht sogar sterbe, wenn alles so bleibt wie bisher. Im Nachhinein weiß ich, dass das Quatsch ist. Es liegt ja nicht an einem Umzug, ob man Krebs hat oder nicht. Aber damals habe ich das irgendwie so empfunden.
Ich wollte also unbedingt eine Veränderung. Aufgrund von Corona war meine komplette Firma im Homeoffice. Ich hatte die Hoffnung, dass ich nach dem Ende der Pandemie vielleicht so weiterarbeiten kann. Für mich stand aber auch fest, dass ich nicht mehr zurück auf meine alte Stelle wollte, weil die in dem Umfang für mich nicht mehr tragbar war.
Nicht zuletzt wollte ich auch einfach wieder zurück zu meiner Familie und meinen Freund*innen. Zurück in den Südharz nach Sachsen-Anhalt. Zurück aufs Land, weil mir die Natur auch während der Erkrankung sehr viel Kraft gegeben hatte. Deshalb entschieden wir uns für einen Umzug.
Wir hatten Glück, gleich ein passendes Häuschen für uns zu finden, sanierten es und sind kurz vor Weihnachten 2021 eingezogen.
Nach der ersten gescheiterten Wiedereingliederung habe ich ein langes Amtsarztverfahren durchlaufen müssen und sehr viele Nerven und Zeit investiert, um jetzt dort zu sein, wo ich bin. Ich habe eine auf mich anpasste Stelle mit angepasster Stundenzahl und mit einer teilweisen Dienstunfähigkeit. Einmal im Monat fahre ich ins Büro. Perfekt.
Das Reisen war schon immer eine Riesenleidenschaft von mir. Ich bin als Kind und Jugendliche mit meiner Familie viel verreist und auch viel im Ausland gewesen. Und seitdem wir die finanziellen Mittel haben, haben mein Mann und ich begonnen, viel zu reisen und sind schon weit rumgekommen.
Ich empfinde es als absolutes Geschenk, verreisen zu dürfen. Auch wenn es während einer aktuellen Krebstherapie nicht immer einfach ist, weil ich doch mit mehr Wehwehchen zu tun habe als früher.
Annette: In einem Text, den du rund fünf Jahre nach deiner beidseitigen Brustkrebsdiagnose mit 30 Jahren, einer gescheiterten Wiedereingliederung, einer Metastasendiagnose und einem Stellenwechsel verfasst hast, schreibst du: „Ich sitze hier und bin zufrieden. So zufrieden wie nie zuvor.“ Wow. Das sind stark Worte. Erklär mir das bitte. Wie kannst du so zufrieden sein, obwohl doch so vieles schiefgelaufen ist?
Julia: Hm, 2023 war ein sehr schwieriges Jahr für mich. Menschen haben mich verlassen. Die Wiedereingliederung lief nicht wie erwartet. Der Umzug war anstrengend.
Damals haben sich viele Menschen aus meinem Leben verabschiedet. Ich wurde teilweise sogar von Freund*innen geghostet, was ich bis heute nicht verstehen kann und noch immer in Gesprächen mit meiner Coachin thematisiere, weil es mir so naheging und geht.
Sideinfo: ghosten = eine Person verschwindet ohne Nennung von Gründen einfach aus dem Leben des anderen
Ich weiß, dass ich mich durch die Erkrankung massiv verändert habe – sowohl zum Positiven als auch zum Negativen – und kam und komme deshalb mit vielen Sachen und auch Menschen nicht mehr klar (und sie nicht mit mir). Die logische Konsequenz daraus war für mich, sich voneinander zu trennen. Aber ich kann nicht verstehen, dass man dann auf einer Feier nicht mal mehr locker miteinander quatschen kann!
Ich saß damals in meinem Garten, als ich diesen Text verfasst habe, von dem du sprichst. Mir standen gerade vier Wochen Urlaub bevor und ich hatte irgendwie das erste Mal in diesem Jahr das Gefühl, dass ich an einem Punkt bin, an dem ich zufrieden bin. Alles lief gut.
Ich habe erkannt, dass ich getan hatte, was getan werden musste, um zufrieden in meinem aktuellen Job zu sein. Das Teilzeitmodell passte. Ich habe bemerkt, dass ich keine neuen berufliche Perspektiven mehr brauchte. Mein Freundeskreis hatte sich verkleinert und das war ok für mich.
Ich war einfach nur glücklich, als ich da vier Jahre nach meiner Krebsdiagnose in meinem Garten saß. Ich hatte bis dahin so viel geschafft.
Abgesehen davon, dass ich gerne keine Krebstherapie mehr machen und ich mir natürlich alles, was mir der Krebs genommen hat, wieder zurückwünschen würde wie beispielsweise auch die Möglichkeit, Kinder zu bekommen, war ich tatsächlich an einem Punkt, an dem ich sagte: „Jetzt ist es okay. Jetzt ist gerade alles mal so, wie es sein kann und sein sollte.”
Ja, ich war einfach mal zufrieden. Trotzallem, was mir passiert war.
Ich glaube, dass die meisten Menschen sich viel zu selten hinsetzen, um wirklich mal so einen Self- Check-in zu machen und sich fragen:
- Wie ist es gerade für mich im Leben?
- Was läuft gut?
- Was läuft nicht gut?
Es gibt doch immer etwas, wofür es sich lohnt weiterzumachen, oder? Ich bin z.B. seit einem Jahr glückliche Hundemama und das macht mich jeden Tag froh.
Annette: Liebe Leserin, lieber Leser, halte doch mal kurz inne und beantworte diese drei Fragen von Julia für dich. Ich bin mir sicher, du wirst mit einem Strahlegesicht weiterlesen, weil du bemerkst, was du eigentlich für ein tolles Leben hast und wie viel es gibt, für das du dankbar sein kannst.
…
Ich bin in der Selbsthilfe für Jung-und-Krebs e.V. tätig und möchte dieses Mit- und Füreinander nicht missen. Ich weiß, dass du ebenfalls in der Selbsthilfegruppe aktiv warst. Was ist Selbsthilfe für dich?
Julia: Ich wohnte zum Zeitpunkt meiner Diagnose in Hannover. Von meiner Heilpraktikerin bekam ich die Info, dass es in Hannover eine Selbsthilfegruppe gibt, nämlich die “pinken Zitronen”. Das ist eine Selbsthilfegruppe für junge krebsbetroffene Frauen. Ein echtes Vorzeigeprojekt.
Die pinken Zitronen machen ganz tolle Aktionen wie z.B. Laufgruppe, Yogatreffen, Koch- und Spieleabende. Total bekannt sind sie auch für ihr Drachenbootpaddlerinnenteam, die “Pink Dragonistas” die nicht nur Deutscher, sondern auch Europa- und sogar Weltmeister wurden.
Ich bin dann zu einem sogenannten “Akut-Gruppenfrühstück” gegangen. Da treffen sich alle zwei Wochen Betroffene in einem Café. Die meistens davon waren selber gerade in der Therapie, Wir tauschten uns aus über die Diagnose, über die Behandlung. Ich erfuhr, was mich erwartete, was auf mich zukommt, was wichtig war.
Dieser Austausch und das Verstandenwerden war so wertvoll für mich. Mich hat es nullkommanull geängstigt, dass ich da Leute gesehen hab, die keine Brust mehr hatten oder schon ohne Haare dasaßen. Meine schönen langen blonden Haare zu verlieren, war tatsächlich meine größte Angst zum damaligen Zeitpunkt.
Im Gegenteil: Es machte mir Mut zu sehen, mit wie viel Kraft die Frauen da durchgingen, aber auch zu sehen, wie viel Verletzlichkeit hinter jeder einzelnen steckte.
Ich hab Freundinnen gefunden, Therapierfreundinnen. Mit einigen hab‘ ich bis heute Kontakt. Ich sag mal: Das sind echte Busenfreundinnen.
Selbsthilfe finde ich enorm wichtig. Und weil mir selbst die Zeit bei den pinken Zitronen so viel gegeben hat, wollte ich sie unterstützen und dort mitarbeiten. Durch meinen Umzug allerdings gestaltete sich das Ganze schwierig. Also habe ich begonnen, mir zu überlegen, was ich denn sonst machen könnte, um Betroffene zu unterstützen.
Annette: Gute Überleitung zu meiner nächsten Frage, hihi…
Auf deinem Instagramprofil gibt es mehrere Beitragsreihen. In einer beschreibst du deine eigene Krebsgeschichte. In einer anderen erklärst du ausführlich die Chemotherapie. In einer aktuellen geht es um den Umgang mit einer Krebsdiagnose. Die Texte sind sehr gut recherchiert und helfen sicherlich vielen Betroffenen. Woher kommt deine Motivation für diese unentgeltliche Arbeit, die viel deiner privaten Zeit in Anspruch nimmt?
Julia: Seit Ende meiner Schulzeit schon bin ich im sozialen Bereich tätig. Durch meinen Job bei der Sozialversicherung hab ich zudem Wissen im sozialen und medizinischen Bereich erlangt. Nicht zuletzt durch meine eigene Krebstherapie und meine Erfahrungen in der Selbsthilfe, wollte ich gerne irgendwie etwas weitergeben.
Leider musste ich nach meinem Umzug feststellen, dass es bei mir hier vor Ort in keinster Weise Selbsthilfemöglichkeiten gibt. (Aktuell entwickelt sich langsam etwas.)
Also habe ich begonnen, auf Instagramprofilen von (ehemaligen) Betroffenen wie Alexandra von Korff oder Paulina Ellerbrock oder auch Nicole Staudinger und Carolin Kotke zu lesen. Ich profitierte von diesen tollen Menschen und dachte: „Boah, das ist total cool.” Und dann begann ich selbst, auf Instagram ein bisschen was zu schreiben.
Annette: Da mach ich doch am Rande gleich noch etwas Werbung in eigener Sache Paula hat mir auch schon ein Interview gegeben und eins der Bücher von Nicole Staudingerist auf meine Krebs-Bestsellerliste gelandet.
Julia: Schön, dass ich nun auch zum Kreis der Annette-fragt-Interviewpartner*innen gehöre. Durch meine Metastasendiagnose im Juni 2021 und den Verlust einer Therapiefreundin, die leider den Kampf gegen den Brustkrebs nicht geschafft hat, bin ich so in ein Loch gefallen, dass ich erstmal Abstand brauchte. Ich habe eine eine ganze Zeit lang gar nichts mehr gepostet. Ich habe meine Akuttherapie nicht öffentlich gemacht. Ich hätte nicht die Kraft gehabt, mich ohne Perücke und/oder ungeschminkt zu zeigen. Ich fand mich damals so hässlich. Es war damals das Schlimmste für mich, so auszusehen.
Ich zieh den Hut – einen Riesenhut! – vor allen Menschen, die sich während der Akuttherapie zeigen. Auch emotional, ihre Reise dort abzubilden. Ich konnte das nicht.
Für mich war es richtig, erst dann meine Erfahrungen zu teilen, als ich wusste: „Jetzt bin ich soweit”. Ich würde das auch gerne in viel größerem Maße machen. Aber mir fehlt die Zeit dafür.
Denn wie du sagst, liebe Annette, es ist alles ehrenamtlich und unbezahlt. Die meisten Accounts verdienen damit kein Geld und die, die damit Geld verdienen, müssen noch mehr Zeit reinstecken. Deshalb an dieser Stelle: Respekt an uns alle, die wir auf Instagram im Bereich Krebs aktiv sind!
Es ist wichtig, dass Betroffene, auf Instagram oder TikTok oder einer anderen Plattform, ihre Stimme erheben. Denn Krebs betrifft uns alle, egal ob als Selbsterkrankte/r oder sonstwie Betroffene (Arbeitskollegin/e oder Partner/in usw.), das kann ich nicht oft genug sagen. Und es ist so wichtig, dass wir öffentlich darüber sprechen und zu verhindern versuchen, dass Leute so wie ich selbst, ein halbes Jahr lang nicht zur/m Arzt*in gehen, weil sie nicht an (Brust-)Krebs denken.
Mein zweiter Wunsch war, dass ich es über Instagram schaffe, mich mit anderen Menschen aus Sachsen-Anhalt und auch Thüringen zu vernetzen und ein Krebs-Netzwerk zu etablieren. Ich habe inzwischen mein großes Netzwerk. Ich bin sehr froh, dass es außerdem seit einer Weile den Krebs-Campus gibt, durch den ein immer größeres Netzwerk entsteht.
Aber ich würde mir wünschen, dass es noch viel mehr Anlaufstellen vor Ort gibt. Ich würde gerne noch viel, viel mehr machen. Vorträge auf Kongressen halten, vor jungen Ärzt*innen, Student*innen sprechen und viel mehr darüber aufklären, was wichtig ist in der Ärzt*innen-Patient*innenkommunikation. Bis jetzt habe ich tatsächlich diese Möglichkeiten nicht bekommen.
Leider wohnen viele Menschen in Landstrichen in Deutschland, wo es einfach keine Selbsthilfegruppen gibt, und deswegen glaube ich, dass digitale Selbsthilfe auch auf Instagram in Form von Nachrichten, Beiträgen und Reels superwichtig ist.
Ihr könnt euch darauf verlassen, dass von mir in Zukunft noch eine Menge kommen wird. Denn ich möchte mit meiner Geschichte Mut machen. Mein Leben ist toll – trotz Metastasierung und der Tatsache, dass ich keine eigenen Kinder haben kann.
Annette: Wow, liebe Julia. Dein Engagement ist wirklich bewundernswert. Danke dir im Namen aller Betroffenen dafür.
….
Annette: Da hake ich doch gleich mal ein. Denn auch wenn ich dieses „Was hat dein Krebs dich gelehrt““… nicht so gerne höre… Es steckt doch so viel Wahres drin und sicherlich kannst auch du einige Dinge benennen, die du aus deinem Schicksalsschlag für dich und dein Leben herausgezogen hast…
Julia: Oh ja, da fällt mir schon das ein oder andere ein.
Der Krebs hat mich gelehrt, dass…
… ich öfter Nein zu anderen sage und mehr Ja zu mir selbst.
… ich damit klarkomme, wenn ich Dinge nicht mehr schaffe.
… ich Sachen einfach akzeptiere und auch, dass ich Sachen loszulasse.
… ich wieder viel mehr draußen in der Natur, in der echten Welt bin.
… ich mir mehr Zeit für mich nehme.
… ich weniger Zeit und Energie für “Pflichttreffen” und für Smalltalk aufwende und meinen Freundeskreis verkleinert habe.
… es wichtig ist, was ich esse und wie viel ich mich am Tag bewege.
… ich mit meinem Job, meinem Leben zufrieden bin.
… ich mehr auf mein Bauchgefühl höre, wenn ich das Gefühl habe, etwas stimmt nicht.
An diese Stelle möchte ich das ausdrücklich betonen! Wenn mir zwei Ärzt*innen sagen: “Da ist nichts”, aber ich fühle über Wochen und Monate hinweg, dass das nicht stimmt, dann gehe ich wieder in die Praxis. Solange, bis mich jemand für voll nimmt und Untersuchungen gemacht werden. Darauf solltet ihr pochen! Denn wir haben nur ein Leben und dieses Leben ist verdammt wertvoll. Lass dich nicht abwimmeln von irgendwelchen Ärzt*innen. Auch wenn sie sagen: „Du bist zu jung für Krebs.”, hör auf dein Bauchgefühl.
Die Quintessenz meiner Erfahrungen ist, dass mir mein Leben zu kurz ist, um es mit Dingen zu verbringen, die mich unglücklich machen und mich auslaugen. Es ist wichtig, dass man akzeptiert, was war und das Beste aus dem IST macht. Das Leben ist immer für uns. Das dürfen wir nie vergessen.
Das bedeutet nicht, dass man alles zu 100 Prozent ändern muss. Aber wenn du das Gefühl hast, dass du dich in einer Situation einfach nicht gut fühlst und du etwas verändern möchtest, dann schreib dir auf, was gerade nicht gut ist, was dich stört (z.B. die Partnerschaft). Beobachte das und schreib es dir jedes Mal auf. Und wenn der Gedanke bleibt oder dich das Problem über lange Zeit begleiten oder sogar dafür sorgen, dass du erschöpft bist oder Bauch-, Kopf- oder Nackenschmerzen bekommst dann versuch, diese Dinge anzugehen. Du hast nur ein Leben und dieses Leben ist so kurz!
Annette: Liebe Julia, welch schönes Ereignis, dass wir uns in der virtuellen Welt getroffen haben und mittlerweile im regeren Austausch stehen. Ich danke dir für deine Bereitschaft für ein Interview, mit den du anderen Betroffenen Mut machst. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und freue mich schon jetzt auf den nächsten Beitrag, das nächste Reel oder die nächste Story von dir.
Mehr über Julia erfahrt ihr hier:
Julias Instagramprofil
Julia im Podcast „Leben nach Krebs“ mit Carolin Bieschke
Julia im Podcast “Krebs als zweite Chance – der Mutmacherpodcast” mit Kendra Zwiefka
Hier geht´s direkt weiter zu den anderen Interviews von “Annette fragt..:“