Krebs – Liebe – Punkt NULL
Annette fragt… Evelyn Kühne
Eine Tasse Tee mit „Kaminabend“- oder „Bratapfel“-Aroma, eine Tafel Schokolade mit den dreieckigen, dreifarbigen Stücken und dazu ein Roman, der an der Nord- oder Ostsee spielt. Das ist für mich „Wellness unter der Woche“, „Hinwegträumen aus dem Alltag“ und „Urlaubmachen ohne zu Verreisen“.
Evelyn Kühnes Bücher passen optimal zu einer solchen „Annette-Auszeit“. Sie produziert nämlich „Schokolade in Buchform“ und entführt ihre Leser*innen „für eine Buchlänge“ an die Ostsee oder auch in die Stadt Meißen, wo Kommissar Winter Kriminalfälle zu lösen hat.
In Evelyns Büchern, die einfach guttun und trübe Tage heller machen, steckt aber definitiv mehr als „Frau verliebt sich“ oder „Protagonistin erhält überraschend Post“ und erbt ein Café auf Rügen“. Die Autorin kennt durchaus die Schatttenseiten des Lebens: Sie hatte Brustkrebs und leidet seit 2014 an chronischer Fatigue.
Ich freue mich, dass sie für #annettefragt aus ihrem Lebens- und Autorinnen-Nähkästchen plaudert. Sie macht Lust, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Sie macht Mut, eingefahrene Gleise zu verlassen. Sie macht Lust aufs Leben!
Annette: Du bist 2011 an Brustkrebs erkrankt und hast das normale Programm durchlaufen: Chemotherapie, OP, Bestrahlung, Anschlussheilbehandlung. Danach gingst du mehr oder weniger nahtlos wieder in deinen Alltag zurück. Aber dann kam dein Tief: eine chronische Fatigue als Folge der Krebserkrankung. Was hat es damit auf sich und wie änderte sich dein Leben dadurch?
Evelyn: Die Diagnose “chronische Fatigue” im Jahr 2014 war wie eine Vollbremsung und irgendwie schlimmer als die Krebsdiagnose. Ein Arzt sagte mir, dass es nie mehr besser werden würde und ich mich damit abfinden sollte. Punkt, das war´s. Man vermittelte mir also, dass diese Schwäche, die mich körperlich und geistig lahmlegte, ab sofort fest zu mir gehörte.
Auf der einen Seite war ich sogar froh, dass ich nun endlich wusste, was eigentlich los war. Vorher hatte man mich als Simulantin abgestempelt, als jemand der einfach faul war und nicht wollte. Wie sagte ein Gutachter: „A..backen zusammenkneifen und machen und nicht labern.” Da tat es gut, endlich eine Bestätigung zu haben, dass ich mir nichts einbildete. Denn in meinem Leben war nichts mehr wie vorher. Ich war erschöpft, konnte mir nichts merken, nicht mehr schreiben und lesen und kam nicht mal mehr vom Erdgeschoss in die erste Etage. Ich musste meine Arbeit aufgeben und bekam nach einer langen Odyssee sogar eine Rente.
Aber damit abfinden? Sich zu Hause einrichten? Niemals. Ich suchte nach Wegen und fand sie schließlich auch.
An dieser Stelle folgt Werbung in eigener und Evelyns Sache: Unter https://www.influcancer.com/blog/annette-fragt-dr-sabrina-han-alias-sabrina_fatiguecoach/ findet ihr ein Interview mit Dr. Sabrina Han, die als “Coach für Brustkrebsapatientinnen mit bleierner Müdigkeit” arbeitet. Sehr lohnenswert, um zu verstehen, wie es Evelyn ging! Denn leider sind noch immer viele Ärzte*innen der Meinung, dass die Patientin sich “nicht so hängen lassen soll” und dass es mit “sich ein wenig anstrengen” schon getan ist, damit sie wieder im Alltag klarkommt.
Annette: Auf deiner Homepage schreibst du, dass du 2016 dein Leben radikal geändert hast. Was hast du damals gewagt und was haben ein Vertrag und Schokolade damit zu tun? Diese Geschichte musst du unbedingt erzählen!
Evelyn: Es begann damit, dass ich nach Wegen suchte, was ich trotz Fatigue noch tun konnte. Ich suchte nach einer Aufgabe, was nicht so einfach war. Denn die Fatigue legte mich ganze Tage lahm, reguläre Arbeitszeiten – unmöglich. Ich machte mich selbstständig, probierte vieles aus und landete dadurch bei einer Gruppe Unternehmerinnen. Dort besuchte ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Seminar und hörte den Satz, der alles verändern sollte: Ändere dein Denken und die Welt um dich herum verändert sich. Das war magisch.
Noch nie hatte ich mich mit der Kraft der eigenen Gedanken beschäftigt und welche Macht sie haben. Es macht einen Unterschied, ob das Glas halbvoll oder leer ist. Das wurde mir schnell bewusst. Und so baute ich feste Rituale in meinen Tag ein – Achtsamkeit(wie geht es mir, was brauche ich), Dankbarkeit (für alles und jeden), Ziele (was will ich noch erreichen und wie komme ich dort hin). Zumindest nahm ich mir das vor.
Ich schwor mir durchzuhalten, erst einen Monat, dann drei Monate. Falls nicht, würde es vier Wochen keine Schokolade geben 😉. Und ich hielt durch und merkte, wie sich mein Leben veränderte und meine Gesundheit stabilisierte. Ich lernte Nein-Sagen und mich an die erste Stelle zu setzen. Das änderte beinahe alles.
Annette: Mittlerweile hast du fast 20 Bücher veröffentlicht, das sieht eher nach viel Umtrieb als nach Erschöpfung aus. Wie kam es, dass du zur Buchautorin wurdest?
Evelyn: Zur gleichen Zeit, als ich das Seminar besuchte und den magischen Satz hörte, schlug mir eine Therapeutin vor, meine Geschichte aufzuschreiben. Erstmal nur für mich. Schreiben? Ich konnte nicht schreiben, niemals. In der Schule waren meine Aufsätze eher mangelhaft gewesen. Ich konnte mich nicht konzentrieren, und, und, und. Aber da war dieser Satz und ich schrieb schließlich doch. Jeden Tag ein paar Sätze. Mal mehr, mal weniger. Am Ende war ein Text fertig. Mein Mann drängte mich, ein Buch rauszugeben, um anderen zu helfen. Ich tat es und es wurde kein Bestseller. Ich gab es als Buchneuling mit dem Titel “Viertel Kraft voraus” im Selbstverlag heraus und hadere heute mit den Fehlern darin.
Doch ich hatte eins gemerkt, schreiben machte mir Freude. Es tat gut und ich konnte mir meine Kraft und Zeit frei einteilen. Also schrieb ich weiter, einen Liebesroman, der am Gardasee spielt. Für den bekam ich gleich einen Vertrag bei Ullstein Forever. Seit diesem Tag bin ich Autorin. Autorin sein ist das, wonach ich immer gesucht habe. Ich schreibe nur, wenn es mir gut geht. Aber ich mache jeden Tag etwas für meinen Job, zum Beispiel Texte überarbeiten oder Social Media.
Die Fatigue ist noch da. Es wird nie mehr wie früher, doch das ist okay. Denn es ist anders und dennoch wunderbar. „Danke, Leben!“
Annette: Liebe Evelyn, ich habe dein Buch gelesen und zwar fast in einem Rutsch. Es las sich trotz schwerem Inhalt so locker-flockig, dass ich kaum mehr als einen Abend für die knapp 120 Seiten in kleiner Schrift und einzeiligem Abstand brauchte. Es ist ein sehr wertvoller Text, der sicherlich vielen Frauen, die eine ähnliche tiefe Erschöpfung spüren wie du, aus der Seele spricht. Ich, die ich mit Fatigue persönlich nichts zu tun habe, fand es sehr eindrucksvoll zu lesen, wie sehr die Müdigkeit dich vom Leben abgehalten hat und in welchen körperlichen Reaktionen sich diese Diagnose zeigte. Danke für deinen ehrlichen Einblick! Dein Buch sollte in der Praxis einer jeden (Pscho-)Onkologenpraxis stehen! Denn leider herrscht ja – auf Seiten von Ärzt*innen sowie Nicht-Betroffenen noch viel zu viel Unwissen zu diesem Thema!
…
Du sprichst vom Universum und dir als „Dreamteam“ und davon, dass ihr gemeinsam schon alles hinkriegen werdet. Ein schöner Gedanke. Welche Auswirkungen hat diese Einstellung auf dein Leben?
Evelyn: Es gibt mir die Gewissheit, dass da jemand ist, der es gut mit mir meint und mich manchmal in eine bestimmte Richtung schubbst. Das Universum ist immer auf meiner Seite, es will mir nichts Böses. Manche Dinge, die mich ärgern oder mich verzagen lassen (warum passiert das, warum ich, usw.) entpuppen sich später als wahrer Segen. Ich bin zum Beispiel „froh“, dass ich damals Krebs bekommen habe. Ich weiß, das polarisiert. Doch ohne Krebs, wäre ich niemals Autorin geworden oder hätte mein Leben so sehr auf Dankbarkeit ausgerichtet. Ich bin viel entspannter, lebe gelassener.
Wenn ich also mal verzage, weiß ich, dass Universum hat einen Plan und irgendwann erkenne ich, was es damit bezweckt. Es gibt mir Zeichen und ich darf diese Wege dann gehen, oder eben auch nicht.
Annette: Viele deiner Bücher spielen an der Ostsee. Außerdem schreibt du Krimis, aber im Cosy-Crime-Style. Das klingt alles nach Behaglichkeit, Zufriedenheit, nach purer Unterhaltung. Aber: In deinen Büchern steckt mehr. Welche Botschaft möchtest du vermitteln?
Evelyn: Ich vermittle in jedem meiner Romane den Mut zu Neuanfängen. Meistens bricht das Leben meiner Titelheldin am Anfang wie ein Kartenhaus zusammen. Nichts ist mehr wie vorher. Es gilt, Entscheidungen zu treffen. Und die kann man immer treffen, egal wie die momentane Situation ist. Das kann ich so sagen, denn ich weiß es aus eigener Erfahrung. Also, mache ich meinen Lesern Mut, über den eigenen Tellerrand zu schauen und eingefahrene Gleise zu verlassen.
Annette: Ich würde sagen, dass ich schreibwütig bin. Ich muss schreiben, sonst fehlt mir etwas. Du tickst da ähnlich und sagst, dass da „ganz viele Geschichten in [d]einem Kopf sind und die müssen raus.“. Was ist Schreiben für dich, was gibt es dir?
Evelyn: Schreiben ist meine Berufung. Schreiben ist das, nach dem ich immer gesucht habe. Schreiben gibt mir Kraft und macht unendlich viel Freude. Und wenn dann ein neuer Roman erscheint und die ersten Rückmeldungen eintreffen, das ist unglaublich. Oder wenn ich eine Lesung habe und hinterher Menschen anstehen, um ein Selfie mit mir zu bekommen – danke Leben. Wenn ich dann noch höre, dass ich anderen mit meiner Geschichte Mut schenken konnte, dann macht mich das sehr glücklich.
Annette: Ich schreibe über pädagogische Themen, die mit meinem Beruf als Grundschullehrerin zu tun haben und über meine Krebserkrankung. Du hingegen bist in der Belletristik zu Hause. Woher nimmst du die Ideen für deine Romane?
Evelyn: Die finde ich eigentlich überall und meist in den alltäglichsten Situationen. Ich bin eine gute Beobachterin, speichere Erlebtes in mir ab und hole es zum passenden Zeitpunkt wieder hervor. Niemand in meinem Umfeld ist vor mir sicher 😉.
Annette: Als Mama von drei Kindern und Grundschullehrkraft bin ich immer auf der Suche auf guten Kinderbüchern zum Thema Krebs. Dabei fiel mir auch „Die kleine Marie“ von dir in die Hände, dein Kinderbuch. Wie kam es zu deinem „Herzensprojekt“ wie du es nennst?
Evelyn: Die Idee kam mir während meiner Strahlentherapie. Dort machte ich die Bekanntschaft eines kleinen Mädchens, welches einen Gehirntumor hatte und sehr schwer krank war. Die kleine Marie beeindruckte und berührte mich mit ihrem Lebensmut. Damals schwor ich mir, etwas für krebskranke Kinder zu tun. Und so schrieb ich eines Tages eine Geschichte über einen kleinen Marienkäfer, dessen bester Freund der Hirschkäfer Karl nicht mehr in die Schule kommt. Karl liegt im Krankenhaus und hat einen Knubbel am Bein – Krebs. Karl überlebt, doch eines der anderen Tierkinder im Krankenhaus stirbt. Mein Buch thematisiert also kindgerecht die Themen Krebs und Sterben. Und dennoch ist es ein fröhliches, mutmachendes Buch, was zum Lachen bringt und hilft, wenn Worte fehlen. Krebs ist in unserer Mitte und auch bei Kindern ein großes Thema. Das habe ich bei vielen Lesungen und Gesprächen mit meinen kleinen Zuhörern gemerkt.
Das Buch „Die kühne Marie“ gibt es übrigens nur bei mir. Weil ich von jedem verkauften Exemplar einen Anteil an einen Dresdner Verein gebe, der krebskranke Kinder und deren Angehörige unterstützt.
Annette: Rückblickend waren deine Erkrankung und der Tiefpunkt danach für dich eine riesengroße Chance. Welche Tipps kannst du Leuten geben, die sich gerade in einer Lebenskrise befinden und das Schöne im Leben nicht mehr erkennen?
Evelyn: Zeige Dankbarkeit, für jede positive Kleinigkeit, die du erlebt hast. Das kann ein Sonnenstrahl sein oder eine Blume am Wegesrand. Öffne dafür wieder die Augen, das haben wir nämlich oft verlernt. Es kommt nicht auf die riesigen Sachen an, eher auf die ganz kleinen. Führe einen Dankbarkeitskalender und werte jeden Abend aus. Sei ehrlich und erkenne am Ende des Monats, wie viele gute Momente du hast.
Und sei dir bewusst, dass du immer neu beginnen kannst. Alles beginnt mit einem ersten Schritt und einem ersten Ziel. Dieses Ziel definierst du und es mag für andere lächerlich klein erscheinen, ist für dich aber ein Mega-Projekt. Ich habe mir zum Beispiel vorgenommen, bis zu einem bestimmten Punkt mit meinem Hund zu laufen. Dieser Punkt war zwar nur zehn Meter weiter, als der vorherige Umkehrpunkt, aber lange Zeit für mich nicht erreichbar. Irgendwann habe ich es dann geschafft und war absolut happy.
Und wichtig: Wenn du dein Ziel erreicht hast, dann feiere dich, klopf dir auf die Schulter oder wirf Konfetti in die Luft. Auch das haben wir alle verlernt. Denn eins steht fest, du bist jetzt schon großartig, so wie du bist!
Annette: Liebe Evelyn, ich danke dir von Herzen für deine offenen Antworten und freue mich schon, heute Abend mit einer Tafel Schokolade und einem Buch von dir ein wenig aus dem Alltag flüchten zu können. Ich höre schon das „Dünenrauschen“. Aber zunächst zieht es mich erstmal ins “kleine Ostseehotel”. Ich wünsche dir alles, alles Gute und wünsche dir, dass du immer mindestens “ein Viertel Kraft” hast.
Mehr über Evelyn findest du hier:
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Hier könnt ihr Evelyns Kinderbuch bestellen und damit Sonnenstrahl e.V. Dresden, eine onkologische Krebsstation, unterstützen
Evelyn im Podcast „Krebs als zweite Chance“
Evelyn im Interview auf dem Buchblog „Bücher aus dem Feenbrunnen“
Evelyn im Interview bei „Buchfans.de“
Drei Fragen an Evelyn von den Buchschwestern e.V.
Evelyn im Video-Interview mit Stephan Pregizer von CancerSurvivor
Evelyn im MDR-Podcast „Marios Genüsse“
Evelyn in einem Text zur Frage “Willst du dein altes Leben vor dem Krebs zurück?”
Hier geht’s zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”.