Erleichterung vs. Belastung
Annette fragt… Carmen Dietsche
Auf Instagram kann man Stunde und Stunde beim Herumsurfen auf Accounts mit Fotos von tollen Häusern, wunderschönen Küchen, superhübschen Menschen und bezaubernden Kindern verbringen.
Als ich genau das mal wieder tat, landete ich auf Carmens Profil. Es macht riesengroßen Spaß, sich bei ihr, die in ihrer Freizeit hobbymäßig modelt, umzusehen und von einen wunderschönen Foto zum nächsten zu klicken.
Aber Carmen hat nicht nur großartige Porträts von sich zu zeigen, sie ist ausgebildete Kosmetikerin, Beauty- und Wellnesstrainerin hat einen Master und Bachelor in Steuer- und Wirtschaftsrecht hat und schreibt auf ihrem Account auch sehr ernste Texte oder Videos über ihre Brustkrebserkrankung und die Therapiezeit.
Lustigerweise stellte ich beim näheren Hinsehen fest, dass ich dieser interessanten Frau mhöchstwahrscheinlich auch im echten Leben bald über den Weg gelaufen wäre. Denn sie gehört genauso wie ich zum coolsten Verein der Welt: Carmen ist bei Jung und Krebs e.V. in Freiburg dabei.
Freut euch auf ein tolles Interview mit einer bewundernswerten und wunderhübschen jungen Frau und ein wenig Breisgauflair.
Annette: Liebe Carmen, als ich mich durch deinen Instagramaccount scrollte, hatte ich irgendwann eine Gänsehaut und dann liefen mir Tränchen über die Wangen. Auf deinen ersten Bildern hast du superlange Haare, bist Fotomodell und strahlst so herrlich jung und unbekümmert. Dann plötzlich crasht ein Bild von dir mit Glatze zwischen rein. Nimm uns mal mit in diesen Moment, als der Krebs in dein Leben platzte: Wie alt warst du, wie sah dein Alltag aus, wie kam es zur Diagnose?
Carmen: Ich war 30 Jahre alt und erhielt meine Brustkrebs-Diagnose am 16.12.2022, kurz vor Weihnachten.
Ja, wie sah mein Leben zu dem Zeitpunkt aus? Ich bin am 1.1.2022 mit meinem Freund nach Freiburg gezogen, hatte einen neuen Job gefunden und war eingearbeitet, hatte meine ersten Projekte betreut. Zwei schöne Urlaube in Spanien lagen hinter uns.
Und dann kam der Tag, an dem mein Freund den „lieben Bernd“ gefühlt hat….
Zwei Monate zuvor war ich bei der Krebsvorsorgeuntersuchung gewesen, ohne Befund. Mein Freund meinte: „Es kann ja auch etwas nicht so Schlimmes sein.“ Ich war mir aber irgendwie intuitiv schon sicher, dass es was Schlimmes war.“ Da mein Frauenarzt erst wieder Termine im neuen Jahr hatte, ging ich zu einer anderen Ärztin. Mit der Aussage „Ich sehe einen dunklen Fleck.“ überwies sie mich die Radiologie. Es folgten Biopsie, Mammografie, Ultraschall.
Eine Woche später wurde ich mit dem Ergebnis konfrontiert: Brustkrebs, triple negativ.
Von dann an ging es Schlag auf Schlag mit den Staging-Untersuchungen. Ich bekam meinen Port, hatte das Vorgespräch zur Chemotherapie. Du kennst das ja…
Annette: In deinen Posts nennst du deinen Krebs fast liebevoll „Bernd“. Wie kamst du auf die Idee, deinem Tumor einen Namen zu geben? Und warum gerade diesen?
Carmen: Hm, naja, ich weiß nicht. Es fühlte sich für mich richtig an, diesem Ding einen Namen zu geben. Und ja, Bernd kam durch “Bernd das Brot“. Das kannte ich als Serie, die ich als Kind angeschaut hatte. Der ist immer so miesepetrig. Mein Tumor war so böse, so blöde, ich wollte ihn einfach nur loswerden. Und ich fand es klang besser „Bernd, du darfst jetzt geh´n“ zu sagen oder denken, als ihn mit „Du Ding da!“ anzusprechen.
Annette: Dein Account nennt sich „Life of carma”. Hat das eine tiefere Bedeutung in Bezug auf das „Karma“? Oder ist das „nur“ ein Wortspiel mit deinem Vornamen? Egal – für mich drängt sich, ausgehend von deiner mutmachenden, positiven Art, die Frage nach dem positiven Mindset in Kombination mit einer so schweren Erkrankung wie Krebs auf. Was hast du zu dieser „Good-Vibes-Only-Stay-Positive“-Schiene zu sagen, die uns Betroffenen ja immer als DIE Lösung empfohlen wird?
Carmen: Hm, auch ich hatte ganz, ganz viel schlechte Tage. War oft auch schlecht gelaunt. Fand alles doof. Hatte keine Lust mehr auf die Therapie. Ja und das Motto “Good vibes only“ ist für mich falsch. Wie soll ich es sagen?
Wenn man sich scheiße fühlt, darf man sich scheiße fühlen.
Da helfen auch keine „Fake-Good-Vibes“ mehr.
Aber bei mir hat im ganzen Mist meine Lebensfreude immer überwogen. Ich hatte immer das Ziel vor Augen, noch noch ganz viel zu reisen. Deshalb hab ich mich, auch wenn es mir schlecht ging, immer darauf konzentriert, dass ich es schaffen werde. Ich sagte mir: „Hey, du schaffst es und wenn du fertig bist, fliegst du nach Thailand oder sonstwohin ans Meer. Freu dich drauf, auch wenn es dir in diesem Moment scheiße geht.“
Ich rate allen Betroffenen, sich ein Ziel fürs Ende der Akuttherapie zu setzen und sich im Verlauf der Therapie immer wieder etwas zu gönnen. Dann hat man immer etwas, um sich darauf zu freuen und kann sich in das Gefühl der Vorfreude fallen lassen.
Annette: Ich hab mir eine Perücke gekauft, aber außer bei der Anprobe und einmal zu Hause nie getragen. Du hingegen hast ganze 8 Stück und trägst diese auch fleißig wie zahlreiche Fotos auf deinen Account zeigen. Was gefällt dir daran, dich mit wechselnden Frisuren, Haarlängen zu zeigen?
Carmen: Mir hat am meisten gefallen, dass ich ausprobieren konnte, welche Frisur, welche Farbe mit steht. Ich ließ mir Frisuren verpassen, die ich mich zuvor mit meinem langen Haaren nie auszuprobieren getraut hätte. Ich hätte mir nie meine langen Haare rot gefärbt oder einen Bob machen lassen. Jetzt hatte ich die einmalige Möglichkeit, mich auszutoben und zu schauen, worauf ich Bock, zu testen, wie fühle ich mich wohl und wie nicht.
Annette: In einem Video erzählst du von einem „positiven Chemoerlebnis“. Was war denn da los? Vielleicht kann deine Geschichte anderen Betroffenen Mut machen oder die Angst ein wenig nehmen?
Carmen: Ich hab´ vom Pflegepersonal so ein großes Kompliment dafür bekommen, weil ich dass ich immer mit so viel Lebensfreude zur Therapie gekommen bin. Auch wenn ich keinen Bock hatte und am liebsten wieder gehen wollte, war ich der Meinung: „Was muss, das muss und ich weiß, wofür ich es mache.“
Ja, da hab ich sehr, sehr viel Bewunderung und Zuspruch. Das hat mich sehr positiv berührt. Das fand ich sehr schön. Und dieses Gefühl wollte ich in die Welt hinausgeben.
Annette: Du bist noch sehr jung. Wie ich auch bist du in der Anti-Hormontherapie und in den künstlichen Wechseljahren. Anders als ich bist du aber noch keine Mutter. Hast du mit deiner Diagnose einen späteren Kinderwunsch aufgeben müssen oder besteht die Möglichkeit, dass du mit Beendigung deiner Therapien eine Schwangerschaft wagen kannst?
Carmen: Vor der Chemo wurde bei mir eine Eizellenentnahme durchgeführt. Hierzu wurden mir Hormone gespritzt, damit mehr Eizellen in meinen Eierstöcken wachsen als immer nur eine. In einer OP wurden die Eizellen dann entnommen und eingefroren. Wann immer ich möchte, kann ich mich melden und sagen „Hey, ich möchte jetzt meine Eizellen einsetzen und befruchten lassen und schwanger werden.“
Natürlich möchte ich es erstmal auf natürlichem Wege versuchen. Mir wurde gesagt, dass ich zwei Jahre nach der Chemo nicht schwanger werden sollte, aber dass es dann wieder problemlos klappen kann. Doch da eben die Möglichkeit besteht, dass eine Chemotherapie unfruchtbar machen kann, war mir klar, dass ich diese Option unbedingt nutzen wollte, weil ich dann immer dennoch schwanger werden kann.
Annette: Ich selbst habe mich während meiner Akuttherapie nicht komplementär behandeln lassen. Ging erst danach zur Heilpraktikerin und startete mit heilenergetischer Fußmassage. Du hast den Weg der Akupunktur gewählt. Was hat das bei dir bewirkt? Machst du das noch immer und würdest du diese Art der Behandlung anderen Betroffenen empfehlen?
Carmen: Ich gehe noch immer zur Akupunktur, war erst gestern wieder dort. Kann ich nur jedem empfehlen! Ich hatte irgendwann im Laufe der Chemotherapie solche Magenschleimhautreizungen, dass ich nichts mehr essen konnte und dauerhaft Sodbrennen hatte. Mir haben die Nadeln dann richtig, richtig gut geholfen.
Bei der Akupunktur gibt es so viele verschiedene Anwendungsbereiche. Ich war z.B. gestern wegen meiner Pollenallergie dort.
Ich rate euch, es einfach mal auszuprobieren. Es funktioniert zwar nicht bei jedem gleich gut. Bei mir hat es und funktioniert es weiterhin toll.
Annette: Seit dem 1. April 2024 können Erwachsene in Deutschland ganz legal einen Joint rauchen. Du bekamst Cannabis während deiner Chemotherpaie vom Arzt verordnet. Mit welchem Ziel? Hat es seinen Zweck erfüllt?
Carmen: Ich bekam das Cannabis in Tropfenform immer in Verbindung mit Akupunktur. Ich bekam es damals, weil ich einfach überhaupt nichts mehr essen konnte.
Immer ca. zwei Stunden nach der Gabe bekam ich richtig Hunger. Ich konnte dann alles essen. Auch mal eine Pizza.
Bei mir hat die Cannabisgabe ihr Ziel komplett erreicht und ich war superglücklich damit.
Annette: Bewegung hilft erwiesenermaßen, das Krebsrisiko zu senken. Vor deiner Diagnose warst du keine Läuferin, aber nach deiner Chemotherapie hast du mit dem Joggen begonnen. Im April 2024 dann unfassbarerweise beim Freiburg-Marathon die 14-Kilometer-Strecke gemeistert! Respekt, Glückwunsch, einfach genial. Hat der Sinneswandel mit deiner Erkrankung zu tun? Wie hast du es geschafft, deine Motivation aufrechtzuerhalten?
Carmen: Hm, der sportliche Sinneswandel kam nicht erst mit der Erkrankung. Ich war schon zuvor sportlich. Aber früher hab ich nicht mal fünf Kilometer laufen am Stück geschafft. Nach der Operation war mir klar, dass ich ins Fitnessstudio gehen würde. Dort machte ich Beintraining, fuhr mit dem Rad. Ja und zum richtigen Laufen kam ich dann durch die Laufgruppe bei Jung und Krebs.
(Sideoinfo: Einer der Aktionspunkte von Jung und Krebs e.V. ist seit Jahren die Teilnahme am Freiburg Marathon).
Das gemeinsame Laufen in der Gruppe hat mich motiviert. Und so packte mich ein echtes Lauffieber. Ich schaffte plötzlich vier Kilometer am Stück, zwar sehr langsam, aber ich hab es geschafft.
Dann hat mich irgendwie das volle Lauffieber gepackt. Eines Tages schaffte ich vier Kilometer am Stück, zwar sehr langsam, aber ich hab es geschafft. Das war mein positives Schlüselerlebnis. Jetzt war klar: „Geil, ich kann das ja. “
Und dann wurde das mehr oder weniger zu einer Laufsucht. Ich wollte die fünf Kilometer schaffen, dann sechs, dann sieben. Und irgendwann dachte ich: „Ach komm, mach doch beim Marathon mit.” Ich wollte mich zunächst für die 7-Kilometer-Strecke anmelden.
Aber dann überredete mich eine der anderen Läuferinnen dazu, es mit den 14 Kilometern zu versuchen. Und ich packte es!
Annette: Nochmal Glückwunsch zu diesem Erfolg, echt genial!
Wie du weißt, bin ich im und für das Team Wutachtal von Jung und Krebs e.V. aktiv. Du bist Mitglied bei Jung und Krebs in Freiburg. Wie kam es, dass du dich entschieden hast, mal zu einem Selbsthilfegruppetreffen zu gehen? Was geben dir die Zusammenkünfte mit anderen Betroffenen?
Carmen: Ich war bei einem Patienteninformationstag der Uniklinik Freiburg. Da war auch ein Stand von Jung und Krebs. Ich fühlte mich direkt angesprochen. Denn das klang doch ganz nach mir: “Jung und Krebs“.
Ich wurde dann zum nächsten Gruppentreffen eingeladen. Ich war dann genau einen Tag vor meiner Operation dort. Vor dieser hatte ich wahnsinnig Angst. Aber die wurde mir beim Treffen so krass genommen. Dann ganz viele in der Gruppen berichteten von ihren Erfahrungen mit und bei der Operation und in der Klinik. Mir war klar, dass ich wieder hingehen würde.
Und bei jedem Treffen kamen dann neue Tipps dazu. Ich hörte: „Hey, hast du das schon mal ausprobiert?” und dachte: “Nee, warum bist du da nicht selbst draufgekommen?” Ich schätze den Austausch, nehme so viel mit, auch in Bezug auf andere Sichtweisen.
Deshalb geh ich zur Selbsthilfe. Es ist so cool!
Sideinfo: Im Rahmen von “Annette fragt” befinden sich schon Interviews mit drei anderen Jung und Krebslern auf meinem Blog: mit dem Kopf des Ganzen: Carsten Witte, mit Markus Hotz, der mir das Team Wutachtal leitet und Marvin Kässheimer vom Team Wutachtal
Annette: Unter einem Foto mit deinem Freund schreibst du „In guten Zeiten Händchen halten, können wir alle. In schlechten Zeiten nicht mehr loslassen, ist das, was zählt.“ Das ist eine wundervolle Aussage. Es ist so toll, wenn man als Betroffene einen Kraftgeber hat, einen Ankerplatz, jemanden, der einfach da ist. Deshalb an dieser Stelle ein dreifaches Hoch-Hoch-Hoch auf Julian!
Was kannst du aus deiner Erfahrung Angehörigen, Freund*innen und Bekannten raten, wenn eine Person in ihrem Umfeld eine Krebsdiagnose erhält?
Carmen: Mir fiel auf, dass sich einige Freund*innen distanziert haben, obwohl sie zuvor gesagt hatten: „Ich bin da.“, „Ich kann dich gern mal zum Arzt fahren.“ usw. Aber wenn ich mich dann gemeldet hatte, dann hieß es doch: „Oh, ich muss arbeiten.“
Bitte, bitte, distanziert euch nicht! Fragt die betroffene Person lieber: „Was brauchst du gerade?“ Denn ich wollte manchmal einfach nur in Ruhe gelassen werden, wollte keine Ratschläge hören.
Und bitte schon gar keine Aussagen wie „Es sind ja nur Haare.“….
(By the way – Ja, sind es. Und trotzdem hab ich drei Wochen lang geweint, als sie ab waren. Denn sie waren mal das Wichtigste für mich!)
Hört zu, was die Betroffene wirklich braucht!Vielleicht Nähe? Oder vielleicht auch Abstand, weil sie vielleicht selbst erstmal mit deiner Diagnose klarkommen muss?
Seid da! Auch wenn ihr euch manchmal auch einfach nur anschweigt. Das ist auch in Ordnung. Und bitte! fragt nach, wie es geht und zwar wie es wirklich geht.
Mein Freund sagte übrigens immer wieder, dass er es sehr schön fand, wenn er mal direkt gefragt wurde, wie es ihm eigentlich amit ging, dass ich eine Diagnose bekommen habe.
Annette: Carmen, ganz spontan… Vervollständige bitte die folgenden drei Sätze für mich und die Leser*innen deines Interviews:
Mir hat sehr geholfen, … mich mit anderen auszutauschen.
Es war supernervig, wenn…meine “Freund*innen” mich mal wieder im Stich gelassen haben.
Diesen Spruch könnt ihr euch bitte verkneifen:… Wann gehst du wieder arbeiten?
Annette: Liebe Carmen, hab herzlichen Dank für deine offenen Antworten. Ich wünsche dir alles, alles, alles Gute für deinen weiteren Lebensweg und freue mich schon auf die nächsten tollen Fotos und Beiträge von dir auf Instagram. Und bin gespannt auf unser erstes Livetreffen irgendwann demnächst mal in Freiburg.
Noch mehr über Carmen erfährst du hier:
Carmens Instaaccount Lifeofcarma
Carmen beim Mutmach-Montag
Carmen bei der Pink Style Tour
Carmens Modelaccount @carmenandjulian
Carmen engagiert sich ehrenamtlich beim Buusenkollektiv
Hier geht’s direkt zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”