Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Annette fragt…Birgit Göttlich

Keine Frage: Das Leben ist schön. Aber manchmal, da kann es auch ganz unschön und sogar richtig fies sein. Und meine heutige Interviewpartnerin hat definitiv ein paarmal die wirklich unschönen Seiten des Lebens abbekommen.

Der Krebs hat mehrmals in ihrer Familie Einzug gehalten. Hat sie zur alleinerziehenden Mutter zweier Töchter und zur Frührentnerin gemacht und etliche körperliche uns seelische Baustellen zurückgelassen. Aber Birgit hat sich nicht unterkriegen lassen und ist weiterhin überzeugt davon, dass das Leben ihr so viel Schönes zu bieten hat.

Davon erzählt sie mir und euch allen in einem Interview. Das hat mich immer wieder staunen lassen angesichts von Birgits Power, Willensstärke und Lebensfreude. Lasst euch beim Lesen davon anstecken!

 

Annette: Liebe Birgit, schön, dass du bei “Annette fragt” dabei bist und mit mir und anderen Betroffenen deine Krebs-Geschichte teilen möchtest. Und die hat es wahrlich in sich. Uff. Ich musste mehrmals schlucken, als ich mich durch dein Instagramprofil klickte, deine Texte las und deine Fotos anschaute.

Fangen wir zunächst mal im Jahr 2006 an: Damals bekamst du während der Schwangerschaft mit deinem dritten Kind die Diagnose “Mamillenekzem”. Was war damals los, welche Beschwerden hattest du?

Birgit: Zuerst einmal herzlichen Dank, dass ich ein Teil deiner Interviewreihe “Annette fragt“ sein darf.

Mir war aufgefallen, dass ich öfters einen nassen Fleck im BH oder Schlafshirt hatte und es bildete sich ständig eine Kruste an der Brustwarze. Außerdem war diese heller geworden. Ich wurde damit zum Hautarzt geschickt, wo nach Untersuchung und Abstrich ein Mamillenekzem und eine Pigmentstörung diagnostiziert wurden. Zur Lokaltherapie bekam ich verschiedene Salben, die aber überhaupt nichts brachten. Ich schob es auf die Schwangerschaft und dachte mir nichts weiter dabei.

Als mein Baby dann da war, tauchten beim Stillen wieder diese schon bekannten Probleme auf. Aber die Schwestern in der Klinik und auch die Hebamme beruhigten mich und meinten, dass käme vom Stillen und wäre nicht schlimm. Also vertraute ich darauf.

Annette: Leider stellte sich heraus, dass deine angebliche Pigmentstörung doch etwas anderes war: Brustkrebs mit 36 Jahren. Wie wurde der entdeckt und welche Therapien hast du dann durchlaufen?

Birgit: Ich ging kurz vor Weihnachten noch zu meiner Frauenärztin zur Krebsvorsorge und dabei ertastete sie etwas in der Brust. Nach einem Ultraschall schickte sie mich sofort weiter zur Mammographie und es folgte direkt eine Biopsie, die schließlich den Verdacht eines bösartigen Tumors bestätigte. Ich erhielt die Diagnose “Brustkrebs Her2 neu 3+” und mein erster Gedanke war:„Werde ich jetzt auch sterben“?

Dann ging alles ganz schnell. Zwei Wochen später begann das Staging, ich bekam meinen Port und wurde brusterhaltend operiert. Mit dem Tumor wurden 16 Lymphknoten und eine Lymphknotenmetastase entfernt. Ich kam in eine Studie und es folgte eine adjuvante Chemotherapie bestehend aus 4 x EC und 10 Zyklen Taxol mit einer zusätzlichen Tablettenchemo. Man versetzte mich in künstliche Wechseljahre und es folgte eine siebenwöchige Strahlentherapie der Restbrust. Zusätzlich erhielt ich 1 Jahr den Antikörper Herzeptin und eine fünfjährige Antihormontherapie mit Tamoxifen.

Annette: Zum Zeitpunkt deiner Diagnose warst du Mutter zweier Töchter, eine vier Monate alt, die andere 10 Jahre. Uff… Das ist hart…. Ich weiß, dass du – wie ich auch – deinen Kindern gegenüber sehr offen mit deiner Erkrankung umgegangen bist. Wie hast du deine Mädels an deiner Heilung teilhaben lassen?

Birgit: Wir haben von Anfang an offen über alles gesprochen und uns Unterstützung durch eine Kinderpsychologin und Bücher geholt, da meine Große das alles ja bereits von ihrem Bruder kannte. Ihr Bruder ist fünf Jahre vor meiner Erkrankung mit gerade mal drei Jahren an Krebs gestorben. Sie hatte natürlich viele Fragen und wollte wissen, ob ich jetzt auch sterben muss.

Wir haben ihr immer erklärt, welcher Schritt als nächstes folgt und als meine Haare begannen auszufallen, durfte sie mir die Haare abschneiden. Die Kleine hat mit ihren 4 Monaten ja noch nicht wirklich viel mitbekommen, war aber bei jeder Chemotherapie und fast jedem Arztbesuch dabei, weil ihr Papa mich meistens gefahren hat. Wenn es mir gut ging, haben wir immer versucht, so viel Normalität wie möglich beizubehalten.

Annette: Leider war es für deine Älteste nicht die erste Erfahrung mit dem Krebs: Ihr Bruder ist fünf Jahre vor deiner Erkrankung mit gerade mal drei Jahren an Krebs gestorben. Du teilst seine Geschichte in der Öffentlichkeit, um für dieses Thema zu sensibilisieren. Das finde ich unfassbar stark. Magst du hier erzählen, wie festgestellt wurde, dass mit Marcelle etwas nicht stimmte?

Birgit: Im Alter von zwei Jahren war  Marcelle plötzlich ständig krank. Mehrmals wöchentlich waren wir beim Arzt, um gesagt zu bekommen, dass es völlig normal sei, wenn ein Kind in diesem Alter häufig Infekte hat.

Wir wurden nicht ernstgenommen und  immer wieder mit Antibiotika nach Hause geschickt. Marcelle hatte ständig Schmerzen, wollte nicht mehr essen, nicht mehr spielen und war nur müde.

Als es ihm immer schlechter ging, bestand ich schließlich auf ein Blutbild. Als das Ergebnis dann da war, schickte man uns sofort ins Krankenhaus, wo er endlich komplett auf den Kopf gestellt wurde. Man vermutete das Pfeiffersche Drüsenfieber und es wurde ein Ultraschall gemacht. Dabei fand man etwas “Blumenkohlartiges” an der Niere, was da nicht hin gehört. Nur 3 Tage später fanden wir uns auf der Kinderonkologie wieder. Diagnose Wilmstumor Stadium IV mit Lungen und Lymphknotenmetastasen.

Von diesem Moment an wurde unser komplettes Leben auf den Kopf gestellt.

Es folgte eine präoperative Chemotherapie und die Resektion des Primärtumors. Gleichzeitig bekam er seinen Venenverweilkatheter (Broviac ).

In einer weiteren OP wurden die Lungenmetastasen entfernt. Anschließend folgte eine postoperative Chemotherapie mit gleichzeitiger Strahlentherapie der Tumorregion und beider Lungen mit täglicher Sedierung. Anfangs war die Prognose gut, doch leider ergab die histologische Untersuchung einen bösartigen Rhabdoidtumor. Aufgrund dessen plante man eine Stammzelltransplantation und seine vierjährige Schwester war bereits als Spenderin vorgesehen.

Da keine komplette Remission erreicht wurde und es erneut zu Metastasen kam, verzichtete man darauf,  und wir mussten uns langsam mit dem Gedanken vertrautmachen, dass unser Sohn nicht überleben würde.

Es folgte eine palliative Chemotherapie und uns blieben noch drei gemeinsame Monate bis Marcelle am 03.03.2001 zu den Engeln reiste.

Annette: Ich selbst habe meinen Bruder verloren, als er schon erwachsen war und selbst ein Kind hatte. Ich kann nur erahnen, wie es dir ergangen ist, als der Krebs dir dein kleines Kind nahm. Mein aufrichtiges Beileid an dieser Stelle.

Birgit: Herzlichen Dank, liebe Annette. Es war der schlimmste Tag meines Lebens obwohl wir darauf vorbereitet waren und wussten, dass dieser Tag kommen würde. Ich habe noch heute die Bilder der letzten Stunden im Kopf.

Gleichzeitig war es aber ein sehr schönes, intensives Jahr, mit vielen schönen Erinnerungen an die Station, die er so sehr geliebt hat.

Dass du deinen Bruder verloren hast tut mir sehr leid.

Annette: Ich danke dir für deine Anteilnahme. Weißt du, ich bin mir ganz sicher, dass mein Bruder und Marcelle heute da oben im Himmel zusammensitzen und runterlassen, was sich da auf meinem Blog so tut. Ein schöner Gedanke, dass unsere zwei Engel uns weiterhin begleiten, oder?

Birgit: Ein sehr schöner Gedanke. Genau so stelle ich es mir auch vor. Das macht es etwas leichter.

Als hätte das Leben dir nicht schon genügend Steine in den Weg gelegt, ereilte dich fünf Jahre nach deiner Erstdiagnose ein Rezidiv. Wie wurde dies entdeckt? Welche Therapien waren nötig, damit du wieder gesund wurdest?

Birgit: Ich hatte meine fünf Jahre Tamoxifen fast geschafft, als bei der Nachsorge bei der jährlichen Mammographie etwas auffällig war. Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, da die Aufnahmen plötzlich nochmal wiederholt wurden. Normalerweise wurde das Ergebnis nämlich immer direkt mit mir besprochen.

Sofort war da wieder diese Ahnung vom Tod in meinem Kopf! Denn ich konnte mir nicht vorstellen, den Krebs ein weiteres Mal zu besiegen.

Diesmal hatte ich aber Glück im Unglück und brauchte keine Chemo und Strahlentherapie.

Da es sich um ein  DCIS handelte, kam ich mit OP (Ablatio) und 5 Jahren Aromatasehemmer davon. Aus Angst vor einem erneuten Rezidiv und weiteren Operationen entschied ich mich gegen einen Brustaufbau und bin bis heute einseitig mit Prothese unterwegs.

Mir wurde außerdem geraten, die Eierstöcke entfernen zu lassen, was ich dann auch tat. 

Sideinfo: Ein DCIS ist ein invasives Mamma-Karzinom, eine Vorstufe von Brustkrebs. Hierbei sind die Milchgänge der Brust krankhaft verändert.

Annette: Deine Erkrankungen und der Verlust deines Sohnes hinterließen tiefe seelische Narben und etliche körperliche Beschwerden. Ich weiß, dass du schon mit 39 Jahren zur Frührentnerin wurdest. Mit welchen Spätfolgen hast du zu kämpfen?

Birgit: Den Tod meines Sohnes hab ich nie verarbeitet und die seelischen Narben sind sicher auch mit Schuld an meinem jetzigen Gesundheitszustand. Um nicht zu Hause Marcelles leeres Zimmer zu sehen, ging ich vier Wochen nach seinem Tod wieder Vollzeit arbeiten. Auch hatte ich bis zu meiner eigenen Erkrankung auch nie eine Psychotherapie in Anspruch genommen.

Eine Langzeitfolge meiner Therapie ist meine Herzinsuffizienz, verursacht durch das Herzeptin. Anfangs hieß es, das würde sich wieder bessern. Leider war das nicht der Fall. Außerdem kämpfe ich unter anderem mit Spätfolgen wie Fatigue, Wortfindungsstörungen, Problemen mit dem Kurzzeitgedächtnis, Lymphödem, und einer Angststörung, die mich ziemlich einschränkt.

Ich musste lernen, dass ich nicht mehr so funktioniere wie vor der Erkrankung. Das war schwer zu akzeptieren, weil ich immer Vollzeit gearbeitet habe und nie still sitzen konnte.

Nach meiner Scheidung hatte ich dann zwei Jobs gleichzeitig. Ich war selbstständig mit eigenem Laden und hab´ dazu noch in einer Bäckerei gearbeitet. Nebenbei liefen Haushalt und Kinderbetreuung ohne Probleme.

Inzwischen komme ich aber ganz gut damit klar, dass es anders ist – dank Pausen und Post-its. Aufgrund meiner Gedächtnisprobleme muss ich mir alles aufschreiben. Deshalb mache ich mir immer eine To-do Liste und schreibe mir Post-it Zettel, die mich an alles Mögliche erinnern.

Annette: Ach ja, ich liebe Post-its auch. Diese bunten kleinen Zettel sind Goldwert, um sich die vielen Kleinigkeiten merken zu können, die im trübseligen Alltag so anfallen. Außerdem verschönere ich damit immer Kochbücher und klebe hier und da und dort Post-its rein, wo mich Rezepte anlachen.

…..

Birgit, das Leben hat dir nicht nur Steine, sondern wahre Brocken in den Weg gelegt: Du hattest zweimal Krebs, bist verwaiste Mutter. Zudem ging deine Ehe in die Brüche und du hast deine zwei Töchter teilweise alleine großgezogen. Später dann pflegtest du deinen Exmann, als auch dieser eine Krebsdiagnose erhielt.

Trotz alledem sprichst du immer wieder in großer Dankbarkeit vom Leben. Wow! An deinem 54. Geburtstag hast du beispielsweise folgende Zeilen veröffentlicht, die mich alle Hüte vor dir und deinem ungebremsten Lebenswillen ziehen lassen:

Ich bin dankbar für jedes Jahr, jeden Monat, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde.

Denn es ist nicht selbstverständlich, dass ich noch hier bin und ich freue mich über jedes weitere Jahr.

…..

Birgit, woher nimmst du die Kraft, immer und immer wieder aufzustehen? Welche Strategien oder auch Hobbies hast du dir angeeignet, um nicht an all den Schicksalsschlägen zu zerbrechen?

Birgit: Ich bin einfach dankbar, noch hier zu sein. Denn es ist nicht selbstverständlich Krebs zu überleben, was wir ja leider besonders in der Krebscommunity immer wieder schmerzlich miterleben.

Am Tag meiner Erstdiagnose dachte ich, es sei mein Todesurteil und ich werde meine Kinder nicht aufwachsen sehen, nachdem ich ja meinen kleinen Sohn bereits an den Krebs verloren hatte und meine Jüngste bei der Diagnose ja gerade erst vier Monate alt war.

Meine Kinder gaben mir die Kraft zu kämpfen, denn ich wollte dabei sein, wenn sie großwerden und sie auf gar keinen Fall alleine lassen. Mein Ziel war es immer, wenigstens so lange zu leben, bis beide volljährig sind.

Ich habe mir immer kleine Ziele gesetzt und im letzten Jahr dufte ich den 18.Geburtstag meiner Jüngsten miterleben.

Annette: Ich bekomme gerade richtig Gänsehaut, wenn ich das höre. Es ist so schön, dass dir das vergönnt war. Ich bin mir sicher, es liegen noch viele gemeinsame Jahre vor euch.

Birgit: Durch sie wurde ich auf K-Pop und K-Dramen aufmerksam. Seitdem bin ich BTS Fan (ARMY), stecke viel Geld in Alben und Merch und verfolge alles, was mit der Band, den Mitgliedern und Südkorea zu tun hat.

Sie sind mein Leben und bei ihrem nächsten Konzert möchte ich unbedingt live dabei sein.

Außerdem möchte ich irgendwann nach Südkorea reisen.

Annette: Hey, das ist ja cool. Ich drücke dir die Daumen, dass du dir diesen Herzenswunsch einmal erfüllen kannst.

Birgit: Herzlichen Dank.

Annette: Ich hab` einen wunderschönen Text, eher ein Gedicht, bei dir auf Instagram entdeckt, den ich hier sehr gerne teilen möchte.

Das Leben ist zu kurz um normal zu sein
Geh raus,
sei verrückt 🤪
brich’ die Regeln,
tanz’ aus der Reihe💃
spring’ in Pfützen
zähle die Sterne ✨️
mach’ die Nacht zum Tag
lebe deinen Traum 💜
lass die Leute reden und
gib vor allem niemals auf‼️

Annette: Ich lese aus diesen Zeilen heraus, dass du infolge der Erfahrungen, die du hast machen müssen, einiges in deinem Leben verändert, Prioritäten anders gesetzt hast und Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachtest. Welche Träume hast du dir erfüllt? Welche vielleicht unvernünftigen, aber durchaus spaßigen, Dinge hast du schon getan? Vielleicht motiviert das die eine oder den anderen Leser*in deines Interviews auch dazu, etwas mehr Unvernunft im Leben einziehen zu lassen. Etwas mehr Lebensfreude können wir schließlich alle gebrauchen…

Birgit: Seitdem ich weiß, wie schnell ein Leben zu Ende sein kann, freue ich mich an kleinen Dingen und machbare Wünsche erfülle ich mir einfach.

Früher war es mir wichtig, was andere denken. Heute ist es mir egal. Ich hab’ mir die Haare in der BTS-Farbe lila gefärbt, mir ein koreanisches Auto gekauft und mit 52 ein BTS Tattoo stechen lassen. Mein erstes überhaupt und ich liebe es. Ich schaue ihre Livestreams, auch wenn es 4 Uhr morgens ist und dank meiner Mädels ist ein lebensgroßer Pappaufsteller meines Lieblingssängers bei mir eingezogen.

Viele halten mich für verrückt und zu alt dafür, aber auch das ist mir egal.

Wenn ich müde bin, leg ich mich hin. Wenn die Sonne scheint, geh# ich raus. Haushalt und Wäsche kann auch mal warten, was für mich früher überhaupt nicht vorstellbar war.

Annette: Wow, danke dir für diese offenen Worte. Du hast so, so recht und es ist ein guter Reminder gerade auch für mich, die immer wieder im Alltag hängen bleibt und darüber das Spontane und vorallem das einfach-mal-Machen vergisst.

In diesem Sinne werde ich mir heute Abend einen Filmabend mit Serie, Schokolade und leckerem Tee machen und mir morgen gleich eine Karte für ein cooles OpenAir-Konzert im Sommer kaufen. Man lebt ja nur einmal, gell?

Birgit: Absolut.

Annette: Fünf Jahre nach deiner Erstdiagnose wurde bei dir im Rahmen der Nachsorge ein Rezidiv entdeckt. Zum Glück so frühzeitig, dass du mit einer Operation und fünf Jahren Anti-Hormontherapie behandelt werden konntest. Dennoch ist dir das Gefühl von Angst vor Nachsorgeterminen, einem weiteren Rezidiv, Metastasen oder gar dem Tod sicherlich nicht fremd…

Hast du ein paar Tipps auf Lager, wie du dich vor Untersuchungen ablenkst oder Tools, wenn die Angst nachts mal anklopft? Ich hab´ selbst bald schon wieder eine Untersuchung und würde mich freuen, von einer „alten Häsin“ wie dir lernen zu können.

Birgit: Obwohl meine Erstdiagnose mittlerweile 18 Jahre her und ich nach meinem Rezidiv inzwischen schon 13 Jahre krebsfrei bin, ist auch bei mir die Angst vor Nachsorgeterminen, einem weiteren Rezidiv oder gar Metastasen da.

Ich versuche aber, ihr nicht zu viel Raum zu geben. Vor solchen Tagen hilft mir Ablenkung mit puzzeln, rätseln, zeichnen, lesen. Ich hab auch schon Schränke ausgemistet und umgeräumt.  Auch fernsehen bei einer Tasse Tee oder ein Spaziergang mit meiner Lieblingsmusik in den Ohren lenkt mich gut ab. Letzteres natürlich nicht gerade nachts.

Anderen hilft vielleicht Sport, Handarbeit oder ein Podcast. Egal was es ist, Hauptsache es macht Spaß. So kommt die Ablenkung fast von allein.

Annette: Du teilst auf deinem Instagramprofil deine Krebsgeschichte, die Geschichte deines Sohnes und auch die deines Ex-Mannes sehr offen. Warum hast du dich entschieden, mit deiner Geschichte in die Öffentlichkeit zu gehen? Welches Ziel verfolgst du damit?

Birgit: Ich habe mich dafür entschieden, weil ich finde, dass Krebs immer noch ein Tabuthema ist, mit dem sich oft nur Selbstbetroffene oder Angehörige auseinandersetzen.

Als unser Sohn damals erkrankte, wurden wir plötzlich von Freund*innen und Nachbar*innen gemieden, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Außenstehende wissen oft nicht, wie sie sich Krebspatient*innen gegenüber verhalten sollen. Ohne Haare wird man angestarrt und wenn die Haare wieder da sind gefragt, wieso man noch nicht wieder arbeitet.

Mit meiner Geschichte möchte ich anderen Betroffenen Mut machen und zur Früherkennung aufrufen. Denn je früher man Krebs entdeckt, umso größer sind oft die Heilungschancen.

Das Thema “Kinderkrebs” liegt mir sehr am Herzen, da in der Kinderkrebsforschung noch viel Luft nach oben ist.

Betroffenen Eltern rate ich, sich nicht von Ärzten abwimmeln zu lassen, wenn sie vermuten, dass mit ihrem Kind etwas nicht stimmt.

Denn Krebs kennt kein Alter und kann jeden treffen.

Annette: Wenn du an deine Erstdiagnose und deinen Therapieverlauf denkst: Was würdest du heute nicht mehr so machen und was genauso?

Birgit: Ich würde alles mit dem Handy festhalten, was damals noch nicht ging. Auch wenn es eine schlimme Zeit war, hab ich kaum Erinnerungsfotos von damals. Eine Perücke würde ich mir nicht mehr kaufen, da ich diese nur einmal getragen habe. Ich kam mir so verkleidet vor und hab´ sie gehasst.

Annette: Das war bei mir genauso. Ich habe eine Perücke gekauft, hatte sie zu Hause einmal an und dann verschwand sie im Schrank.

Birgit: Ach, wie beruhigend, dass es nicht nur mir so ging.

Annette: Du postest regelmäßig Fotos deines verstorbenen Sohnes und Ex-Mannes, zeigst Bilder von Friedhofsbesuchen und schickst Grüße in den Himmel. Diesen unverkrampften Umgang mit dem Thema „Tod und Sterben“ finde ich toll. Denn das gehört nun mal zu unser aller Leben dazu. Ich kann mir vorstellen, dass manche Leute nicht so „locker“ damit umgehen können. Wie sind die Reaktionen auf solche Posts von dir?

Birgit: Da der Tod zum Leben dazu gehört, ist es für mich normal, auch darüber zu schreiben. Die Vorstellung, dass unsere Verstorbenen irgendwo im Himmel leben, macht es für mich leichter, damit klarzukommen. So bleiben sie ein Stück weit unvergessen und sind irgendwie immer präsent, nicht nur bei uns im Herzen.

Ich hatte bisher noch keine negative Reaktion auf solche Posts. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass mir viele verwaiste Eltern und Krebspatient*innen folgen, die ja auch fast alle schon einen geliebten Menschen verloren haben.

So fühlt man sich mit der Trauer nicht allein und kann mitfühlen, wie es dem anderen gerade geht.

Annette: Ich bin mir sicher, dass du ganz, ganz vielen Menschen da draußen täglich Mut machst und Hoffnung gibst. Danke dir für deine so wertvolle und völlig unbezahlte Arbeit.

….

Birgit, zum Schluss baue ich auf deine Spontanität und bitte dich, die folgenden Satzanfänge aus dem Bauch heraus zu beantworten:

Als ich meine Krebsdiagnose erhielt, hätte ich es niemals für möglich gehalten, dass ich…den Krebs überleben werde und meine Kinder aufwachsen sehe. 

Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich sie in dem Moment anhalten, als…. mein Sohn noch gesund war und wir mit dem Thema “Krebs” noch nichts zu tun hatten.

Könnte eine gute Fee mir eine meiner Beschwerden nehmen, dann wäre das…., meine Angststörung, weil ich mir dadurch oft selbst im Weg stehe und Dinge nicht mache, die ich eigentlich gern tun würde.

In fünf Jahren möchte ich …. meinen 60.Geburtstag weiterhin krebsfrei und gesund mit meinen Kindern und vielleicht einem Enkelkind feiern.

Mit einem Lottogewinn würde ich… mir eine Eigentumswohnung oder ein kleines Haus kaufen, um im Alter mietfrei zu sein.

Annette: Liebe Birgit, hab’ vielen Dank dafür, dass du mir deine Zeit für dieses Interview geschenkt und so offen von dir und aus deinem Leben erzählt hast. Ich muss zugeben, dass ich immer wieder schlucken musste.

Ich wünsche dir und deinen Mädels alles Glück der Welt und bitte das Universum darum, dir und euch lange, lange, lange Gesundheit zu schicken.

 

Mehr über Birgit erfahrt ihr hier: 

Birgits Instagramprofil

Artikel über Birgit auf der Plattform für Brustkrebs:

Birgit als Mutmacherin bei YesWeCancer

Birgit im Interview bei Ela Theedes Projekt „Krebsi trifft Krebsi“

Birgit bei deine Lieblingsmenschen

Birgit bei Pathly

Birgit in einem Video bei “Starke Frauen gegen Brustkrebs

 

Hier geht’s zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”.

Jetzt teilen